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Schlauraffia: Utopischer Roman
Schlauraffia: Utopischer Roman
Schlauraffia: Utopischer Roman
eBook170 Seiten2 Stunden

Schlauraffia: Utopischer Roman

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Über dieses E-Book

Was passiert in einem Land, wo Milch und Honig in Bächen fließen und einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen?
Hans Sachs hatte schon 1530 in einem seiner Spruchgedichte genaue Vorstellungen diesbezüglich. Auch die Brüder Grimm griffen 1812 dasselbe Thema wieder auf, wobei der schale und pelzige Beigeschmack einer faulen und verfressenen Gesellschaft eher noch ironisch kultiviert wurde.
Ganz anders in Schlauraffia. Hier herrscht das Lust und Laune-Prinzip. Dank einer existenzsichernden Grundversorgung muss hier keiner arbeiten oder sich anderweitig versklaven und entwürdigen lassen, um angemessen leben zu können. Dabei beschäftigt man sich nach Befähigung und Neigung nur wenn einem der Sinn nach etwas steht und man wohlwollenden Tatendrang verspürt.
Leo Specht, Jahrgang 1955 und selbst gebürtiger Schlauraffe, beschreibt und visualisiert auf seine Art, alltägliche Gegebenheiten und Hintergründe in einer fiktiven Gesellschaftsform. Dort aber wird das Leben und Treiben der friedliebenden Bewohner plötzlich auf eine harte Probe gestellt: Ein hinterlistiger Piratenangriff moderner Art kündigt sich an ...
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum28. Nov. 2017
ISBN9783743906471
Schlauraffia: Utopischer Roman

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    Buchvorschau

    Schlauraffia - Leo Specht

    Einfall

    ›Ach du lieber Specht, was für ein Lüftchen!‹ - Immer noch halb gemartert von den intensiven Erlebnissen in seinen Traumwelten, ereilt Leo schon beim Öffnen der Glastür zum Balkon seiner 2-Zimmer-Mansarde eine bestimmte Vorahnung. Ein leichter lauer Wind von Südost und eine überraschend angenehme Temperatur, die ihm erlauben, hemdsärmelig den Außenraum zu betreten, begrüßen seinen Tag. Mit jedem Atemzug riecht er schon die Düfte, die den ersehnten Wechsel der Jahreszeiten ankündigen. Sollte sich nun endlich die von ihm so ungeliebte Zeit der Kälte und unerträglich langen Dunkelheit mit einem Mal in Wohlgefallen auflösen? Es hat ganz den Anschein.

    Aufgrund von Leos Nachtaktivitäten, deren Motive an dieser Stelle nicht weiter zur Diskussion stehen, ist jetzt bereits helllichter Mittag. Genau jene Zeit, wo er gewöhnlich sein Bewusstsein wechselt und seine Schlafstatt verläßt. Dieser Verän- derungsprozess dauert mindestens zwei Stunden, wobei ihn immer das gleiche Ritual begleitet: Wetter registrieren, Musik auflegen, Kaffee kochen, Bad benutzen, anziehen, Obst essen, eine rauchen. Normalerweise entscheidet dann sein Terminkalender, ob er sich der Öffentlichkeit präsentieren muss oder nicht. Unterhalb des heutigen Datums befindet sich jedoch kein Eintrag und die Wärmestrahlung der Sonne überredet Leo erfolgreich, sofort das Haus zu verlassen. Er rüstet sich also für einen Spaziergang, schnappt seine persönlichen Utensilien vom Ablagebrett nahe der Wohnungstür und betritt das Flurpodest.

    Kessel, der junge Maler von nebenan, noch immer all zu oft auf der Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau, kommt eben vom Einkaufen mit schweren Tüten die Treppen hoch, grüßt zerstreut und macht Leo leicht mürrisch auf den unten sitzenden Friedwart aufmerksam. Das gewundene Treppenhaus seines mit sieben Nachbarn gemeinsam bewohnten Domizils aus der zweiten Jahrtausendwende nachchristlicher Zeitrechnung entlässt Leo schließlich nach vierundfünfzig Stufen abwärts aus seinen heimatlichen Fängen.

    Vor der weit geöffneten Haustür erkennt er schon die typische Silhouette seines Schattens auf dem Pflaster und schleicht sich leise an. »Ach, du schon wieder!«, neckt er ihn gut gelaunt. Der wilde Hundeblick und sein hektisches Schwanzwedeln lassen erkennen, dass tatsächlich Leo derjenige war, der erwartet wurde. Dabei taucht das Tier ständig irgendwo überraschend auf und verschwindet dann einfach wieder. Leo nennt ihn Friedwart, vermutlich weil er des Öfteren seinen Seelenfrieden behütet. Diese nicht sehr große Beaglemischung wirkt durch seine ausgeprägte Muskulatur und sein kurzes, schwarz-weiß-braun geschecktes Fell irgendwie kernig, gesund und allzeit bereit für die Jagd.

    Direkt neben dem Hauseingang befindet sich ihre Lieblingsbank, bestehend aus einem schmiedeeisernen Gestell mit darauf verschraubten, grünlasierten Holzlatten. Hat man es nicht eilig, so setzt man sich dorthin, ruht sich aus und genießt den Blick auf einen der baumgesäumten Stadtkanäle, die fast jedes Grundstück Schlauraffias erschließen. Leo nimmt auf ihr kurzerhand und zufrieden Platz, da diese ansonsten bei Passanten beliebte Sitzgelegenheit gerade nicht belegt ist. Friedwart hockt sich zu seinen Füßen und lässt sich, fraglos erwünscht, von ihm am Hals kraulen.

    Seine kleine, gemütliche Heimatstadt ist nun seit langer Zeit wieder in grelles Sonnenlicht getaucht. Jetzt gilt es aufzusaugen, Eindrücke zu sammeln, Ideen zu finden oder sich einfach nur treiben zu lassen.

    »Na, mein Guter, wohin mit dem angebrochenen Tag?«, fragt Leo und schaut nun dem Vierbeiner direkt in die Augen. »Dieses Wetter lädt ja wahrlich zu einem Ausflug mit Picknick in netter Gesellschaft ein, was? – Erst mal sehen, was die anderen heute machen!« Und wie zur Bestätigung neigt Friedwart seinen Kopf kurz zur Seite.

    Nach einer meditativen Frist raffen sich die beiden auf und promenieren den Weg am Ufer des Wasserlaufs entlang, den sie schon lange auswendig kennen. Anfangs folgt der Hund manierlich bei Fuß, dann aber eilt er voraus, als wisse er ganz genau, wo Leo hin will. Denn vermutlich würden um diese Zeit einige ihm bekannte Leute im sogenannten Fax’n, seinem Lieblingsbüro ein paar Ecken weiter, zum Fachsimpeln, Billardspielen oder Verabreden anderweitiger Aktivitäten anzutreffen sein. Doch während des gemächlichen Dahinschlenderns, umhüllt mit einer gewissen Vorfreude auf das kommende Unbekannte, bildet sich in Leo unverhofft ein Gewissenskonflikt. ›Eigentlich sollte ich lieber den Topf mit Gold am Ende des Regenbogens suchen und ausgraben‹, murmelt er vor sich hin.

    ›Ich bin so gut wie pleite!‹, ist wahrscheinlich der Hintergrund dieses Gedankens, denn sein Talerkonto pendelt seit einiger Zeit beharrlich zum Minuslimit. Überziehen kann jeder, aber die drückende Verpflichtung zum Kontenausgleich, zumal veröffentlicht, ist ihm doch auf die Dauer zu peinlich und unangenehm.

    Die letzte Stippvisite in Übersee, vor allem der Besuch bei Jameika-Peter, den Leo noch vom Campus her kennt, hat ihn eben finanziell außergewöhnlich geschröpft. Da wird er wohl in der Tauschbörse unverzüglich nach einem passenden Auftrag für sich suchen müssen, um diesen unseligen Zustand schnellstmöglich beenden zu können.

    Endlich sieht er in einiger Entfernung die herausgefahrene orangefarbene Markise, die eindeutig signalisiert, dass im Fax’n die gewohnte Betriebsamkeit herrscht. Und irgendwie beruhigt ihn dieser Zustand. Was Leo aber natürlich in diesem Moment noch nicht weiß, ist, dass sich ein gewisser Max gerade auf dem Weg nach Schlauraffia befindet und sie sich heute Abend bereits über den Weg laufen werden.

    Max steht indessen lässig an der Reling des Promenadendecks seiner Fähre und blättert lustlos in einem Reiseführer über Schlauraffia. Etwa einhundert Kilometer landeinwärts und direkt am Fluss, der Tirene, die in das große Mediterranum mündet, liegt diese mit rund 60.000 Einwohnern relativ kleine Gemeinde, die das vorläufige Ziel seiner Reise darstellt. Die geografische Lage des Ortes begünstigt eine komplette Autonomie gegenüber seinen Nachbargemeinden ungemein, denn die fruchtbare Tallandschaft wird von den flankierenden Höhenzügen eines Mittelgebirges begrenzt und bleibt somit von den negativen Einflüssen des Eumelreiches größtenteils verschont.

    ›Dies muss vorerst mein letzter Trip gewesen sein‹, grübelt Max tief in Gedanken versunken. ›So kann es einfach nicht mehr weitergehen!‹. Hier in Schlauraffia wird sich für ihn noch einiges entscheiden müssen. Die Ankunftszeit ist für 19 Uhr angesetzt, bis dahin hat er noch genügend Zeit, um sich mit den örtlichen Gegebenheiten zumindest theoretisch zu beschäftigen.

    Im Fax’n

    Vorbei an Erwins Mofa, das Leo seinem Besitzer vor einiger Zeit in verschiedenen Grüntönen handbemalt und mit goldenen Ralleystreifen verziert hat, schlurft er die kleine Rollstuhlrampe hinauf, um neben der überdachten Straßenterrasse direkt in den Schankraum des Fax’n zu gelangen.

    »Grüß dich, Siggi!«, ruft er überschwänglich im Vorübergehen.

    »Das verstehe ich jetzt wieder nicht!«, gähnt dieser ewig müde aus seinem angestammten Schaukelstuhl.

    »Na, das hab’ ich mir gedacht!«, erkennt Leo mitfühlend und passiert die gläsernen Falttüren der Straßenfront, die eine großzügige Transparenz dieser für sein Empfinden einmaligen Kultur- und Begegnungsstätte erlauben. Im Inneren des Lokals angelangt, kämpfen seine empfindlichen Augen mit dem kontrastreichen Lichtwechsel.

    »Hallo, Günter!«, begrüßt Leo den mit Biergläsern hantierenden Wirt lautstark, ohne aufgrund der fehlenden Geräuschkulisse gewahr zu sein, dass nur wenig Gäste anwesend sind. »Das ist wohl immer die gleiche Parole von Siggi, was? aber heute mal nicht in seinem Schlafanzug!«, tönt er ihm scherzhaft zu, wobei er seinen Blick kurz durch den Laden schweifen lässt.

    »Grüß dich!«, brummt Günter lächelnd zurück. »Nun ja, unser Nickmännchen ist eigentlich sehr treu in seinem kauzigen Verhalten, und zu dieser Zeit sitzt er doch oft da draußen und trinkt seinen Kakao! - Vielleicht eine Verabredung?«

    Mit Leo Specht und Dr. Günter Katz, von den meisten einfach nur Fax’n-Günter genannt, besteht seit über zwanzig Jahren eine gute und offensichtlich auf Gegenseitigkeit beruhende Freundschaft.

    Er war Jurist, als sie sich über eine gemeinsame Liebschaft kennen lernten, hat sich damals thematisch mit vielen Leuten angelegt und mit fast jedem gestritten. Aber seine Beweggründe, vermutet Leo, bestanden wohl eher in einer gewissen Begeisterung für rechtskundliche Finessen und dem Spaß an Diskussionen, sowie konstruktiven Auseinandersetzungen, die er immerhin ernsthaft genug vortrug, um eine Handvoll Skeptiker kräftig zu verwirren. Aber dessen ungeachtet war er maßgeblich an der Einführung einer bedingungslosen Grundversorgung für alle Bewohner Schlauraffias beteiligt und genießt fast ausnahmslosen Respekt.

    Sogleich erklimmt Leo den erstbesten Barhocker am Tresen.

    »Was macht die Kunst?« fragt er, ohne ernsthaft eine Antwort zu erwarten, aber doch in der Hoffnung, die letzten Neuigkeiten aus der Gemeinde relativ mühelos zu erfahren.

    »Mal so, mal so! Ich kann nicht klagen!«, erwidert Günter.

    Leo bestellt einen Pott Kaffee, worauf Günter mit fragender Miene auf die kleinen Körbe mit Würfelzucker, Portionsmilch und Glückskeksen deutet.

    »Nein danke, schwarz, wie immer! Aber, wo sind denn alle?« forscht Leo, ehrlich erstaunt über die befremdende Leere.

    Erwin, der bajuwarische Haus- und Kneipenfrisör, macht sich daraufhin mit seiner klappernden Schere bemerkbar, wedelt damit feixend einen Gruß herüber und antwortet knapp: »Die anderen sind hinten im Hof und bauen das Tischtennis auf!« - Er hat gerade Hermann, den Bodenseer, selbsternannten Installateur und leidenschaftlichen Filmfreak auf dem Stuhl vor seinem speziellen Schaufenster sitzen und schneidet ihm die Haare auf eine spärliche, aber für die wärmeren Tage sicherlich praktische Frisur zurück.

    Leo winkt Erwin unmissverständlich zurück, dass somit seine Frage zur vollsten Zufriedenheit beantwortet ist. Zwei ihm nicht näher bekannte Jugendliche versuchen sich derweil als Diskjockeys an der Musikbox, die sie mit ihren neuesten MP3s füttern.

    »Gibt’s eigentlich Neuigkeiten vom Einbruch ins Hanfsamenlager letztens?«, fragt er Günter wieder zugewandt.

    »Nee, bisher nicht! Auch Lobo kann sich das immer noch nicht erklären!«

    »Und die haben echt alles mitgenommen und dabei keine Spuren hinterlassen?«, will Leo noch mal wissen.

    »Tja, das müssen Profis gewesen sein! - Seine Wachhunde mit Pfeilgift zu betäuben, wahrscheinlich mittels Blasrohr, war schon ausgeklügelt. Es hat ja auch niemand irgendetwas gesehen oder gehört!«

    Nachdenklich und betroffen bemerkt Leo daraufhin: »Die ruinieren uns mit dem Samenklau! - Weißt du, was von der Hanferzeugung hierzulande alles abhängt?«

    »Das kann ich mir gut vorstellen, so wie gegenwärtig konsumiert wird!«, scherzt Günter zweideutig. »Aber ich vermute, Lobo hat bereits neuen Samen aus Aurora bestellt, damit wieder rechtzeitig gesät werden kann!«

    Leo nickt ihm beruhigt zu, nippt an seinem Kaffee und lauscht den aktuellen Hits aus der Tonkonserve.

    »Und wie steht’s mit den Vorbereitungen für die ‚Wir um 50‘-Party nächste Woche?« versucht er Günter nach einer Weile zu foppen.

    »Alles paletti! Die Band steht fest, die Werbung ist raus und die Kellerbühne ist auch schon geräumt!«, kontert dieser sofort.

    Mit Günters Organisationstalent hätte Leo sich das auch gar nicht anders vorstellen können und legt sogleich mit einer Anfrage zur Umstrukturierung des neuen Kinoprogramms für die kommende Saison nach: »Auf jeden Fall sollte die Nachtvorstellung mehr künstlerisches Gewicht bekommen, wenn die Tage jetzt länger werden, oder was meinst du?« Günter nickt stumm. Leider hat sich Leo mit diesem Thema, obwohl versprochen, aus zeitlichen Gründen noch immer nicht befassen können. Das Kino im

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