Dirk, der Ausreißer: Sophienlust 181 – Familienroman
Von Aliza Korten
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Über dieses E-Book
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
Der Wagen hielt vor dem schönen alten Gutshaus. Denise von Schoenecker stieg aus und ging die flachen Stufen zu dem mächtigen Portal empor, das nicht verschlossen war. Als sie einen Flügel aufdrückte, erschien das strahlende Gesicht eines blonden Mädchens.
»Oh, Tante Isi! Du musst gleich ans Telefon kommen. Tante Ma schickt mich. Ich sollte nachsehen, ob du schon da bist.«
Denise von Schoenecker beugte sich hinab und küsste das Kind auf die Stirn. »Guten Morgen, Heidi. Ich will rasch ins Büro gehen. Wer hat es denn gar so eilig?«
Frau Rennert, von den Kindern Tante Ma genannt, war die Leiterin des Kinderheims Sophienlust, das vor Jahren in dem ehemaligen Herrenhaus von Denise von Schoenecker gegründet worden war. Nach dem Willen seiner letzten Herrin, Sophie von Wellentin, waren Gut und Herrenhaus einst zusammen mit einem beträchtlichen Vermögen an Denises ältesten Sohn Dominik, genannt Nick, gefallen. Doch seither war viel, viel Zeit vergangen. Denise hatte an der Seite Alexander von Schoeneckers ein zweites Eheglück gefunden, nachdem sie ihren ersten Mann viel zu früh verloren hatte, und Dominik hatte Geschwister erhalten. Die Kinder aus Alexanders erster Ehe waren seine Stiefgeschwister geworden, und dazu war noch ein kleiner Halbbruder gekommen. Aber auch Henrik war längst kein Baby mehr, sondern besuchte jetzt bereits die Volksschule.
»Sie ist da, Tante Ma!« Mit diesem hellen Ruf stürmte Heidi ins Büro.
Denise begrüßte Frau Rennert, die ihr sofort den Telefonhörer entgegenhielt. »Aus Maibach, Frau von Schoenecker. Das Krankenhaus.«
Denise hörte dem Gesprächspartner am anderen Ende eine Weile zu und erklärte dann mit freundlicher Entschlossenheit:
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Buchvorschau
Dirk, der Ausreißer - Aliza Korten
Sophienlust
– 181 –
Dirk, der Ausreißer
Ein kleiner Junge hält Sophienlust in Atem
Aliza Korten
Der Wagen hielt vor dem schönen alten Gutshaus. Denise von Schoenecker stieg aus und ging die flachen Stufen zu dem mächtigen Portal empor, das nicht verschlossen war. Als sie einen Flügel aufdrückte, erschien das strahlende Gesicht eines blonden Mädchens.
»Oh, Tante Isi! Du musst gleich ans Telefon kommen. Tante Ma schickt mich. Ich sollte nachsehen, ob du schon da bist.«
Denise von Schoenecker beugte sich hinab und küsste das Kind auf die Stirn. »Guten Morgen, Heidi. Ich will rasch ins Büro gehen. Wer hat es denn gar so eilig?«
Frau Rennert, von den Kindern Tante Ma genannt, war die Leiterin des Kinderheims Sophienlust, das vor Jahren in dem ehemaligen Herrenhaus von Denise von Schoenecker gegründet worden war. Nach dem Willen seiner letzten Herrin, Sophie von Wellentin, waren Gut und Herrenhaus einst zusammen mit einem beträchtlichen Vermögen an Denises ältesten Sohn Dominik, genannt Nick, gefallen. Doch seither war viel, viel Zeit vergangen. Denise hatte an der Seite Alexander von Schoeneckers ein zweites Eheglück gefunden, nachdem sie ihren ersten Mann viel zu früh verloren hatte, und Dominik hatte Geschwister erhalten. Die Kinder aus Alexanders erster Ehe waren seine Stiefgeschwister geworden, und dazu war noch ein kleiner Halbbruder gekommen. Aber auch Henrik war längst kein Baby mehr, sondern besuchte jetzt bereits die Volksschule.
»Sie ist da, Tante Ma!« Mit diesem hellen Ruf stürmte Heidi ins Büro.
Denise begrüßte Frau Rennert, die ihr sofort den Telefonhörer entgegenhielt. »Aus Maibach, Frau von Schoenecker. Das Krankenhaus.«
Denise hörte dem Gesprächspartner am anderen Ende eine Weile zu und erklärte dann mit freundlicher Entschlossenheit: »Jawohl, selbstverständlich nehmen wir das Kind zunächst einmal hier auf. Ich komme sofort zu Ihnen, um den Jungen abzuholen. Nein, nein, Sie brauchen sich nicht zu bedanken. Das gehört zu unseren Pflichten.«
»Ein neues Kind?«, fragte Heidi Holsten atemlos. »Ein Junge?«
»Ja, ein Bub, Heidi. Er ist sechs Jahre alt, geht aber noch nicht in die Schule. Du kannst also mit ihm spielen. Sehr lange wird er allerdings nicht bei uns bleiben. Er soll hier warten, bis seine Mutti wieder gesund ist und aus dem Krankenhaus entlassen wird.«
Heidi nickte begeistert. »Ich bin froh, dass er noch nicht zur Schule geht. Die anderen fahren nach dem Frühstück immer alle weg.«
»Bald kommst du auch zur Schule, Heidi. Willst du mit mir nach Maibach fahren? Dann lernst du den Jungen gleich kennen.«
Heidi machte einen Luftsprung. »Ehrlich, Tante Isi? Du willst mich mitnehmen?«
»Aber ja, Kleines. Lauf rasch nach oben und hole dir eine Strickjacke. Es ist ziemlich kühl heute.«
Wie der Blitz schoss der Blondkopf davon, und Denise wandte sich an die Heimleiterin: »Es handelt sich um eine junge Frau, die auf der Durchreise war. Im Hotel erkrankte sie so schwer, dass der herbeigerufene Arzt sie ins Krankenhaus einweisen musste. Nun entstand die Frage, wohin mit dem Jungen?«
»Nun, in Maibach ist da rasch Rat zu schaffen. Dort fällt allen von selbst unser liebes Sophienlust ein, sobald es sich um ein Kind handelt«, meinte Frau Rennert lächelnd. »Ich werde gleich ein Zimmer für den Buben herrichten. Die Abrechnungen sehen wir dann durch, wenn Sie aus Maibach zurück sind, nicht wahr?«
Denise nickte. »Ja, die Abrechnungen sind zwar nötig und wichtig, aber der Junge geht vor.«
Heidi kam zurück, atemlos und mit der Strickjacke kämpfend, die sie im Laufen anzuziehen versuchte. Frau Rennert half ihr sofort. Dann schob das Kind vertrauensvoll seine kleine Hand in Denises Hand. »Tante Isi, fahren wir jetzt?«, drängte es.
Die Fahrt war nicht allzu weit. Heidi saß brav auf dem Rücksitz, während Denise von Schoenecker ihr erzählte, dass die Mutter des neuen Jungen schwer krank sei. »Du musst versuchen, nett zu ihm zu sein. Er hat sicherlich Sorge um seine Mutti.«
»Was soll ich mit ihm spielen, Tante Isi? Bei dem Wetter ist es zu nass und kalt, um im Sand eine Burg zu bauen. Aber vielleicht hat er Lust, das ganze Haus zu durchstöbern. Das tun die neuen Kinder immer gern.«
»Frage ihn, was er tun möchte, Kleines. Er soll fröhlich bei uns in Sophienlust sein.«
Heidi war erstaunt. »Ist nicht jeder glücklich bei uns, Tante Isi? Das gibt es doch gar nicht, dass jemand nicht bei uns sein möchte. Sophienlust wird doch das Haus der glücklichen Kinder genannt.«
»Du hast schon recht, Heidi. Aber bei diesem Jungen ist es ein bisschen anders. Er wird wahrscheinlich recht traurig sein.«
»In Sophienlust wird er von allein lustig. Ganz bestimmt.«
Die beiden hatten die Kreisstadt Maibach erreicht und fuhren zu dem etwas außerhalb gelegenen Komplex des Krankenhauses. In einem der Büros saß der Junge mit einem trübseligen, ein wenig verstockten Gesicht auf einem Stuhl. Tränenspuren zeichneten sich auf seinen Bäckchen ab, und die nicht sehr sauberen Finger ruhten auf den nackten Knien.
»Das ist Dirk Fiedler«, erklärte eine ältere Schwester. »Seine Mutti muss zunächst einmal bei uns bleiben.«
Denise strich über das wirre Haar des Jungen. »Grüß dich, Dirk. Schau mal, ich habe unsere Heidi mitgebracht. Du kannst dich gleich ein bisschen mit ihr unterhalten.«
Die Schwester gab Denise einen Wink, und die beiden Erwachsenen ließen die Kinder allein und sprachen draußen im Korridor leise miteinander.
»Frau Fiedler geht es sehr schlecht, Frau von Schoenecker«, teilte die Schwester der Herrin von Sophienlust mit ernstem Gesicht mit. »Wenn Sie aus dem Jungen die Namen von Angehörigen herausfragen könnten, wäre das gut. Er scheint etwas schwierig zu sein. Wir sind nicht weitergekommen mit ihm. Es mag auch der Schock über die plötzliche Erkrankung der Mutter sein.«
»Wir wollen unser Bestes versuchen, liebe Schwester«, versprach Denise betrübt. »Muss man befürchten, dass die Mutter die Krankheit nicht überstehen wird?«
»Sie wurde heute früh eingeliefert und wird noch untersucht. Es scheint nicht gut auszusehen für sie.«
Denise seufzte. »Armer kleiner Bub! Ob er etwas ahnt? Er sah grenzenlos unglücklich und verlassen aus, als er da auf dem Stuhl saß.«
Die Schwester nahm ihre Brille ab und wischte sich hastig eine Träne aus dem Auge. »Wir können nur das tun, was in unserer Macht liegt, Frau von Schoenecker. Nehmen Sie den Jungen erst einmal mit nach Sophienlust. Zwischen den Kindern dort wird er vielleicht ein wenig Mut fassen und Ihnen etwas über sich und seine Mutter erzählen.«
Denise kehrte zu den beiden Kindern zurück. Heidi redete gerade eifrig auf Dirk ein, schien aber nicht allzu viel Erfolg zu haben.
»Willst du mit Heidi und mir im Wagen nach Sophienlust fahren?«, fragte Denise freundlich. »Ich bin Tante Isi und möchte dich lieb haben.«
Dirk schaute stumm zu ihr empor. In den großen Kinderaugen wirkte die Trostlosigkeit erschütternd.
Denise ergriff Dirks Hand. »Komm mit«, forderte sie den Jungen herzlich auf. »Wir fahren zum Haus der glücklichen Kinder.«
Eine junge Schwesternschülerin brachte Dirks Koffer. Denise bat noch um Nachricht, wie es Frau Fiedler gehe, und verließ mit den Kindern das Krankenhaus.
Dirk und Heidi saßen nebeneinander auf dem Rücksitz. Die allzeit vergnügte Heidi gab es allmählich auf, eine Unterhaltung mit dem schweigsamen Buben in Gang zu bringen. Selbst der Anblick der lustigen Wegweiser, die auf dem letzten Stück der Fahrt die Nähe des Kinderheims Sophienlust ankündigten, beeindruckten Dirk nicht.
Als die drei vor dem Herrenhaus ankamen, begann es zu regnen, als sei selbst der Himmel betrübt. Doch Denise war entschlossen, sich nicht entmutigen zu lassen. Sie führte Dirk in die Halle des Gutshauses und stellte ihn zunächst der mütterlichen Frau Rennert vor.
»Guten Tag, Dirk. Ich bin Tante Ma«, sagte die Heimleiterin. »Willst du dein Zimmer anschauen?«
Keine Antwort.
»Ich glaube, Heidi geht einmal in die Küche und bestellt bei Magda Kakao für Dirk. Oder magst du lieber Fruchtsaft?« Denise sah den Jungen fragend an.
»Kakao bitte«, antwortete er leise. »Im Krankenhaus sollte ich Tee trinken. Aber ich mag keinen Tee.«
Denise von Schoenecker legte den Arm um Dirks Schultern und führte ihn in ihr persönliches Wohn- und Arbeitszimmer. Es war