Polly bekommt ein Pferd
Von Thea Oljelund
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Buchvorschau
Polly bekommt ein Pferd - Thea Oljelund
legte…
Auf dem Land ist’s schrecklich!
„Wir müssen etwas unternehmen, sagte Pollys Mutter verzweifelt zu ihrem Mann. „Siehst du nicht, wie unglücklich Polly ist? Sie kann sich hier einfach nicht eingewöhnen.
Pollys Mutter war Finnin und in zweiter Ehe mit einem Schweden verheiratet. Vor ein paar Monaten waren sie von Stockholm aufs Land gezogen. Von Anfang an war die zwölfjährige Polly mit allem unzufrieden gewesen. Nichts hatte ihr gepaßt.
„Was, in dieses Nest soll ich gehen? hatte sie protestiert. „Weg von allen meinen Freunden! Seid ihr verrückt geworden? Ich laufe weg… Da bleibe ich einfach nicht!
Endlich hatte ihre Mutter sie dann aber doch dazu gebracht, sich mit dem Umzug abzufinden. „Wir haben keine andere Wahl. Wir müssen einfach nach Lindesberg übersiedeln, hatte sie gesagt. „Du weiß ja, daß Papa…
Polly unterbrach sie und zischte: „Nenn ihn nicht Papa! Mein Vater ist Sven jedenfalls nicht."
„Schon gut; aber du weißt, daß Sven seine Arbeit in Stockholm verloren hat. Die Transportfirma ist pleite gegangen, und jetzt hat er endlich wieder eine Stellung in Lindesberg gefunden. Wir können doch nicht in Stockholm bleiben und zwei Haushalte führen. Wir müssen umziehen!"
„Warum müssen wir das? Sven kann doch schließlich allein in diesem Lindesberg wohnen."
„Nein, Polly. Wovon sollen wir denn leben? Du weißt genau, daß ich allein uns beide nicht ernähren kann."
Pollys Mutter war behindert. Während des Krieges, als sie noch ein Schulmädchen war, hatte sie in Finnland einen Tag und eine Nacht lang unter einem zerbombten Haus gelegen. Und als man sie endlich gefunden hatte, waren einige Nervenstränge schwer verletzt gewesen. Es war unheilbar. Jetzt konnte sie die linke Körperhälfte nur mit Mühe bewegen. Sie zog das linke Bein nach, und mit der linken Hand konnte sie keine schweren Arbeiten verrichten. Durch Gymnastik und Massagen war die Behinderung zwar etwas gebessert worden, doch die Mutter konnte nicht mehr richtig arbeiten und bekam nur eine kleine Invalidenrente.
All das wußte Polly sehr genau, doch in diesem Augenblick war sie zu aufgeregt, um vernünftig zu überlegen.
„Aber was sollen wir denn bloß in diesem Lindesberg? rief sie. „Da kennen wir doch keinen Menschen!
„Du wirst bestimmt bald Freunde finden. Außerdem haben wir gar keine Wahl. Bitte, Polly!"
Ja, was soll man mit zwölf Jahren schon anderes tun, als schließlich nachgeben? Polly hatte sich fest vorgenommen, es ihrer Mutter nicht allzu schwer zu machen. Aber sie brachte es nicht über sich, so zu tun, als wäre sie begeistert von diesem Umzug.
Dann aber war alles noch viel schlimmer, als Polly es sich vorgestellt hatte. Wenn sie nur wenigstens in Lindesberg selbst gewohnt hätten, wäre es ja noch zu ertragen gewesen. Dort gab es immerhin Straßen, Läden und eine Konditorei. Doch Sven und ihre Mutter hatten ein paar Kilometer außerhalb der Ortschaft einen Hof gepachtet – so richtig auf dem Land, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen.
Am ersten Abend weinte sich Polly in den Schlaf.
Ein Bauernhof inmitten von Wiesen und Wäldern, das mochte etwas sein, wovon Erwachsene oder andere Kinder träumten. Polly jedoch nicht. Sie war in der Stadt aufgewachsen. Das rote Holzhaus mit dem halb verfallenen Nebengebäude und den verwilderten Äckern und Wiesen war für sie ein Alptraum. Sie fürchtete sich vor der Einsamkeit.
Ihre Mutter hatte alles getan, damit Polly sich wohl fühlte. Sie hatte ein eigenes Zimmer im ersten Stock bekommen, mit hellen Gardinen, und hatte sich sogar eigene Möbel aussuchen dürfen. Doch Polly konnte sich einfach nicht richtig freuen.
Sven dagegen, ihr Stiefvater, war glücklich und zufrieden. Er war auf dem Land groß geworden und war nie gerne in der Großstadt gewesen.
„Dir gefällt’s natürlich, sagte Polly mürrisch und fuhr sich mit den Fingern durch das blonde Haar. „Du bist ja daran gewöhnt, auf dem Land zu leben. Aber ich hasse alles hier…
„Ach, wart’s ab, Polly, das wird noch ganz anders, wenn du erst eine Zeitlang hier bist", meinte Sven zuversichtlich.
In der Schule war alles hoffnungslos ländlich. Anfangs waren die Mädchen neugierig auf Polly gewesen, doch nach einigen Tagen kümmerten sie sich nicht mehr um sie.Daß es an ihr selbst lag, begriff Polly nicht. Konnte sie etwas dafür, daß hier alle so komisch redeten? Und daß sie keine Ahnung von modischer Kleidung hatten? Als Polly mit ausgefransten Jeans in die Schule kam, meinten die anderen, ihre Hose wäre kaputt. Sie waren wirklich total hinter dem Mond!
Dabei hatte sich Polly neue Jeans gekauft und einen ganzen Nachmittag damit verbracht, sie zu bearbeiten, bis sie abgetragen aussahen. Sie hatte den Saum ausgefranst und hatte sie mit der Wurzelbürste geschrubbt, damit sie heller und abgeschabter wurden. Und dann meinten die Mädchen in ihrer Klasse, sie könnte sich nichts Richtiges zum Anziehen leisten! Das waren einfach hoffnungslose Landpomeranzen.
Schon allein der Stockholmer Dialekt machte Polly zu einer Außenseiterin. Sie konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen als dieses neue Leben auf dem Land. Sie sehnte sich schrecklich nach Stockholm, nach ihren früheren Freundinnen und der alten Schule.
„Irgendwas müssen wir unternehmen", sagte Aila, ihre Mutter, zum wiederholten Mal und bestrich die Dampfnudeln, die auf dem Ofen standen, mit Zuckerguß.
„Wofür interessiert sie sich denn eigentlich? fragte Sven. „Ich gehöre zwar jetzt schon seit acht Jahren zur Familie und habe versucht, Polly ein Vater zu sein, aber sie läßt mich einfach nicht an sich herankommen. Ob sie mich wohl jemals richtig akzeptieren wird?
Aila seufzte. „Ihr kommt immerhin so einigermaßen miteinander aus, sagte sie. „Es wäre schlimm, wenn ihr dauernd streiten würdet und böse aufeinander wärt.
„Auf Polly kann man doch gar nicht böse sein, erwiderte Sven liebevoll. „Es ist ja wirklich nicht einfach für sie. Sie hat ganz recht, wenn sie sagt, daß der Umzug für mich leichter war. Mir gefällt es hier, ich bin auf dem Land geboren. Aber sie ist ein richtiges Großstadtkind. In meiner Kindheit waren wir dauernd im Freien und im Stall…
Aila wandte sich unvermittelt um. „Das ist die Lösung! rief sie. „Genau das ist es!
„Was denn?"
„Pferde! Pferde natürlich… Ein Pferd für Polly!"
Sven seufzte. „Ein Pferd? Aber der Stall hier ist doch verfallen. Er ist in einem unmöglichen Zustand. Dort kann man kein Pferd unterbringen. Und woher sollen wir eins bekommen? Pferde sind teuer."
Aila wußte, daß er recht hatte. Trotzdem gingen die beiden hinaus und sahen sich das Nebengebäude genauer an. Es war früher als Stall für Pferde und Kühe benutzt worden. Die einst weißen Wände waren völlig verschmutzt. Der Boden war mit altem Stroh und Mist verkrustet, die Futtertröge waren geborsten und abgebröckelt und die Fensterscheiben zerbrochen.
„Ja, vielleicht geht es, sagte Sven nach einer Weile. Ich sehe mal auf dem Dachboden nach, was wir an Holzbrettern und Balken vorrätig haben. Vielleicht…
Stella – Thunderbird
Als Polly von der Schule zurückkam, hörte sie seltsame Geräusche aus dem Nebengebäude. Sie schleuderte ihre Schulmappe auf den Boden, aß die frischgebackenen Dampfnudeln und trank eine Tasse Milch dazu.
„Was ist denn draußen im Kuhstall los? sagte sie gleichgültig. „Das ist ja ein toller Lärm!
„Sven zimmert etwas." Aila wollte nicht verraten, was sie vorhatten, ehe es sicher war, ob sie wirklich ein Pferd kaufen konnten.
„Ach so, sagte Polly und tauchte ihre Dampfnudeln in die Milch. „Was zimmert er denn?
„Ein paar Nistkästen, schwindelte ihre Mutter. „Jetzt kommt doch der Frühling bald, da wär’s schön, wenn wir auch ein paar Vogelfamilien auf unserem Hof hätten.
„Nistkästen, wiederholte Polly herablassend. „Gibt’s bei den Vögeln denn auch Wohnungsnot? Können sie nicht selbst ihre Nester bauen? Wer weiß, vielleicht müssen sie eines Tages auch noch umziehen…, in die Stadt.
„Rede keinen Unsinn", erwiderte ihre Mutter.
„Das tu ich doch dauernd, sagte Polly bitter. „Ich wollte, Sven könnte mir auch so einen Kasten zimmern, in dem ich dann leben könnte. Aber in Stockholm natürlich.
„Vielleicht tut er das, antwortete Aila. Und ihr Ton war so seltsam, daß Polly aufsah. „Was hast du übrigens gegen Sven, weil du bei jeder Gelegenheit auf ihm herumhackst?
„Ich hab nichts gegen ihn, erwiderte Polly. „Nur wenn du meinst, daß ich ihn als Vater ansehen soll, werde ich böse. Er ist Sven, nicht mehr und nicht weniger; jemand, mit dem du zusammenleben wolltest. Aber nicht ich.
„Aber wenn er jetzt zufällig dein richtiger Vater wäre? Man kann sich seine Eltern nicht aussuchen, wie du weißt. Wie wäre es dann?"
„Keine Ahnung. Sven ist jedenfalls nicht mein Vater."
„Nein. Dein Vater ist tot. Ich finde jedenfalls, daß er nicht so nett war wie Sven. Dein Vater konnte sehr wütend werden. Glaub mir, er war ein guter Mensch, aber er ging wegen jeder Kleinigkeit in die Luft. Herr im Himmel, war er leicht zu reizen! Es war schwierig, mit ihm zu leben. Ich weiß nicht, ob ihr beide nicht häufig aneinandergeraten wärt. Du und Sven, ihr beide streitet wenigstens nicht."
„Vielleicht ist es das gerade, meinte Polly. „Ich möchte manchmal streiten.
„Das hat dein Vater auch oft gesagt. Aber ich will keinen Streit. Ich finde Streitereien dumm und kindisch."
„Na gut, dann bin ich eben kindisch, sagte Polly. „Was gibt’s zum Abendessen?
„Wirsinggemüse und Fleisch."
Pollys Miene heiterte sich auf. „Wenigstens etwas, worauf ich mich freuen kann", sagte sie. „Du bist