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Slatin Lover
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eBook353 Seiten4 Stunden

Slatin Lover

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Über dieses E-Book

Eine poetisch phantastische Erzählung, Großteils vor historischem Hintergrund. Der Zeitraum der episodischen Geschichte umfasst zwei Tage im Jahre 1914, kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, als im ungarischen Dörfchen Nagyrév Ungeheuerliches passiert.
Auch der österreichische Abenteurer und Gouverneur Rudolf Freiherr von Slatin wird in jenen Tagen schicksalhaft zu diesem Ort gerufen, wo sich letztlich unabwendbare Heimsuchungen von Sehnsucht und Verleugnung, von Liebe und Tod erfüllen.

Alfred Polansky ist ein österreichischer Autor, Komponist, Konzertgitarrist und Lautenist. Lebt in Wien und Debrecen.

Es handelt sich um eine aktualisierte Auflage! (14. Februar 2016)
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum20. Apr. 2015
ISBN9783990413760
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    Buchvorschau

    Slatin Lover - Alfred Polansky

    Alfred Polansky

    Slatin Lover

    Eine verspiegelte Rundreise durch das Nebensächliche

    (Roman)

    Copyright © 2015 Der Drehbuchverlag, Wien

    2. Auflage, 14. Februar 2016

    Alle Rechte vorbehalten

    eBook: Slatin Lover - Eine verspiegelte Rundreise durch das Nebensächliche (Roman)

    ISBN: 978-3-99041-376-0

    Inhaltsverzeichnis

    Prolog

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Epilog

    PROLOG

    Im Jahre 1914 tobte in Europa ein Krieg, dessen Ausmaß an Schrecken, Leid und Tod die Menschheit, welche ihn durch ihre aristokratischen Eliten vom Zaun gebrochen hatte, zuvor noch nie erlebte. Das österreichisch-ungarische Imperium, gelenkt von einem greisen, verschrobenen Kaiser, wankte resolut seinem Untergang entgegen, und noch einmal wurden unsinnige Schlachten zu skrupelloser Selbstdarstellung benutzt. Legionen zwangsrekrutierter, unschuldiger Menschen wurden taktisch abscheulichen Kalkülen geopfert, während sich die erlauchten Herrschaften, die jene Strategien ersonnen, gegenseitig Orden an die Brust hefteten und insgeheim von historischer Unsterblichkeit träumten. Eitel und oft nur auf eigenen Vorteil bedacht war deren Handeln, und so wurden sie gar nicht der Tragweite ihrer Taten bewusst, die diese andernorts bewirkten.

    KAPITEL I

    - Von den außergewöhnlichen Passionen der Julia Fazekas und Ibolya Hegedüs -

    - Julia Fazekas disputiert mit einem invaliden Landser -

    - Die traurige Lebensgeschichte der Ibolya Hegedüs -

    Julia Fazekas war keine schöne Frau, aber sie verstand es, tatkräftig zuzupacken. Als Hebamme von Nagyrév, einem kleinen Dorf südöstlich von Budapest, in der Nähe des Städtchens Kecskemét gelegen, war dies auch vonnöten, da dieser vergessene kleine Ort an der Theiß über keinen Arzt, geschweige denn, gar über ein Krankenhaus verfügte.

        Julia saß an einem angenehm warmen Frühlingstag wie so oft vor ihrem Haus auf einer Holzbank, als die junge Ibolya eilig die Straße entlang an ihr vorbei ging. Das Mädchen mochte ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt sein, hatte große, lebhafte Augen, ein hübsches Gesichtchen, und unter der traditionellen Landestracht zeichneten sich die Konturen eines makellosen, fraulichen Körpers ab. In ihrem Schlepptau stolperte ein junger, schmutziger Bursche, dessen Füße mit einer Kette zusammengebunden waren, sodass er keine allzu langen Schritte machen konnte. Dieser verunsicherte Jüngling war Franzose und hieß, was jedoch niemanden hier interessierte, Jean-Paul.

        „Wäschst du ihn dir vorher?", rief Julia dem Mädchen übermütig nach.

        Ibolya blieb stehen und lachte auf. „Mal sehen, Tantchen, antwortete sie, „im Lager war der noch der Sauberste, und ich hab’s eilig.

        Julia, die sich mittlerweile erhoben hatte, schlenderte zu dem Mädchen hin. Nach der  üblichen Begrüßung, einem Küsschen auf die Wange, einmal links, einmal rechts, ging sie danach um den bedauernswerten Burschen herum. Sie musterte ihn lasziv lächelnd von oben bis unten und griff ihm dann ohne Hast zwischen die Beine.

        „Mon Dieu, Madame!", schrie Jean-Paul auf und sprang verstört, so gut er eben mit den Fesseln konnte, zur Seite.

        „Der ist ja wirklich köstlich, meine kleine Ibolya. Mit dem Kerl wirst du noch deine wahre Freude haben! Die Hebamme schnalzte anerkennend mit der Zunge. „Wenn du seiner überdrüssig wirst, hole ich ihn mir!

        „Geh ins Lager, Tantchen, und hol’ dir selber einen. Ich mach jetzt, dass ich weiter komme! Hab’ ja schließlich noch was vor! Ibolya lachte und warf keck den Kopf nach hinten. Danach gab sie dem Franzosen einen derben Stoß. „Los, wir gehen!, rief sie und zerrte den Jüngling weiter die Straße entlang. Mit einem dünnen, biegsamen Ast, welchen sie zuvor vom Boden aufgehoben hatte, trieb sie ihn nun unwirsch an. 

        Julia sah den beiden schmunzelnd nach. Sie ging zurück ins Haus, wusch sich Gesicht, Hände und Füße und hängte sich danach ein schwarzes Brokattuch um die Schultern. Eine zeitlang betrachtete sie sich geziert im Spiegel, drehte sich kokett in alle Richtungen, fuhr sodann in die Schuhe und verließ zufrieden ihr Heim. Nachdem sie die Tür sorgfältig zugesperrt hatte, schob sie den Schlüssel unter den riesigen Oleandertopf, der neben dem Eingang stand und begab sich ohne Umwege zum Dorfrand, hin zum Kriegsgefangenenlager.

        Ein riesiger, unüberwindlich wirkender Stacheldrahtzaun umgab diesen freudlosen Ort. Am Eingang, der mit einem hölzernen Schranken versehen war, standen träge ein paar Wachposten.

        „Na, Julia, rief einer von ihnen, „brauchst du wieder einen zum Ackern? Seine Kameraden schmunzelten schmierig. „Nimm doch mich, in einer Stunde hätte ich dienstfrei, dann könnte ich dir dein Gärtchen bestellen!"

        „Das hättest du wohl gerne. Und mir dann alles wegfressen und wegsaufen. Nein, danke!" Die Hebamme lachte hämisch auf, schob sich geschickt an den Soldaten vorbei und begab sich in die Offiziersbaracke.

        Leutnant Imre Gelányi war wieder einmal stockbetrunken. Er lag auf einem Feldbett und schnarchte mit offenem Mund dermaßen laut, dass sein anwesender Bursche, ein einfacher, kriegsversehrter Landser aus der nahe gelegenen Garnison, partout nicht einschlafen konnte. Als Julia eintrat, hob der Invalide müde und schlecht gelaunt den Kopf.

        „Du bist schon mindestens die Zwanzigste heute, bemerkte er lakonisch. „Und Ibolya, das Luder, war heute schon zweimal hier. Ihr werdet wohl nie satt! Er zuckte resignierend mit den Schultern. „Irgendwann werden eure Männer aus dem Krieg zurückkommen, Julia, und dann könnt ihr euch auf was gefasst machen. Ein ganzes Dorf ohne Männer. Nun schüttelte er sein Haupt und blickte dabei tadelnd die Hebamme an. „So etwas kann auf die Dauer nicht gut gehen.

        „Lass das nur meine Sorge sein, Pista-Bácsi, und halte dich lediglich an deine Befehle, erwiderte Julia schnippisch. „Solange unsere Männer weg sind, haben wir ein verbrieftes Anrecht auf Arbeiter. Heute sind doch die Neuen angekommen. Franzosen, sagen sie. Ich brauche einen ziemlich starken. Also was ist? Worauf wartest du noch?

        Der Soldat seufzte entmutigt auf, zuckte abermals resignierend mit den Schultern und erhob sich.

        „Wir hätten da einen Neger", sagte er, während er an seinem Schlüsselbund ungeschickt herumnestelte.

        „Einen Neger? Nein, ein Neger kommt mir nicht ins Haus! Nicht bei mir!", rief die Hebamme entsetzt aus.

        „Aber sieh ihn dir doch erst einmal an, Tantchen. Ein Riese, wenn du verstehst, was ich meine."

        Julia blickte schmollend zum Fenster hinaus. „Ein Riese, sagst du?", erkundigte sie sich scheinheilig nach einer Weile. Der Soldat nickte.

        „Na gut. Anschauen kann ich ihn mir ja einmal."

        Der Landser verließ den Raum und kehrte schon bald mit einem Schwarzen, dessen Füße wie zuvor bei dem Jüngling  zusammengekettet waren, zurück.

        „Oh! Julia stockte der Atem. „Hat der auch einen Namen?, hauchte sie irritiert und richtete sich dabei ihr Haar.

        „Hm. Der Invalide kratzte sich ratlos am Kopf und nahm dann wieder auf seinem Stuhl Platz. „Wahrscheinlich schon.

        „Und?", fragte die Hebamme.

        „Keine Ahnung. Nenn’ ihn doch, wie du willst. Ist doch ohnedies egal."

        „Du hast recht, ich nenne ihn nach dir, du redlicher Moralist. Pista soll er heißen. Pista-Philister!" Julia lachte maliziös auf.

        „Na warte, du Schlange!, fuhr der Alte prompt erzürnt hoch. „Musst du denn alles mit deiner Gehässigkeit vergiften?

        „Wenn du wüsstest, aber so könnte man es tatsächlich sagen, Pista, genau so. Und verrate mir lieber, wer heute schon alles bei dir war!"

        Der alte Landser hatte sich mittlerweile wieder etwas beruhigt. „Ich führe nicht Buch, Tantchen, aber dass diese gierige Ibolya zweimal hier war und sich einen Kerl abgeholt hat, das weiß ich ganz sicher."

        „Ibolya ist nicht gierig, antwortete Julia gelassen, „sie ist nur jung und steht in voller Pracht und Blüte.

        „Das ist kein Grund, die armen Kerle so zu quälen." Pista schlug böse mit der  Handfläche auf den Tisch.

        „Was weißt du denn schon davon, du alter Narr. Du bist doch bloß eifersüchtig!"

        „Eifersüchtig? Worauf denn? Auf die vielen Stockhiebe? Den Vorletzten hatte sie halb tot geprügelt, einen jungen Burschen aus Lyon. Und wehren dürfen die sich ja auch nicht. Auf euer bloßes, launisches Wort hin, ihr Hexen, könnten sie standrechtlich exekutiert werden, nicht wahr? Kriegsrecht eben! Das wissen die, aber ihr wisst das noch viel besser! Zum wiederholten Male schüttelte er aufgebracht sein Haupt. „Was seid ihr denn nur für Menschen! 

        „Der da auch?", unterbrach ihn Julia.

        „Was? Was heißt der da auch?" Der alte Soldat blickte perplex zur Hebamme, die soeben, als sie genüsslich um den gefangenen Franzosen herumging, unzüchtig die Zunge über ihre Lippen gleiten ließ.

        „Na, ob der da auch weiß, dass er mir gefälligst zu gehorchen hat? Sie richtete nun ihren Blick auf den störrischen Invaliden, beugte sich zu ihm und sah ihm unverfroren in die Augen. „In allem? ergänzte sie noch frech.

        „Ach, nimm ihn und mach, dass du weiter kommst!, rief der Alte aufgebracht. „Ihr werdet schon noch eure gerechte Strafe erfahren!

        „Morgen bring’ ich dir ein Süppchen mit, Pista, damit sich deine Laune wieder etwas bessert. Komm, Pista-Philister, wir gehen. Ich zeig’ dir ganz genau, was du zu tun hast und speziell wo", sprach’s und verließ mit dem Gefangenen im Schlepptau aufgeräumt die Baracke.

        Eine zeitlang konnte der alte Soldat noch das Klirren der schweren Ketten hören, dann war es wieder still. Sogar Leutnant Imre Gelányi grunzte nur noch leise, da sich mittlerweile seine Position im Feldbett geändert hatte, und er seinem Burschen nunmehr den Rücken zukehrte. Pista betrachtete ihn eine Weile lang nachdenklich und seufzte danach bekümmert, als sich plötzlich die Türe öffnete.

        Drei Frauen mittleren Alters betraten vorsichtig den Raum. Sie blickten sich gegenseitig vielsagend an und begannen zu kichern.

        „Ja?", fragte der alte Soldat müde und lediglich pro forma, denn er wusste nur allzu genau, was ihr Begehr war.

        „Wir kommen wegen der Männer!", sagte auch schon die Rädelsführerin, die wohl so um die vierzig Jahre alt sein mochte und recht drahtig wirkte.

        „Wir meinen natürlich die Arbeiter", ergänzte sofort eifrig eine ihrer Begleiterinnen.

        „Ja. Die Kriegsgefangenen, bemerkte endlich nun auch die Dritte und räusperte sich. „Es gibt viel zu tun bei uns auf dem Feld!

        Alle drei hielten sich sogleich ihre Hand vor den Mund und begannen wieder zu kichern.

        Pista verdrehte seine Augen und blickte gottergeben zum Holzplafond. „Drei Franzosen für Feldarbeiten also", murmelte er.

        „Nein!, riefen nun alle drei durcheinander. „Nicht drei. Sechs!

        Überrascht blickte der alte Soldat die Frauen an, eine nach der anderen, und nickte schließlich.

        „Aha, bemerkte er leise. „Sechs Stück. Und stark müssen sie sein, vermutlich!

        „Sehr stark", erwiderte die drahtige Rädelsführerin und wieder begannen alle drei verhalten zu kichern.

        Im Hintergrund entkam Leutnant Imre Gelányi ein würziges Geräusch.

        Ibolya Hegedüs war die junge Frau eines Bauern namens Péter Hegedüs, dem in jenen Kriegstagen und Nächten an der blutigen Front mächtig das Fürchten gelehrt wurde. Dabei hatte er es sich daheim in Nagyrév doch schon so angenehm eingerichtet. Als Landarbeiter, der vor keiner harten Arbeit zurückschreckte, stand er, als noch Frieden herrschte, im Dienste des Gutsherrn Baron Šreyer, und jeden Monatsanfang, das war so sicher wie das ‚Amen’ im Gebet, versoff und verspielte er regelmäßig in den nahe gelegenen Gasthäusern seinen gesamten Lohn bis auf den letzten Pengö. Ständig kam es deswegen zu heftigen Wortwechseln und Streitereien im Haus der Hegedüs’, und nur allzu oft stand die junge, verzweifelte Frau den Rest des Monats ohne Haushaltsgeld da und erhielt obendrein, nach alter Tradition, noch eine ordentliche Tracht Prügel. Und als wären es der Niederträchtigkeiten nicht schon genug, bestand der Wüstling anschließend nicht selten auf der peniblen Erfüllung der ehelichen Pflichten. Dabei tat er meist so, als würde er damit der Ärmsten eine unsägliche Wohltat erweisen.

        Eigentlich hatte sich Ibolya aus den fürchterlich desolaten Verhältnissen ihres Elternhauses hinein in diese Ehe retten wollen. Sie wollte damals den schändlichen Belästigungen ihres ihr permanent nachstellenden Vaters und einer achtlos wegschauenden Mutter entkommen, die sich beide, da sie selbst ohne jede Hoffnung auf Erlösung waren, armselig und sittlich total verwildert, dem Dämon Alkohol ausgeliefert hatten. Aber es war der sprichwörtliche Wechsel vom Regen in die Traufe, denn der Alkohol gewährte in dieser ländlichen Gegend all den trostlos Dahindämmernden immer wieder gerne und oft Asyl und machte folglich auch bei ihrem Mann keine Ausnahme.

        So nimmt es nicht weiter wunder, dass das Mädchen, als es ihr die Umstände während des Ersten Weltkrieges erlaubten, roh und instinktiv an ihrem Schicksal Rache nahm. All die wehrtauglichen Männer der österreichisch-ungarischen Monarchie, so auch Péter Hegedüs, standen wie gesagt im Kugel- und Granatenhagel an der Front, die wenigen Alten, die in den Dörfern bleiben durften, lagen daheim in ihren Betten, mehr schlecht als recht gepflegt, und regelmäßig füllten sich die Kriegsgefangenenlager mit den Bedauernswerten befeindeter Nationen. Diese schmutzigen Lager hatte man in Ungarn oft lieblos an die Peripherie der Siedlungen hingepfercht, und da ja die Felder für die in der Ferne kämpfenden Einheiten ertragreich und sinnvoll bewirtschaftet werden mussten, gab man den zivilen Anwesenden – und das waren eben meist Frauen – die unumschränkte Möglichkeit, sich an diesem zusammengefangenen  Menschenmaterial großzügig zu bedienen.

        Was zuerst zum Allgemeinnutzen, wie z.B. Feldarbeiten, gedacht war, wurde schon sehr bald für delikatere, persönliche Dienste eingefordert. Nicht nur die Strapazen auf dem Acker machten also den Gefangenen zu schaffen, sondern danach meist auch der pikante Frondienst, den sie an den schier unersättlich mannstollen Frauen widerspruchslos zu leisten hatten. Aus den nichtigsten Gründen konnten diese unglücklichen, fremdländischen Soldaten zu jeder Zeit angezeigt oder gar denunziert werden, und da nach wie vor Kriegsrecht herrschte, machte man mit ihnen meist kurzen Prozess, und sie wurden einfach, ohne Anhörung oder gar ein Gerichtsurteil, standrechtlich erschossen. So ein böses Procedere sprach sich im Lager selbstredend schnell herum, also fügte man sich notgedrungen ins Unvermeidliche, von welcher lüsternen, ruralen Metze man auch immer abgeholt wurde.

        Für die Frauen der ungarischen Dörfer jedoch stellte dieser unerhörte Freibrief eine Neuauflage der zügellosen Zustände dar, wie diese einst im biblischen ‚Sodom und Gomorrha’ geherrscht haben mögen, und sie, diese gottlosen Frevlerinnen, versuchten nun instinktiv und triebhaft, der abscheulichen Betriebsamkeit dieser klerikalen Metapher, als intuitiv gewähltes Vorbild, mehr als gerecht zu werden.

    KAPITEL II

    - Die burleske Audienz von Slatin Pascha und Conrad von Hötzendorf bei Seiner Majestät, Kaiser Franz Joseph I. im Schloss Schönbrunn -

    - Kammerdiener Ketterl als erfolgreicher Intrigant -

    - Slatin Pascha fasst in der k. u. k. Militärschwimmschule „Alte Donau" einen folgenschweren Entschluss -

    Eugen Ketterl war seit vielen Jahren schon Leibkammerdiener und Vertrauter des österreichischen Kaisers Franz Joseph I., als im k.u.k. Lustschloss Schönbrunn an einem wunderschönen Herbsttag im ersten Kriegsjahr der k.u.k. Generalstabschef Freiherr Conrad von Hötzendorf diskret an ihn herantrat.  

        „Sagen S’, Ketterl, wann beginnt denn heut’ die Audienz bei Seiner Majestät?"

        Der Kammerdiener, der soeben eine Riesentür lautlos geschlossen hatte und auf den Korridor hinaustrat,  sah ihn blasiert an.

        „So wie immer, Herr Generalfeldmarschall", antwortete er kurz angebunden und ging vornehm weiter.

       „So warten S’ doch. Wann wär’ das denn, wenn man fragen darf? So, wie immer. Wie spät ist es denn da meistens?"

        Ketterl blieb nun stehen und drehte sich würdevoll zum Generalstabschef hin.

        „Keine fünf Minuten ist es her, da haben Seine Majestät den Slatin Pascha zu sich rufen lassen. Er hielt nun kurz inne und blickte sodann etwas konsterniert auf den General. Indem er eine Augenbraue in die Höhe zog, versuchte er, seine Irritation mimisch zu dramatisieren. „Ja, hätten Sie da nicht dabei sein sollen?

        Generalfeldmarschall Conrad von Hötzendorf blickte untröstlich.

        „Aber wenn ich doch net g’wußt hab’, wann die Audienzen heut’ anfangen. Außerdem trag’ ich zur Einserpanier, er deutete bei diesem saloppen Fachausdruck entschuldigend auf seine Uniform, „prinzipiell keine Uhr. Wie das nur ausschauert! Andererseits hab’ ich aber deswegen auch nicht g’wußt, wie spät ’s ist. Eine verteufelte Verkettung eben. Verlegen kratzte er  sich am Kopf. „Und der General Slatin ist tatsächlich schon drinnen?"

        „Der Leutnant Slatin. General mag er ja drunten bei die Neger g’wesen sein, aber bei uns in der Armee ist er lediglich ein Leutnant, der Herr Freiherr. Ordnung muss sein, wo kämen wir denn da sonst hin, oder?"

        „Schau dich einer an, das mit’n Leutnant hab’ ich ja gar net g’wusst. Aber der Slatin Pascha ist er trotzdem! Schließlich war er ja vor gar net so langer Zeit noch der Gouverneur von Darfur! Zumindest der Titel steht ihm zu", mokierte sich mit gedämpfter Stimme  der Feldmarschall.

        „Von mir aus, entgegnete Ketterl unbeeindruckt, „aber bei uns ist er trotzdem nur ein Leutnant, der Herr Pascha!

        „Ja, ja, ist schon recht, mein lieber Ketterl, das wird schon alles seine Richtigkeit haben. Was sagen Sie, glauben S’, könnt’ ich einfach so reingehen?"

        „Wie so?"

        „Na, z’spät halt!"

        „Mit Ihrer feschen Paradeuniform sicher. Die wird Seine Majestät gewiss nachsichtig stimmen."

        „Danke, Ketterl, dass S’ ma so einen Mut machen, murmelte der Generalfeldmarschall und schüttelte dem überraschten Kammerdiener bewegt die Hand. „Geh, und jetzt sein S’ so lieb und melden mich an bei Seiner Majestät!

        Der Nobelcommis verneigte sich kurz, schritt zurück zu jener Riesentür, aus welcher er zuvor herausgetreten war, klopfte diskret an und trat schließlich ein. Schon nach kurzer Zeit erschien er wieder, feierlicher denn je.

        „Seine Majestät lassen bitten", sagte er nasal und trat zur Seite.

        „Da sind Sie ja endlich, Hötzendorf. Hab’ schon geglaubt, Sie kommen heut’ gar nimmer, haben ganz auf Ihren alten Kaiser vergessen!" Franz Joseph saß hinter seinem Schreibtisch und blickte den zaghaft näher tretenden General über den Brillenrand hinweg an.

        „Aber Majestät … gehorsamst … ich kann alles …", stotterte Freiherr von Hötzendorf.

        „Na, lassen wir ’s gut sein. Schneidig schaun S’ aus in der Paradeuniform, wirklich fesch!" Seinen Mund umspielte ein freundliches, anerkennendes Lächeln.

        „Majestät sind zu gütig", erwiderte der Generalfeldmarschall mit zittriger Stimme und deutete unsicher einen Bückling an.

        „Treten S’ nur näher, mein lieber Hötzendorf, nur net so förmlich. Den Freiherr von Slatin kennen S’ ja." Franz Joseph I. deutete mit einer Handbewegung auf einen etwas steif vor ihm sitzenden Offizier mit wettergegerbtem Gesicht. Dieser erhob sich nun.

        „Servus, Conrad", sagte er und streckte ihm die Hand entgegen.

        Hötzendorf verschränkte augenblicklich seine Arme hinterm Rücken und blickte Slatin Pascha unverhohlen pikiert ins Antlitz. „Hab’ gerade erst erfahren, dass Sie lediglich Leutnant g’worden sind."

        „Na ja, und?"

        „Ich muss Ihnen hiermit das ‚Du-Wort’ entziehen. Das geht doch net, das musst doch versteh’n, Rudolf. Ich, ein Generalfeldmarschall und du, ein Leutnant."

        „Jetzt enttäuschst d’ mich aber sehr. Aber gut, wenns d’ meinst. Werd’ mich schon wieder hochdienen. Dann werma ja seh’n, wer wem was entzieht."

        „Na, sag einmal. Was erlauben Sie sich! Hötzendorf, dem momentan vor gerechter Empörung das Blut in den Schädel schoss, erhob entrüstet seine Stimme. „Nehmen S’ g’fälligst Haltung an. Sie wagen es, mir im Angesicht Seiner Majestät zu drohen? Das wird ja immer schöner!

        „Einen Schmarr’n werd ich annehmen und schon gar keine Haltung! Ich war schon General und Militärgouverneur im Sudan, da warst du noch eifrig hinter deine Dienstmadln her!"

        Franz Josef I. verfolgte, abwechselnd einmal zu diesem, dann wieder zu jenem blickend, überrascht, jedoch amüsiert den Wortwechsel.

        „Was?, rief nun Generalfeldmarschall von Hötzendorf. „Ich und Dienstmadln? Dass ich net lach’!

        „Na, und die Tochter vom Baron Sauner-Schinkowitz?" Slatin sah den Generalfeldmarschall triumphierend an. Auch der Kaiser blickte nun interessiert auf den Angesprochenen. Der holte empört Luft. 

        „Da hastas! Du lügst ja, wenns d’ nur die Papp’n aufmachst, rief er. „Das Sopherl war doch nie und nimmer ein Dienstmadl!

        „Aber dir ist sie sehr wohl zu Diensten g’standen, das Madl! Und nicht nur einmal, sagt man. Leutnant Slatin lächelte süffisant. „Vielleicht war s’ ja dann doch ein Dienstmadl? Ich mein’, im erweiterten Sinn!

        „Was meinst damit, im erweiterten Sinn? Willst damit vielleicht gar andeuten, die war eine …?"

        „Na, so sag’s, trau’ dich doch!", stichelte nun frech der Leutnant.

        „Ich untersteh’ mich. Bin ja schließlich ein Offizier, ein verheirateter!"

        Der Kaiser und Slatin Pascha lachten nun gleichzeitig auf.

        „Das Sopherl war damals glücklich verlobt", bemerkte letzterer plötzlich mit versteinerter Miene, nachdem er sich nervös den Schnurrbart gezwirbelt hatte.

        Jetzt war’s für den Generalfeldmarschall an der Zeit, hämisch zu triumphieren. „Sind s’ das net alle, die Mizzis, die Sopherls und die Fannys, oder wie die süßen Fratzen sonst noch heißen mögen?"

        Freiherr Rudolf Slatin, genannt Slatin Pascha, kämpfte nun mit den Tränen. „Bei die anderen weiß ich’s net, erwiderte er bewegt, „aber bei der Sopherl schon. Die war damals ganz sicher verlobt, nämlich mit mir. Geheim, dass d’as weißt!

        Nach einer allgemeinen Schrecksekunde lachte der alte Kaiser auf einmal überrascht auf und schlug vergnügt mit der flachen Hand auf den Schreibtisch.

        „Ihr zwei seids mir ja besser als jedes Kabaretttheater. Das muss man euch schon lassen! Die Majestät schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Aber Hut ab, mein lieber Herr Leutnant, dass Sie nach so vielen Jahren Ihrem G’spusi noch die Treue halten und löwenhaft ihre Ehre verteidigen. Das adelt Sie kolossal. Aber das Sopherl, das war damals halt ein recht ein fesches, aufg’wecktes Maderl mit einem gigantischen … äh, Liebesbedürfnis, das muss ich schon sagen. Und von Ihrer Verlobung, das versichere ich Ihnen, hat seinerzeit niemand was g’wußt, net wahr, Hötzendorf? Nicht einmal ich. Das war doch so. Sonst hätt’ ich doch auf keinen Fall … Der Kaiser hielt nun in seiner unverhofft aus den Fugen geratenen Erinnerung abrupt inne und räusperte sich. „Also, weshalb ich Sie heute hab’ herkommen lassen, fuhr er sogleich und mit umflorter Stimme fort, während Slatin Pascha sichtlich betreten nach Fassung rang, „hat ja einen besonderen Grund, nicht wahr.

        In diesem Moment öffnete sich diskret die Riesentür, und Ketterl trat ein. Er ging lautlos zum Kaiser, beugte sich vornüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Die Majestät erhob sich augenblicklich.

        „Ich bin gleich wieder da, meine Herren. Ein dringendes Staatsgeschäft ruft mich. Behalten S’ nur Platz, ich komm’ sofort wieder."

        Trotz der kaiserlichen Empfehlung sprangen Hötzendorf und Slatin selbstredend auf, als Seine Majestät zusammen mit seinem Kammerdiener den Raum durch eine Seitentür verließ.

        Kaum war diese sorgsam geschlossen, drehte sich Franz Joseph zu seinem Diener um und blickte ihn fragend an.

        „Was pressiert denn a so, Ketterl? Wär’ ja eh gleich fertig g’wesen."

        „Eure Majestät dürfen sich das nicht gefallen lassen!", flüsterte energisch der Kammerdiener.

        „Ja, was denn? Was ist denn passiert, um Gottes Willen?"

        „Da drinnen, Majestät, im Audienzzimmer. G’rad vorhin."

        „So drücken Sie sich doch etwas genauer aus, Ketterl, net immer so komisch drumherum! Andauernd reden S’ so umständlich und kompliziert! In letzter Zeit immer öfters, Herrschaft noch einmal!" Franz Joseph wurde langsam ungeduldig.

        „Bin halt kein tauglicher Rhetorianer, Kaiserliche Hoheit. Kann ja selber nix dafür. Ich werd’ versuchen, es Eurer Majestät geradeheraus zu sagen."

        „Da möchte’ ich bitten d’rum! Immer diese Larifari!"

        „Der Streit vorhin…".

        „Das war doch kein Streit. Eine patscherte Eifersüchtelei höchstens!", fiel ihm der Kaiser ins Wort.

        „Majestät bedenken, flüsterte Ketterl beschwörend, „in Gegenwart Seiner Kaiserlichen Hoheit haben keinerlei persönliche Gespräche, geschweige denn Dispute, stattzufinden. So eine Unverfrorenheit, Eure Majestät. Eine Impertinenz ohnegleichen!

        Franz Joseph I. blickte grüblerisch. „Ja, irgendwie haben S’ ja recht, Ketterl, jetzt fallt ma das erst auf! Obwohl ’s streckenweis’ recht amüsant war. Speziell das, seinerzeit mit der Sopherl. Können Sie sich an die noch erinnern?"

        „Ja, natürlich. Aber ich gestatte mir dennoch untertänigst zu empfehlen, das Augenmerk auf die unmanierlichen Allüren der beiden Offiziere zu richten. Das duldet kein Pardon! Was wär’ denn nachher das? Wo soll das denn noch hinführen, Majestät?"

        „Was soll ich denn nur machen jetzt? Franz Joseph schien verzweifelt. „Ich wollt doch g’rad den Slatin Pascha zum General befördern und ihn dem Hötzendorf als seinen Nachfolger vorstellen. Der Feldmarschall ist müd’, will eh schon längst zurücktreten, wenn das alles stimmt, was so daherg’red’ wird. Eine blöde G’schicht’ ist das jetzt g’word’n, eine richtig heikle und verdrießliche G’schicht’!

        „Wenn ich seiner Majestät einen Rat geben darf", murmelte der intrigante Kammerdiener.

        „So reden S’ doch schon. Wegen dem dauernden Intervenieren und Treiben von Ihnen und dem Hötzendorf hab’ ich ja auch den Krieg ang’fangen. Hätt’ mich halt vom Anfang an besser informieren sollen. Aber wenigstens heut’ können S’ mich ein bisserl geistreicher unterstützen und mir aus dieser leidigen Bredouille da helfen, Ketterl. Also, was raten Sie mir? Was soll ich denn Ihrer Meinung nach tun?" 

        „Untertänigst vorschlagen zu dürfen, der Generalfeldmarschall Hötzendorf muss ohne wenn und aber in Amt und Würden bleiben, und der Slatin Pascha bleibt Leutnant, kriegt aber eine ehrenvolle Aufgabe zugewiesen."

        „Und?"

        „Ich versteh’ nicht ganz, Eure Majestät."

        „Also, Ketterl, Ihnen muss man heut’ ja wirklich alles aus der Nas’n ziehen. Was soll ich denn dem Slatin bloß überantworten? Irgendeine desolate Fregatt’n?"

        „Nein, Kaiserliche Hoheit, aber die Kriegsgefangenenhilfe des österreichischen ‚Roten Kreuzes’ bräucht dringend eine repräsentative Führung. Ich

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