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Das große Buch der heiteren Familienromane: Cassiopeiapress Sammelband mit acht Romanen
Das große Buch der heiteren Familienromane: Cassiopeiapress Sammelband mit acht Romanen
Das große Buch der heiteren Familienromane: Cassiopeiapress Sammelband mit acht Romanen
eBook895 Seiten11 Stunden

Das große Buch der heiteren Familienromane: Cassiopeiapress Sammelband mit acht Romanen

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Über dieses E-Book

Der Umfang dieses E-Book entspricht 787 Taschenbuchseiten.

Acht heitere Familienromane aus der Feder von Anna Martach.
Turbulente Geschichten um Kinder, Familie und die große Liebe - immer mit einer heiteren Note.

Dieses Ebook beinhaltet folgende acht Romane:

Michael allein auf der Welt

Zusammenstoß der Herzen

Mein Erbe muss der Beste sein

Bauplan für die Liebe

Wir brauchen endlich eine neue Mami

Liebesparcours mit Hindernissen

Ein Herz kann man nicht stehlen

Zum Glücklichsein gezwungen

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum15. Juni 2019
ISBN9783736893283
Das große Buch der heiteren Familienromane: Cassiopeiapress Sammelband mit acht Romanen

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    Buchvorschau

    Das große Buch der heiteren Familienromane - Anna Martach

    Das große Buch der heiteren Familienromane

    Acht gefühlvolle Romane in einem Buch

    von Anna Martach

    Ein CassiopeiaPress E-Book

    © by Author

    © der Digitalausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

    www.AlfredBekker.de

    postmaster@alfredbekker.de

    Der Umfang dieses E-Book entspricht 787 Taschenbuchseiten.

    Dieses Ebook beinhaltet folgende acht Romane:

    Michael allein auf der Welt

    Zusammenstoß der Herzen

    Mein Erbe muss der Beste sein

    Bauplan für die Liebe

    Wir brauchen endlich eine neue Mami

    Liebesparcours mit Hindernissen

    Ein Herz kann man nicht stehlen

    Zum Glücklichsein gezwungen

    Michael allein auf der Welt

    Die Eltern des zwölfjährigen Michael sind seit einiger Zeit geschieden, worüber dieser gar nicht glücklich ist. Also beschließt er, eine E-Mail an Gott zu schicken, die aber zufällig bei dem Architekten Alexander Gottlieb landet, der Michael und seine Mutter Anita spontan in den Zoo einlädt. Anfangs verstehen sich auch alle sehr gut und Anita und Alexander kommen sich näher. Dann jedoch funkt Anitas eifersüchtiger Ex-Mann Karsten dazwischen und entführt schließlich sogar Michael.

    1

    Lieber Gott, du weißt, dass ich meistens ganz lieb bin. Na ja, vielleicht nicht immer. Bei Frau Kersting in der Schule habe ich mich aber entschuldigt für die Maus in der Schublade. Und die zweimal Schwänzen hat Mama auch gemerkt, und meine Strafe habe ich bekommen. Ich hoffe doch sehr, dass das jetzt nicht mehr zählt. Weil ich nämlich eine große Bitte an dich habe. Mach doch bitte, dass Mama und Papa sich wieder verstehen, und dass wir wieder eine Familie sind. Weißt du, es ist nicht einfach, denn in der Schule werde ich geärgert, weil Papa weggegangen ist, obwohl der Vater von Andreas auch weggegangen ist. Aber Andreas ist stärker als ich und haut jeden, das kann ich doch nicht. Aber die Eltern von Britta trennen sich auch, und Britta heult dauernd deswegen. Sie ist ein Mädchen, die darf das. Aber ein Junge wie ich heult doch nicht, und schließlich werde ich ja auch jetzt zwölf. Also bitte, lieber Gott, mach ganz einfach, dass Mama und Papa beim nächsten Treffen sich wieder liebhaben, dann sind wir bald wieder eine Familie. Ich habe doch bald Geburtstag, und das ist der einzige Wunsch, den ich habe. Na ja, fast der einzige. Aber für das neue Computerspiel sorgt ja auch Mama. Hoffe ich. Und ich verspreche auch, ich werde immer ganz, ganz lieb sein. Ich will es versuchen, aber vielleicht mache ich ja doch noch was falsch. Aber ich will mich bemühen, großes Ehrenwort. Dein Michael."

    Es machte dem Jungen sichtlich einige Mühe, die passenden Buchstaben auf der Tastatur zu finden, denn er war nicht daran gewöhnt, Texte auf dem Computer zu schreiben, und einige Rechtschreibfehler hatten sich auch eingeschlichen. Trotzdem betrachtete das Kind stolz sein Werk.

    Michael Steingruber saß am Computer seiner Mutter und hatte das E-Mail-Programm aufgerufen, wie er es seine Mutter schon oft hatte tun sehen. Eigentlich durfte er das Programm nicht benutzen, Anita hatte ihm das strengstens verboten. Und das, obwohl Michael durchaus mit einigen Programmen besser umgehen konnte als sie selbst. Aber Internetprogramme waren nichts für Kinder, hatte Anita befunden, und ein Verbot ausgesprochen. Doch jetzt fühlte der Junge sich so unglücklich und verzweifelt, dass er sich über die Gebote seiner Mutter hinwegsetzte und diesen Brief an den lieben Gott geschrieben hatte. Das schien ihm einfach der letzte und einzige zu sein, der noch helfen konnte.

    Anita und Karsten Steingruber hatten sich vor einiger Zeit getrennt, und mittlerweile waren sie geschieden, was auch schon fast ein Jahr her war. Vorangegangen waren endlose Streitereien und ein erbitterter Kampf um das Sorge- und Besuchsrecht für Michael. Böse Worte waren gefallen, Hass war auf beiden Seiten geschürt worden, und Michael, der gar nicht verstehen konnte, warum seine Eltern sich plötzlich unversöhnlich bekämpften, stand mittendrin. Von ihm wurde unversehens eine Entscheidung verlangt, wem in Zukunft seine Liebe gehören sollte. Natürlich war das zu viel gewesen für den Jungen. Dazu kamen die Hänseleien in der Schule und Michaels eindeutige Unterlegenheit gegenüber anderen Scheidungswaisen. Er war klein, zierlich und regelrecht schmächtig zu nennen, für sein Alter eindeutig körperlich unterentwickelt, auch wenn die geistigen Gaben stärker ausgeprägt waren. Immerhin war er Klassenprimus.

    Aber jetzt hatte der Junge nur noch diesen Ausweg gesehen. Zwar wusste er nicht so recht, ob er überhaupt an Gott glauben sollte, weil der es doch zugelassen hatte, dass Mama und Papa sich trennten. Aber sein Religionslehrer, Herr Kohlhans, hatte fest behauptet, dass es ihn gäbe, und dass es in seiner Macht läge zu helfen, wo kein Ausweg mehr war.

    Nun gut. Michael überlegte kurz, wie er die E-Mail adressieren sollte und entschied sich dann ganz einfach für: LieberGott@Himmel.de. Das würde ganz bestimmt ankommen.

    Der Junge löschte noch den Eintrag in der Liste, damit seine Mutter nicht bemerkte, dass er ihr Verbot übertreten hatte, und rief dann eines der Spiele auf.

    So saß er dann ein wenig gelangweilt, wie es schien, vor dem Spiel, als seine Mutter hereinkam und ihren Sohn zum Essen rief.

    2

    Alexander Gottlieb brütete über einigen Entwürfen für einen etwas schwierigen Kunden. Der achtunddreißigjährige Mann war Architekt, ein guter und vielgefragter Architekt, der eine Menge Aufträge und nur wenig Freizeit hatte. Vieles bei seiner Arbeit ließ sich mittlerweile einfach per Computer vereinfachen und unterstützen, und Alexander war froh über diese Erleichterungen. Jetzt kam er allerdings bei einer Sache nicht weiter und beschloss, erst einmal seine E-Mails abzurufen. Vielleicht würde ihm beim Lesen seiner elektronischen Post ein rettender Einfall kommen.

    Das meiste von dem, was er gleich darauf auf dem Bildschirm sah, war aber noch mehr Arbeit, einiges war Werbung, und dann war da noch ein privater Brief. Merkwürdig, der war ja gar nicht für ihn. Sicher ein Fehler im Verteiler, oder doch nicht?

    Voller Erstaunen las der Mann den Brief, den der kleine Michael geschrieben hatte, und war gerührt. Das war das Leben, das es außerhalb seiner Arbeit gab, die ihn mittlerweile doch fast auffraß. Und durch einen unglaublichen Zufall war dieses anrührende Schreiben an seine Adresse gelangt, statt als unzustellbar an den Absender zurückzugehen.

    Spontan beschloss Alexander, dem Kind zu antworten. Er war zwar nicht der liebe Gott, aber er besaß ein Herz, auch wenn er bisher einfach noch nicht die Zeit gehabt hatte, es an eine Frau zu verschenken.

    Alexander Gottlieb sah ausgesprochen gut aus. Dichtes braunes Haar kräuselte sich auf seinem Kopf, wurde an den Schläfen bereits etwas grau, und umrahmte ein männlich markantes Gesicht, in dem leuchtend blaue Augen dem Betrachter sofort auffielen. Seine Stimme klang weich und samtig, konnte aber von unbeugsamer Härte werden, wenn er etwas unbedingt durchsetzen wollte. Seine Kleidung war im allgemeinen leger, doch zu bestimmten Anlässen trug der Mann Anzüge und Hemden, die ihn zu einem männlichen Mannequin hätten machen können, wenn er denn Wert darauf gelegt hätte. Aber das waren Äußerlichkeiten, deren er sich bei Bedarf bediente. Sie hatten für ihn nicht viel Wert. Aber es gab Kunden, denen man damit imponieren konnte.

    Alexander war der Schwarm aller seiner Mitarbeiterinnen, aber noch nie war er mit einer ausgegangen oder hatte gesteigertes Interesse, das über die Arbeit hinausging, gezeigt. Ihm wäre nicht einmal in den Sinn gekommen, dass seine Kolleginnen und Mitarbeiterinnen sich für ihn interessieren könnten. Für ihn gab es einfach nur die Arbeit. Und die machte er eindeutig besser als andere, und alles andere interessierte ihn nicht.

    Bis zu diesem Zeitpunkt, da er den Brief von Michael las. Seit langem hatte ihn nichts mehr so angesprochen wie diese Worte, die das Kind aus vollem Herzen und tiefster Verzweiflung geschrieben hatte.

    Es kam selten vor, aber Alexander suchte bei der Antwort plötzlich nach Worten. Doch dann beschloss er, ebenfalls aus dem Gefühl heraus zu schreiben, und er lud den Jungen und seine Mutter ein, mit ihm einen Besuch im Zoo zu machen. Er wusste zwar nicht, ob Michael sich überhaupt in der gleichen Stadt befand wie er, denn das ging ja aus der E-Mail nicht hervor, aber auch dafür würde sich bestimmt eine Lösung finden lassen.

    Er hätte sein Tun nicht erklären können, wenn ihn jemand gefragt hätte, aber er war sicher, dass er genau das tun musste, was er gerade tat.

    3

    „Was ist das denn hier?", fragte Anita Steingruber erstaunt, als sie ihre Post aus dem Computer sah. Sie war, wie die meisten Benutzer, an unnütze Werbung gewöhnt. Aber dieser Brief schien etwas Persönliches zu sein.

    Lieber Michael, ich bin leider nicht der liebe Gott, trotzdem ist dein Brief bei mir angekommen. Es tut mir wirklich leid, dass ich so fast gar nichts für dich tun kann. Aber vielleicht kann ich dir einen kleinen Trost anbieten. Ich lebe und arbeite in Mainz, und da wäre es mir eine Freude, wenn du und deine Mutter mich besuchen könntet. Wir könnten zum Beispiel in den Frankfurter Zoo fahren. Das ist sicher nicht das, was du dir gewünscht hattest, aber leider kann ich nicht mehr tun. Mein Name ist Alexander Gottlieb, ich bin Architekt, und wenn es dir Spaß macht, können wir uns auch einige der Hochhäuser ansehen, die ich gebaut habe. Doch die Entscheidung darüber wird sicher bei deiner Mutter liegen. Aber dein Brief hat mir so gefallen, dass ich dich wirklich gerne kennenlernen und einladen möchte."

    Anita las diese Zeilen mit mehr als nur etwas Erstaunen. Da hatte doch Michael, dieser Schlingel, wirklich das E-Mail-Programm benutzt, obwohl es ihm streng verboten war.

    Anita suchte die Kopie des Briefes, aber der Junge war schlau genug gewesen, diese zu löschen.

    Erst jetzt sah die junge Frau, dass noch ein Anhang von diesem fremden Mann an dem Brief war.

    Liebe Unbekannte, ich nehme an, Ihr Sohn hat Sie nicht darüber informiert, dass er einen anrührenden Brief an den lieben Gott geschrieben hat. Machen Sie ihm bitte keine Vorwürfe, er ist ein Kind, und wie mir scheint, sehr unglücklich. Es ist sicher schwer, wenn Eltern sich trennen, und dieser Brief von Michael hat mich so angesprochen, dass ich ihm antworten musste. Ich hoffe, Sie empfinden meine Einladung als nicht zu dreist. Aber ich möchte dem Jungen einfach eine Freude machen, und Ihnen vielleicht auch. Es wäre schön, wenn Sie sich entschließen könnten, mir zu antworten und die Einladung anzunehmen. Sollten Sie nicht in der Nähe von Mainz wohnen, wird sich bestimmt auch dafür eine Lösung finden lassen. Nehmen Sie bitte meine Einladung als das, was sie ist, eine Freundlichkeit für Ihr Kind und Sie. Ich will mich nicht aufdrängen, aber ich möchte gerne Ihren Sohn und natürlich auch Sie kennenlernen. Ihr sehr ergebener Alexander Gottlieb."

    Im ersten Moment war Anita einfach nur verblüfft. War das jetzt ein schlechter Scherz? Nein, danach klangen die Worte eigentlich nicht. Es klang ehrlich und bewegt und ganz einfach nett.

    Na, da hatte Michael ja was Schönes angerichtet. Aber Anita konnte ihrem Sohn einfach nicht böse sein. Es war so schwer für ein Kind mit dieser ganzen Situation fertig zu werden. Und es mochte eine verrückte Idee gewesen sein an den lieben Gott zu schreiben, aber es zeigte auf jeden Fall, dass der Junge Einfälle hatte – und sehr verzweifelt war.

    Bevor sie an den Fremden schrieb, wollte sie jetzt erst einmal mit Michael sprechen.

    Sie ging hinüber in das Zimmer des Jungen, wo er über seinen Hausaufgaben brütete.

    „Mama, das kann man nicht lernen", beklagte er sich und deutete auf seine Rechenaufgaben. Anita lächelte. Michael war ein guter Schüler, aber Rechnen lag ihm einfach nicht, obwohl er mühelos am Computer arbeitete. Irgendwie schienen das doch zwei getrennte Welten zu sein. Vielleicht aber lag es auch daran, dass er die Zusammenhänge noch nicht verstand. Es wäre bestimmt gut gewesen, hätte das Kind einen Vater gehabt, der ihm geduldig alles drei- oder viermal erklärte. Aber so musste Anita das tun, obwohl sie in ihrem Beruf als Journalistin selbst stark eingespannt war. Aber der Job bot die Möglichkeit sich intensiv um den Jungen zu kümmern, weil sie viel daheim arbeiten konnte.

    Und doch hatte Anita das Gefühl, dass Michael manchmal zu kurz kam. Jetzt legte sie ihrem Sohn die Hand auf den Kopf.

    „Hatte ich dir nicht verboten E-Mails zu verschicken, junger Mann?", fragte sie sanft.

    Sofort verspürte sie die Verlegenheit und das Schuldbewusstsein des Kindes.

    Doch dann fuhr er auf. „Hat Gott etwa geantwortet?", fragte er ungläubig.

    Anita musste lachen. „Nein, nicht Gott, mein Schatz. Ein wildfremder Mann, Alexander Gottlieb heißt er. Die Mail ist wohl falsch gelaufen und bei ihm angekommen. Er war aber ganz gerührt von deinem Brief und lädt uns beide ein in den Zoo."

    „Ja – aber wieso denn ein fremder Mann?, fragte Michael verwirrt. „Ich habe doch nicht an diesen Alexander Gottlob geschrieben, beschwerte er sich.

    „Gottlieb, korrigierte Anita sanft. „Es war wohl ein Zufall, dass dein Brief bei ihm landete. Und er schreibt sehr nett zurück. Aber richtig war das nicht, was du getan hast. Das weißt du, nicht wahr? Anita schaute ihren Sohn gespielt streng an, und der senkte schuldbewusst den Kopf.

    „Ich wollte doch nur ..., begann er sich zu verteidigen, aber seine Mutter unterbrach ihn. „Ist schon gut, ich schimpfe ja nicht länger. Aber versprich mir, dass du das nicht wieder tust. Wenn du solche tollen Einfälle hast, sprich bitte erst mit mir darüber, in Ordnung?

    Michael nickte, er war froh, so glimpflich davongekommen zu sein.

    „Und jetzt sollten wir uns überlegen, ob wir diesem Mann antworten, fuhr Anita fort. „Er hat sehr freundlich geschrieben und verdient eigentlich eine ebenso freundliche Antwort. Und stell dir vor, er wohnt ebenfalls in Mainz. Ist das nicht ein Zufall?

    „Und er lädt uns ein? Einfach so?", forschte Michael noch einmal.

    Seine Mutter nickte. „Ja, das ist schon merkwürdig. Aber vielleicht hat der liebe Gott ihn einfach vorgeschickt. Dein Brief muss ja sehr interessant gewesen sein."

    Michael wollte von diesem verfänglichen Thema gerne ablenken.

    „Dann sollten wir ganz einfach seine Einladung annehmen", schlug er praktisch vor.

    4

    Karsten Steingruber, der Exehemann von Anita war unglücklich. Nach dem Scheitern seiner Ehe mit Anita hatte er um das Sorgerecht für den Jungen gekämpft, aber verloren. Anita hatte nachweisen können, dass er während der Ehe mehrere Verhältnisse gehabt hatte, während seine Eifersucht seine Frau und den Jungen immer weiter einengte. Das war schließlich so weit gegangen, dass er über jede Minute des Tages Rechenschaft verlangte. Doch Anita wollte sich schließlich nicht länger einengen lassen und hatte ihren Mann vor die Wahl gestellt, entweder zur Vernunft zu kommen oder sich scheiden zu lassen.

    Es war zu erbitterten Auseinandersetzungen gekommen, aber selbst jetzt noch, rund ein Jahr nach der Scheidung, verfolgte Karsten das Tun seiner Exfrau und spionierte ihr nach, wovon sie bis jetzt aber nichts wusste.

    Und dabei hatte er doch eigentlich eine andere Frau gefunden, die ihn zu lieben schien und mit seinen Eigenarten recht gut zurechtkam. War sie denn für ihn nicht mehr als ein Verhältnis, das er nur bei Bedarf nutzte? Miriam Wolters war eine kluge und hübsche Frau, die ihn wirklich bedingungslos liebte, was er bis jetzt noch nicht gemerkt zu haben schien.

    Auch an diesem Tag machte sie Karsten keine Vorwürfe, als sie merkte, dass er wieder nicht zu seiner Arbeit ging, sondern seiner Frau auflauern wollte.

    „Kannst du sie nicht endlich in Ruhe lassen?, fragte sie sanft. „Karsten, es ist doch schon so lange her. Liebst du sie denn immer noch?

    Er schaute sie erstaunt an. „Es ist mein Sohn, um den es hier geht. Aber das verstehst du nicht."

    Miriam schmerzten diese Worte. Sie verstand sehr wohl, wie sie glaubte. Und längst hatte sie beschlossen, dass sie Karsten ein Kind schenken wollte. Vielleicht würde ihn das von seinen verrückten Gedanken abbringen. Nur hatte es bisher noch nicht geklappt, dass sie schwanger wurde. Aber so schnell würde sie nicht aufgeben.

    So konnte die Frau den Mann auch jetzt nicht halten. Sie schaute ihm nur traurig hinterher.

    5

    Michael war ganz zappelig vor Spannung, als er mit seiner Mutter vor dem Eingang zum Zoo stand, wo sie beide auf Alexander warteten. Anita und er hatten Zeit und Ort ausgemacht. Und Gottlieb hatte zusätzlich geschrieben, dass er einen Stadtführer dabei haben wollte. Lächerlich, natürlich, aber da man sich nicht kannte und beide eine Rose im Knopfloch für noch lächerlicher hielten, war es vielleicht doch besser so.

    Nun stand Alexander allerdings schon eine ganze Weile ein wenig verborgen hinter einem Strauch und beobachtete die beiden. Und was er niemals für möglich gehalten hätte, sein Blick war auf Anita gefallen, und auf diesen ersten Blick hin hatte sein Herz gesprochen und angefangen schmerzhaft und aufgeregt zu schlagen.

    Was er sah, war eine Frau Anfang der dreißig, die einen noch sehr jugendlichen Eindruck machte. Sanftes braunes Haar fiel locker auf die Schultern, das Gesicht war fein und ebenmäßig, die Lippen voll, und das Lächeln einfach nur bezaubernd. Ihre Kleidung war geschmackvoll und eigenwillig, aber durchaus zu ihr passend. Die Bewegungen zeugten von Kraft und Energie, und doch hatte Alexander das Gefühl, dass diese Frau auch ungeheuer anschmiegsam sein konnte. Ihm kam ein Ausspruch in den Sinn, den er einmal bei einem Auftrag in Amerika aufgeschnappt hatte: Sie sieht aus wie eine Million Dollar.

    So musste die Frau sein, die er sich erträumt hatte. Ihr Exmann konnte nur blind oder ein Narr sein, dass er sie hatte gehen lassen.

    Jetzt schaute sie etwas ungeduldig auf die Uhr und sagte etwas zu dem Jungen. Michael war schlank und zierlich, klein für sein Alter, aber seine Augen blickten wach und intelligent.

    Alexander besann sich darauf, dass er mit den beiden verabredet und schon fünf Minuten über die Zeit war. Er trat aus seinem Versteck hervor und schritt rasch auf Mutter und Sohn zu.

    „Frau Steingruber? Michael? Ich bin Alexander Gottlieb."

    Er reichte beiden nacheinander die Hand und spürte fast körperlich, wie Freude die junge Frau erfüllte. Sie schien also auch auf den ersten Blick nicht enttäuscht von ihm zu sein.

    Gemeinsam wie eine Familie gingen sie hinein.

    6

    Alexander war seit vielen Jahren nicht mehr im Zoo gewesen. Nun erlebte er zum ersten Mal seit seiner Kindheit mit, wie sehr ein Kind sich freuen konnte auf einem gemeinsamen Ausflug. Die großen Raubtiere interessieren Michael weniger, er liebte Reptilien, Spinnen und Schlangen, sehr zum Leidwesen von Anita. Alexander hingegen fand es faszinierend, vor allen Dingen, als er feststellte, dass sich Michael wirklich gut damit auskannte. Er hatte sich schon länger damit beschäftigt und konnte mühelos die Lebens- und Verhaltensweisen der verschiedenen Spezies erklären.

    Aber auch die Gespräche zwischen Alexander und Anita waren anregend, weil beide gebildete und belesene Menschen waren, denen es an Gesprächsthemen nicht mangelte.

    Die Zeit verging wie im Flug, und irgendwann schaute Alexander auf die Uhr und stellte fest, dass er eigentlich schon längst wieder zurück im Büro sein wollte. Doch es hätte ihm gar nicht gepasst, diese wunderbare Gesellschaft zu verlassen. Er fühlte sich wohl und stellte erstaunt fest, dass es doch noch mehr gab als nur die Arbeit. Also verschob er seinen Aufbruch und lud die beiden auch noch zum Abendessen ein.

    Der Abend verlief harmonisch und angenehm, und irgendwann spät fuhr Alexander die zwei nach Hause. Am nächsten Tag hatte Michael schulfrei, so dass der späte Zeitpunkt nicht so schlimm war.

    Auch Anita bedauerte es sehr, dass dieser Abend zu Ende ging. Schon seit langem hatte sie nicht mehr so angeregte Gespräche geführt, und sich vor allen Dingen so sicher gefühlt wie in der Nähe dieses Mannes. Ein wenig belustigt stellte sie bei sich selbst fest, dass er nicht nur unverschämt gut aussah, sondern auch Charme und Intelligenz besaß, so dass selbst Diskussionen über kontroverse Themen zu einem Genuss werden konnten.

    Michael hatte sich schon ganz herzlich bei Alexander bedankt, fand das alles toll und geil, sehr zum Leidwesen seiner Mutter, die eine solche Ausdrucksweise nicht guthieß. Aber Alexander hatte beglückt festgestellt, dass ihm das Lob des Jungen ungeheuer viel bedeutete.

    Michael war schon aus dem Auto gesprungen und stand jetzt wartend in der offenen Haustür, während Anita und Alexander sich noch verabschiedeten.

    „Sie haben Michael und mir eine sehr große Freude mit diesem Tag bereitet. Und ich gebe zu, ich habe mich lange nicht mehr so gut unterhalten."

    „Mir geht es ähnlich, sagte er leise. „Ich hatte schon fast vergessen, dass es ein Leben außerhalb der Arbeit gibt. Und – Anita – ich würde Sie sehr gerne wiedersehen. Und natürlich auch Michael, setzte er rasch hinzu.

    Die junge Frau lächelte. Sie hatte sehr wohl gespürt, dass Michael diesen noch so fremden Mann mochte und ihn, was sie nicht geglaubt hätte, als möglichen Partner akzeptierte. Natürlich war das alles nicht mehr als Zukunftsmusik und vielleicht auch nicht mehr als ein schöner Wunschtraum. Aber Tatsache blieb, dass Michaels Brief den Anfang einer Lawine ausgelöst zu haben schien, von der bis jetzt noch niemand sagen konnte, ob sie weiterlief oder nicht doch plötzlich stoppen würde. Das würde die Zeit erweisen, man musste einfach abwarten.

    Jetzt aber freute sich Anita darüber, dass Alexander sie wiedersehen wollte.

    „Ich rufe Sie morgen an, versprach der Mann. „Sobald ich weiß, wann mein Terminkalender mir ein wenig Luft dazu lässt.

    Anita lächelte verständnisvoll. „Mir geht es ähnlich. Lassen Sie uns morgen darüber abstimmen, welche Termine wir frei haben."

    Mit einem letzten Blick von beiden, in dem eine Verheißung und ein Versprechen lagen, stieg Anita aus dem Wagen und ging zu Michael, der jetzt langsam ungeduldig wurde.

    Ein letztes Winken, dann fuhr der Wagen davon, und Anita starrte ihm sinnend hinterher.

    „Was hast du da wohl angerichtet, mein Sohn?", fragte sie leise, ohne eine Antwort zu erwarten, aber Michael schaute sie erstaunt an.

    „War das denn kein schöner Tag, Mama? Und hast du gesehen, er ekelt sich gar nicht vor Spinnen und Schlangen. Und beim nächsten Mal will er mir wirklich eines der großen Hochhäuser zeigen, die er gebaut hat."

    Anita schmunzelte. Beim nächsten Mal! Es war irgendwie klar für Michael, dass es ein nächstes Mal geben würde. Er hatte also Alexander wirklich sofort ins Herz geschlossen. Es gab also doch noch seltsame Wege, die das Schicksal ging.

    „Jetzt aber ab ins Bett, junger Mann. Eigentlich müsstest du längst schlafen", bestimmte sie.

    Michael war so müde und erschöpft, dass er widerspruchslos gehorchte.

    7

    Anita hatte noch einige Minuten still im Wohnzimmer gesessen und über den vergangenen Tag nachgedacht. Schließlich aber entschied sie sich, endlich ins Bett zu gehen und war auf dem Weg ins Badezimmer, als es an der Haustür klingelte. Etwas unwillig blickte sie auf. Wer mochte das sein, um diese Zeit? Oder – und dann glitt ein Lächeln auf ihre Züge – hatte Alexander etwas vergessen? Wollte er ihr vielleicht noch etwas sagen?

    Rasch öffnete sie die Tür, auch um zu verhindern, dass die Klingel noch einmal anschlug und Michael weckte.

    Aber dann war ihr Erstaunen doch sehr groß, als sie ihren Exmann Karsten dort stehen sah.

    „Was willst du denn hier? Weißt du eigentlich, wie spät es ist?", fragte sie fast empört.

    Aber Karsten hielt sich nicht mit langen Vorreden auf. „Wer ist der Kerl, mit dem du dich triffst?", wollte er barsch wissen.

    Anita war durchaus nicht der Meinung, dass es ihn etwas anginge. „Das ist meine Sache, erwiderte sie also kühl. „Wir beide sind geschieden. Kannst du dich erinnern?

    Karstens Gesicht war bleich, und seine Stimme klang brüchig. Anita kannte diese Anzeichen, er war unendlich wütend und würde gleich mit Sicherheit laut werden.

    „Ich will nicht, dass du mit irgendeinem dahergelaufenen Kerl losziehst und meinen Jungen in schlechte Gesellschaft bringst!", brüllte er plötzlich.

    Das ging Anita jetzt zu weit. „Ich bin dir keine Rechenschaft darüber schuldig, was ich tu. Von dir verlange ich schließlich auch keine Auskunft, mit wem du gerade liiert bist. Und ich bringe schon gar nicht Michael in schlechte Gesellschaft. Die hatte er an dir wahrhaftig genug, konnte sie sich eine Spitze nicht verkneifen. „Im Übrigen geht dich das alles gar nichts an. Außerdem, woher weißt du eigentlich davon? Beobachtest du mich etwa? Dazu hast du kein Recht, und das werde ich mir auch nicht bieten lassen.

    „Und was willst du dagegen unternehmen?, höhnte er. „Ich nehme mir ganz einfach das Recht herauszufinden, ob es meinem Sohn gut geht.

    „Deinem Sohn?, wiederholte sie fast nachdenklich. „Du hast doch auch nicht darüber nachgedacht, ob es deinem Sohn gut geht, als du mich am laufenden Meter betrogen hast. Warst du vielleicht der Ansicht, das Kind bekommt nichts davon mit? Michael hat viel zu sehr unter deiner Untreue und deiner unbegründeten Eifersucht gelitten, als dass ich es wagen würde, ihm wehzutun. Und nun willst du bitte gehen, ich möchte schlafen.

    „Du schmeißt mich hinaus?", fragte er fassungslos.

    „Um diese Zeit, erklärte sie kühl, „lasse ich normalerweise nicht mal mehr jemanden herein. Also muss ich auch niemanden hinauswerfen. Ich wünsche dir eine gute Nacht, Karsten. Sprach es und schloss die Tür.

    Der Mann blieb ungläubig noch eine Weile draußen stehen, ballte dann aber eine Faust und schüttelte sie.

    „Das wird dir noch leid tun!", waren seine letzten Worte, die er gegen die geschlossene Tür brüllte, laut genug, dass auch andere Hausbewohner sie hören konnten, falls sie noch auf waren. Aber das interessierte ihn nicht. Dann ging auch er.

    8

    Anita wartete am folgenden Tag voller Ungeduld auf den Anruf von Alexander, und zu ihrer Freude musste sie nicht lange warten, denn schon am Vormittag meldete er sich.

    „Wie geht es Ihnen?", fragte er sanft.

    Anita hatte nicht vor, ihm von der hässlichen Auseinandersetzung am Abend vorher zu erzählen, so vertraut waren sie denn doch nicht miteinander, dass es ihn etwas anging. Und so antwortete sie ausweichend. „Gut, danke. Und Ihnen?"

    Ein leises Lachen kam als Antwort. „Sie werden es vielleicht kaum glauben, Anita. Ich brenne vor Ungeduld Sie wiederzusehen."

    Heiße Röte schoss in das Gesicht der jungen Frau, und sie war froh, dass er sie nicht sehen konnte.

    „Ich freue mich auch darauf, Sie wiederzusehen", sagte sie dann leise und fast verlegen.

    „Dann lassen Sie uns doch ganz einfach mal prüfen, was unsere Terminkalender sagen."

    Es dauerte gar nicht lange, bis die zwei einen passenden Termin ausfindig gemacht hatten, allerdings stellte Anita dann fest, dass es sich ausgerechnet um den Besuchstag von Karsten handelte, an dem Michael nicht dabei sein würde.

    „Nun, ich hoffe doch sehr, dass Sie keine Angst haben mit mir allein zu sein", sagte Alexander ein wenig spöttisch und war erfreut darüber, wie sie reagierte

    „Ich dachte nur – ich meine, begann sie ein wenig zögernd, „dass wir Michael erst gegen Abend dabei haben werden.

    „Eine gute Möglichkeit, dass wir beide uns besser kennenlernen", war seine Antwort, und Anita spürte, wie ihr Herz einen raschen Schlag schneller wurde.

    Sie wechselten noch einige unverbindliche Worte und legten dann auf, beide von dem gleichen Gedanken erfüllt: Noch eine ganze Woche bis zum Wiedersehen.

    9

    „Karsten, was hast du vor?, fragte Miriam etwas verwirrt, als sie erstaunt bemerkte, dass der Mann eine Tasche mit Kleidung packte. „Du willst doch nicht etwa verreisen? Ich denke, du hast heute deinen Besuchstag bei deinem Sohn?

    „Ich muss danach geschäftlich weg", sagte er wegwerfend und kümmerte sich nicht weiter um die Frau.

    Miriam kam das Ganze etwas merkwürdig vor, aber dennoch hatte sie keinen Grund, misstrauisch zu sein, es war nicht ungewöhnlich, dass er auf Dienstreisen ging.

    Karsten hatte nicht vor, Miriam noch etwas zu sagen. Sie war immer eine gute und verständnisvolle Geliebte, sicher, aber für mehr sah er sie immer noch nicht an. Dass ihre Liebe zu ihm tief und bedingungslos war, hatte er einfach nicht gemerkt. Und so verabschiedete er sich auch ganz normal von ihr und fuhr los, um seinen Sohn abzuholen.

    Michael wartete schon auf seinen Vater und erzählte ihm, ohne dass der nachfragen musste, freudestrahlend von dem Besuch im Zoo mit Alexander. Hätte Karsten noch irgendwelche Zweifel gehabt, dass das, was er jetzt tun wollte, richtig war, so wären diese durch das Gespräch ausgeräumt gewesen.

    Sein Sohn, und ein anderer Mann! Das konnte nicht sein, nein, das durfte nicht sein.

    „Hättest du Lust, heute mit mir eine ganz tolle Reise zu unternehmen?", fragte er Michael, und der nickte begeistert.

    „Na, dann los", sagte Karsten entschlossen und startete den Wagen.

    10

    Alexander und Anita verlebten einen wunderschönen unbeschwerten Tag im Odenwald. Ein Bekannter von Alexander hatte ihm den Schlüssel zu einer kleinen Jagdhütte gegeben. Und hier, sehr abseits gelegen und von keinerlei Spaziergängern gestört, verbrachten die beiden den Tag. Vorräte in Form von Konserven waren mehr als genug da, die Hütte war gemütlich, und nach einem langen Spaziergang kochten die zwei gemeinsam am Herd ein Essen. Es gab einen Stromgenerator und Gasflaschen für den Herd, und das Paar fühlte sich wie allein auf weiter Welt. Sie führten lange Gespräche, sprangen von einem Thema zum anderen, und schließlich kam der Augenblick, vor dem sie beide ein wenig gebangt hatten.

    Sie hatten sich nach dem Essen ein wenig träge auf einem gemütlichen Sofa niedergelassen, vorher ein Feuer im Kamin angezündet, weil es doch ein wenig kühl hier draußen war, und plötzlich stockte der Redefluss der beiden. Alexander drehte sich zur Seite, schaute Anita tief in die Augen und zog sie dann an sich. Die Frau ließ es geschehen, ohne sich zu wehren, und beide versanken in einem tiefen, ersten Kuss.

    Doch schließlich löste sich der Mann und hielt Anita an beiden Schultern sanft fest. „Ich wollte dich nicht überrumpeln, sagte er leise. „Aber ich wäre ein Narr gewesen, hätte ich diese Gelegenheit ausgelassen.

    Sie lächelte, sprach aber kein Wort, sondern schaute ihn nur mit funkelnden Augen an und zog ihn wieder an sich. Und das war eine Aufforderung, der Alexander nicht widerstehen konnte.

    Sehr viel später fuhren sie nach Hause, um rechtzeitig wieder da zu sein, wenn Karsten Michael zurückbrachte. Sie wollten dann noch gemütlich essen gehen, damit auch Michael etwas von Alexander hatte. Anita fürchtete sich auch nicht mehr davor, dass Karsten Alexander sehen könnte, sie hatte ein Anrecht auf ein eigenes Leben, fand sie.

    Aber die Zeit verging, und Karstens Auto tauchte nicht auf. Eigentlich hatte er um achtzehn Uhr mit dem Jungen zurück sein sollen, mittlerweile war es aber schon neunzehn Uhr dreißig.

    Kurz nach zwanzig Uhr hielt Anita es nicht mehr aus und rief unter Karstens Telefonnummer an, wo sich Miriam meldete. Sie klang ein wenig unsicher, und Anita wurde misstrauisch.

    „Gibt es da etwas, dass Sie wissen und mir vielleicht sagen sollten?", fragte sie hartnäckig nach, als sie auf ihre Frage nach Karsten nur eine ausweichende Antwort bekommen hatte.

    Miriam zögerte, es kam ihr wie Verrat vor, aber dann erzählte sie Anita doch, dass Karsten eine Reisetasche mit Kleidung mitgenommen hatte.

    Anita erschrak. „Und er ist bis jetzt nicht zurückgekommen und hat sich auch bei Ihnen nicht gemeldet?", fragte sie noch einmal nach.

    Miriam verneinte, und in Anita kroch eisiger Schreck hoch.

    Sie legte mit zitternden Fingern den Hörer auf und erzählte Alexander, was geschehen war. Er nahm sie fest in den Arm.

    „Er hat dem Jungen sicher nichts getan, versuchte er zu trösten. „Nach allem, was du mir erzählst hast, liebt er den Jungen doch.

    „Ja, das tut er, bestätigte Anita. „Aber ich glaube, er hat ihn entführt.

    11

    Die Polizei hatte zunächst versucht abzuwiegeln, Anita sollte noch ein wenig warten, vielleicht würde sich Karsten doch bald melden. Aber sie hatte darauf bestanden, dass die Beamten sofort etwas unternahmen, und Alexander hatte sie unterstützt. Auch er machte sich Sorgen um Michael, den er doch kaum kannte, aber sofort ins Herz geschlossen hatte. Und nun tat es ihm unendlich weh, dass die Mutter des Jungen verzweifelt und den Tränen nah in ein Gespräch mit einer abweisenden und misstrauischen Polizistin verwickelt war. Aber Anita behielt mit bewundernswerter Beherrschung den Kopf oben und die Tränen verborgen.

    Die Polizistin stellte eine Unmenge scheinbar sinnloser Fragen, und ein Kollege hielt alle Antworten schriftlich fest.

    Mittlerweile ging es auf zweiundzwanzig Uhr zu, und zwischenzeitlich waren auch zwei Polizisten auf dem Weg zu Miriam, um auch ihre Aussage zu Protokoll zu nehmen.

    Es sah nun wirklich alles danach aus, als hätte Karsten den Jungen entführt und keineswegs die Absicht ihn wieder zu Hause abzuliefern.

    „Hat Ihr Exgatte schon einmal versucht, den Jungen zu entführen?", fragte die Polizistin jetzt.

    „Nein."

    „Gab es Probleme mit der Besuchsregelung? War Ihrem Mann die Zeit zu wenig?"

    „Nein, bisher nicht. Aber ..." Anita stockte, und Alexander spitzte die Ohren.

    „Jaa?", machte die Polizistin.

    Anita rang ein wenig hilflos die Hände. „Er schien in letzter Zeit erneut Zeichen von Eifersucht zu zeigen. Jedenfalls hat er mich und das Kind beobachtet. Und in der vorigen Woche kam er noch abends spät, klingelte und machte mir Vorhaltungen."

    „Wann war das genau?"

    Anita erzählte es.

    „Und aus welchem Grund?"

    Jetzt fand Anita, dass die Fragerei weit genug ging. Sie hatte sich weder vor ihrem Exmann noch vor der Polizei zu verantworten. Was in ihrem Privatleben vorging, war auch ihre Privatsache.

    „Er hat keinen Grund außer dem, dass er beobachtet hatte, wie wir ausgegangen sind, sagte sie also bestimmt. „Und wenn ich mit jemandem ausgehe, ist das mein Leben und nicht seines.

    Die Polizistin warf einen Seitenblick zu Alexander hinüber. „Ist Ihr Exgatte eifersüchtig auf Herrn Gottlieb?"

    „Es sieht zumindest so aus", meinte Anita spröde.

    „Sind da noch andere Männer in Ihrem Leben?"

    „Ich finde, jetzt gehen Sie entschieden zu weit", fuhr Anita zornig auf, und auch Alexander fand es an der Zeit sich einzumischen.

    „Sie benehmen sich, als wäre Frau Steingruber ein Täter und nicht ein Opfer", warf er dazwischen.

    Die Polizistin musterte ihn kühl. „Sie müssen die Art der Befragung schon mir überlassen. Ich mache so etwas nicht zum ersten Mal."

    „Wenn Sie in dieser Form weitermachen, aber sicher zum letzten Mal, konterte Alexander eiskalt. „Ihre Art der Befragung verdient eine Dienstaufsichtsbeschwerde.

    Noch bevor das Wortgefecht weitergehen und womöglich eskalieren konnte, klingelte plötzlich das Telefon. Für einen Augenblick erstarrten alle Personen wie zur Salzsäule. Als erste regte sich dann die Polizistin und wandte sich an Anita.

    „Schnell, haben Sie einen zweiten Apparat, wo man mithören könnte?"

    Anita nickte und deutete auf das Schlafzimmer, der Mann verschwand, und die Polizistin nickte. „Nehmen Sie das Gespräch an. Vielleicht ist es ja Ihr Exgatte. Es gibt immer noch viele Möglichkeiten, warum er mit dem Kind noch nicht hier ist. Rasch jetzt."

    Das Telefon klingelte mit hartnäckiger Ungeduld immer weiter, und Anitas Finger zitterten, als sie den Hörer jetzt aufnahm. Alexander warf ihr einen beruhigenden Blick zu, und sie tastete nach seiner Hand, bevor sie sich meldete.

    „Anita? Ich bin es, Karsten. Seine Stimme klang wie aus weiter Ferne. „Ich wollte dir nur sagen, dass du nicht darauf warten musst, Michael zurückzubekommen.

    „Wo ist Michael? Geht es ihm gut? Was hast du mit ihm gemacht?" Anitas Stimme überschlug sich fast, und der Griff, mit dem sie Alexanders Hand hielt, war schmerzhaft.

    „Reg dich bloß nicht auf. Uns geht es gut. Aber augenscheinlich hast du jemanden gefunden, den du mehr liebst als Michael. Und das kann und werde ich nicht mit ansehen. Das Kind wird bei mir bleiben."

    „Das kannst du nicht tun. Bring mir Michael zurück!", flehte sie.

    „Du hattest deine Chance, meine liebe Exfrau. Jetzt bleibt er bei mir."

    Abrupt legte er auf, und Anita hielt noch eine Weile den Hörer in der Hand und starrte ihn fassungslos an, als könnte sie nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Dann glitt ihr Blick auf die Polizistin.

    „Das kann er doch nicht tun", flüsterte sie tonlos.

    Alexander schaute sie an und sah den grenzenlosen Schmerz in ihren Augen. Er zog sie an sich.

    „Damit kommt er nicht durch, flüsterte er. „Wir holen dir Michael zurück. Bitte Anita, du musst jetzt stark bleiben. Du wirst Michael nicht helfen, wenn du zusammenbrichst.

    Unmerklich strafften sich ihre Schultern, und die Frau löste sich von Alexander. „Ich breche nicht zusammen, sagte sie mit fester Stimme, und mit einem fast grimmigen Lächeln fügte sie hinzu: „Aber auch mir wird es doch gestattet sein, ein wenig Schwäche zu zeigen.

    Beide Polizisten schienen sich wortlos verständigt zu haben, und der Mann telefonierte mittlerweile schon mit dem Revier.

    Das Verhalten der Frau hatte sich geändert, sie schien jetzt besorgt. „Brauchen Sie einen Arzt, Frau Steingruber?", erkundigte sie sich, aber Anita schüttelte den Kopf.

    „Nein, alles was ich brauche, ist mein Sohn. Bringen Sie ihn mir zurück."

    12

    „Willst du mich nicht nach Hause fahren", erkundigte sich Michael, als es auf den Abend zuging und Karsten keine Anstalten machte zu drehen und nach Mainz zurückzufahren.

    „Ich habe mit deiner Mutter gesprochen, log Karsten, ohne rot zu werden. „Und sie möchte dich gerne ein paar Tage loswerden. Da ist doch dieser neue Mann, du kennst ihn ja, und die beiden ... Er hatte bewusst eine harte Ausdrucksweise gewählt, um dem Kind gleich klarzumachen, dass Anita nichts mehr von ihm wissen wollte.

    Michael starrte seinen Vater ungläubig an. „Das würde Mama nie sagen. Und Alexander ist so nett."

    „Nun, scheinbar findet deine Mutter Alexander so nett, dass sie dich im Augenblick einfach nicht brauchen kann."

    Michael biss sich auf die Lippen. Konnte das denn wahr sein? Das hätte seine Mutter ihm doch sicher gesagt. Aber andererseits hatte sein Vater ihn noch nie belogen.

    „Und wohin fahren wir jetzt? Und was ist mit der Schule?", erkundigte er sich dann kleinlaut.

    „Nun, wir machen eine Art Ferien, außerplanmäßig, sagte Karsten improvisierend. „Wir fahren mal hierhin, mal dorthin.

    Am Abend mietete er ein Zimmer in einer Raststätte, blieb bei Michael, bis er eingeschlafen war, und telefonierte dann mit Anita. Er war sicher, dass niemand das Gespräch würde zurückverfolgen können, weil Anita noch immer denken sollte, dass er sich aus irgendwelchen Gründen verspätet hatte. Dass die Polizei längst alarmiert war und dieses Gespräch mithörte, konnte er nicht wissen.

    Am nächsten Morgen kaufte er für den Jungen ein paar neue Kleidungsstücke, und dann ging es weiter, bis weit hinter München in die Berge hinauf. Michael war ausgesprochen ruhig und kleinlaut, aber er stellte keine Fragen mehr. Sein Vater kam ihm sehr merkwürdig vor, und in seinem Kopf begannen die Gedanken zu rotieren. Das alles verwirrte ihn, und er wusste nicht mehr, was er denken sollte.

    Karsten hatte keine Ahnung, was er seinem Kind antat, und er wäre sehr verwundert gewesen, hätte man ihn jetzt darauf angesprochen. In seinem verwirrten Geist hatte sich der Gedanke festgesetzt, dass er Michael vor Schaden und anderen Männern bewahren musste.

    13

    „Jede Polizeidienststelle im ganzen Land ist alarmiert, alle Grenzbehörden wissen Bescheid, und selbst im Fernsehen ist die Suchmeldung gelaufen. Wir müssen Geduld haben, versuchte der Kommissar der Kriminalpolizei Anita zu beruhigen. „Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Ihr Mann ...

    „Mein Exmann", unterbrach sie ihn hart.

    Kein Lächeln zeigte sich im Gesicht des Beamten. „Also gut, bis Ihr Exmann aufgegriffen wird und Sie Ihr Kind wieder in die Arme schließen können."

    Es war jetzt schon der dritte Tag des Dramas, an dem Anita um ihr Kind bangte, und sie ging mutlos wieder hinaus und fuhr wie in Trance nach Hause.

    Sie hatte sich in diesen Tagen immer enger an Alexander angeschlossen. Der hatte kurzerhand seine Arbeit vernachlässigt, um ständig bei ihr sein zu können und sie in rührender Weise zu umsorgen.

    Anita hatte diese fast unmerkliche Hilfestellung zunächst gar nicht bemerkt, bis ihr dann aber plötzlich doch aufgegangen war, dass sie gar nicht allein war. Sie lehnte sich gern an die starke Schulter des Mannes, der einfach nur da war, ohne Forderungen zu stellen, der sie beschützte und behütete, und zum ersten Mal seit langer Zeit vertraute sie wieder einem Mann.

    Für Alexander hingegen war es ein vollkommen neues Gefühl. Noch niemals hatte er so stark für eine Frau empfunden, oder war bereit gewesen ihren Schmerz und ihr Leid mitzutragen.

    Und auch er bangte um den Jungen, ohne dessen total verrückten Einfall er Anita ja auch nicht gefunden hätte. Auch er wollte Michael zurück haben und wünschte sich, in Zukunft für diese beiden Menschen verantwortlich sein zu dürfen.

    Es war merkwürdig, diese Notlage verband Anita und Alexander mehr als es jede Art des normalen Kennenlernens getan hätte. Es gab keine Schranken zwischen ihnen, und die Masken der Höflichkeit und Zurückhaltung, die sonst zwischen zwei Menschen, die sich nur wenig kannten, vorherrschten, gab es hier nicht. Grenzenlose Offenheit war es, die die beiden verband, und sie verstanden sich blind. Beide erkannten voller Erstaunen, dass sie sich liebten. Es war so, als hätte es immer so sein müssen.

    „Wenn dies hier vorbei ist, Liebste, sagte Alexander am Abend leise zu ihr, „dann nehme ich euch, und wir drei machen einen langen gemütlichen Urlaub. Dort, wo uns niemand kennt und niemand stört.

    „Wenn dies hier vorbei ist, erwiderte sie ebenso leise, „falls dieser Albtraum jemals endet, will ich nichts weiter, als in aller Ruhe von vorn anzufangen.

    Für Anita kam erschwerend hinzu, dass sie Journalistin war und so nun plötzlich zum Objekt ihrer Kollegen wurde. Natürlich hatte ihre Zeitung die Exklusivrechte und wurde ständig auf dem Laufenden gehalten, aber bisher gab es einfach nichts Neues.

    So auch jetzt nicht, als Anita zum wiederholten Male bei der Polizei nachfragte. Es schien, als wäre Karsten mit Michael vom Erdboden verschluckt, aber das konnte doch gar nicht sein, oder? Und Michael würde doch auch nicht einfach länger bei seinem Vater bleiben. Das war so nicht abgemacht. Und bisher hatte Karsten auch nur wenig mit seinem Sohn anfangen können. Anita war es ohnehin unklar, wieso er den Jungen entführt hatte, aber darauf schien Alexander eine Antwort zu wissen.

    „Er will dich treffen, stellte er fest. „Er will dir wehtun, weil er dich nicht mehr haben kann.

    „Er hat lange Zeit die Möglichkeit, gehabt ein erfülltes Leben mit mir zu führen. Doch er hatte es vorgezogen andere Frauen zu suchen und mich und das Kind regelrecht einzusperren. Und irgendwann wollte ich einfach nicht mehr länger mitmachen."

    „Ihm scheint ziemlich spät aufgegangen zu sein, was für eine wundervolle Frau du bist", bemerkte Alexander, erntete aber nur ein hilfloses Lachen von Anita.

    „Ob ich so wundervoll bin, weiß ich nicht, gab sie spröde zurück. „Ich bin im Augenblick nur eine Mutter, die sich Sorgen um ihr Kind macht.

    „Aber du bist nicht allein", meinte Alexander und zog sie eng in die Arme, wie um ihr Kraft zu geben. Und Anita ließ es willig geschehen.

    Da sie es einfach nicht aushielt untätig herumzusitzen, setzte sie sich schließlich an ihren Computer und versuchte einen Artikel zu schreiben, während Alexander in rascher Folge Skizzen und Entwürfe auf einen Block malte. Beiden war die Anspannung der letzten Tage mittlerweile anzusehen, sie hatten dunkle Ringe unter den Augen und wirkten übernächtigt.

    Bei jedem Geräusch horchte Anita auf. War es das Telefon, das klingelte? War jemand an der Haustür? Sie verhedderte sich beim Schreiben hoffnungslos, versuchte den Satz zu lesen, den sie gerade eingetippt hatte, und löschte ihn dann zornig wieder. Das alles machte doch keinen Sinn.

    Aber alles blieb so unglaublich ruhig, dass sich die Nervosität in Anita immer weiter steigerte. Schließlich legte Alexander seinen Skizzenblock weg, stand auf und trat zu ihr. Sanft löste er ihre Hände, die sich ineinander verkrallt hatten, statt weiter auf der Tastatur zu hämmern. Dann drehte er die Frau auf dem Stuhl herum und zog sie an sich, wobei seine rechte Hand den Computer einfach abschaltete.

    „Das hat alles keinen Sinn, Liebste", sagte er weich.

    Und jetzt konnte Anita zum ersten Mal nicht mehr an sich halten, sie brach unvermittelt in Tränen aus.

    „Er wird ihm doch nichts tun, Alexander, nein? Ich meine, Karsten war nie gewalttätig, aber neulich abends hatte ich schon Angst vor ihm. Aber er wird doch seinem eigenen Kind nichts tun." Ihre Stimme war ein einziges Flehen.

    Alexander wusste nicht recht, was er sagen sollte. Im Augenblick lag alles im Bereich des Möglichen, selbst ein Verbrechen. Aber das konnte und wollte er einfach nicht befürchten. So strich er Anita sanft über die Haare und sprach beruhigend auf sie ein.

    „Ganz sicher wird er ihm nichts tun. Du musst keine Angst haben. Und es wird auch bestimmt nicht mehr lange dauern, bis die Polizei ihn fasst. Bald ist Michael wieder hier."

    Es dauerte nicht lange, bis Anita sich wieder zusammenriss. Sie war nicht die Frau für Nervenzusammenbrüche, und sie hasste es, sich nicht richtig unter Kontrolle zu haben.

    „Entschuldige bitte, sagte sie dann beherrscht. „Es ist sonst nicht meine Art in Tränen auszubrechen.

    Er schaute sie ein wenig verständnislos an. „Wenn du nicht weinen darfst, wer dann?", fragte er.

    „Ach, weißt du, es macht wenig Sinn zu weinen, wenn ich nichts damit ändern kann."

    „Aber es erleichtert auch, murmelte er und hielt sie fest, als wollte er sie nie wieder loslassen. „Ich wünschte nur, ich könnte dir helfen.

    In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Es schrillte so unwirklich und unerwartet durch die Stille, dass beide zunächst gar nicht begriffen, was da vorging. Dann aber stürmte Anita zum Gerät und hielt den Hörer fast atemlos an den Kopf.

    „Ja?, sagte sie erstickt und lauschte dann eine Weile. Dann hielt sie den Hörer für einen Augenblick in der Hand, bevor sie ihn sachte auflegte. Langsam drehte sie sich um zu Alexander. „Man hat sie gefunden, sagte sie. Und dann wurde ihre Stimme lauter, bis es zu einem Jubeln klang. „Alexander, man hat sie gefunden. Michael ist wieder da!"

    Sie flog in seine Arme und ließ sich küssen wie eine Ertrinkende, bis sie sich wieder von ihm löste.

    „Und nun schnell, lass uns den Jungen abholen!"

    14

    Die Polizei hatte Karsten Steingruber bereits erkennungsdienstlich behandelt und anschließend in das Untersuchungsgefängnis eingeliefert. Er hatte den dringenden Wunsch hinterlassen, mit Anita zu reden, doch sie lehnte jeden Kontakt vehement ab. Stattdessen schloss sie ihren Sohn Michael in die Arme und lachte und weinte gleichzeitig.

    Eine Psychologin vom Jugendamt hatte sich eingefunden und bereits mit dem Jungen gesprochen, war jedoch der Meinung gewesen, dass das Kind bedenkenlos nach Hause mitgenommen werden könnte. Es lagen keine offensichtlichen psychischen Schäden vor, und körperlich hatte Karsten seinen Sohn auch gut behandelt. Michael war nur verstört und geschockt und ein wenig übermüdet. Er hatte seine gewohnte Umgebung und sein Bett vermisst, und natürlich war ihm auch die Anspannung der letzten Tage bei Karsten nicht entgangen, der immer nervöser geworden war, je länger diese Entführung dauerte. Dazu kam natürlich der Einfluss der Worte des Mannes auf den Jungen, der jetzt gar nicht mehr wusste, was er noch denken sollte, und der Schrecken über die Verhaftung seines Vaters. Das alles war nicht unberührt an dem Jungen vorbeigegangen. Doch die Psychologin hielt es für das beste, wenn Michael in der Obhut seiner Mutter war, dort würde er sich am schnellsten wieder fangen.

    Schließlich hatte eine ganz normale Verkehrskontrolle dazu geführt, dass man Karsten aufgegriffen hatte, und Michael hatte verständnislos und ängstlich die Verhaftung seines Vaters mit ansehen müssen.

    Er wollte jetzt nichts weiter als mit seiner Mutter nach Hause zurückkehren.

    Mit Erstaunen hatte er bemerkt, dass Anita von Alexander begleitet wurde, der den Jungen allerdings nicht in die Arme nahm. Dazu kannten die beiden sich noch zu wenig, hatte Alexander gefunden, und so hatte er dem Kind nur mannhaft die Hand gereicht.

    Michael begann zu überlegen. Sollte an den Worten seines Vaters etwas wahr gewesen sein? Seine Mutter und dieser Mann benahmen sich nicht so wie Fremde, sondern eher wie Vertraute. War er es doch, der störte? Als er dann auch noch sah, wie die beiden sich einen flüchtigen Kuss gaben, war das Kind überzeugt davon, dass sein Vater mit jedem Wort, das er ihm in den letzten langen drei Tagen gesagt hatte, die Wahrheit ausgesprochen hatte.

    Trotzig wischte er sich die Tränen ab, die ihm trotz seiner überkindlichen Beherrschung gekommen waren, ließ sich von seiner Mutter fest in die Arme nehmen und wurde von Alexander nach Hause gefahren.

    15

    Die nächsten zwei Tage behielt Anita Michael zu Hause und schickte ihn noch nicht wieder zur Schule, er sollte erst einmal ein wenig zur Ruhe kommen. Stattdessen unternahmen sie mit Alexander zusammen Ausflüge in die Umgebung, und beide Erwachsenen versuchten den Jungen von seinem Leid und Schock abzulenken.

    Er weigerte sich aber beharrlich, auch nur ein Wort darüber zu verlieren, was zwischen Karsten und ihm gewesen war. Widerwillig nur befolgte er die Anweisungen seiner Mutter und wurde zu Alexander regelrecht abweisend. Doch der brachte eine Engelsgeduld auf, wie er sie selbst niemals für möglich gehalten hätte. Michael war das Kind der geliebten Frau, und deshalb behandelte er den Jungen wie sein eigen Fleisch und Blut. Daher ließ er es sich auch nicht anmerken, wie sehr er sich Sorgen um den Jungen und damit auch um Anita machte. Sie litt noch immer sehr unter den Vorfällen, schlief unruhig und war ein wenig nervös geworden.

    Aber im Grunde waren alle drei froh, dass am dritten Tag wieder das ganz normale Leben losging. Michael musste zur Schule, Alexander ging in sein Büro, und Anita fuhr erst einmal zur Redaktion ihrer Zeitung. Das Leben nahm scheinbar wieder einen normalen Verlauf.

    Karsten war unter strengen Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen worden und hütete sich, auch nur in die Nähe von Anitas Wohnung zu kommen, verkroch sich stattdessen bei Miriam, die bei all ihrer Liebe auch noch eine unendliche Geduld aufbrachte und ihm verzieh und behutsam ins Gewissen redete, so dass er sich plötzlich schämte, wie noch nie in seinem Leben. Verzweifelt fragte er sich plötzlich, was er seinem Kind angetan hatte, und wie er nur selbst auf diese verrückte Idee hatte kommen können. Doch es war zu spät für Reue, nichts ließ sich ungeschehen machen, auch nicht die Worte, die er Michael gegenüber benutzt hatte und die sich tief in die verletzliche Seele des Kindes eingebrannt hatten.

    16

    „Michael, willst du wohl aufhören? Lass ihn sofort los. Na, macht schon, auseinander, ihr zwei!"

    Frau Kersting, die resolute Klassenlehrerin Michaels zerrte die beiden Jungen auseinander. Zum vierten Mal in dieser Woche hatte Michael ohne Grund eine Schlägerei provoziert. Er war generell der Unterlegene und hatte absolut keine Chance zu gewinnen. Doch seit seiner Entführung durch den eigenen Vater hatte das Kind sich dramatisch verändert. Seine schulischen Leistungen, die sonst immer auf dem oberen Niveau gewesen waren, hatten rapide nachgelassen, im Unterricht war er unkonzentriert und unvorbereitet, wusste keine Antworten zu geben und beteiligte sich auch gar nicht mehr.

    Und dann diese ungeheure Aggressivität. Frau Kersting verstand den Jungen, zumindest zeitweise, aber niemand kam mehr an ihn heran und vermochte ein vernünftiges Gespräch mit ihm zu führen.

    Auch jetzt hatte er den anderen Jungen so lange provoziert, bis es zu einer Schlägerei gekommen war. Und nun stand er da, aus der Nase blutend, mit zerbissenen Lippen und einem trotzigen Ausdruck in den Augen.

    Frau Kerstings Gesicht wurde weich. Es war einfach zu viel, was dieses Kind im Augenblick zu verkraften hatte, aber sie konnte es auch nicht zulassen, dass er seine Aggressionen und Ängste an den anderen Schülern ausließ.

    Sie überzeugte sich davon, dass das andere Kind nicht verletzt war, dann zog sie Michael mit sich.

    „Dir ist klar, dass ich jetzt deine Mutter anrufen muss?", sagte sie gespielt streng.

    „Mir doch egal", war die trotzige Antwort.

    Frau Kersting seufzte tief und telefonierte, und wenig später tauchte Anita auf. Mittlerweile hatte die Lehrerin das Gesicht von Michael gesäubert, aber die Schramme an der Stirn und die geschwollene Nase hatte sie natürlich nicht beseitigen können.

    Anita erschrak, fasste sich aber schnell wieder. Sie hieß Michael sich in das Büro der Sekretärin zu setzen und ging mit Frau Kersting, die auch die Rektorin der Schule war, in deren Büro.

    „So kann es nicht weitergehen, Frau Steingruber, begann die Lehrerin behutsam. „Michael ist total verstört, unkonzentriert und folgt dem Unterricht längst nicht mehr. Er scheint im Augenblick die ganze Welt zu hassen. Aber ich kann es ihm auf keinen Fall durchgehen lassen, dass er andere Schüler in Schlägereien verwickelt. Das war jetzt das vierte Mal in dieser Woche.

    Anita sah eindeutig schuldbewusst aus, wusste aber dennoch nicht, was sie tun sollte.

    „Dann wollen Sie ihm jetzt also auch noch Strafarbeiten aufgeben?", fragte Anita bitter.

    „Es tut mir leid, Frau Steingruber. Aber die Disziplin der Schule verlangt ..."

    „Ja, ist schon gut, ich verstehe. Tun Sie also, was Sie nicht lassen können."

    „Frau Steingruber, bitte, bat die Lehrerin. „Wollen Sie es nicht einmal mit einem guten Psychiater für Michael versuchen? Dieser Zustand schadet Michael, und er schadet auch Ihnen. Glauben Sie mir, ich will Ihnen nichts Böses, im Gegenteil, ich möchte Ihnen so gerne helfen, und auch dem Kind. Ich mag Michael.

    Anita musste mit zusammengebissenen Zähnen einsehen, dass die Frau irgendwo recht hatte. Dennoch weigerte sie sich beharrlich einen Psychiater hinzuzuziehen.

    „Der Junge hat nichts, was ich mit viel Liebe nicht wieder in Ordnung bringen kann, blieb sie steif und fest bei ihrer Meinung. „Ich werde mir ganz einfach noch mehr Zeit für ihn nehmen.

    Die Lehrerin schüttelte traurig den Kopf. Sie sah klar voraus, dass Anita auf diese Art scheitern würde. Und es tat ihr furchtbar leid um Michael, der darunter leiden musste.

    Sie verabschiedete Anita, nicht ohne Michael noch einiges an Strafarbeiten aufzugeben, was er ungerührt hinnahm, dann griff sie zum Telefon und rief einen Freund an, den sie dringend um Hilfe bat.

    17

    Alexander Gottlieb schaute erstaunt auf, als der Besucher hereinkam. Er war unangemeldet gekommen, hatte aber darauf bestanden, ihn sofort zu sprechen, es ginge um eine dringende persönliche Angelegenheit. Nun, es gab nicht viel Privatleben, das Alexander hatte, und so war seine erste Vermutung gleich gewesen, dass es um Anita ging.

    Der Besucher reichte Alexander seine Karte und stellte sich dann vor.

    „Doktor Jakob Beerlander."

    Alexander schaute auf die Karte und runzelte die Stirn. „Psychiater? Ich wüsste beim besten Willen nicht, was ich mit einem Psychiater zu tun hätte."

    Ein gewinnendes Lächeln zeigte sich in den sympathischen Zügen des Mannes. „Die ganze Sache ist ein bisschen kompliziert. Aber wie Sie vielleicht schon vermuten, geht es um Michael Steingruber, den Sie sicherlich kennen."

    Alexander nickte bestätigend.

    „Seine Lehrerin, Frau Kersting hat mich heute angerufen, wir sind befreundet. Und sie macht sich große Sorgen um den Jungen, wie auch um seine Mutter. Aber bisher ist sie mit ihrem Vorschlag, einen Psychiater hinzuzuziehen, auf taube Ohren gestoßen."

    „Und warum erzählen Sie mir das?", fragte Gottlieb.

    „Weil ich schlecht bei Frau Steingruber direkt an der Tür klingeln kann. Sie würde mich wahrscheinlich im hohen Bogen hinauswerfen", grinste der Mann.

    „Und da hätte sie nicht einmal so unrecht, lächelte Alexander spöttisch. „Auch ich halte nicht viel von Psychiatern.

    „Nun gut, es gibt aber eine Menge Leute, die meine Daseinsberechtigung nicht anzweifeln."

    „Verzeihen Sie, so war das natürlich nicht gemeint", verhaspelte sich Alexander plötzlich, als ihm aufging, welche Beleidigung er gerade ausgesprochen hatte.

    „Schon gut, ich verstehe Sie, kam die kühle, beherrschte Antwort. „Mein Berufsstand scheint für viele Leute eine Art Schreckgespenst zu sein. Aber lassen Sie uns beim Thema bleiben. Nach allem, was Frau Kersting mir erzählt hat, bin ich ebenfalls der Meinung, dass der Junge dringend professionelle Hilfe braucht. Und nicht nur er, vielleicht auch die Mutter. Ich wünsche mir, dass Sie mir helfen.

    „Ich?", kam die entgeisterte Frage.

    „Wenn nicht Sie, wer sonst? Oder liegt Ihnen nichts an den beiden?"

    Alexander ließ seinen Stift fallen, stand auf und begann unruhig im Raum auf und ab zu gehen, aufmerksam beobachtet von dem Psychiater, der augenblicklich erkannte, dass er den Finger in eine offene Wunde gelegt hatte. Aber er ließ Alexander Zeit zum Überlegen, drängte sich nicht auf und behielt ganz einfach die Ruhe.

    Schließlich hatte der Architekt eine Entscheidung gefällt.

    „Ich fürchte, Sie haben ganz Recht, Dr. Beerlander. Aber ich sehe beim besten Willen keine Möglichkeit, wie ich Ihnen helfen sollte. Ich kann schließlich auch nicht zu Anita hingehen und sagen, du musst jetzt Hilfe annehmen. Sie würde zu Recht unwillig reagieren und wahrscheinlich käme es dann sogar zu einer Trotzreaktion."

    „Sie scheinen mir auch ein recht brauchbarer Psychologe zu sein, sagte Beerlander. „Sie sehen die Reaktion sehr klar voraus. Aber ich habe mir über diesen Punkt schon Gedanken gemacht.

    Alexander fühlte sich überrumpelt. „Das geht mir alles ein wenig zu schnell", meinte er abweisend.

    Der Arzt sah ihn aufmerksam an. „Wollen Sie wirklich, dass Michael noch länger unter diesem Trauma leidet? Oder ist es Ihnen nicht lieber, wenn er zur Normalität zurückkehrt?"

    „Was bezeichnen Sie als normal, Doktor? Michael ist wie ein wunderschöner Kristall, ein Juwel, das jetzt in tausend einzelnen Stücken am Boden zerstört daliegt. Wollen Sie das Ganze wieder zusammenpuzzeln? Oder pressen Sie es einfach in eine Form und fabrizieren ein funktionierendes Kind, das Sie dann als normal bezeichnen können? Was ist Normalität?"

    „Das sind sehr harte Worte, die Sie da benutzen. Und ich kann Ihnen natürlich nichts versprechen, auch ich bin nur ein Mensch. Aber diesen Kristall in tausend Fragmenten, wie Sie es so treffend nannten, ist es das, was Sie wollen?"

    „Nein, natürlich nicht!, sagte Alexander hart und schlug mit der Faust auf den Tisch vor Hilflosigkeit. „Ich liebe seine Mutter Anita, und ich liebe auch diesen Jungen. Er ist mir ans Herz gewachsen, als wäre er mein eigener. Ich habe um ihn gezittert und gebangt. Und ich muss jetzt hilflos zusehen, wie er vor meinen Augen immer mehr verfällt.

    „Dann helfen Sie ihm, sagte Beerlander eindringlich. „Helfen Sie mir und Michael. Und damit auch seiner Mutter und sich selbst.

    „Und wie soll ich das tun?, fragte Alexander brüchig. „Ach ja, richtig, Sie hatten schon darüber nachgedacht. Leiser Spott klang in den bitteren Worten auf, was der Arzt anerkennend registrierte. Dies hier war ein starker Mann, der würde sich so leicht nicht unterkriegen lassen. Und deshalb würde er der beste Bundesgenosse sein, den der Arzt sich

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