Aus dem Elternhaus vertrieben: Sophienlust 174 – Familienroman
Von Marisa Frank
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Über dieses E-Book
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
»Vati, nimm mich bitte mit!« Atemlos kam Henrik von Schoenecker auf die Pferdekoppel gestürzt. Sein Gesicht war vom schnellen Lauf gerötet, seine grauen Augen blitzten unternehmungslustig. »Mutti hat gesagt, dass einige Pferde zum Versand kommen.«
»Genau gesagt, drei Stück.« Alexander von Schoenecker stieß sich vom Zaun ab und ging seinem Sohn entgegen. Lächelnd fuhr er ihm über den wirren Haarschopf.
Damit gab sich Henrik nicht zufrieden. Energisch entwand er sich der streichelnden Hand. »Lass uns an die Arbeit gehen. Ich will dir helfen.«
»Hast du deine Schularbeiten schon gemacht?«
Betreten senkte Henrik den Kopf. Beinahe hätte er ja gesagt und seinen Vater damit belogen.
»Na dann, mein Sohn, ab nach Hause!«
Henrik zog eine Schnute, aber er trollte sich. Er wusste, bei seinem Vater nützte kein Bitten und Betteln. Ein Nein blieb ein Nein.
Alexander blickte seinem neunjährigen Sohn kurz nach, auf den er stolz war. Dann rief ihn wieder die Pflicht. Er musste sich beeilen, wenn er die drei Pferde in Bachenau zum Versand bringen wollte.
Kurze Zeit später hatte Alexander von Schoenecker mit Hilfe des alten Janosch die Pferde in seinem Viehwagen verstaut. Mit traurigem Gesicht stand der alte Pferdepfleger neben ihm. Alexander ahnte den Grund seiner Trauer. Janosch liebte Pferde über alles. Es fiel ihm schwer, von ihnen Abschied zu nehmen.
»Es sind drei Prachtstücke«, sagte Alexander. »Das habe ich deiner Pflege zu verdanken.«
Bedächtig nickte Janosch, aber auch die lobenden Worte konnten ihn nicht aufmuntern.
Alexander gab den Versuch, ein Gespräch zu beginnen, auf. Er wusste, wenn Janosch in einer solchen Verfassung war, machte er den Mund
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Buchvorschau
Aus dem Elternhaus vertrieben - Marisa Frank
Sophienlust
– 174 –
Aus dem Elternhaus vertrieben
Wo ist meine richtige Mutter?
Marisa Frank
»Vati, nimm mich bitte mit!« Atemlos kam Henrik von Schoenecker auf die Pferdekoppel gestürzt. Sein Gesicht war vom schnellen Lauf gerötet, seine grauen Augen blitzten unternehmungslustig. »Mutti hat gesagt, dass einige Pferde zum Versand kommen.«
»Genau gesagt, drei Stück.« Alexander von Schoenecker stieß sich vom Zaun ab und ging seinem Sohn entgegen. Lächelnd fuhr er ihm über den wirren Haarschopf.
Damit gab sich Henrik nicht zufrieden. Energisch entwand er sich der streichelnden Hand. »Lass uns an die Arbeit gehen. Ich will dir helfen.«
»Hast du deine Schularbeiten schon gemacht?«
Betreten senkte Henrik den Kopf. Beinahe hätte er ja gesagt und seinen Vater damit belogen.
»Na dann, mein Sohn, ab nach Hause!«
Henrik zog eine Schnute, aber er trollte sich. Er wusste, bei seinem Vater nützte kein Bitten und Betteln. Ein Nein blieb ein Nein.
Alexander blickte seinem neunjährigen Sohn kurz nach, auf den er stolz war. Dann rief ihn wieder die Pflicht. Er musste sich beeilen, wenn er die drei Pferde in Bachenau zum Versand bringen wollte.
Kurze Zeit später hatte Alexander von Schoenecker mit Hilfe des alten Janosch die Pferde in seinem Viehwagen verstaut. Mit traurigem Gesicht stand der alte Pferdepfleger neben ihm. Alexander ahnte den Grund seiner Trauer. Janosch liebte Pferde über alles. Es fiel ihm schwer, von ihnen Abschied zu nehmen.
»Es sind drei Prachtstücke«, sagte Alexander. »Das habe ich deiner Pflege zu verdanken.«
Bedächtig nickte Janosch, aber auch die lobenden Worte konnten ihn nicht aufmuntern.
Alexander gab den Versuch, ein Gespräch zu beginnen, auf. Er wusste, wenn Janosch in einer solchen Verfassung war, machte er den Mund nicht auf.
Mit einem raschen Seitenblick musterte Alexander das wettergegerbte Gesicht unter dem weißen Haar. Siebzig Jahre war Janosch bereits alt, aber er nahm es noch leicht mit jüngeren Arbeitern auf. Vor allem um seinen Pferdeverstand beneideten ihn alle. Selbst sein Schwiegersohn, der Tierarzt Dr. Hans-Joachim von Lehn, holte sich hin und wieder Rat bei ihm.
Der Fahrer des Viehwagens trat so plötzlich auf die Bremse, dass Alexander nicht nur aus seinen Gedanken gerissen wurde, sondern mit dem Kopf etwas unsanft an die Scheibe stieß. Der Vorwurf blieb ihm jedoch im Halse stecken, als er den Jungen bemerkte, der einfach auf die Straße gelaufen war. Jetzt stand er mit erschrocken aufgerissenen Augen einen Meter vor der Kühlerhaube.
Alexander beugte sich aus dem Fenster. »Da haben wir noch einmal Glück gehabt. Warum hast du es denn so eilig?«
Verstört blickte der Kleine zurück zum Bahnhof, wo ein Personenzug gerade die Station verließ.
»Hast du jemanden abholen wollen?« Alexander nickte dem Jungen aufmunternd zu.
Der Junge antwortete nicht. Er drehte sich um und hastete davon.
Kopfschüttelnd sah Alexander ihm nach, und Janosch meinte brummend: »Chef, Zeit wird’s.« Er deutete auf den Lastzug, der schon bereitstand.
»Du hast recht wie immer. Ihr ladet die Pferde aus, und ich kümmere mich inzwischen um die Papiere.« Alexander sprang aus dem Wagen und ging mit elastischen Schritten auf das Bahnhofsgebäude zu. Daher bemerkte er nicht, dass der Junge zurückgekommen war. Er stand am Gehweg. Als der Viehwagen sich in Bewegung setzte, lief der Junge hinterher.
Der Fahrer fuhr nun nahe an die Rampe heran. Der Marktflecken Bachenau hatte eine kleine Bahnstation, trotzdem verlud Alexander von Schoenecker seine Pferde oder andere Produkte des Gutes stets hier und nicht in der nahen Kreisstadt Maibach. Alle kannten und verehrten den großen, schlanken Mann, der für jeden ein nettes Wort fand.
Unbemerkt vom alten Janosch, der eben den Pferden gut zuredete, war der Junge wieder herangekommen. Er stand hinter einem Strauch und verschlang den ehemaligen ungarischen Pferdehirten mit seinen Blicken. So etwas hatte er noch nie gesehen.
Für einen Fremden war Janoschs Anblick auch etwas ungewohnt. Allein die Koteletten und der hängende Lippenbart waren sehenswert, aber da war noch seine Kleidung. Janosch trug eine weiße Leinenhose, ein hochgeschlossenes Leinenhemd und schwarze Schaftstiefel. Diese Tracht wurde ergänzt durch eine dunkle Weste und einen niedrigen schwarzen Filzhut.
Kein Wunder, dass der kleine Junge vor Staunen den Mund nicht mehr zubrachte. Fasziniert starrte er durch das Blätterwerk, wobei er vor Aufregung an den Fingernägeln kaute. Der Mann kommt sicher von weit her, dachte er. Nachdenklich kräuselte er die Stirn. Ob er den Alten um Rat fragen sollte? Papi hatte ihm zwar verboten, fremde Männer anzusprechen, aber irgendjemanden musste er doch um Rat fragen. Wo sollte er sonst seine Mami suchen? Bis vor Kurzem hatte er gar nicht gewusst, dass er auch so eine liebe, gute Mami hatte. Er hatte nur immer deutlicher gefühlt, dass die Mami, bei der er wohnte, ihn nicht lieb hatte.
Bei diesem Gedanken stiegen dem Jungen Tränen in die Augen. Aber auch in Janoschs dunklen Augen standen jetzt Tränen. Die Stute, die er am Halfter hielt, tänzelte unruhig. Fragend sahen ihre großen Augen ihn an. Jetzt wieherte sie. Vorwurfsvoll, wie es Janosch schien.
Traurig lehnte Janosch sein Gesicht an das Fell des Pferdes. »Ich kann nichts machen«, beteuerte er treuherzig. »Aber du wirst viele Preise gewinnen, und ich werde stolz sein.« Er holte ein blütenweißes Taschentuch hervor und schnäuzte sich heftig.
»Janosch, beeile dich! Der Waggon steht schon bereit«, rief ein Arbeiter.
»Ich komme schon«, brummte der Alte und gab der Stute einen zärtlichen Klaps. »Ich weiß, du wirst es gut machen.«
Da die Stute nicht so recht wollte, wie sie sollte, hatte Janosch nur Augen und Ohren für sie. Den Jungen, der zögernd hinter ihm stehen geblieben war, beachtete er nicht.
Der Kleine biss sich auf die Lippen, gab sich aber dann sichtlich einen Ruck. Schließlich musste er seine Mami finden. »Was machst du da?«, fragte er und zupfte den alten Janosch an seiner Weste.
»Die Pferde müssen weg. Ich mich muss beeilen.« Während Janosch die Stute mit der rechten Hand festhielt, schob er den Jungen mit der linken etwas beiseite. Er lächelte dabei aber so gutmütig, dass der Kleine sich erneut ein Herz fasste.
»Wo wohnst du? Du bist sicher sehr gescheit.« Bewundernd ließ der Junge seinen Blick über den ehemaligen Pferdehirten gleiten.
Janosch grinste. Listig zwinkerte er dem Jungen zu. »Wenn du Zeit hast, erzähle ich dir nach der Arbeit eine Geschichte. Ich erzähle den Kindern oft Geschichten vom schönen Ungarnland.«
Janosch dachte dabei natürlich an die Kinder von Sophienlust. Es war für sie ein Festtag, wenn sie mit dem alten Janosch um ein Lagerfeuer sitzen und seinen Erzählungen lauschen konnten.
»Fein, ich warte.« Begeistert sprang der fremde Junge in die Höhe. »Ich habe viel Zeit«, versicherte er dann ernst. Er hätte gern noch einiges gefragt, aber der alte Janosch hatte sich bereits wieder seinem Pferd zugewandt.
Seufzend sah der Kleine dem alten Mann nach. Er hatte ein großes Problem, das für seine sechs Jahre kaum zu bewältigen war. Konnte er diesem Mann trauen? Wenn er wirklich so viele Geschichten wusste, dann wusste er sicher auch, wo seine Mami war. Und er, Thomas Leyer, hatte beschlossen, nicht ohne sie zu seinem Papi zurückzukehren. Die andere Mama konnte man dann ja wegschicken, denn seine Mami würde Oliver sicher genauso lieb haben wie ihn.
Ja, es war ein schwieriges Problem. Thomas Leyer hatte lange darüber nachgedacht. Er hätte auch sehr gern mit seinem Papi darüber gesprochen, aber dieser war wieder einmal verreist, und keiner hatte ihm sagen können, wann er zurückkommen würde.
Ein herrlicher Geruch stieg dem Jungen in die Nase, bei dem sich sein Magen zusammenkrampfte. Er begriff, dass er Hunger hatte. Sehnsüchtig starrte er hinüber zur Würstchenbude. Er wäre bereits mit einem Brötchen zufrieden gewesen. Ob er hingehen und den Mann hinter der Theke darum bitten sollte?
Zwei Meter von der Bude entfernt blieb Thomas zögernd stehen.
»Wirst du wohl abhauen, du Mistköter«, schrie in diesem Moment der Wurstbudenbesitzer und hob drohend die Hand.
Erschrocken wich Thomas zurück. Erst dann begriff er, dass der Mann nicht ihn, sondern einen kleinen Spitz gemeint hatte. Der Hund wich winselnd zurück, und Thomas senkte beschämt den Kopf. Beide Hände auf den knurrenden Bauch gedrückt, beschloss er, lieber zu hungern, als zu betteln. Entschlossen wandte er der Würstchenbude den Rücken zu und schlenderte über den Bahnhofsplatz, auf eine Bank zu. Dabei kickte er mit der Fußspitze Steinchen vor sich her. Es war eines seiner Lieblingsspiele, vielleicht deshalb so geliebt, weil es seine Mama verboten hatte.
Ruckartig blieb Thomas stehen. Nein, sie war nicht seine Mama, und er wollte sie auch nicht mehr so nennen. Papa nannte sie Mona. Eigentlich ein schöner Name. Viel zu schön für eine Frau, die nicht seine Mama war und ihn auch nicht lieb hatte.
Tiefes Mitleid mit sich selbst überfiel Thomas. Beinahe hatte er wieder zu weinen begonnen. Er war so allein. Wahrscheinlich mochte sein Papi ihn auch nicht mehr. Wäre er sonst fortgefahren?
Zu allem Übel fiel der Blick des Jungen wieder auf die Würstchenbude. Gerade erstand ein dicker Herr eines der begehrten roten Würstchen. Thomas konnte seinen Blick nicht davon lösen. Er sah, wie der Mann hineinbiss. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen.
Alexander von Schoenecker verließ eben das Bahnhofsgebäude. Zufrieden