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Die Degendame: Historischer Roman
Die Degendame: Historischer Roman
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eBook354 Seiten4 Stunden

Die Degendame: Historischer Roman

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Über dieses E-Book

Liebe, Lust und scharfe Klingen -das wilde Leben der Julie d'Aubigny

Paris, 1698: Eine bildschöne junge Frau wirbelt mit ihrem Degen und ihrem überschäumenden Temperament die französische Hauptstadt durcheinander. Julie d'Aubigny wird geliebt und gefürchtet zugleich, ein Star auf der Opernbühne und eine Killerin auf der Fechtbahn. Männer und Frauen liegen ihr zu Füßen, sie steht im Mittelpunkt von teuflischen Intrigen, und selbst der Hochadel wird bei ihr schwach.

Mätresse, Kämpferin, Gattin, Künstlerin, Medium unsichtbarer Mächte - Julie d´Aubigny wird wohl immer eine rätselhafte Frau bleiben. Unstillbare Liebessehnsucht und halsbrecherischer Abenteuerdrang prägten ihr Leben, das widersprüchlich und extrem, aber niemals langweilig war.

Die Autorin

Tina Berg ist das Pseudonym einer Autorin, die sich gleichermaßen für Romantik und Spannung begeistern kann. Sie reist gern, ihre Lieblingsstädte sind Venedig, Paris und Lissabon.

Von derselben Autorin:

  • Verloren in Venedig
  • Die Teufelsnonne
SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum10. Aug. 2018
ISBN9783739669335
Die Degendame: Historischer Roman

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    Buchvorschau

    Die Degendame - Tina Berg

    Vorbemerkung

    „Die Degendame" Julie d'Aubigny hat wirklich gelebt, und zwar von 1673–1705 in Frankreich. Während über das Leben dieser Abenteuerin am Hof des Sonnenkönigs zahlreiche Anekdoten überliefert sind, bleiben die Umstände ihres Todes unklar. Julie d'Aubigny – auch bekannt als Madame Maupin - war schon zu Lebzeiten eine Legende. Dieses Buch ist ein Roman; ich habe versucht, möglichst viele gesicherte Episoden aus ihrem Leben in die Geschichte einzuweben. Der Rest ist dichterische Freiheit.

    Tina Berg

    1. Kapitel

    En garde!"

    Julie d'Aubigny gehorchte sofort. Ihr junger Körper spannte sich, und sie brachte den Degen in Position. Sie liebte diese Fechtwaffe, die sie von ihrem Vater zum fünfzehnten Geburtstag bekommen hatte. Normalerweise erhielt Julie von ihm nur saftige Ohrfeigen. Aber Gaston d'Aubigny war stolz auf den Waffeninstinkt seiner Tochter. Deshalb erhielt sie in diesem Moment auch Unterricht von dem hochklassigen Maître Jean Rousseau.

    Der Fechtmeister stand Julie im Staub hinter den Stallungen von Versailles gegenüber. Ein ganzes Heer von Bediensteten und Hofschranzen war in dem Märchenschloss und den Nebengebäuden um das Wohlergehen des Herrschers besorgt, der nur als Sonnenkönig bezeichnet wurde. Auch Julie lebte hier, wenngleich sie nicht ganz verstand, inwieweit sie dem König dienen sollte. Vielleicht, indem sie einfach nur gehorchte.

    Aber das fiel ihr nicht leicht, trotz der zahlreichen Maulschellen ihres Vaters.

    „Einfache Finte, Stoß auf den Arm!"

    Julie startete einen Scheinangriff, umging mit ihrer Klinge den Degen des Meisters und bohrte die Spitze ihrer Waffe in seinen dick gepolsterten Lektionierärmel. Bei einem hochkarätigen Maître wie Rousseau fiel es ihr seltsamerweise nicht schwer, die Befehle auszuführen. Er half ihr dabei, eine noch bessere Fechterin zu werden.

    Ihr Vater hingegen kommandierte sie meist nur aus purer Willkür herum. Jedenfalls hatte Julie noch nicht verstanden, weshalb sie mit den anderen Pagen keine Freundschaft schließen durfte.

    „Doppelfinte, Stoß auf den Arm, mit Ausfall!"

    Julies perfekt gedrillter Leib führte die Bewegungen mit Eleganz und Grazie aus. Aber ihr Kopf war immer noch mit ihrem Papa beschäftigt. Oft verstand sie ihn wirklich nicht. Einerseits bildete Gaston d'Aubigny sie gemeinsam mit den anderen Pagen des Hofstaates aus, weshalb sie auch die Fechtkunst erlernen durfte. Andererseits verbot er ihr strikt, sich mit den Jungen abzugeben.

    Ob es daran lag, dass sie ein Mädchen war?

    Aber daran trug sie doch keine Schuld! Weshalb bestrafte Papa sie dafür?

    „Doppelcavationsfinte!"

    Rousseau bewegte sich rückwärts zwischen den dampfenden Pferdekörpern und den abgestellten Karossen vor der Remise, Julie folgte ihm und stieß immer wieder auf seinen Ärmel. Durch die Fechtmaske konnte sie unmöglich seinen Gesichtsausdruck erkennen. War der Maître zufrieden? Zeigte er schon erste Anzeichen von Ungeduld? Weshalb unterrichtete er sie überhaupt? Aus Mitleid?

    Nein, für solche Gefühle hatte ein Mann wie Rousseau keine Zeit. Julie wusste, dass er normalerweise nur den Söhnen des Hochadels die Fechtkunst beibrachte. Warum gab er sich jetzt mit der Tochter eines einfachen Sekretärs ab, der in der Hackordnung des Königshofes ziemlich weit unten stand? Julie mochte jung sein, aber naiv war sie deshalb noch lange nicht.

    „Doppelfilofinte und Umgehung!"

    Die Lösung fiel ihr ein, als sie die nächste Fechtaktion durchführte.

    Rousseau musste gegen ihren Papa beim Kartenspiel verloren haben! Und er beglich seine Schulden, indem er Gaston d'Aubignys Tochter mit den Geheimnissen der Fechtkunst vertraut machte.

    „Was ist so komisch, d'Aubigny?"

    Der Maître redete sie mit ihrem Nachnamen an, was Julie seltsam fand.

    „N-nichts, Herr."

    „Ich merke schon die ganze Zeit, dass du nicht mit dem Herzen dabei bist. Gewiss, du kennst die Fechtaktionen und tust, was man dir sagt. Aber dabei bist du mechanisch, wie eine Puppe. Ich werde deinem Vater vorschlagen, dass er den Fechtunterricht für dich absagt. Du wirst mit einem Spinnrad gewiss mehr Vergnügen haben als mit einer Degenklinge."

    „Bitte tun Sie das nicht, Herr! Ich will mich mehr anstrengen, ich werde alles tun. Aber nehmen Sie mir nicht das Fechten weg!"

    Rousseau nahm die Maske ab. Julie blickte nun in ein verwittertes Altmännergesicht. Jede Falte stand für eine schlechte Erfahrung, jede Narbe für eine überstandene Schlacht, jede Runzel für eine erlittene Demütigung. Der Maître schüttelte langsam den Kopf.

    „Du bist ein Naturtalent, d'Aubigny. Es wäre sündhaft, dich nicht weiterzuschulen. Aber du musst lernen, dich zu beherrschen. Das Leben wird dich manchmal hart anfassen. Wenn du dann die Kontrolle über dich und über deine Waffe verlierst, dann rennst du direkt in dein Unglück."

    Julie nickte, sie presste die Lippen aufeinander.

    Zum Glück machte Rousseau seine Drohung nicht wahr. Er setzte die Lektion fort, und Julie konzentrierte sich nun ganz auf das Fechten. Jeden Gedanken an ihren Vater, die jungen Pagen oder andere Themen blendete sie aus. So ging es eine Viertelstunde lang, bevor sie erneut abgelenkt wurde.

    Diesmal waren es klatschende Geräusche und lautes Wehklagen, die aus dem Dunkel der halb offenen Ställe drangen. Julie und der Maître übten inmitten von Gespannpferden und fluchenden Handwerkern, die in ihren Werkstätten defekte Karossen wieder in Ordnung brachten. Die Hintergrundgeräusche durch wiehernde Pferde und schimpfende Menschen hatten sie nicht beirren können. Aber jetzt war es anders. Denn Julie ahnte, dass ihr Vater die Ursache für den Trubel in den Stallungen war.

    Gleich darauf wurde aus der Vorahnung Gewissheit.

    Ein Page kam durch das Tor nach draußen gestolpert. Julie erkannte in ihm sofort den blonden Henri, obwohl sein Gesicht blutverschmiert war. Sein Blick war der eines gehetzten Tieres, das sich in Todesgefahr befindet. Gleich darauf kam ein Koloss hinter Henri hergestampft, einen Holzprügel in der mächtigen rechten Faust.

    Dieser Wüterich war ihr Papa.

    Gaston d'Aubigny schlug erneut zu. Offenbar hatte er Henri schon einige Zeit lang malträtiert. Diesmal wurde der Junge am linken Rippenbogen getroffen. Seine Beine knickten weg, und er landete jammernd im Staub zu Julies Füßen. Ihr Vater baute sich drohend über Henri auf.

    „Wenn du es noch einmal wagst, meine Tochter so lüstern anzuglotzen, dann bist du tot!"

    „J-jawohl, Herr!, plärrte Henri mit seiner hellen Stimme. „Es wird nicht wieder vorkommen!

    Der blutende Page tat Julie leid. Dennoch wagte sie es nicht, für ihn Partei zu ergreifen. Am Ende würde ihr Papa noch denken, dass sie romantische Gefühle für ihn hegte. Und das war ganz gewiss nicht der Fall. Julie war auch nicht sicher, ob Henri sich überhaupt für sie interessierte. Er kam ihr noch recht kindlich vor. Sie fühlte sich viel erwachsener als dieser blonde Unglücksrabe, der jetzt so elend aus der Nase blutete. Wie auch immer, Gaston d'Aubigny war kein Mann, dem man ungestraft widersprach.

    Jedenfalls nicht, wenn man seine Tochter war.

    „Geh mir aus den Augen, du Lumpenhund!"

    Julies Vater unterstrich seine an Henri gerichteten Worte, indem er dem Pagen noch einen Tritt verpasste. Henri kam stöhnend vom Boden hoch und rannte dann heulend zu seiner Unterkunft. Gaston d'Aubigny kam auf Julie zu und kniff ihr gönnerhaft in die linke Wange.

    „Nun, mein Kind? Bist du auch recht fleißig?"

    „Ja, Papa", hauchte Julie. Der Atem ihres Vaters roch nach Branntwein, aber das war nichts Ungewöhnliches. Er nickte wohlgefällig und richtete seine große rote Nase auf den Maître.

    „Stimmt das, Meister Rousseau? Strengt sich meine Tochter auch wirklich an?"

    „Das kann man wohl sagen, d'Aubigny. Man merkt, dass Ihr Julie von Kindesbeinen an gedrillt habt."

    Gaston d'Aubigny lächelte geschmeichelt.

    „Was bleibt einem armen Witwer auch anderes übrig? Seine Majestät hat mich mit dem Unterricht der Pagen betraut, also habe ich Julie einfach zu ihnen gesteckt. Es wird ihr sicher nicht schlecht bekommen, gut mit einer Waffe umgehen zu können."

    Julies Vater wandte sich nun wieder an sie. „Wenn du fechten kannst, dann musst du dir nichts gefallen lassen, mein Mädchen. Wenn dir ein ungewaschener Bastard zu nahekommen will, dann rammst du ihm einfach deine Klinge in den Leib!"

    Dann lachte Gaston d'Aubigny, als ob seine Worte scherzhaft gemeint gewesen wären.

    Aber Julie war sicher, dass er es todernst meinte.

    *

    Gaston d'Aubigny war sehr stolz darauf, dass seine Tochter sich so prächtig entwickelt hatte.

    Wäre sie ein Junge gewesen, dann hätte ihr eine große Karriere bei der Armee offengestanden. Schon seit einiger Zeit zerbrach er sich seinen Kopf darüber, wie er Julie am besten und gewinnbringendsten verheiraten könnte. Sie war eine Schönheit, gewiss, aber er selbst war alles andere als ein reicher Mann. Sekretär im Hofe seiner Majestät war die höchste Stellung, die d'Aubigny erreichen konnte. Er machte sich keine Illusionen über seine eigene Zukunft. Die trüben Gedanken ertränkte er nur allzu gern im Alkohol.

    Noch war seine Tochter eine Jungfrau, jedenfalls hoffte er das. Angesichts ihrer Schönheit war allein diese Tatsache eine Leistung. Vor allem hier in Versailles, wo es von brünstigen jungen Böcken und dekadenten Lustgreisen nur so wimmelte. D'Aubigny beglückwünschte sich selbst dazu, dass er Julie bisher immer wie einen Jungen gekleidet hatte. Wenn sie gemeinsam mit den Pagen lernte, musste sie genauso aussehen wie diese. In Hemd, Hose und Weste war sie auf die Entfernung von einem Jüngling kaum zu unterscheiden, zumal ihre Brüste lediglich die Größe von Äpfeln hatten. Gleichwohl, aus nächster Nähe waren die prallen Rundungen unter ihrem Leinenhemd nicht zu übersehen.

    Nach dem kurzen Wortwechsel mit Julie und dem Maître kehrte d'Aubigny in den Stall zurück. Aber es war, als ob er durch seine Grübeleien das Unglück heraufbeschworen hätte. Plötzlich trat Comte d'Armagnac aus dem Schatten hervor. Und Julies Vater ahnte, dass der Großstallmeister – sein unmittelbarer Vorgesetzter - nicht wegen der Pferde gekommen war.

    Der Comte d'Armagnac war ein Mann in den Sechzigern, dessen Perücke stets frisch gepudert war. Seine Kniestrümpfe wiesen die Farbe von soeben gefallenem Schnee auf, und seine Gehröcke wurden nach neuester Pariser Mode geschneidert. Er roch nach Veilchenparfüm, das konnte d'Aubigny trotz des Pferdemistgestanks im Stall wahrnehmen. Der Comte schürzte die Lippen, als wenn er sich ein Brüsseler Praliné auf der Zunge zergehen lassen würde.

    D'Aubigny war vom Branntwein benebelt. Aber nicht so sehr, um das herannahende Unheil nicht zu wittern.

    D'Armagnac trat neben seinen Untergebenen und deutete mit einer knappen Kinnbewegung in Julies Richtung.

    „Ist das Eure werte Tochter, die dort von Meister Rousseau in der edlen Fechtkunst unterwiesen wird?"

    Diese Frage ist so überflüssig wie ein Kropf, dachte Julies Vater. Er hasste es, wenn er sich verzagt und hilflos zu fühlen begann. So wie in diesem Moment.

    „Jawohl, Herr", erwiderte er gehorsam. Nein, d'Aubigny war ganz gewiss kein Feigling. Aber es gab Männer, gegen die ein Kampf sinnlos war. Selbst dann, wenn sie eine Handbreit kleiner als er selbst waren und in offener Feldschlacht keinen Schuss Pulver wert gewesen wären. Gerade solche Kerle trumpften am Ende doch immer auf. Oh, Gaston d'Aubigny wusste im Grunde ganz genau, weshalb er dem Saufteufel verfallen war.

    „Ich dachte es mir."

    Der Comte leckte sich genießerisch die Lippen und streckte seinen Geierkopf weiter nach vorn, um besser sehen zu können.

    „Erscheint es Euch nicht unpassend, dass Eure Tochter stets wie ein Jüngling ausstaffiert ist?"

    D'Aubigny hob seine breiten Schultern. Er versuchte, sich dumm zu stellen. Julies Vater machte sich keine Illusionen darüber, dass sein Vorgesetzter ihn ohnehin für einen idiotischen und nutzlosen Trunkenbold hielt.

    „Nun, es ist die passende Kleidung für einen Waffengang, würde ich meinen."

    D'Armagnac zog seine Augenbrauen zusammen, während d'Aubigny sprach. Als der Comte wieder das Wort ergriff, lag eine Spur von Ungeduld in seiner Stimme.

    „Das mag ja angehen, aber wir sind hier nicht auf dem Schlachtfeld, d'Aubigny. Ich wette, dass Eurer Tochter ein neues Kleid gut zu Gesicht stehen würde. Ich werde ihr ein Geschenk machen, wenngleich ihr Namenstag schon etwas zurückliegt."

    Julies Vater deutete eine Verbeugung an, obwohl er dem Comte lieber mit seinem schweren Stiefel in den Hintern getreten hätte.

    „Exzellenz sind zu gütig."

    Der Comte wedelte mit seinem spitzenbesetzten Taschentuch.

    „Das ist doch nicht der Rede wert, mein Bester. Ich lasse das Kleid im Lauf des Tages von meiner Kammerzofe bringen. Allerdings würde ich dann auch gern in Augenschein nehmen, wie es Eurer werten Tochter steht. Ich erwarte das gute Kind pünktlich um acht Uhr abends in meinem Pariser Stadtpalais."

    „In Eurem Stadtpalais?", echote d'Aubigny. Nun hörte er sich beinahe so an, als ob er aufbegehren wollte. Aber d'Armagnac bedachte Julies Vater sofort mit einem eiskalten Blick.

    „Spricht etwas dagegen, d'Aubigny? Keine Sorge, ich lasse Eure Tochter durch eine Karosse abholen. Sie wird ihre Stiefeletten nicht mit dem Unrat der Pariser Gassen beschmutzen müssen. Aber mein Refugium in der Hauptstadt bietet zweifellos ein passenderes Ambiente für eine solche Begegnung als Versailles."

    Dieser parfümierte Bastard muss mich wirklich für ein hirnloses Schlachtross halten, dachte d'Aubigny grimmig. Versailles ist das erstaunlichste Bauwerk auf der ganzen Welt, so sagt man überall. Nicht nur den blöden Bauerntölpeln fallen die Augen aus dem Kopf, wenn sie den Apollobrunnen und den Marmorhof und die königliche Karosse sehen. Auch ich glaubte zu träumen, als ich erstmals zum Königsschloss abkommandiert wurde. Aber hier in Versailles könnte das alte Ekel gestört werden, wenn es meiner Tochter ihre Jungfräulichkeit rauben will. In seinem verfluchten Stadtpalais besteht diese Gefahr nicht.

    Julies Vater konnte nur ergeben nicken. Ihm waren die Hände gebunden. Er hätte genauso gut dagegen rebellieren können, dass die Sonne morgens aufging und abends hinter dem Horizont versank. Männer wie d'Armagnac bekamen immer, was sie haben wollten.

    Der Comte wandte sich nun zum Gehen.

    „Abgemacht also, mein Guter. Die Kammerzofe wird Eurer Tochter dabei behilflich sein, das Kleid anzulegen."

    D'Aubigny schwieg, während sich seine großen Hände öffneten und schlossen. Liebend gern hätte er sie um die Kehle seines Vorgesetzten gekrallt. Aber dadurch wäre Julie im Handumdrehen zur Vollwaisen geworden.

    Es war schon schlimm genug, dass sie in wenigen Stunden ihre Jungfräulichkeit verlieren würde.

    Das Kleid stammte vermutlich von d'Armagnacs letzter Kokotte Fleur. Laut Schlosstratsch hatte er ihr vor Kurzem den Laufpass gegeben. Nun konnte d'Armagnac diesen teuren Stofffetzen einer neuen Bestimmung zuführen.

    Warum halte ich alle Pagen von Julie fern, wenn jeder hochwohlgeborene Dreckskerl sie nehmen kann wie eine Pariser Straßenhure?, dachte d'Aubigny verzagt. Sein ganzes Leben kam ihm plötzlich sinnlos vor. Er sehnte sich nach einer Flasche Schnaps.

    *

    Julie saß auf dem Hocker vor dem Frisiertisch und betrachtete sich ausgiebig in dem dreiteiligen Spiegel.

    Das Kleid fühlte sich auf ihrem Körper ungewohnt an.

    Es war ein sogenanntes Manteau, das in der Rückseite gebauscht, mit einer Schleppe versehen und in der Taille tief ausgeschnitten war. Mehrere Unterrockschichten gehörten natürlich ebenfalls dazu, anders als bei den Kleidern der Frauen aus den unteren Ständen. Julie kam sich in dem malvenfarbenen Kleid mit den Spitzenmanschetten wie eine große Dame vor.

    Lisette, die Kammerzofe des Comte d'Armagnac, hatte ihr dabei geholfen, ihr Haar in Fasson zu bringen. Julie trug es nun à la Garcette, was ihr ziemlich ungewohnt vorkam. Die Seitenpartien waren offen und zu Korkenzieherlocken geformt worden. Oben auf dem Kopf trug sie nun einen Schildpattkamm.

    „Und das ist wirklich in Ordnung, was du mit meiner Frisur gemacht hast?"

    Lisette schien die Frage als Vorwurf aufzufassen.

    „Selbstverständlich!, erwiderte sie naserümpfend. „Das ist die neueste Pariser Mode. Du kannst …

    Die Kammerzofe brach mitten im Satz ab. Sie atmete so tief durch, dass ihre Brüste beinahe das Mieder gesprengt hätten. Lisette bedachte Julie mit einem abschätzigen Blick, wobei sie die Nase rümpfte.

    Beides entging Julie nicht, schließlich saß sie direkt vor dem Spiegel. Sie hatte es noch niemals ausstehen können, wenn jemand sie missachtete. So manchem Pagen hatte sie schon mit ihren Fäusten Respekt beigebracht. Warum sollte das bei einer Kammerjungfer nicht auch funktionieren?

    Julie drehte sich halb um die eigene Achse. Sie packte Lisettes Handgelenk so fest, dass die Kammerzofe die Bürste fallen ließ.

    „Au! Du tust mir weh!"

    „Genau das ist meine Absicht, sagte Julie mit zuckersüß klingender Stimme. „Du wolltest gerade noch etwas sagen, liebste Lisette.

    „I-ich wollte gar nichts sagen", beteuerte die Bedienstete. Schweißperlen erschienen auf ihrer breiten Stirn. Sie war die Tochter einfacher Bauern aus der Dordogne. Und obwohl Lisette starke Knochen hatte, konnte sie sich ihrer Peinigerin nicht entwinden.

    „Was kann ich, Lisette? Sag es mir, dann lasse ich dich los. Und ich merke, wenn du mich anlügst!"

    Julie drückte immer stärker zu. Lisettes Gesicht war schon knallrot, ihre Unterlippe zitterte. Die Augen schimmerten feucht.

    „Du kannst froh sein, dass eine Stallmagd wie du in diesem Kleid stecken darf!", platzte Lisette heraus. Julie machte ihr Versprechen wahr und öffnete ihren Griff. Allerding erhob sie sich gleich darauf von ihrem Hocker und verpasste Lisette eine schallende Ohrfeige.

    Ihr Gegenüber brach wimmernd zusammen. Sie landete auf dem blitzenden Parkett.

    Julie raffte den Kleidersaum und stellte sich breitbeinig über sie, wobei sie die Fäuste in die Hüften stemmte.

    „So spricht man nicht mit einer d'Aubigny, merk dir das! Meine Familie mag von niedrigem Stand sein, aber wir haben noch Ehre im Leib und führen eine scharfe Klinge. Außerdem bist auf dem Holzweg. Ich arbeite nicht im Stall, sondern werde als Page ausgebildet."

    „Mädchen können keine Pagen sein!", widersprach Lisette unter Tränen. Sie hielt schützend ihre Hände vor ihr Gesicht. Aber Julie war der Meinung, dass sie ihren Standpunkt zur Genüge vertreten hätte. Sie ließ von der Kammerzofe ab und nahm wieder auf dem Hocker Platz.

    Julie ließ sich nicht anmerken, wie ungewohnt und beeindruckend die Umgebung für sie war. Die Stallungen und Nebengebäude des Schlosses waren ihre Welt. Dieses Boudoir in Versailles hatte sie noch nie zuvor in ihrem jungen Leben betreten. Julie konnte sich nicht vorstellen, dass die Königin selbst von ihren Hofdamen in einem noch größeren Prunk herausgeputzt wurde. Gleichzeitig ahnte sie aber, dass es sehr viele Dinge gab, die ihr noch fremd und unbekannt waren.

    „Warum ist der Comte so gut zu mir?"

    Julie hatte die Frage eher an sich selbst als an Lisette gerichtet. Die Kammerzofe erhob sich stöhnend vom Boden. Julie stellte befriedigt fest, dass ihre Hand eine unübersehbare Rötung auf Lisettes linker Wange hinterlassen hatte.

    „Das wirst du schon noch herausfinden!"

    Lisette stieß den Satz hasserfüllt hervor, und vermutlich sollte er wie eine Drohung klingen. Aber Julie lachte sie nur aus.

    „Ich weiß, dass ich hübsch bin. Jedes Mal, wenn Hochwürden mir die Beichte abnimmt, verlangt er von mir, meine Eitelkeit im Zaum zu halten. Aber wie kann ich das tun, wenn unser König selbst die Schönheit so sehr liebt? Und Frankreich wird nicht vom Papst regiert, sondern von Seiner Majestät."

    Julie war sehr stolz auf ihren Gedankengang, der ihr ungeheuer klug vorkam. Lisette erwiderte darauf nichts, sondern verließ fluchtartig das Boudoir. Julie konnte sich in dem ungewohnten Prunkkleid kaum bewegen. Sie hockte sittsam da und schaute den Zeigern einer Glassturz-Uhr zu, wie sie unaufhaltsam vorrückten.

    So allmählich bekam sie doch Herzklopfen. Julie wusste nicht, was sie im Stadtpalais des Comte erwartete. Gerne hätte sie sich vor der Abreise noch von Papa verabschiedet. Aber daraus würde wohl nichts werden. Julie hatte früher am Abend gesehen, wie sich Gaston d'Aubigny mit einer Flasche Branntwein in sein Schlafgemach zurückzog. Es wäre sehr dumm von ihr gewesen, ihren Vater in diesem Zustand zu stören.

    Julie platzte fast vor Stolz, als sie endlich die Karosse besteigen durfte. Die Kutsche war mit goldfarbenen Dachvasen und mit Zierbeschlägen versehen, sie trug das Wappen von d'Armagnac auf den Türen. Die Peitsche knallte, und die sechs Gespannpferde zogen an. Julie lehnte sich in den weichen Polstern zurück.

    Instinktiv spürte sie, dass in dieser Nacht ein neues Kapitel im Buch ihres Lebens aufgeschlagen werden würde. Es war eine Reise ins Ungewisse - und das nicht nur, weil die Kutsche das Prachtschloss von Versailles hinter sich ließ und von der tintenschwarzen Nacht verschluckt wurde. Über holprige Wege führte der Weg durch einige Elendsdörfer, deren Vorhandensein man nur am scharfen Rauchgeruch aus den Schornsteinen der Katen schlussfolgern konnte.

    In einem solchen Drecksnest war sie selbst geboren worden. Allerdings konnte sich Julie nur noch bruchstückhaft an ihre frühe Kindheit erinnern. Auch von ihrer eigenen Mutter zeichnete ihre Vorstellungskraft ein eher verschwommenes Bild. Geprägt worden waren die vergangenen Jahre durch den Degen und durch den Rohrstock. Wenn Julie nicht fleißig genug gelernt hatte, war sie ebenso gnadenlos verprügelt worden wie die übrigen Pagen. Oh, ihr Vater hatte sie nicht verzärtelt und ihr gewiss keine Sonderbehandlung zukommen lassen. Von einer Ausnahme abgesehen. Gaston d'Aubigny erkannte schon früh das Fechttalent seines einzigen Kindes. Und er hatte alles dafür getan, diese Fähigkeiten zu fördern.

    Julie hatte schon die ganze Zeit lang so ein seltsames Kribbeln im Bauch, während die Kutsche sich unter Peitschenknallen und Räderächzen dem Ziel unweigerlich näherte. Es erinnerte sie an das Gefühl unmittelbar vor einem wichtigen Übungskampf. Dann, wenn sie sich auf der Fechtbahn keine Blöße geben durfte. Und doch war die Empfindung ganz anders. Vielleicht lag es daran, dass sie sich gar nicht vom Bauch aus in ihrem Körper verbreitete, sondern ihren Ursprung noch tiefer hatte.

    Als die Karosse Paris erreichte, steckte Julie neugierig ihre Nase aus dem Fenster. Aber viel zu sehen gab es nicht. Die Laternenlichter der Kutsche warfen fahles Licht auf die Fassaden der Häuser, die krumm wie bucklige Greise eng aneinanderstanden. Sie kamen Julie uralt vor. Sie hatte einmal gehört, dass viele Hauptstadt-Häuser schon vor Jahrhunderten gebaut worden waren.

    Julie war geprägt von Versailles̒ Glanz, auch wenn nur wenig davon auf die Gesindeunterkünfte fiel. Sie wusste nicht so recht, was sie von Paris halten sollte. Immerhin besaß der Comte hier sein Stadtpalais. Er war ihr wohlgesonnen, sonst hätte er Julie wohl kaum dieses teure Kleid geschenkt. Sie durfte d'Armagnac auf keinen Fall verärgern, denn immerhin unterstand ihr Papa seiner Befehlsgewalt.

    Die Pariser Nachtluft stank nach Exkrementen, Wein und Lampenöl. Julie nahm keinen Anstoß daran. Sie war in den Stallungen aufgewachsen und an starke Gerüche gewöhnt. Umso größer war der Kontrast, als die Kutsche vor dem Hintereingang eines großen Gebäudes zum Stehen kam und ein Lakai sie ins Innere führte.

    Sofort wurde Julie von Wohlgerüchen umfangen, die offenbar von den bunten Blumenbuketten herrührten. Staunend erblickte sie im Licht von Kristalllüstern elegante Bodenvasen, in denen sich üppige Arrangements aus Rosen, Astern und anderen Pflanzen befanden, die Julie noch nie zuvor gesehen hatte.

    Der Diener geleitete sie durch einige Räume bis in ein Schlafgemach, dessen wichtigster Einrichtungsgegenstand ein opulentes Himmelbett war. Julie konnte sich nicht vorstellen, dass Seine Majestät selbst auf einem schöneren und eleganteren Lager nächtigte.

    „Der Comte wird gleich bei dir sein."

    Mit diesen Worten machte der Lakai mit der sorgfältig gepuderten Perücke auf dem Absatz kehrt und ließ Julie allein.

    Sie traute sich kaum zu atmen.

    Gewiss, das Boudoir in Versailles war auch schon ein von Reichtum zeugendes Gemach gewesen. Aber das verwunderte Julie nicht, denn in dem Schloss gehörte schließlich alles dem König. Und Ludwig XIV. war nun einmal der wohlhabendste und mächtigste Mann Frankreichs und vielleicht der ganzen Welt.

    Doch hier befand sie sich in den Privaträumen von Comte d'Armagnac. Julie hätte es niemals für möglich gehalten, dass auch er sich so einen Prunk leisten konnte. Voller Scham musste sie an ihre eigene bescheidene Kammer denken.

    Julie zuckte zusammen, als sich eine andere Tür öffnete.

    Ihr Gastgeber kam herein. Er trug einen seidenen bestickten Morgenrock, der bis zum Boden reichte. D'Armagnacs Lippen waren zu einem Grinsen verzerrt, das auf seinem schmalen Gesicht festgefroren zu sein schien. Julie hatte ihn bisher immer nur in Uniform oder in einem zivilen Justaucorps gesehen. Dennoch fühlte sie sich von seiner Kleidung nicht kompromittiert. Die Stallknechte oder Pagen arbeiteten im Sommer oftmals sogar mit freiem Oberkörper, was Julies Vater ihr selbst natürlich streng verboten hatte.

    Jedenfalls machte sie einen Hofknicks, bei dem sie ihren Blick sittsam zu Boden senkte.

    Aber gleichzeitig verstärkte sich das prickelnde Gefühl in ihrem Inneren. Ob es eine Vorahnung von aufregenden Ereignissen war, die geschehen würden? Julie wusste es nicht. Aber sie hatte gelernt, sich auf jede Situation einzustellen.

    „Ich freue mich sehr, dass du meiner Einladung gefolgt bist, mein Kind."

    „Stets zu Diensten, Herr."

    Der Comte legte den Kopf in den Nacken. Er schien dem Klang von Julies Worten nachzulauschen. Dann kam er näher.

    „Hat dir schon einmal jemand gesagt, was für eine exquisite Stimme du hast? Sie sollte ausgebildet werden, dann könntest du die ganze Welt mit deinem Gesang erfreuen."

    Julie musste sich ein Lachen verkneifen. Wenn der feine Comte die derben Gassenhauer kennen würde, mit denen sich Julie und die anderen Pagen die öden Putzarbeiten versüßten, dann würde er bestimmt anders reden. Aber er schien gar nicht zu merken, dass sie ein Kichern unterdrücken musste.

    Es war ein seltsamer Glanz in seinen Augen, den Julie noch nie zuvor gesehen hatte.

    Nein, das stimmte nicht ganz. Paul und Maurice und

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