Die Blutmoneten: Jack-Reilly-Krimi
Von Martin Barkawitz
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Über dieses E-Book
Als nach dem Crash der New Yorker Börse an der Wall Street eine Selbstmordwelle entsteht, gehört auch Jeremias Finn zu den Opfern. Doch seine Tochter Cherry glaubt, dass jemand beim Freitod ihres Vaters nachgeholfen hat. Sie beauftragt Privatdetektiv Jack Reilly, den Fall zu lösen. Bekanntlich konnte Reilly dem Charme einer schönen Frau noch nie widerstehen, und so stürzen er und seine pfiffige Sekretärin Lucy sich mit Feuereifer in die Ermittlungen, während Amerika Richtung Abgrund taumelt ...
Alle Jack Reilly Krimis können unabhängig voneinander gelesen werden.
Der Autor
Martin Barkawitz schreibt seit 1997 unter verschiedenen Pseudonymen überwiegend in den Genres Krimi, Thriller, Romantik, Horror, Western und Steam Punk. Er gehört u.a. zum Jerry Cotton Team. Von ihm sind über dreihundert Heftromane, Taschenbücher und E-Books erschienen.
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- Inkasso Geier
- Mörder Mama
- Hafensklavin
- Teufelsbrück Tod
Ein Fall für Jack Reilly
- Das Tangoluder
- Der gekreuzigte Russe
- Der Hindenburg Passagier
- Die Brooklyn Bleinacht
- Die Blutstraße
- Der Strumpfmörder
- Die Blutmoneten
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Buchvorschau
Die Blutmoneten - Martin Barkawitz
1
Die Lexington Avenue war der Vorhof zur Hölle.
Okay, hier sprangen keine roten Teufel mit Dreizacken herum, und auch den Schwefelgestank suchte man vergebens. Stattdessen roch es nach Benzin, nach Zigarren – und nach Verzweiflung. Tausende von armen Sündern drängten sich vor dem imposanten Gebäude der East Coast Savings Bank. Einige von ihnen rüttelten an den herabgelassenen Eisengittern vor dem Eingang, als ob sich dahinter das Paradies befände.
Einige berittene Cops trieben ihre Gäule in die Menschenmenge und verteilten großzügig Kopfnüsse. Doch sie wurden mit dem Mob nicht fertig. Seit am vergangenen Donnerstag die Börsenkurse ins Bodenlose gefallen waren, hatten scheinbar neunzig Prozent der New Yorker den Verstand verloren.
»Gebt mir mein Geld!«, schrie ein hünenhafter Kerl in Werftarbeitermontur und andere Männer stimmten in den Ruf mit ein. Steine flogen, ein paar Fensterscheiben gingen zu Bruch. Und ich suchte weiterhin fieberhaft nach Lucy.
Meine Sekretärin hatte mich gebeten, sie zu begleiten. Auch meine Vorzimmerperle wollte nämlich ihr Erspartes abheben. Aber da zeitgleich mit ihr die meisten Bewohner des Big Apple auf diese geniale Idee gekommen waren, ging den Banken die Puste aus. Die Regierung versorgte die Bevölkerung per Rundfunk mit Durchhalteparolen, doch davon bekamen die frischgebackenen Arbeitslosen ihre Familien nicht satt.
Die Leute standen so dicht an dicht, dass ich kaum noch Luft bekam und mich mit dem Strom aus Leibern treiben lassen musste. Endlich gelang es mir, etwas Platz zu bekommen und einen langen Hals zu machen. Ich hoffte wirklich darauf, dass Lucys Dauerwelle nicht mit einem Gummiknüppelschlag ruiniert würde. Denn es war ihr zuzutrauen, dass sie sich bis ganz zum Absperrgitter vorgekämpft hatte.
Da ich selbst mein Geld stets für Zigaretten, Benzin und Schmuggel-Whisky ausgab, musste ich mir nicht den Kopf über den Verlust meines Ersparten zerbrechen. Was nicht vorhanden ist, kann auch nicht verschwinden. Mit ein paar kräftigen Ellenbogenstößen bewegte ich mich nach links. Durch die nachrückenden Kleinsparer wurde ich gegen einen geparkten Ford Model T gedrückt. Wenig später erblickte ich den rostfarbenen Mantel, der die dralle Figur meiner blonden Sekretärin umhüllte.
»Lucy!«
Sie drehte den Kopf in meine Richtung, als sie meinen Ruf hörte. Ihr Make-up war verschmiert, das kesse Filzhütchen saß reichlich schief auf ihrer Frisur, aber ansonsten schien ihr nichts zu fehlen. Meine Sekretärin kann sich durchaus selbst verteidigen, sie trägt nicht umsonst stets in ihrer Handtasche ein Hufeisen spazieren. Doch momentan waren ihr buchstäblich die Hände gebunden, weil sie – eingequetscht wie eine Ölsardine in der Dose – mit ihrer Tasche einfach nicht ausholen konnte. Ich machte ein paar Schwimmbewegungen durch das Menschenmeer und schaffte es, ihre Hand zu nehmen.
»Bring mich hier raus, Chef«, bat sie mit brüchiger Stimme. Ihre Augen schimmerten feucht. Üblicherweise hat meine resolute Schreibmaschinenbändigerin nicht so nah am Wasser gebaut. Doch was war in diesem verrückten Oktober 1929 schon normal? Wenn ich Ersparnisse gehabt hätte, würde mich ihr Verlust auch nicht kalt lassen. Außerdem verstand niemand wirklich, was sich gerade an den Börsen abspielte. Noch nicht einmal die Eierköpfe von den Universitäten fanden befriedigende Antworten. Immerhin gelang es ihnen, ihre Ohnmacht hinter ganzen Batterien von Fremdwörtern zu verstecken.
Das Land ging pleite, doch das war mir in diesem Moment egal. Ich konzentrierte mich lieber darauf, Lucy in Sicherheit zu bringen. Wir mussten uns jetzt gegen die nachdrängenden Menschen stemmen, denn aus den Nebenstraßen strömten weiterhin Hunderte auf das Bankgebäude zu. Die Schreie der Empörten, die Trillerpfeifen der Cops, das Wiehern und Hufgetrappel der Polizeipferde – meine Trommelfelle brummten ganz gewaltig, Freunde. Und ich war sicher, dass sowohl Lucy als auch ich am nächsten Morgen durch zahlreiche blaue Flecken an diesen Besuch der Lexington Avenue erinnert würden. Aber irgendwann ließen wir die Menge hinter uns und flüchteten in meinen Plymouth, den ich vor der St. John Baptist Church geparkt hatte. Hier herrschte kein Andrang. Die New Yorker suchten in der Krise offenbar mehr nach Bargeld als nach göttlichem Beistand.
Ich ließ den Motor an und wir fuhren zu meinem Büro. Lucy kann nieihre Klappe halten, wenn es darauf ankommt. Dass sie jetzt so schweigsam war, nahm ich als ein Alarmzeichen. Als wir unser Fahrtziel erreicht hatten, holte ich als Allererstes meinen Schmuggelwhisky aus dem Versteck und füllte eine Kaffeetasse zur Hälfte damit.
»Trink, Lucy. Das ist eine dienstliche Anweisung!«
Sie verzog ihre anbetungswürdigen roten Lippen zu einem traurigen Lächeln und kippte sich die illegale Spirituose hinter die Binde. Das tat sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie kann einiges vertragen.
»Tja, meine Aktien werden jetzt wohl futsch sein«, stellte sie mit schwerer Zunge fest. »Aber warum soll es mir besser gehen als den meisten Amerikanern?«
»Ich hab keine Aktien.«
»Ich jetzt auch nicht mehr«, erwiderte meine Sekretärin und lachte ohne Humor. Während der letzten Jahre war der Kauf von Wertpapieren groß in Mode gekommen. Wenn man den Zeitungen glauben durfte, spekulierten jetzt sogar Klomänner und Putzfrauen an der Börse. Die Aussicht auf schnellen Reichtum hatte ganz Amerika infiziert. Wer kein Geld für Aktien hatte, nahm einen Kredit auf. Und in diesem Oktober 1929 folgte das böse Erwachen, wie ein Kater nach einer durchsoffenen Nacht.
Lucy saß auf ihrem Bürostuhl im Vorzimmer meines Detektivbüros. Ich hatte meinen Allerwertesten auf ihrer Schreibtischkante geparkt. Plötzlich wurde die Tür geöffnet, auf der in goldfarbenen Lettern die Worte JACK REILLY PRIVATERMITTLUNGEN prangten. Eine äußerst attraktive junge Lady betrat den Raum, als ob sie auf eine Bühne kommen würde.
Meine Sekretärin schaute sie an – und verlor das Bewusstsein!
2
Ich bin ziemlich reaktionsschnell. Es gelang mir, meine Sekretärin zu halten, bevor sie von dem Stuhl zu Boden glitt. Sie war totenbleich, ihr Kopf kippte nach hinten. Während ich die Schublade aufzog und nach dem Riechsalz tastete, warf ich einen Seitenblick auf die Unbekannte.
Zugegeben, die Schöne war ein echter Hingucker. In dem taubengrauen Reisekostüm machte sie eine gute Figur, und mit dem Pelzmantel war sie für einen New Yorker Herbst wahrscheinlich zu warm angezogen. Andererseits: Wer trägt einen Zobel, weil er friert? Man wirft sich in eine solche Edelmontur, weil man mit dem eigenen Kontostand angeben will. Oder es soll zumindest der Eindruck entstehen, dass der Träger oder die Trägerin eines solchen Angeber-Outfits zu den oberen Zehntausend gehört.
»Das kommt gelegentlich mal vor«, sagte die Fremde. Ihr Gesichtsausdruck war so unbewegt, als ob sie am Pokertisch sitzen würde.
»Na, da bin ich aber beruhigt!«, gab ich gereizt zurück, während ich das Riechsalz unter Lucys süßes Näschen hielt und mit der anderen Hand vorsichtig ihre Wange tätschelte. Am liebsten hätte ich das Pelzflittchen eigenhändig rausgekantet, doch sie war eine mögliche Klientin. Lucy und ich konnten einen lukrativen Auftrag dringend gebrauchen.
Jetzt mehr als jemals zuvor.
Es dauerte nicht lange, bis meine Sekretärin die Augen öffnete. Sie war nur kurz weggetreten gewesen. Wann war sie jemals aus den Latschen gekippt? Das passierte nur alle Jubeljahre, obwohl wir gemeinsam schon ein paar echt haarsträubende Fälle gelöst haben.
»Bist du okay?«, fragte ich besorgt. »Was machst du denn für Sachen?«
Lucy deutete mit zitterndem Zeigefinger auf die Besucherin.
»Ich war einfach geplättet, als völlig unverhofft Cherry Finn in unser Büro geschneit kam, Chef!«
»Wer?«
Dieses kurze Wort reichte aus, um beide Damen gleichermaßen gegen mich aufzubringen. Meine Vorzimmerqueen und diese Cherry Finn schauten mich an, als ob ich einem hungernden Waisenkind das Erdnussbuttersandwich geklaut hätte.
»Du kennst Cherry Finn nicht?», hakte Lucy empört nach. »Lebst du hinter dem Mond, Chef? Sie hat in Sklavin des Scheichs die Hauptrolle gespielt! Und in Montana-Mädchen in New York, Admiral Nelsons englische Rose, Niagara-Verlobung, Braut des Texas Rangers … «
»Ein Filmstar,