Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Survival Quest: Die Rache des Schamanen: Roman (Survival Quest-Serie 6)
Survival Quest: Die Rache des Schamanen: Roman (Survival Quest-Serie 6)
Survival Quest: Die Rache des Schamanen: Roman (Survival Quest-Serie 6)
eBook577 Seiten9 Stunden

Survival Quest: Die Rache des Schamanen: Roman (Survival Quest-Serie 6)

Bewertung: 5 von 5 Sternen

5/5

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Die Abenteuer des Schamanen setzen sich fort.

Daniel Mahan, der legendäre Schamane aus der Spielewelt von Barliona, hat seine Strafe in der virtuellen Realität verbüßt. Elf Monate voller virtueller Abenteuer und Schlachten statt acht Jahren in einem sehr realen Gefängnis, das ist kein schlechter Tausch. Aber so schnell lässt Barliona den Schamanen nicht wieder los. Die Grenzen zwischen der realen und der Spielewelt verschwimmen mehr und mehr. Und schon bald stellt sich heraus: Der Kapsel zu entkommen ist nicht so einfach, wie man denken sollte. Zuerst muss Mahan den Weg des Schamanen bis zum Ende gehen...
SpracheDeutsch
HerausgeberMagic Dome Books
Erscheinungsdatum7. Juli 2020
ISBN9788076191952
Survival Quest: Die Rache des Schamanen: Roman (Survival Quest-Serie 6)

Mehr von Vasily Mahanenko lesen

Ähnlich wie Survival Quest

Titel in dieser Serie (5)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Fantasy für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Survival Quest

Bewertung: 5 von 5 Sternen
5/5

1 Bewertung0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Survival Quest - Vasily Mahanenko

    Epilog

    Kapitel 1: Ausstieg

    „Nun klettere schon heraus!, wies eine Männerstimme mich an. Sie war so heiser, als litte der Eigentümer schon lange an einer schweren Erkältung. Die er mit Eis behandelte. „Oder willst du da liegen bleiben?

    Der Deckel meines Kokons hatte sich bereits vor einer geraumen Weile geöffnet, aber ich brachte nicht die Kraft auf, ihn zu verlassen und in die reale Welt zurückzukehren. In dem Raum, in dem ich mich befand, flimmerten fluoreszierende Lichter. Die waren Standard in allen Büros. Und eben auch, wie in diesem speziellen Fall, in der Anlage, in der die Gefangenen in ihren Strafkapseln untergebracht waren. Noch immer starrte ich ins Leere, als wäre es die Unendlichkeit. In meinem Kopf herrschte ein solches Durcheinander, dass ich mich nur auf die einzige Sache konzentrieren konnte, von der ich wusste, dass sie der Wahrheit entsprach. An sie klammerte ich mich wie ein Ertrinkender an einen Rettungsring. Ich war frei! Ich, Daniel Mahan, der ich mir den Zorn meiner Heimatstadt zugezogen hatte, konnte endlich wieder meine Freiheit genießen! Ich hatte es geschafft, acht Jahre Freiheitsstrafe gegen elf Monate in einer Spielewelt einzutauschen.

    Doch diese Erkenntnis machte mich nicht glücklich.

    „Du bist jetzt nutzlos für uns." Dieser Satz, den Anastaria mir um die Ohren gehauen hatte, wollte mich nicht loslassen. Erneut versuchte ich, einen klaren Kopf zu bekommen, doch die letzte halbe Stunde, die ich in Barliona verbracht hatte, drängte sich in meinem Bewusstsein immer wieder nach vorn.

    „Hey, du da! Bist du... ich meine... lebst du noch? Eine gewisse Besorgnis hatte sich in die Stimme geschlichen. Jetzt tauchte vor mir ein bärtiges Gesicht auf. Ein Bandana verdeckte das rechte Auge und einen Teil der Narbe, die sich von der Stirn wie ein Zickzackblitz bis hin zum Kinn zog. „Okay, du scheinst in Ordnung zu sein. Aber warum stehst du nicht auf? Die meisten Gefangenen, die freigelassen werden, stürmen sofort heraus wie eine Kugel aus dem Pistolenlauf und küssen voller Dankbarkeit den Erdboden. Aber du steckst immer noch in der Kapsel. Ist dir etwas zugestoßen?

    „Analyse der Körperfunktionen des Patienten abgeschlossen, verkündete nur wenige Sekunden später eine roboterhafte Stimme. „Der Organismus des Patienten funktioniert normal. Es wurden keine Störungen festgestellt. Der physische Zustand liegt bei 88 % des Nominalzustands.

    „Jetzt hör mal – was auch immer dein Problem ist, ich habe keine Zeit, mich damit herumzuschlagen. Mir stehen heute noch ein Dutzend Freilassungen bevor. Also reiß dich zusammen und beweg dich! Du wurdest vor Ablauf der eigentlich vorgesehenen Zeit freigelassen. Also wird dich in einer halben Stunde jemand abholen kommen. Du musst solange im Empfangsraum warten. Hey! Hörst du mich? Oder bist du taub? Sag gefälligst irgendetwas!"

    „Ich höre dich, ich höre dich", murmelte ich und versuchte weiter, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Ich wollte mich mit dem Kerl nicht streiten. Sein Leben schien auch so schon anstrengend genug zu sein. Also wartete ich, bis die Rückhaltestange zurückgeglitten war, und setzte mich mit einem tiefen Seufzen auf. Sofort drehte sich alles um mich herum, und merkwürdige Flecke tanzten vor meinen Augen. Doch ich zwang mich dazu, meine aufrechte Haltung beizubehalten. Ich hatte genug davon, schwach zu sein. Es wurde Zeit, endlich erwachsen zu werden!

    „Die Duschen findest du geradeaus und dann links, erklärte der Mann und trat vom Kokon zurück. „Da liegt auch Kleidung für dich bereit. Ansonsten – ich bin nicht dein Kindermädchen. Alles andere musst du schon selbst herausfinden. Ach ja, das hätte ich beinahe vergessen – ich gratuliere! Eine Freilassung vor Ende der Strafzeit, das ist wie ein neues Level im Spiel. Oder sogar zwei, würde ich mal behaupten.

    Nach diesen Worten drehte der Techniker sich um und marschierte davon. Ich hob meine Beine aus der Kapsel auf den Fußboden und tat meinen ersten Schritt in Richtung der Tür, die er mir gerade gezeigt hatte. Für einen zweiten fehlte mir unglücklicherweise die Kraft.

    Ich konnte nicht einmal erklären, was genau passierte, aber kaum, dass ich zum zweiten Schritt ansetzte, gaben meine Beine unter mir nach. Ein rasender Schmerz ergriff meinen Körper, meine Muskeln verkrampften sich, und in meinem Kopf gingen Hunderte kleiner Feuerwerke los. Was einen merkwürdigen Gedanken in mir auslöste: „Achievement verdient: Du hast deine Kapsel verlassen. Das ist zwei neue Level wert!" Na toll! Und wo blieb jetzt das enorme Glücksgefühl?

    Während der elf Monate, die ich im Spiel verbracht hatte, war die Gewöhnung an das Hochgefühl beim Erreichen neuer Meilensteine in Bezug auf Level oder Fähigkeiten so stark geworden, dass ich es praktisch schon gar nicht mehr bemerkte, wenn es passierte. Nur bei ganz besonderen Erfolgen – zum Beispiel, als meine Fähigkeit im Juwelierhandwerk gleich um mehrere Punkte angestiegen war – brach ich noch in süßer Ekstase zusammen und bereitete meine Hände dabei insgeheim bereits auf die Erschaffung des nächsten Meisterwerks vor. Dieses enorme Vergnügen besaß für einen Gefangenen wie mich eine besondere Bedeutung.

    Stattdessen brach ich jetzt mit einem dumpfen Stöhnen zusammen. Meinen Körper konnte ich kaum noch spüren. Das Verlangen nach dem überwältigenden Glücksgefühl war so intensiv, dass es alles andere auslöschte.

    „Ist dir etwa schlecht?, spottete der Techniker. Seine Worte drangen sogar durch den Nebel, der mich umgab. „Das hat alles seine Ordnung. Warte ein bisschen. Gleich wird es dir besser gehen. Das machen alle durch.

    Meine Muskelkrämpfe entlockten mir ein stöhnendes Wimmern. Der brennende Wunsch nach der Ekstase wurde noch stärker. Plötzlich ging mir auf, dass der Techniker an meinem Zustand schuld war! Er hielt das Glücksgefühl zurück, er verwehrte es mir! Er hatte mich aus der Kapsel gezwungen, er...

    Knurrend und ächzend kroch ich auf ihn zu. Nebulös plante ich, ihm mit den Zähnen das Bein auszureißen. „Dich hat es ja richtig schlimm erwischt, bemerkte er und klang überrascht. „Also gut – ich verpasse dir noch eine Dosis. Schaden kann es schließlich nicht. Genieße es, solange du noch kannst.

    Einem scharfen Schmerz in meiner Schulter folgte eine warme, immens angenehme Welle des Vergnügens, die über mir zusammenschlug. Meine Muskeln entspannten sich, meine Knochen hörten auf zu knirschen, und mein Bewusstsein nahm die Welt wieder wahr. Ich ließ mich auf den Rücken fallen. Dabei war es mir schnuppe, dass ich nackt auf dem kalten Fußboden lag. Mein Blick erreichte die weiße Decke mit den bereits erwähnten fluoreszierenden Lichtern. Doch jetzt waren es keine Lichter mehr, sondern fröhlich galoppierende Einhörner, die hin und wieder stehen blieben, um Blumen zu pflücken. Komisch – ich konnte mich nicht daran erinnern, dass Ishni Arme gehabt haben sollte. Diese Einhörner wirkten mehr wie Zentauren mit einem Horn auf der Stirn...

    „Ich dachte, du hättest bloß ein Jahr in der Kapsel verbracht. Wie hast du es denn in so kurzer Zeit geschafft, so abhängig von dem Zeug zu werden?" Das verbliebene Auge des Technikers legte sich vor den Zentauren, der gerade ein Liedchen angestimmt hatte.

    „Der Grad der Realitätswahrnehmung liegt bei 35 %. Der Patient befindet sich derzeit auf Abhängigkeitslevel Schwarz. Empfohlene Dauer der Rehabilitationsphase: 2 Monate und 15 Tage", fasste die medizinisch geschulte künstliche Intelligenz meinen Zustand zusammen. Ich fantasierte über einen Flirt mit einem Geist...

    „Level Schwarz? Das Auge des Technikers weitete sich und nahm nun mein gesamtes Sichtfeld ein. Ich kam mir vor, als würde ich einem Zyklopen gegenüberstehen. Tja, das hatte man davon, wenn man den Worten eines NPCs Glauben schenkte! Hatten die mir nicht alle erklärt, dass die Zyklopen längst ausgerottet waren? Aber da war doch einer, direkt vor mir! „Weißt du was, Kumpel? Ich wüsste ja zu gern, was dir zugestoßen ist.

    Der Zyklop trat beiseite, und endlich konnte ich meinen glücklichen Zentauren weiter beobachten. Dann wurde er jedoch niedergestreckt – der Meister war erschienen, der Beherrscher des Himmels, ein schwarzer Drache.

    Die Schläge seiner riesigen Flügel setzten die Luft um ihn herum in Bewegung. Die Kraft und Schönheit des Drachens schlugen mich in ihren Bann. Sein Körper war ein Abbild der Stärke. Er war der wahre Meister dieser Welt, und nichts und niemand konnte ihn von seinem Thron stoßen. Nicht einmal die Sirenen.

    Die Sirenen...

    Anastaria...

    Barliona...

    Ich bin Daniel Mahan, ein ehemaliger Strafgefangener...

    Noch einmal schlug der Drache mit den Flügeln, dann verschwand er. Zurück blieb eine leere, weiße Decke.

    Die künstliche Intelligenz reagierte sofort: „Der Grad der Realitätswahrnehmung liegt bei 85 %. Der Patient hat das Abhängigkeitslevel Gelb erreicht. Empfohlene Dauer der Rehabilitationsphase: 15 Tage."

    Der Techniker räusperte sich. „Kannst du mir vielleicht mal erklären, was hier vor sich geht? Erst Schwarz, dann Gelb... Ach, egal – in zehn Minuten wird ein Arzt eintreffen, soll der sich mit dir herumschlagen. Die Dusche ist geradeaus und dann links. Dort findest du auch Kleidung. Ich habe schon selbst mehr als genug Probleme..."

    Ruckartig setzte ich mich auf. Diesmal wurde mir nicht schwindelig. Ich spürte keine Übelkeit, keine Schwäche und kein Verlangen nach einer weiteren Dosis. In diesem Augenblick beherrschte nur ein einziges Gefühl mein Bewusstsein – Hass. Nie hätte ich gedacht, dass ich diese schreckliche Emotion empfinden könnte, doch jetzt war sie wie ein massiger Kolben, der meinen des gewohnten Glücksgefühls beraubten Körper vorwärtstrieb. Der Hass, der mich erfüllte, war so intensiv - wäre jetzt Stacey vor mir aufgetaucht, ich würde nicht einmal eine Sekunde nachdenken, sondern sie... Obwohl, nein – ich hatte nicht die geringste Lust, in die Minen zurückgeschickt zu werden. Ich musste wohlüberlegt handeln. Und ich musste... Ich musste mich rächen! Und dabei sehr genau darüber nachdenken, welche Form meine Rache einnehmen sollte. Damit würde ich mich eingehender befassen, sobald ich die Rehabilitation abgeschlossen hatte.

    „Der Grad der Realitätswahrnehmung liegt bei 100 %. Der Patient hat das Abhängigkeitslevel Grün erreicht. Empfohlene Dauer der Rehabilitationsphase: 5 Tage."

    „Das ist vollkommen unmöglich!, rief die Ärztin aus, nachdem sie meine medizinischen Unterlagen auf einem Tablet-PC studiert hatte, den sie vorsichtig zwischen ihren dünnen Fingern hielt. Wahrscheinlich lag das an ihren langen und sehr aufwendig dekorierten Fingernägeln. Immer wieder sah sie mich zwischendurch so überrascht an, als dürfte ich eigentlich gar nicht existieren. Ihr weißer Kittel konnte ihre ausgesprochen wohlgeformte Figur kaum verbergen. Das deutete darauf hin, dass sie entweder zu lange in einer Kapsel oder in einem Fitnessstudio verbracht hatte. Ich tippte eher auf eine Kapsel. Fitnessstudios waren inzwischen ziemlich unmodern geworden. „Daniel, wie fühlen Sie sich?

    „Soweit es mich angeht, trifft die Diagnose der künstlichen Intelligenz voll ins Schwarze. Ich zuckte mit den Schultern. Auf eine unnötige Diskussion wollte ich mich nicht einlassen. Und ich hatte nicht die geringste Lust, ihr zu erklären, wie ich es geschafft hatte, so schnell in die Realität „zurückzukehren. Das war eine Sache, die ausschließlich den Clan Phönix und mich betraf, und niemanden sonst. Während ich geduscht und mich angezogen hatte, war in mir ein eherner Entschluss gewachsen – ich würde mich rächen. Es spielte keine Rolle, wann diese Rache stattfinden würde. Das würde ich dann schon herausfinden. Fest stand jedenfalls: Die Handlungen von Phönix und meinen sogenannten Freunden konnten nicht ungestraft bleiben. Sonst konnte ich ebenso gut gleich damit aufhören, mich selbst als Menschen zu betrachten.

    „Nun ja, die habe ich gelesen, aber..., stammelte die Ärztin und schaute mich mit ihren blauen Augen ungläubig an. „Es ist unmöglich, Level Schwarz aus eigener Kraft zu verlassen! Das ist mir bisher noch nie untergekommen. In meinen ganzen zwölf Jahren im Beruf nicht.

    „Es gibt immer ein erstes Mal, bemerkte ich philosophisch und wechselte das Thema. „Sagen Sie, Frau Doktor, werden meine Haare wieder wachsen? Oder muss ich jetzt den Rest meines Lebens kahlköpfig herumlaufen?

    „Nennen Sie mich doch bitte Lucia. Sie seufzte. Ihr war wohl klargeworden, dass sie zumindest im Augenblick keine weiteren Informationen aus mir herausbekommen würde. „Ja, Ihre Haare werden wieder wachsen, da machen Sie sich mal keine Sorgen. In der Kapsel hat man Ihnen eine spezielle Flüssigkeit zugeführt, die das Haarwachstum unterdrückt hat. Daniel, ich möchte noch eine kleine Untersuchung vornehmen, bevor wir uns zur Rehabilitationsklinik begeben. Ich brauche allerdings Ihre Zustimmung zum Auslesen Ihrer Gehirnsignale im Wachzustand. Sie haben doch nichts dagegen, oder?

    „Ich habe nichts zu verbergen. Ich nickte großzügig. Zu Beginn unserer Unterhaltung hatte ich Lucia unwillkürlich mit Stacey gleichgesetzt und auf den Haken an der Sache gewartet. Doch inzwischen kam es mir so vor, als würde ich die Ärztin schon ewig kennen, und ich wollte sie auf keinen Fall mit einer Weigerung enttäuschen. Außerdem war sie schließlich ein Doktor – und wer konnte zu denen schon „Nein sagen? Höchstens Leute, die sehr krank waren.

    Mir wurde erklärt, dass wir die 200 Kilometer Fahrt zwischen dieser Anlage mit ihren Strafkapseln und dem Rehabilitationszentrum in nur einer Stunde zurücklegen würden. Unterwegs beschrieb die Ärztin mir die sieben farbcodierten Level der Abhängigkeit von der Ekstase beim Leveln im Spiel. Am höchsten war die Abhängigkeit auf Level Schwarz und am geringsten auf Level Grün. Bei der Gelegenheit erfuhr ich auch, dass das entsprechende Reha-Zentrum umso weiter entfernt war, je geringer sich das Abhängigkeitslevel erwies. Davon abgesehen versuchte Lucia, eine Unterhaltung über den Sinn des Lebens und meinen zukünftigen Platz in dieser Welt in Gang zu bringen, doch ich klinkte mich aus, starrte aus dem Fenster auf die vorbeirauschenden Bäume und richtete meine Aufmerksamkeit auf meinen Racheplan.

    Also...

    Zuerst einmal musste ich meinen Schamanen zurückbekommen. Auch wenn man ihn dafür wahrscheinlich von den Servern des Gefängnisses abziehen und auf die öffentlichen Server übertragen musste. Mit einem solchen Kraftpaket zu meiner Verfügung hatte ich keine Lust, wieder von vorn anzufangen.

    Zum Zweiten musste ich mich sofort nach meiner Rückkehr ins Spiel nach Anhurs begeben und eine Audienz beim Imperator oder der Hohepriesterin verlangen. Wer auch immer von den beiden für Eheschließungen zuständig war. Von dem- oder derjenigen würde ich die Scheidung von Anastaria verlangen, nebst der Rückgabe meines persönlichen Eigentums – und das betraf alles, was sie aus meinem Beutel genommen hatte. Vorher ließ ich mich am besten von einem barlionischen Anwalt beraten. Waren die aus dem Inventar genommenen Gegenstände womöglich als Beute zu betrachten? Falls nein, würde ich Anastaria für den Diebstahl zur Rechenschaft ziehen. Falls ja... Darüber dachte ich jetzt lieber nicht nach. Es wäre zu schmerzhaft, das Schachspiel zu verlieren!

    Zum Dritten musste ich irgendeine Regelung für meinen Clan finden. Von Nutzen war der mir nun nicht mehr – und ich hatte weder die Zeit noch die Lust, ihn zu verwalten. Die Verantwortung für eine Gruppe, und wenn sie auch nur aus zehn Mitgliedern bestand, erlegte mir eine Bürde auf, die ich nicht gebrauchen konnte. Nach meiner nächsten Anmeldung im Spiel würde ich mich also von allen verabschieden, die übriggeblieben waren, und den Clan offiziell schließen. Obwohl, nein – ich konnte ihn bestehen lassen, mit mir als einzigem Mitglied. So verhinderte ich den Verlust der Projektionen.

    Zum Vierten musste ich mich um meine beiden wichtigsten Vermögenswerte kümmern, die Burg Altameda und den Riesigen Tintenfischdelfin. Beides würde sehr schnell an meinen Ressourcen zehren und mich zu Boden ziehen. Nachdem der geniale Manager und Behüter des Budgets, Leite, ja nicht länger Mitglied des Clans war, blieb mir nichts anderes übrig, als mich selbst um die Geldangelegenheiten zu kümmern. Gelang mir das nicht, blieb mir nur eine unliebsame Möglichkeit: Altameda einem anderen Clan zu verkaufen. Eine andere Lösung sah ich nicht.

    Dabei fiel mir ein – ich hatte keine Ahnung, wie viel Geld mir noch zur Verfügung stand. Ich erinnerte mich daran, dass ich kurz die Zahl 140 Millionen hatte aufblitzen sehen, bevor ich das Spiel verlassen hatte. Vor anderthalb Jahren hätte ich von einer solchen Summe nicht einmal zu träumen gewagt, doch jetzt... Allein an die 100 Millionen davon hatte ich für meine Freilassung ausgegeben! Von dem Rest würde ein guter Teil für die Gehälter der verbliebenen Clanmitglieder draufgehen, bis ich sie alle losgeworden war. Dennoch sollten mir anschließend noch um die 30 Millionen bleiben. Verlassen wollte ich mich darauf allerdings nicht. 30 Millionen... Vielleicht sollte ich das Geld in die Realität transferieren, mir davon ein tolles Haus kaufen und mir ein schönes Leben machen, ohne einen weiteren Gedanken an Barliona zu verschwenden? Ich konnte ein Studium aufnehmen, mir einen Job suchen und ohne Anastarias, Ehkillers und Phönixe friedlich und zufrieden leben. Und was sprach dagegen, sie alle zur Hölle zu schicken?

    Nun ja, zum einen war da die Tatsache, dass meine Gierkröte und mein Hordender Hamster mich dann bis ans Ende meiner Tage nie mehr in Ruhe lassen würden. Jeweils einzeln wurde ich mit meinen Haustierchen schon fertig, doch bei einem Kampf zwei gegen einen war ich machtlos. Außerdem wollte ich auch selbst alles zurückgewinnen, das mir gehörte – und alle bestrafen, die es mir weggenommen hatten. Und da ich dann schon einmal dabei war, wäre es eine gute Sache, bei der Gelegenheit gleich den gesamten Phönix-Clan zu vernichten... Diese Überlegung gab Anlass für gleich zwei Fragen:

    Konnte man einen Clan im Spiel überhaupt zerstören?

    Und wie konnte ich mich vor Anastarias und Höllenfeuers Zorn im realen Leben schützen? Tatenlos würden die meine Anstrengungen zur Vernichtung ihres Clans nicht hinnehmen, und falls sie im Spiel zu keiner Einigung mit mir kommen konnten (wobei die Wahrscheinlichkeit einer solchen Einigung minimal war), würden sie womöglich versuchen, mich im realen Leben aufzuspüren.

    Ob ich mich vielleicht durch eine Unterlassungsverfügung schützen könnte? Ich sah meine Antragsbegründung schon vor mir: „Ich plane, die besten Spieler in Malabar umzubringen, und habe Angst vor deren Vergeltung..." Bestimmt schickten die mich sofort als modernen Don Quixote in die Klapsmühle. Das war also kein gangbarer Weg. Ich musste jeden Schritt so sorgfältig wie nur irgend möglich abwägen. Was mich zur Ausgangsfrage zurückbrachte: Wie konnte ich einem Clan im Spiel am besten Schaden zufügen?

    Natürlich konnte ich alle Mitglieder gemeinschaftlich oder nacheinander zum Respawn schicken. Das war eine verdammt gravierende Strafe, bedachte man, wie viel geringer mein Level gegenüber deren Durchschnittslevel war. Aber wie bitte sollte ich das anstellen? Müsste ich dafür etwa Meuchelmörder anheuern, die die Leute an der Spitze von Phönix wieder und wieder aufspürten und umbrachten? Etwas Unsinnigeres konnte ich mir nur schwer vorstellen. Auch diese Option verwarf ich also zunächst. Aber vielleicht könnte ich sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgreifen.

    Der einzige schwache Punkt dieses Clans waren seine Finanzen. Also müsste ich die Geldmittel des Clans vernichten, und anschließend... Bloß, wie sollte ich das anstellen? Das Eigentum, auch an Gold, galt als unverbrüchliches Recht. Wenn ich also die Konten des Clans hackte, würde mich das wieder zurück in die Minen bringen. Natürlich konnte ich auch ihre Legendären Gegenstände stehlen – aber dafür müsste ich jemanden anheuern, der eine solche Aufgabe zu übernehmen bereit war. Nein, nein – ich musste den Clan vollständig auslöschen – aber wie? Schließlich konnte ich ja wohl kaum seine Burgen belagern...

    „Was ist los, Daniel?", fragte die Ärztin besorgt, als ich auf meinem Sitz herumhüpfte und mir beinahe den Kopf an der Decke gestoßen hätte. Sie hielt mir ein Analysiergerät vor die Nase, das jedoch prompt bestätigte, dass meine Realitätswahrnehmung noch immer bei 100 % lag und mein Abhängigkeitslevel bei Grün.

    „Es ist nichts, ich habe nur über etwas nachgedacht", versicherte ich ihr und drehte mich wieder zum Fenster.. Ich musste die Burgen von Phönix nicht belagern – ich hatte doch Altameda!

    Momentan beschränkte sich Anastarias Vermögen meines Wissens nach auf ein einziges Schiff auf dem Meer im Wert von zehn Millionen Goldstücken. Doch es wäre Unfug, den Tintenfischdelfin zu aktivieren, um ihr Schiff anzugreifen oder Phönix auf andere Weise auf See Schaden zuzufügen. Die Ausgaben, die das mit sich brachte, allein schon an Steuern, waren die Sache nicht wert. Erst wenn die Spieler im Süden des Kontinents es geschafft hatten, sich bei den Piraten eine positive Reputation zu verdienen, wenn sie mehr und mehr eigene Schiffe besaßen, konnte ich damit rechnen, dass auch Phönix sich massiv auf die Seefahrt stürzen würde. Und bis dahin würde noch viel Zeit vergehen. Nein, eine Rache auf dem Seeweg war unrealistisch – aber ich hatte ja Altameda!

    Das Besondere an meiner Burg war, dass sie sich von Standort zu Standort bewegen konnte. Ein solcher Umzug war alle drei Monate kostenlos, und dazwischen kostete er etwa zehn Millionen. Es musste mir nur gelingen, einen Mob von Spielern anzuheuern, die jeden Widerstand niederschlugen, sobald ich mit Altameda auf einer der Burgen von Phönix aufgesetzt hatte, und anschließend die Ruine plünderten, so wie wir es mit der Burg Glarnis gemacht hatten. Soweit ich wusste, verfügte Phönix über insgesamt sieben Burgen. Die davon am besten ausgebaute war auf Level 29, die schwächste auf Level 18. Es brauchte Investitionen in gewaltiger Höhe, um eine Burg so weit zu bringen. Würde es mir also gelingen, alle sieben Burgen auf Level 1 zurückzusetzen... Diese Form der Rache war jedenfalls weitaus vielversprechender, als einen Spitzenspieler nach dem anderen zu jagen und zu töten.

    Der Wunsch, meinen Schamanen zurückzuholen, wurde noch stärker. Anastaria hatte mir unvorsichtigerweise eine Kopie ihrer Karte überlassen, und auf der waren die Burgen von Phönix markiert. Auf diese Weise hatte mein Schamane Zugang zu den exakten Koordinaten aller Anlagen – und verfügte damit über eine realistische Methode, seine Rache in die Tat umzusetzen. Jetzt musste ich nur noch Leute finden, die bereit waren, mit mir zusammenzuarbeiten.

    Ach nein, da war auch noch das kleine Problem mit meiner Burg... Der Imperator hatte es zur Bedingung gemacht, dass ich als Eigentümer drei Monate in Altameda verbrachte. Einen Monat lang hatte ich meine Pflicht bereits erfüllt, ehe ich das Spiel verlassen hatte. Jetzt allerdings stand mir erst einmal meine Rehabilitation bevor. Ehe ich die nicht abgeschlossen hatte, konnte ich nicht zurückkehren. Damit hatte ich für meinen barlionischen Anwalt gleich eine weitere rechtliche Frage. Konnte ich die Burg jetzt etwa verlieren, weil ich wegen der zwingenden Rehabilitation nicht wie erforderlich alle 24 Stunden wenigstens einmal in Altameda auftauchte? Man sollte meinen, dass eine Zwangsrehabilitation eine Ausnahme vom Anwesenheitserfordernis begründete, aber ich musste da ganz sicher gehen. Wenn es um solche Dinge ging, durfte ich mir keinen Fehler erlauben.

    Ich grübelte weiter über meine Rache nach. Ich musste Phönix auch seiner Quests berauben. Ohne Szenarien keine Beute, aber die Mitglieder wollten dennoch bezahlt werden. Dummerweise konnte ich dieses Ziel nicht allein erreichen. Das Unternehmen brauchte immer einen führenden Clan, auf den es sich verlassen konnte. Also musste ich mit Etamzilat und Undigit zusammenarbeiten. Die Verbesserung der Finanzen des Azurdrachen-Clans war mit Sicherheit ein gewichtiges Argument, das ihnen helfen würde, ihre Abneigung gegen mich zu überwinden.

    Was gab es sonst noch für Möglichkeiten? Einen Spielecharakter konnte man weder vollständig zerstören noch dauerhaft schädigen. Aber Moment mal! Der Verfluchte Handwerker... Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass das Verfluchte Schachspiel auf dem Mist des Unternehmens gewachsen war. Man hatte mich jedenfalls gewissermaßen dazu gezwungen, es herzustellen. Zwar hatte man mir keine Gelegenheit gegeben, es zu wiederholen, aber versuchen konnte ich es ja einmal. Falls es mir gelänge, einen Avatar mit einem Gegenstand zu verbinden, der sehr spezielle Anforderungen stellte, wäre das ein weiterer Nagel im Sarg von Phönix.

    Was diese Überlegung betraf, musste ich mich mit Kreel treffen und herausfinden, wo er Rogzars Kristall ausgegraben hatte. Wenn ich mich richtig erinnerte, sorgte der für Folgendes: - 75 % Bewegungsgeschwindigkeit; - 50 % für alle Eigenschaften; - 90 % für die Regeneration von Trefferpunkten, Mana und Energie; - 90 % für die gewonnene Erfahrung. Dieser Gegenstand kann nicht verkauft, gedroppt, gestohlen oder zerstört werden. Ein solcher Schatz schrie doch geradezu danach, in Anastarias Inventar zu landen! Oder Barsinas... Oder Leites... Oder im Inventar von verschiedenen anderen Mitgliedern des Clans der Grillhähnchen. Ich musste alle Möglichkeiten ausnutzen, die sich mir boten.

    „Wir sind am Ziel." Die Stimme der Ärztin riss mich aus meinen angenehmen Racheplänen und holte mich in die Realität zurück. Nun, die Hauptpunkte standen fest. Jetzt musste ich nur noch alles überprüfen, weiterentwickeln und die Optionen eliminieren, die nicht umsetzbar waren. Und natürlich konstant weiter über neue Möglichkeiten nachdenken. Wie hieß es so schön? Rache ist ein Gericht, das man am besten eiskalt serviert...

    Das Gebäude, das ich nun betrat, ein Rehabilitationszentrum zu nennen, wäre stark übertrieben. Ich hatte mir ein beeindruckendes Bauwerk vorgestellt, mit Stacheldraht umgeben und mit verbarrikadierten Fenstern – schließlich war es sein Zweck, die Gefangenen im Zentrum zu halten und zu verhindern, dass sie es verließen. Doch die Wirklichkeit erwies sich als weit weniger beeindruckend. Ich sah ein kleines, sehr ordentliches Wäldchen vor mir, einen gepflegten Rasen, kleine, gemütliche Häuschen und etliche Leute in weißen Kitteln, die es sich auf dem Gras bequem gemacht hatten. Vögel zwitscherten, die Sonne schien – es war das reinste Idyll. Jetzt fehlten nur noch Roboter, die von Patient zu Patient flitzten, allen zu essen und zu trinken brachten und sich um alle anderen körperlichen Bedürfnisse bemühten, damit niemand sich um irgendetwas kümmern musste.

    Als wir uns näherten, entdeckte ich die Tennisplätze zwischen den Gebäuden, auf denen mehrere Patienten Tennis spielten. Andere schwammen in einem Swimmingpool, und wieder andere arbeiteten in kleinen Werkstätten, stellten Dinge aus Holz und Keramik her. Ganz am Ende der Reihe der Gebäude entdeckte ich sogar einen Schmied, der kraftvoll ein Stück Metall behämmerte. Hören konnte ich die Schläge allerdings nicht. Ein Kraftfeld verhinderte, dass andere durch den Lärm gestört wurden. Auch die Sportanlagen waren von einem solchen Kraftfeld umgeben. So konnten all diejenigen, die sich lediglich entspannen wollten, eine friedliche Ruhe genießen.

    „Hier werden Sie die nächsten fünf Tage verbringen, erklärte Lucia mir mit einem Lächeln. „Bitte folgen Sie mir. Wir müssen Ihre Ankunft eintragen, Ihnen ein Überwachungsgerät implantieren und einen Schlafplatz für Sie finden. Außerdem werden wir Ihnen die Zusammenstellung vorbeugender Behandlungen erläutern, die das Analyseprogramm für Sie festgelegt hat. Mit den detaillierten technischen Erklärungen werde ich Sie verschonen. Die Hauptsache ist, dass Sie sich entspannen und erholen und sich darum bemühen können, wieder ein produktives Mitglied der Gesellschaft zu werden.

    * * *

    Am Ende meines zweiten Tages im Reha-Zentrum hätte ich vor Langeweile schreien können. Ich konnte mich nicht einmal an einzelne Stunden während des gesamten letzten Jahres erinnern, in denen ich nicht zumindest irgendetwas gemacht hätte. Eine Ausnahme galt lediglich für die Zeiten, in denen ich schlief. Es hatte immer etwas zu tun gegeben – einen Dungeon abschließen, mein Juwelierhandwerk verbessern, Quests erledigen. Deshalb war die gesamte Zeit, die ich in Barliona verbracht hatte, wie im Flug vergangen, wie in einem Zeitraffer. Hier hingegen...

    Ich faulenzte auf dem Rasen, schlief, unterzog mich diversen Prozeduren, faulenzte erneut auf dem Rasen, schlief erneut, und wieder der Rasen... Mehrfach versuchte ich, mich mit sportlichen Übungen zu beschäftigen, doch mit Tennis oder Fußball hatte ich nie viel anfangen können, deshalb brachte mir das nichts. Also gönnte ich mir ein weiteres Nickerchen und faulenzte noch ein Weilchen auf dem Rasen, absolvierte ein paar weitere Behandlungen und kehrte zum Rasen zurück... Schon der bloße Gedanke, dass ich noch weitere drei Tage derart untätig verbringen musste, trieb mich fast zur Verzweiflung. Ich brauchte irgendeine Beschäftigung!

    „Die Schmiede ist besetzt!, blaffte der Schmied mich an, ohne mich auch nur anzusehen. „Es gibt hier nur eine, und die werde ich nicht verlassen. Wende dich an die Krankenwärter, wenn du damit ein Problem hast.

    „Ich brauche die Schmiede nicht", erwiderte ich. Die Hitze ließ mir den Schweiß ausbrechen. Ich hatte mit der Ärztin geredet, ihr mein Problem geschildert und einen guten Rat von ihr erhalten. Sie hatte vorgeschlagen, ich sollte doch irgendetwas erschaffen, so wie ich es in Barliona gemacht hatte. Daher hatte ich mich am darauffolgenden Morgen zur Schmiede begeben, denn hier befanden sich alle Materialien, die ich brauchte. Und jetzt wollte der missgelaunte Kerl mir den Zutritt verbieten!

    „Dann hau ab! Was für verrückte Leute hier herumlaufen..."

    Ich ignorierte ihn und schaute mich auf den Regalen um. Ja, da war tatsächlich ein Werkzeugsatz für Juweliere! Er sah genauso aus wie der aus meinem Inventar in Barliona. Wenn man einmal vom Gewicht absah. Ich griff mir das Etui und floh hinaus in die frische Waldluft. Zum Glück hielt das Kraftfeld nicht nur den Lärm zurück, sondern auch die Hitze. Der Schmied war mit Sicherheit ein Masochist, der seine Wut über die in Barliona verbrachten Jahre an einem Stück Eisen auslassen musste. Ich bezweifelte, dass sich jemand diese Rehabilitationsform antun würde, der weniger als ein Jahr in den Minen verbracht hatte.

    Ich setzte mich unter die erstbeste Ulme und öffnete das Werkzeug-Etui. Wie ein scharfer Schmerz überfiel mich Nostalgie. Zwar hatte ich erst vor wenigen Tagen etwas geschaffen - die letzte Schachfigur -, aber mit den Werkzeugen hatte ich schon eine Weile nicht mehr gearbeitet. Ich konnte mich nicht einmal mehr an das letzte Mal erinnern.

    Bisher hatte ich noch nie real einen Spanndorn, einen Schmelztopf und die anderen Werkzeuge meines Handwerks in Händen gehalten. Jetzt nahm ich die Spule mit Kupferdraht und wickelte mit raschen, geübten Bewegungen meinen ersten Ring. Ich brauchte nicht einmal den Spanndorn dafür. Stirnrunzelnd betrachtete ich die Früchte meiner Arbeit und legte den Ring sofort wieder beiseite. Es war nichts als ein billiges Kinkerlitzchen, ohne auch nur eine einzige besondere Eigenschaft. Bestimmt war ich besser dran, wenn ich mich in den Design-Modus versetzte...

    Sofort umgab mich von allen Seiten die vertraute Dunkelheit, und vor mir erschien der Draht. Normale Ringe waren wirklich langweilig. Daher flocht ich den Draht. Und wie wäre es mit einem Edelstein? Ein durchsichtiger Stein, der sich im Etui mit den Werkzeugen befunden hatte, tauchte neben dem Ring auf. So, und wenn dieser Ring anschließend keine besonderen Eigenschaften aufwies, wusste ich es auch nicht mehr! Dann musste ich mich womöglich zum Meisterhandwerker begeben und ihn fragen, was ich falsch machte. Aber zuerst brauchte ich einen hübsch geflochtenen Zopf. Wozu hatte ich schließlich sonst all diese Fertigkeiten gelernt?

    „Der Patient hat das Abhängigkeitslevel Schwarz erreicht! Kaum hatte ich den Ring fertiggestellt und mich am Ergebnis erfreut, durchdrangen merkwürdige Geräusche, die sich ständig wiederholten, die Dunkelheit um mich herum. „Der Patient hat das Abhängigkeitslevel Schwarz erreicht! Der Patient hat das Abhängigkeitslevel Schwarz erreicht!

    Das ging mir so sehr auf die Nerven, dass ich die Augen öffnete. Das helle Licht, das von meinen Händen ausströmte, ließ mich wie üblich blinzeln. Ja, ich hatte ein weiteres Meisterwerk geschaffen! Gleich würden mich die Benachrichtigungen über neue Level und gewonnene Punkte erreichen... Vor mir standen staunend ein paar Charaktere. Da waren der Zwerg, der mich vorhin aus der Schmiede geworfen hatte, zwei Trolle, die versuchten, mich mit ihren Wurfpfeilen zu treffen, ein riesiger Ork, der sich nachdenklich den Kopf kratzte, und ein kleiner Gnom, der an seinem Arm alle möglichen Knöpfe drückte. Es war eine kleine Versammlung von Spielern, die zweifellos mein neues Meisterwerk begutachten wollten.

    „Shargak larange!", sagte der Gnom zu mir. Wenigstens glaubte ich, dass er mit mir redete. Ich schüttelte den Kopf, um ihm klarzumachen, dass ich seine Sprache nicht verstand. Das wollte ich ihm gerade auf Malabarisch, Kartossianisch und in einigen anderen Sprachen von Barliona erklären, von denen ich ein wenig aufgeschnappt hatte, doch plötzlich sah ich unter den Bäumen sie – die Sirene! Das zwei Meter große Biest versuchte nicht einmal, sich zu verstecken. Ganz offen richtete sie mit einem teuflischen Grinsen ihren Dreizack auf mich. Sie wusste, dass die Umstehenden keine Gefahr für sie bedeuteten. Nur ein wahrer Drache konnte Anastaria besiegen!

    Ähm... Welche Anastaria bitte?

    Ein weiterer Ansturm von Gefühlen überfiel mich und löste eine Gänsehaut aus. Dieselbe Anastaria, die...

    „Der Patient hat das Abhängigkeitslevel Grün erreicht!", meldete sich das Analysegerät, und im Wald breitete sich Schweigen aus. Ich war so voller Hass gegenüber den Sirenen, besonders gegenüber dieser einen speziellen Sirene, dass ich das Zittern meiner Hände nicht unterdrücken konnte. Der Ring entglitt meinen Fingern. Ich bebte am gesamten Leib. In meinem Kopf brauste es wie ein Wirbelsturm, und dennoch konnte ich langsam wieder die Realität wahrnehmen. Ohne Gnome, Orks und Sirenen... Grrrr! Diese hinterlistige, durchtriebene Hexe umzubringen, reichte mir nicht!

    „Nicke, wenn du mich hören kannst", forderte ein kleingewachsener Mann mich auf, den ich für einen Gnom gehalten hatte.

    „Ich bin doch keine Wackelfigur, die auf Befehl nickt!, knurrte ich. „Wie lange war ich denn weggetreten?

    „Etwa fünf Minuten, antwortete der Schmied. „Dein Analysegerät war so laut, wir mussten eine Kuppel über dich werfen, sonst wären sofort die Ärzte angelaufen gekommen.

    Erst jetzt fiel mir auf, dass wir uns innerhalb einer Kraftfeld-Kuppel befanden, die alle Geräusche blockierte.

    „Danke!", stieß ich hervor. Eines war mir klar – wenn die Ärzte mich gerade eben erlebt hätten, stünden mir weit mehr als nur noch drei weitere Tage hier bevor. Bestimmt würden die mich gleich in ein Krankenhaus einweisen und die nächsten zwei Monate mit allen möglichen Untersuchungen verbringen.

    „Wenn du hier herauskommen willst, solltest du während deiner restlichen Zeit nichts mehr machen, erklärte der Schmied. „Schlaf einfach! Ansonsten – jeder hat hier den einen oder anderen Rückfall, aber wir verpetzen uns untereinander nicht. Wenn die Ärzte etwas davon mitbekommen, schicken sie dich sofort in ein Zentrum für Level Gelb. Und dort ist es weitaus schlimmer, das darfst du mir gern glauben. Also gut – wir sehen uns! Das Kraftfeld verschwand, und die Menge zerstreute sich, als ob nichts gewesen wäre. Und schließlich war auch nichts weiter passiert, als dass jemand in Abhängigkeitslevel Schwarz gestürzt war und aufgehört hatte, diese Ebene der Realität wahrzunehmen. In dieser Anlage kam das wahrscheinlich jeden Tag vor.

    Ich hob den Ring auf, den ich hergestellt hatte. Ohne ihn weiter zu begutachten steckte ich ihn in die Tasche und dachte nach. Ich hatte jetzt bereits zweimal die Grenze der Realitätswahrnehmung überschritten und keine Ahnung, wieso das passiert war. Ohne die letzte halbe Stunde in Barliona, die einen solch immensen Hass in mir ausgelöst hatte, wäre ich vermutlich nicht in der Lage gewesen, vor Abschluss einer langwierigen Behandlung in den Normalzustand zurückzukehren. Mir fiel nur eine plausible Erklärung ein: Mein Verstand zog die Welt von Barliona vor, und daher versuchte ich nun, die reale Welt in dessen Form zu zwingen.

    Diese Erklärung gab Anlass zu einer unangenehmen Frage: Was wäre mit mir, wenn ich Anastaria nicht so abgrundtief hassen würde? Ich musste mir ja nur einmal vorstellen, ich hätte es aus eigener Kraft geschafft, mich freizukaufen, zum Beispiel durch den Verkauf meiner Burg, des Schachspiels und des Auges der Dunklen Witwe. Hätte die intensive Zeit, die ich im Spiel verbracht hatte, es mir auch dann gestattet, so rasch in die Realität zurückzukehren? Oder hätte ich dann mein Dasein als hirntoter Junkie fristen müssen, der nur noch den Wunsch hatte, in Ruhe gelassen zu werden? Die Antwort auf diese Frage war extrem unangenehm. Nein, in dem Fall hätte ich mich an meiner Drachen-Fähigkeit zu fliegen ergötzt und an irgendwelche blöden Sirenen keinen einzigen Gedanken verschwendet. Eine weitere Hasswelle überschwemmte meinen Körper und presste meinen Brustkorb zusammen wie ein Schraubstock. Nun sah sich das einer an – jetzt musste ich diesem Monster womöglich auch noch dafür dankbar sein, mir die Chance verschafft zu haben, ein Mensch zu bleiben? Oh, nein – nicht mit mir!

    Die verbleibende Zeit im Reha-Zentrum verbrachte ich damit, den perfekten Patienten zu spielen. Ich vermied alle plötzlichen Bewegungen, unnötigen Worte, Gefühlsschwankungen und Konflikte mit den anderen. Ich war ganz Sonnenstrahlen, Gänseblümchen und Schmetterlinge und all der andere Schnickschnack, der die Ärzte glauben ließ, dass ich mich hervorragend an meine neue Realität anpasste. Zum Glück erlitt ich keine weiteren Fantasie-Anfälle. Allerdings gestattete ich es dem rotglühenden Hass, den ich Anastaria gegenüber empfand, auch nicht, nachzulassen. Ständig rief ich mir meine letzten 30 Minuten in Barliona ins Gedächtnis zurück.

    Meine Rachepläne mussten allerdings erst einmal warten. Mir war klargeworden, dass ich momentan ohnehin nichts als kindischen Unfug zustande brachte. Selbst der Plan, den Clan Phönix mithilfe meiner Burg anzugreifen, war kompletter Schwachsinn. Schließlich konnte mir niemand garantieren, dass ich Altameda auf Level 24 halten konnte. Die Programmierer würden einem einzelnen, gewöhnlichen Spieler niemals die Macht einräumen, einen gesamten Clan zu ruinieren. Vor allem nicht den führenden Clan. Wahrscheinlich würden sie Altameda schon beim ersten Angriff zerstören. Immerhin war ich ein Spieler und kein Engel wie Urusai. Dem hatte man gestattet, Glarnis auf diese Weise zu vernichten, doch diesen Erfolg konnte ich garantiert nicht wiederholen.

    „Wie fühlen Sie sich?", fragte meine Ärztin mich bei meiner Freilassung. Das Analysegerät hatte gemeldet, dass die Rehabilitationsphase der Person mit dem Namen Daniel Mahan nun beendet war und er unbesorgt in die Wildnis entlassen werden konnte.

    „Ich fühle mich sehr gut, danke", versicherte ich ihr. Lucia hatte die gesamte Zeit in meiner Nähe verbracht und sich bemüht, Anzeichen von Aggression oder einem Anfall oder von irgendetwas zu entdecken, das es ihr gestattet hätte, mich länger hier festzuhalten, doch ich war ruhig geblieben. Die Lady konnte einfach nicht kapieren, wie ich es geschafft hatte, so schnell das Abhängigkeitslevel Schwarz zu verlassen. Offensichtlich ging sie von einem Fehler aus – entweder der künstlichen Intelligenz oder der Leute, die mich freigelassen hatten. Ich konnte nur hoffen, dass es sich um Ersteres handelte.

    „Ich habe ein Geschenk für Sie, wechselte ich das Thema. „Es soll Sie in Zukunft an einen Ihrer Patienten erinnern.

    Ich holte den Drahtring aus der Tasche. Inzwischen hatte ich meine Arbeit mehrfach betrachtet. Das ungläubige Staunen der Ärztin überraschte mich daher nicht. Ich hatte ihr einen zierlichen Ring aus geflochtenem Draht mit überall im Geflecht verteilten Pailletten überreicht. Hätte mich jemand gebeten, eine Kopie davon zu erstellen, ich hätte ihn nur verwirrt angeschaut. Nur mithilfe seiner Hände konnte niemand einen solchen Ring herstellen. Dazu brauchte es schon ziemlich komplizierte Hilfsmittel, die im Etui mit den Juwelierwerkzeugen nicht zu finden gewesen waren. Dennoch lag nun dieser Ring vor mir, entstanden in einem Zustand des vollständigen Eintauchens ins Spiel, der meine Hände geführt und sie dazu gebracht hatte, auf unerklärliche Weise dieses Meisterwerk zu erschaffen. In Barliona hätte ich mir damit bestimmt ein oder zwei Punkte für mein Handwerk gesichert...

    „Bitte unterschreiben Sie hier, hier und hier, Daniel, wies der Krankenpfleger mich an, der mich aus meinem Zimmer geholt hatte. Er gab mir meine Besitztümer zurück, einschließlich des Schlüssels zu meiner Wohnung. „Sehr gut, nickte er befriedigt, nachdem ich wiederholt meinen Friedrich Wilhelm aufs Dokument gesetzt hatte. „Ich hoffe, wir sehen uns im realen Leben nicht wieder. Eine Gefängnisstrafe ist wirklich für niemanden gut."

    * * *

    Ich blickte dem Wagen mit dem Logo des Unternehmens nach, der sich immer weiter von mir entfernte. Als ich ihn nicht mehr sehen konnte, schaute ich mich mit einem tiefen Seufzen um. Im Laufe des letzten Jahres hatte sich hier kaum etwas verändert. Da war der kleine Park mit dem Kinderspielplatz. Mütter mit Kinderwagen schwadronierten über die letzte Folge ihrer Lieblingsserie, und ältere Damen mit unfreundlichen Gesichtern musterten misstrauisch jeden Fremden, der vorbeikam. Ja, genau so hatte ich mein Zuhause in Erinnerung! Jetzt fehlte nur noch Sergei, der im fünften Stock wohnte. Zu dieser Tageszeit lag er meistens längst besoffen unter einem Busch oder mäanderte im Zickzack durch die Straßen. Ausgedehnte Arbeitslosigkeit und wiederholte Vorladungen der Imitatoren hatten diesen einstmals guten Menschen aufgerieben, und nun lebte er von der Sozialhilfe. Oder vielmehr, statt zu leben verbrachte er seine Tage mit Saufen und Schlafen. Die Behörden hatten ein waches Auge auf Leute in seinem Zustand. Schon beim kleinsten Anzeichen von Aggressivität schickte man sie in die Minen. Sergei allerdings ging seinem Lebensstil auf die denkbar harmloseste Weise nach.

    „Hallo, Daniel, sagte ein junger Mann, der auf einer Bank vor meinem Haus saß. „Ich bin Alexander. Haben Sie einen Augenblick Zeit für mich?

    Verwundert starrte ich den Kerl an, der kaum 20 war und wie geleckt aussah. Trotz des warmen Wetters trug er einen Anzug. Auch jemand, der weder aufmerksam noch misstrauisch war, konnte das Abzeichen auf seinem Jackett kaum übersehen, das mir verriet: Er war beim Unternehmen beschäftigt.

    „Ja, warum nicht? Ich zuckte mit den Schultern. Es ergab ohnehin keinen Sinn, mich zu verstecken, und wenn jemand unbedingt mit mir reden wollte, war es am besten, darauf einzugehen. „Sollen wir uns hier unterhalten oder in meiner Wohnung?

    „Ich würde Ihre Wohnung vorziehen – hier draußen ist es ziemlich heiß", entschied Alexander. Er lockerte seine Krawatte und bewies mir damit, dass die Angestellten des Unternehmens Menschen waren und keine Roboter, auch wenn sie oft so wirkten.

    Meine Wohnung begrüßte uns mit Schweigen und einer Staubschicht, die nahezu jede Oberfläche bedeckte. Das Luftfiltersystem hatte ich abgestellt, bevor ich mich auf den Weg zu den Minen begeben hatte. Damals war ich noch davon ausgegangen, dass ich mich nicht sehr lange im Spiel aufhalten würde. Entsprechend trostlos und trübsinnig sah nun alles aus. Es war keine zentimeterdicke Schicht, aber jede Berührung von irgendetwas würde Fingerabdrücke hinterlassen.

    „Setzen Sie sich doch. Ich holte ein Bettlaken aus der Kommode und warf es über das Sofa, also über den Staub dort. Anschließend schaltete ich das Luftfiltersystem ein. Sobald Alexander gegangen war, musste ich mich um einen Reinigungsdienst kümmern. Allein wurde ich mit diesem Zustand sicher nicht fertig. „Kann ich Ihnen ein Glas Wasser beschaffen?

    „Oh, da sage ich nicht nein." Ein Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des jungen Mannes aus, so schüchtern, als wäre es selbst höchst verwundert darüber, seinen Weg in diese maskulinen Züge gefunden zu haben.

    „Gut, ich bestelle das sofort." Alexander sagte auch nicht nein, als ich ihm darüber hinaus etwas zu essen anbot. Ich bestellte also ein Mittagessen für zwei. Wie wahre Diplomaten verschoben wir das eigentliche Gesprächsthema bis nach dem Essen und sprachen stattdessen über die momentane Hitze, Autos und Barliona.

    „Danke für das Mittagessen, erklärte Alexander schließlich. „Bei meiner Arbeit habe ich oft keine Zeit zum Essen. Er zeigte sich nun vollkommen menschlich und hatte den letzten Anschein aufgegeben, eine Art Maschine zu sein. „Daniel, sagen Sie mir doch bitte, welche Pläne Sie für die nächsten Jahre haben."

    „Über einen solch langen Zeitraum habe ich noch nicht nachgedacht. Ich grinste. „Momentan weiß ich nicht einmal, was ich morgen machen werde, und Sie wollen wissen, was ich mir für die nächsten Jahre vorstelle?

    „Dann formuliere ich die Frage anders. Haben Sie vor, den Charakter beizubehalten, den Sie im letzten Jahr in Barliona gespielt haben?"

    „Ich weiß es zu schätzen, dass Sie die Begriffe ‚Gefängnisstrafe‘

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1