Dr. Norden Bestseller 64 – Arztroman: Ich breche mein Schweigen nicht
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Über dieses E-Book
Ganz bei der Sache war Helmut Sommer nicht, als er von der Baustelle kommend zu seinem Wagen ging. Es klappte mal wieder nichts, die Termine waren überschritten, der Bauherr hatte ihm zornige Vorhaltungen gemacht. Helmut Sommer war ein junger Architekt und froh, diesen Auftrag bekommen zu haben. Er hatte verbindlich zugesagt, daß das Haus am nächsten Ersten bezugsfertig sein würde, aber er hatte nicht damit gerechnet, ausgerechnet vom Installateur im Stich gelassen zu werden. Ein Unglück kommt selten allein, auch für ihn sollte das gelten. Da kam ein Junge auf einem Rennrad dahergebraust, und er konnte gerade noch zur Seite springen. Aber er stürzte, und seine Hand suchte ausgerechnet da Halt, wo Scherben lagen. Er blutete fürchterlich, aber der Junge raste weiter, ohne sich nach ihm umzuschauen. Gerade zehn Jahre mochte er sein, sein hellblondes Haar flatterte im Wind. Im Unterbewußtsein nahm Helmut alles wahr. Der Junge trug einen blauen Anorak und Jeans, auf dem Gepäckträger lag eine orangefarbene Schultasche.
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Rezensionen für Dr. Norden Bestseller 64 – Arztroman
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Buchvorschau
Dr. Norden Bestseller 64 – Arztroman - Patricia Vandenberg
»Mein Name ist Daniela von Rodewald«, sagte die junge Dame im silbergrauen Wildlederkostüm zu Loni. »Ich hatte mich angemeldet.«
»Ja, gewiß, gnädige Frau«, erwiderte die Sprechstundenhilfe leicht verwirrt, denn die melancholischen dunklen Augen verwirrten sie. Ohnehin war Daniela von Rodewald eine beeindruckende Erscheinung, groß, schlank und so damenhaft, wie Loni es selten erlebte. Dazu hatte sie eine faszinierende, rätselhafte Ausstrahlung.
»Wenn Sie sich bitte noch einen Augenblick gedulden wollen, gnädige Frau«, fuhr Loni stockend fort, weil sie die Luft angehalten hatte. »Dr. Norden mußte noch einen dringenden Krankenbesuch machen.«
»Ich habe Zeit«, sagte Daniela leise. »Es wär mir nur sehr willkommen, wenn ich nicht mit anderen Patienten in Berührung kommen würde.«
»Sie können gleich im Sprechzimmer warten«, beeilte sich Loni mit der Antwort.
Mit einem anmutigen Neigen ihres schönen Kopfes dankte Daniela. Loni betrachtete sie noch einen Moment hingerissen und stellte für sich fest, daß eigentlich nur Fee Norden einen Vergleich mit dieser Frau aushalten würde. Und Fee war immerhin für Loni die bezauberndste Frau, die ihr je begegnet war. Nur war sie nicht von jenem Hauch Unnahbarkeit umgeben, der tatsächlich atemberaubend war.
Auch Dr. Daniel Norden war irritiert, obgleich er von Loni schon vorbereitet war, was ihn erwartete. Er sah diese Frau zum ersten Mal.
Schmal, zart und kühl war die Hand, die Daniela ihm reichte.
»Um es vorweg zu sagen, Herr Doktor, ich komme nicht in eigener Sache. Es handelt sich um meinen Mann. Allerdings ist es eine sehr schwierige Angelegenheit, denn er weigert sich, einen Arzt aufzusuchen, oder einen kommen zu lassen. Claudia Leitner hat mir gesagt, daß ich ganz offen mit Ihnen sprechen könnte.«
»Das können Sie, gnädige Frau«, erwiderte Daniel Norden. Der Name Rodewald war ihm nicht unbekannt, denn Frederik von Rodewald war sozusagen Herrscher über ein Imperium. Er war Bankier, Großgrundbesitzer und Industrieller in einer Person. Und man sprach nicht besonders nett über ihn. Um so ungewöhnlicher erschien es Dr. Norden, daß dieser Rodewald eine so zauberhafte Frau hatte und diese wahrhaftig keinen glücklichen Eindruck machte.
»Ich will ganz offen sein«, begann Daniela. »Schwierig war mein Mann schon immer. Wir sind jetzt knapp sieben Jahre verheiratet. Sie brauchen jedoch nicht zu vermuten, daß das angeblich verflixte siebte Jahr bedeutungsvoll für meine Ehe wäre.«
Ihre Stimme hatte einen bitteren Unterton. Dr. Norden machte sich seine Gedanken.
»Wie schon gesagt, war mein Mann schon immer recht schwierig, aber seit einigen Monaten wird der Zustand fast unerträglich. Ich kann es nicht anders nennen. Er muß sehr krank sein.«
»Würden Sie mir bitte Ihre Beobachtungen schildern, gnädige Frau?« fragte Dr. Norden.
»Ja, wo soll ich da anfangen«, sagte sie leise. »Beim Essen? Bei den Mahlzeiten, was immer ihm vorgesetzt wird, er hat keinen Appetit, dann, zu ungewöhnlichsten Stunden, äußert er Wünsche, die unmöglich zu erfüllen sind, was ihn aber fast zur Hysterie reizt. Er raucht und trinkt sehr viel, und manchmal bekommt er Zustände, die nur darauf schließen lassen, daß er starke Schmerzen hat. Ich habe ihn gebeten, sich untersuchen zu lassen, aber dann bekomme ich Dinge zu hören, die ich lieber nicht wiedergeben möchte, Herr Doktor. Ich will mich nicht beklagen, aber der Zustand wird unerträglich für mich und mein Kind.«
Dr. Norden horchte auf. Mein Kind, sagte sie. Nicht unser Kind.
»Wie alt ist Ihr Kind?« fragte er.
»Sechs Jahre. Sascha hat am meisten zu leiden unter den Stimmungsschwankungen meines Mannes. Er ist gerade zur Schule gekommen. Es steht zu fürchten, daß er nicht mal in der ersten Klasse zurechtkommt. Er ist völlig verstört, und schon deshalb muß ich etwas unternehmen.«
»Ich kann leider keine Ferndiagnose stellen, gnädige Frau«, sagte der Arzt bedauernd.
»Das verstehe ich, und deshalb habe ich eine ganz große Bitte. Wir geben übermorgen einen Empfang anläßlich des vierzigsten Geburtstag meines Mannes. Ich möchte Sie ganz herzlich bitten, meine Einladung anzunehmen. Selbstverständlich ist Ihre Gattin ebenfalls eingeladen. Ich müßte im Fall Ihrer Zusage allerdings zu der Erklärung Zuflucht nehmen, daß ich Ihre Frau von früher her kenne, denn jeder gutaussehende Mann ist Frederik ein Dorn im Auge. Ich weiß, es ist eine ungewöhnliche Bitte, aber ich weiß mir keinen Rat mehr. Claudia sagte mir, daß Sie Verständnis für meine wahrhaft verzweifelte Situation haben würden. Es hängt nicht nur mein und meines Kindes Schicksal von einer Klärung der Situation ab, sondern auch das Schicksal meiner Eltern. Ersparen Sie mir bitte eine nähere Erklärung, Herr Doktor. Ich bin am Ende meiner Kraft.«
»Ich werde es möglich machen, gnädige Frau«, erwiderte Dr. Norden beklommen, denn er spürte, daß diese Frau wirklich seelisch am Ende war. Ihre Augen schimmerten feucht, aber sie beherrschte sich.
»Ich wäre unendlich dankbar«, sagte sie leise. »Wenn es nur um mich ginge…« Sie unterbrach sich und blickte zu Boden. Dann erhob sie sich schnell. »Bitte, helfen Sie mir und meinem Jungen. Sie haben selbst Kinder. Claudia hat mir viel von Ihnen erzählt.« Sie nahm aus ihrer Handtasche eine Büttenkarte. »Die offizielle Einladung«, sagte sie. »Nur geladene Gäste haben Zutritt auf Schloß Rodewald.« Das klang schon mehr als bitter.
Und warum hat sie ihn geheiratet? fragte er sich, als sie gegangen war. Der Name, das Geld? So sah sie nicht aus. Er hatte sich ein anderes Bild von ihr gemacht. Aber man konnte sich täuschen. Sieben Jahre waren eine lange Zeit. Ein Mensch konnte sich verändern, eine andere Einstellung zum Leben gewinnen.
Dr. Norden war gespannt, ob es wirklich so um Frederik von Rodewald stand, wie Daniela es geschildert hatte.
Als Daniela vor der prunkvollen, schloßartigen Villa aus ihrem Wagen stieg, stand ihr Mann schon an der Treppe. Sein Gesicht war fahl, doch gelblich gefärbt.
»Wo warst du?« herrschte er sie an.
Sie mußte sich höllisch zusammennehmen. »In der Stadt. Schließlich gibt es einiges für den Empfang zu besorgen.«
»Daß du immer alles selbst machen mußt«, sagte er gereizt.
»Und wenn ich mich nicht darum kümmere, wird es mir vorgeworfen, wenn etwas nicht klappt«, erwiderte sie kühl. »Ich konnte nicht ahnen, daß du schon daheim bist.«
»Clarissa ist gekommen«, sagte er. »Es war niemand da zur Begrüßung.«
Danielas Lippen verzogen sich ungewollt zu einem spöttischen Lächeln, aber die Grenze des Ertragbaren war erreicht. »Ach, das tut mir aber leid«, sagte sie. »Clarissa hätte sich anmelden können.«
»Sie gehört zur Familie«, stieß er hervor.
»Du brauchst nur noch hinzuzufügen, daß sie mehr zur Familie gehört als ich«, erwiderte Daniela aufgebracht.
Er schwieg. »Du bist empfindlich«, sagte er, als sie die Halle betreten hatte.
»Du auch, Frederik«, konterte sie.
Da kam Clarissa von Rodewald, eine unverheiratete Kusine des Hausherrn, schon Mitte dreißig und auch nicht jünger aussehend, aber sehr elegant gekleidet. Sie trug ein raffiniert geschnittenes Kleid, das ihre hagere Figur vorteilhaft umspielte. Aber an dem scharfen, giftigen Blick, der Daniela traf, konnte niemand etwas ändern. Ja, sie war eine Rodewald, und noch nie war Daniela ihre Ähnlichkeit mit Frederik so bewußt geworden wie an diesem Tag.
Ihre Stimme hatte einen penetrant süßlichen Klang, als sie sagte: »Liebste Daniela, nimm es nicht tragisch, wenn Frederik nörgelt. Er ist eben vollkommen.«
Vollkommen? dachte Daniela verbittert. Vollkommen ist nur der Hintergrund.
»Ich muß den Chauffeur zur Schule schicken«, sagte sie, nachdem sie Clarissa zurückhaltend begrüßt hatte.
»Das habe ich schon getan«, bemerkte Frederik betont vorwurfsvoll. »Denkst du eigentlich nie daran, daß man den Jungen entführen könnte?«
»Wer sollte ihn wohl schon entführen?« fragte Daniela.
»Du vergißt, daß er mein Erbe ist, meine Liebe«, sagte er von oben herab.
»Hier sind die Menschen friedlich«, ließ Daniela ihn wissen.
»Ich muß Frederik aber doch beipflichten«, mischte sich Clarissa ein. »Entführungen passieren täglich dort, wo man ein Vermögen erpressen kann.«
»Frau Schneiders paßt auf ihn auf, bis er abgeholt wird«, sagte Daniela beherrscht. »Sie ist verläßlich.« Sie musterte Frederik. »Wenn du so besorgt um ihn bist, warum schreist du ihn dann immer an, wenn er zu Hause ist?«
»Man kann mit Daniela nicht reden, Clarissa«, behauptete Frederik. »Der Junge ist faul. Ich will ja nicht annehmen, daß er ausgesprochen dumm ist. In unserer Familie ist das jedenfalls noch nicht vorgekommen.«
Daniela stieg die Zornesröte ins Gesicht, aber auch jetzt beherrschte sie sich. Sie mußte es. Sie mußte es seit sieben Jahren. Aber es wurde ihr übel, als Frederik sagte: »Clarissa wird sich um Sascha kümmern. Sie wird mit ihm arbeiten.«
»Tatsächlich?« sagte Daniela eisig. »Ich wußte gar nicht, daß du pädagogisches Talent hast, Clarissa. Du hast doch nicht mal die Mittlere Reife geschafft, wie Frederik mir einmal erzählte. Oder war er falsch unterrichtet?«
Die beiden standen wie erstarrt, als sie die Treppe zu ihren Räumen hinaufeilte. Sie konnte sich nicht mehr beherrschen. Es wäre zu einem schlimmen Streit gekommen, wäre sie noch länger geblieben.
»Du läßt dir allerhand bieten, Frederik«, sagte Clarissa erbost.
»Ich lasse mir gar nichts bieten«, erwiderte er aufgebracht. »Aber in diesem Fall hat Daniela ja recht. Ich werde doch lieber einen Hauslehrer nehmen.«
Damit war sie völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. »Bist du eigentlich krank, Frederik?« fragte sie höhnisch. »Du benimmst dich sehr merkwürdig.«
»Ich bin nicht krank. Fang du nicht