Kleines Herz und große Sehnsucht: Sophienlust - Die nächste Generation 27 – Familienroman
Von Marietta Brem
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Über dieses E-Book
Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt.
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
Melodisch läutete die Schulglocke die nächste Unterrichtsstunde ein. Der Pausenhof war voll Kinder jeglicher Jahrgangsstufen, die nun in das Gebäude zurückströmten. Vicky Langenbach allerdings, die im Kinderheim Sophienlust lebte und dort sehr glücklich war, marschierte zielstrebig auf die nicht sehr hohe Mauer zu, die den Pausenhof in zwei Hälften teilte. Mühelos schwang sie sich auf das Mäuerchen und ließ die Beine baumeln. Aus einer Stofftasche holte sie eine Dose mit dem Pausenbrot hervor. Unvorhergesehen würde nämlich die nächste Schulstunde ausfallen, weil Herr Krämer, der Fachlehrer für Kunstunterricht, plötzlich krank geworden war. Vicky mochte Herrn Krämer sehr gern, doch eine Freistunde war natürlich auch nicht zu verachten. »Eva, magst du dich zu mir setzen? Du kriegst auch die Hälfte von meinem Pausenbrot!« Vicky hob die rechte Hand und winkte ihrer Freundin zu. »Hier bin ich!« Sie klatschte mit der Handfläche auf den freien Platz neben sich und strahlte Eva an. Eva Lohner, ein hübsches blondes Mädchen von zwölf Jahren, blieb abrupt stehen. Sie, die sonst so fröhlich und aufgeschlossen war, schien über die Einladung gar nicht begeistert zu sein. Mit gesenktem Kopf marschierte sie auf die Mauer zu. »Ich mag nichts essen«, brummelte sie, setzte sich jedoch neben Vicky. Die spürte sofort, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war mit der Schulfreundin. »Geht es dir nicht gut, Eva? Du siehst traurig aus.
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Buchvorschau
Kleines Herz und große Sehnsucht - Marietta Brem
Sophienlust - Die nächste Generation
– 27 –
Kleines Herz und große Sehnsucht
Ein Schicksalsschlag bringt Evas Welt aus den Fugen
Marietta Brem
Melodisch läutete die Schulglocke die nächste Unterrichtsstunde ein. Der Pausenhof war voll Kinder jeglicher Jahrgangsstufen, die nun in das Gebäude zurückströmten. Vicky Langenbach allerdings, die im Kinderheim Sophienlust lebte und dort sehr glücklich war, marschierte zielstrebig auf die nicht sehr hohe Mauer zu, die den Pausenhof in zwei Hälften teilte. Mühelos schwang sie sich auf das Mäuerchen und ließ die Beine baumeln. Aus einer Stofftasche holte sie eine Dose mit dem Pausenbrot hervor.
Unvorhergesehen würde nämlich die nächste Schulstunde ausfallen, weil Herr Krämer, der Fachlehrer für Kunstunterricht, plötzlich krank geworden war. Vicky mochte Herrn Krämer sehr gern, doch eine Freistunde war natürlich auch nicht zu verachten.
»Eva, magst du dich zu mir setzen? Du kriegst auch die Hälfte von meinem Pausenbrot!« Vicky hob die rechte Hand und winkte ihrer Freundin zu. »Hier bin ich!« Sie klatschte mit der Handfläche auf den freien Platz neben sich und strahlte Eva an.
Eva Lohner, ein hübsches blondes Mädchen von zwölf Jahren, blieb abrupt stehen. Sie, die sonst so fröhlich und aufgeschlossen war, schien über die Einladung gar nicht begeistert zu sein. Mit gesenktem Kopf marschierte sie auf die Mauer zu. »Ich mag nichts essen«, brummelte sie, setzte sich jedoch neben Vicky.
Die spürte sofort, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war mit der Schulfreundin. »Geht es dir nicht gut, Eva? Du siehst traurig aus. Was ist los? Magst du mit mir darüber reden?« Mit angehaltenem Atem wartete Vicky auf Evas Reaktion. Sie wusste nicht viel von deren Familie, nur dass der Vater Rechtsanwalt und die Mutter Hausfrau war.
Eva schüttelte den Kopf. »Ich mag nichts erzählen. Außerdem kannst du mir sowieso nicht helfen.« Es klang abweisend, doch Vicky ließ sich nicht einschüchtern.
»Versuch es doch einfach. Ich verspreche dir auch, dass ich alles, was du mir sagst, für mich behalten werde.« Ganz deutlich spürte Vicky, dass es in Evas Leben ein Problem gab. Schon seit einigen Wochen war die Freundin im Unterricht nicht mehr aufmerksam, ihre Klassenarbeiten waren schlechter geworden, und an den gemeinsamen Unternehmungen an manchen Nachmittagen hatte sie gar nicht mehr teilgenommen. Irgendetwas hatte sich in Evas Leben verändert. »Ist etwas mit deiner Mutter? Ist sie krank? Wenn ich irgendwie helfen kann, lass es mich wissen. Du könntest auch für einige Zeit zu uns nach Sophienlust kommen, wenn du möchtest. Ich bin sicher, Nick und Tante Isi hätten nichts dagegen. Aber natürlich nur, wenn auch deine Eltern einverstanden sind«, versicherte sie hastig, weil sie auf einmal das Gefühl hatte, ihr zu nahe getreten zu sein mit diesem Angebot.
Eva warf ihr einen nachdenklichen Blick zu. »Ich weiß nicht … So etwas erzählt man nicht weiter. Bestimmt geht es auch bald wieder vorbei.« Ihre Augen schwammen in Tränen. Sie musste ihre ganze Kraft zusammennehmen, um nicht zu weinen. Das Schluchzen saß schon ganz weit oben in ihrem Hals, und sie konnte kaum mehr atmen.
Vicky war ziemlich erschrocken über Evas plötzliche Reaktion, doch sie zeigte es nicht. Zu viel schon hatte sie in Sophienlust erlebt und wusste genau, dass man einen verzweifelten Mensch nicht drängen durfte. Hier half nur abwarten, bis Eva von selbst bereit war, ihr Herz bei der Freundin auszuschütten. Mitfühlend legte sie ihre Hand auf Evas und rechnete damit, dass die sie zurückzog. Doch nichts geschah. Eva hielt ganz still. Ihr Blick war starr auf ihre Knie gerichtet, und ihr Atmen hörte sich an wie ein ganz leises Schluchzen.
»Meine Mutter ist krank«, sagte sie nach einer Weile leise. »Mein Papa sagt, dass man sie einfach in Ruhe lassen muss. Das würde von selber wieder weggehen. Aber daran glaube ich nicht. Ich höre die beiden abends oft streiten, und meine Mutter wirft meinem Vater dann vor, dass er uns einfach im Stich lassen wollte. Meistens hat meine Mutter dabei eine Flasche Wein in der Hand, und je länger sie mit meinem Vater streitet und dann trinkt, umso wirrer wird sie. Ich verstehe es nicht. So war sie früher nicht. Seit mein Vater eine Freundin hat, ist es noch schlimmer geworden. Es geht bei uns drunter und drüber. Ich kann nur in meinem Versteck bleiben und alles anhören, ohne dass ich helfen kann.« Jetzt schaute sie Vicky an. Sie atmete schwer, und über ihre Wangen liefen Tränen.
»Das ist ja furchtbar. Arme Eva! Hast du eine Idee, wie ich dir helfen kann? Vielleicht sollte ich Tante Isi bitten, mit deinen Eltern zu reden? Das Beste wäre, du würdest wirklich eine Zeitlang bei uns wohnen. So könntest du zur Ruhe kommen, und deine Eltern werden sich vielleicht auch schneller einig, wenn sie eine Weile allein sind und keine Rücksicht auf dich nehmen müssen.« Während sie das sagte, fühlte sich Vicky richtig erwachsen. Das verständnisvolle Miteinander, das in Sophienlust gelebt wurde, schien sie bereits verinnerlicht zu haben. Sie wollte unbedingt eine Lösung finden, damit die Freundin wieder lachen konnte. »Wenn du erlaubst, werde ich erst einmal mit Schwester Regine sprechen. Sie wird wissen, wie es weitergehen soll. Einverstanden?«
Nach langem Nachdenken zuckte Eva mit den Schultern. »Ich weiß nicht, ob es richtig ist. Ich weiß aber auch nicht, ob es falsch ist. Es ist nur so, dass es eigentlich überhaupt keinen Ausweg, überhaupt keine Lösung gibt. Was immer ich tue, es kann genauso richtig wie falsch sein. Ja, ich erlaube dir, mit Schwester Regine zu sprechen. Du hast mir schon so viel von ihr erzählt, dass ich hoffe, sie wird die beste Entscheidung treffen. So kann es jedenfalls nicht mehr weitergehen. Ich habe jedes Mal, wenn meine Eltern sich streiten, Angst, dass sie irgendwann einmal handgreiflich werden. Das hab ich schon im Fernsehen gesehen, dass sich Eltern gegenseitig umgebracht haben.«
Vicky schüttelte heftig den Kopf. »So weit wird es nicht kommen! Schließlich haben sich deine Eltern einmal geliebt. Sollte das auf einmal vorbei sein? Sie haben gerade eine Krise, und die müssen sie irgendwie in den Griff kriegen. Du kommst heute Mittag nach der Schule gleich mit mir nach Sophienlust. Du wirst sehen, es kommt alles wieder in Ordnung. Und jetzt kriegst du ein Stück von meinem Pausenbrot, danach lachst du wieder. Versprochen?«
Eva nickte. Es fiel ihr jedoch sehr schwer, ein fröhliches Gesicht zu machen. Plötzlich fühlte sie sich wie eine Verräterin an ihren Eltern. Doch sie hatte einfach mit dieser Belastung allein nicht mehr fertig werden können. »Danke für dein Angebot, Vicky. Du bist eine echte Freundin.