Spiegelglatt
Von Alfred Polansky
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Über dieses E-Book
Die Idee hinter dieser genauso originellen wie kniffligen Erzählung ist kaum zu verkennen: wie man in den Wald hineinruft, klingt es heraus. Um Gotteswillen oder Gottseidank.
Alfred Polansky ist ein österreichischer Autor, Komponist, Konzertgitarrist und Lautenist. Lebt in Wien und Debrecen.
Es handelt sich um eine aktualisierte Auflage! (14. Februar 2016)
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Buchvorschau
Spiegelglatt - Alfred Polansky
Alfred Polansky
Spiegelglatt
Ein zeitloses Märchen
(Roman)
Copyright © 2015 Der Drehbuchverlag, Wien
2. Auflage, 14. Februar 2016
Alle Rechte vorbehalten
eBook: Spiegelglatt - Ein zeitloses Märchen (Roman)
ISBN: 978-3-99041-550-4
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
I.
In Damaskus, gleich in der Nähe der Omajjadenmoschee, gab es einst, als Suleiman Kalif war, einen märchenhaften Basar, dessen Zauber, dessen sinnliche Düfte und Gerüche, dessen überbordendes Angebot an exotischen Wohlgeschmäcken aller Art weit über die Grenzen Arabiens hinaus berühmt waren.
Auch noch fernab, selbst an den Oasen der Wüste Nefud, wo sich spätabends müde die Händler der Karawanen einfanden, um sich vom anstrengenden Tagesritt oder gar von den Attacken herumstreunender Wüstenräuber zu erholen, wusste man am Lagerfeuer, bei Dattelwein und geschmortem Lammfleisch, von der anmutigen Magie jenes Ortes in geheimnisvollen Fabeln so manche Geschichte zu berichten.
Fortwährend trafen zu jener Zeit in Damaskus Karawanen mit seltenen Gütern ein. Aus Aden, Bagdad, ja, manchmal sogar aus Samarkand kamen sie und füllten so die geräumigen Lagerhäuser der Händler mit Kurkuma, Ambra, Jasmin, Haschisch, Bergamotte, Moschus, Sandel und vielen anderen Köstlichkeiten aus fernen Ländern, zu denen man stetige Handelsbeziehungen pflegte.
Der Basar von Damaskus war ein lebendiger Organismus, wo Neuigkeiten und Gerüchte aus den benachbarten Ländereien und Städten sich von Mund zu Mund in Windeseile verbreiteten und sich dabei nicht selten auch letztlich neu einkleideten.
Die erfindungsreiche Geschwätzigkeit der heimischen Händler und Kaufleute war für manch verschlagenen Aufrührer von unschätzbarem Wert, und so konnte auf diesem Weg die eine oder andere Nachricht gezielt unters Volk gebracht werden. Was danach daraus wurde, hing davon ab, wem man sie wie ins Ohr weiterflüsterte.
Sollte sich die Botschaft schnell wie ein Lauffeuer verbreiten, musste man deren Inhalte schlicht und einfach belassen und unter dem Siegel größter Verschwiegenheit mitzuteilen verstehen.
Wollte man sie jedoch ertragreich und kräftig wiederhaben, dann sollte man sie bereits von Anfang an pikant und anrüchig würzen, um somit der Phantasie des jeweiligen Boten noch zusätzlich eine feurige Anregung zukommen zu lassen. Dieser Parcours dauerte zwar für gewöhnlich etwas länger, der Aufwand an Geduld zahlte sich aber letzten Endes immer wieder aus, denn die Verwandlungen an Form und Inhalt waren meist überaus erstaunlich.
Nie verließ ein Gerücht den Mund des Überbringers so, wie es eben gerade noch zuvor sein Ohr vernommen hatte.
Wollte man jedoch sowohl Tempo als auch kreative Zierkunst miteinander paaren, dann wendete man sich einfach an Ibn Balq, den man auch Al Turki nannte, da seine Familie aus einem kleinen Dorf am Ende der Welt, in der Nähe von Byzanz stammte, welches damals noch an das Omajjadenreich grenzte.
Schon vor langer Zeit hatte sich Al Turkis jüdischer Großvater als Händler in Damaskus niedergelassen, passte sich geschmeidig der neuen Kultur an und konvertierte schließlich im hohen Alter aus wohldurchdachten Überlegungen zum Islam.
Dieser geschickte Schachzug gereichte schon der folgenden Generation sehr zum Vorteil. Sein Sohn, Ibn Balq al Shmoq, brachte es nämlich im Laufe vieler Jahre zu ansehnlichem Reichtum und Wohlstand, welchen er und seine Familie in solch ausschweifendem Ausmaß zur Schau stellte, dass seine leichtlebige Sippe nach und nach gewaltigem Ärgernis ausgesetzt war und schon bald die Missgunst vieler Gläubiger auf sich zog.
Da half letztlich auch kein diplomatischer Bakschisch mehr, den wiederum eine Generation später Al Turki, welcher des pompösen Al Shmoqs Erstgeborener war, regelmäßig an die Ärmsten der Armen verteilen ließ, um dem Ansehen seiner Familie dergestalt zumindest einen Hauch von Gottesfurcht und Volksnähe zu verleihen.
Und so entschloss er sich dann endlich eines Tages, nach endlos langem Grübeln, nach zauderndem Hin und Her, ein gewaltiges Gerücht in die Welt zu setzen, welches von Mund zu Mund, von Ohr zu Ohr wandernd, seine liederliche Sippschaft, und dadurch natürlich auch ihn, für alle Zeiten veredeln sollte. Aber so einfach war das nicht.
‚Das ist gar nicht so einfach’, dachte sich Al Turki. Er lag inmitten eines seidenen Polstermeeres in einem halbdunklen, hohen Raum seines prächtigen Domizils in Damaskus und blickte gedankenverloren auf die kunstvoll verzierte Decke aus indischem Palisander über ihm. Die Motive, die er darauf zu erkennen glaubte, und die sich zueinander immer wieder unterschiedlich neu in Beziehung zu setzen schienen, als hätten sie ihr eigenes Leben, beunruhigten ihn.
Aufgewühlt wendete er den Blick ab und zuckte plötzlich zusammen, als er einer weiteren Person an diesem stillen Ort der Einkehr gewahr wurde, von deren lautloser Anwesenheit er bislang nichts bemerkt hatte.
„Himmel, Allah noch einmal!, entfuhr es ihm verärgert. „Wie oft soll ich es dir denn noch erklären, dass du dich nicht immer so anschleichen sollst. Zumindest nicht, wenn ich gerade nachdenke! Das wird noch einmal ein böses Ende mit dir nehmen, mein Sohn!
Al Murzi, der jüngste Sohn Al Turkis konnte jedoch momentan darauf nichts antworten. Sein Mund war ziemlich vollgestopft mit Fleisch, das er offensichtlich von der Lammkeule, die er in seiner linken Hand hielt, eben erst abgenagt hatte. Mit hochrotem Kopf, welchem er dem andauernden Kauen und Würgen an seiner geschmorten Delikatesse verdankte, stand er recht knieweich im Raum und schaute mit fragendem Blick auf seinen Vater.
Als Al Turki auffiel, dass der Unterkörper seines Sohnes unbekleidet war, wurde er zornig. Nun bekam auch er einen roten Schädel.
„Warst du schon wieder in meinem Harem wildern? Bei dieser ungläubigen Hure, die ich vorige Woche bei einer Wette gewonnen habe? Bei meiner weißen, blassen Fränkin? Ich kenne dich! Rede!"
Er zeigte rügend mit dem Finger auf das winzige, schlaffe Gemächt seines Sprösslings.
Reflexartig ließ Al Murzi die köstlich duftende Lammkeule fallen und schüttelte verneinend sein Haupt. Gleichzeitig bückte er sich, hob ein Polster auf und bedeckte beschämt damit notdürftig seine, hier in der Gegenwart des Vaters, äußerst unangemessene Blöße. Die Bissen in seinem Mund schienen indessen auch nicht weniger zu werden, und so kaute er keuchend weiter, nach wie vor unfähig, sich auch nur halbwegs verständlich zu artikulieren.
Als Al Turki zornig ein paar Schritte näher an seinen Sohn herantrat, bemerkte er nun obendrein noch den süßlichen Geruch von Dattelwein, der Al Murzis kindlichem Körper entwich. Empört prallte er zurück.
„Im Namen Allahs, des Allbarmherzigen, des Allmilden! Das ist ja widerlich! Du, Sohn, solltest einmal in dein Inneres schauen. Ich kann das gegenwärtig nämlich nicht, mir ist das verwehrt, weil deine fettverschmierte Pforte von blökenden Lämmern bewacht wird! Schande über dich, Al Murzi! Könnte ich dennoch reinschauen, würde ich wohl nur Treulosigkeit und Verrat wahrnehmen. Was soll ich nur von dir halten? Wer bin ich denn für dich, kannst du mir das erklären? Du plünderst meine Vorratskammer und besteigst meine Weiber, du kleiner Wicht! Meine Weiber! Sag an, was soll das?"
Außer sich vor Zorn hob Al Turki die halb abgenagte Lammkeule vom Boden auf und streckte damit seinen verschreckten Sohn mit einem einzigen, wuchtigen Hieb nieder. Während Al Murzi fiel, glitt aber das Polster, welches bislang seine Scham bedeckt hatte, seitlich ab und gab so den Blick auf sein mittlerweile wahrscheinlich aus innerer Aufruhr erigiertes Glied frei. Entsetzt schrie Al Turki auf.
„Das kann nicht Allahs Wille sein!" Er stürzte sich wie besessen auf den Ohnmächtigen, raffte mit zitternden Fingern eines der vielen Seidenpolster an sich und erstickte damit – halb wahnsinnig vor selbstgerechtem Zorn - seinen eigenen Sprössling.
Kurz zappelte dieser noch mit seinen Füßchen, und dann war es ruhig. Keuchend erhob sich nun Al Turki. Er starrte wie betäubt ins leere Nichts, so, als könne er dort seiner vermaledeiten Zukunft begegnen. Hastig steckte er die Lammkeule wieder zurück in die mittlerweile entspannte Hand seines Sohnes. Dann trat er ein paar Schritte nach hinten.
Geräusche von Fußstapfen, die sich rasch näherten, rissen ihn aus seinen Gedanken. Die klappernden Schritte verstummten jäh vor seinen Räumlichkeiten. Al Turki zerrte eilig den leblosen Körper seines Kindes in die dunkelste Ecke und bedeckte ihn notdürftig mit ein paar der herumliegenden Polster.
„Hast du unser Murzilein vielleicht gesehen, mein einzigartiger, mächtiger Gebieter? Von den süßen Datteln nahm er sich eine Hand voll und patzte sich natürlich sofort an. Ich musste ihm den Kaftan abnehmen, um ihn zu säubern, und während ich dies tat, ist er mir entwischt. Und weißt du wohin? Du wirst es nicht glauben! Direkt in die Speisekammer, um sich dort eine Lammkeule zu stibitzen. Deine Lammkeule!"
Safiya, die Hauptfrau Al Turkis, die unbefangen eingetreten war, sah ihn verschmitzt lächelnd an. In ihrer kindlichen Freude bemerkte sie nichts von der Blässe, die dem schwitzenden Antlitz ihres Gebieters ein schauerliches Fluidum verlieh. Unbekümmert und heiter fuhr sie in ihrem Gerede fort.
„Und zwar genau die, welche ich in ‚Iskebey’ einlegte, du weißt ja, nach dem Essig-Rezept meiner Mutter, welche die Marinade noch mit Dill, Koriander, Fenchel, Petersilie, Knoblauch, Bohnenkraut, Salbei, Minze, Thymian, Weinkraut und noch vielen anderen Raffinessen zu würzen verstand."
Der Gedanke an diese außergewöhnliche Rezeptur ließ Safiya vergnügt im abgedunkelten Raum herumtanzen. Anders jedoch wie bei seinem arglosen Weib schwirrten böse Gedanken in Al Turkis Kopf hin und her.
In heiligem und gerechtem Zorn hatte er gerade eben seinen Sohn erstickt. Durch eine fromme Verzückung, so dachte er bei sich, die ihn für kurze Momente zum Instrument einer höheren Ordnung gemacht und ihn willenlos zu jener Tat verlockt hatte, war er zwar rein vor Allah, aber würde das Safiya, seine Frau, auch so sehen? Wohl eher nicht.
Al Turki flehte nun den Allbarmherzigen, den Allmächtigen, um eine weitere statthafte Ekstase an. Schließlich ging er doch jeden Tag dreimal in die Moschee zum Gebet.
Ein schriller Aufschrei riss ihn aus seinen wilden Hirngespinsten. Safiya hatte soeben den schlaffen Körper ihres Sohnes entdeckt, als sie während ihres läppischen Dahintanzens geradezu drüber gestolpert war. Durch den unglückseligen Sturz verschob sich eines der übereilt positionierten Polster und gab somit den Blick auf Al Murzis entstelltes Antlitz frei.
„Er war doch noch ein Kind, stotterte Safiya entsetzt, als ihr der nun zeitlose Zustand ihres Sohnes gewahr wurde. Mit weit aufgerissenen Augen stand sie da, hielt sich die Hände vor den Mund und blickte so auf ihr seltsam erlöstes Kind. „Er war doch erst zwölf Jahre alt
, flüsterte sie verwirrt, „er war doch noch ein Kind!"
Al Turki musste jetzt handeln.
„Allah ist groß!", schrie er in veredelt heiligem Eifer und stürzte sich wild auf seine fassungslose Frau. Dabei übersah er den langen, bis zum Boden reichenden Seidengürtel, mit dem er seinen Kaftan geschlossen hielt.
Der Rasende stieg partout darauf, beschrieb eine energische Pirouette und landete schließlich in der nach oben weisenden, halb abgenagten Lammkeule, welche nach wie vor von der Faust seines Sohnes umklammert wurde, und die sich ihm nun genau in den Schlund jenes kryptischen Körperteils rammte, den die anatomische Vorsehung eher als Aus- statt als Eingang des Leibes konzipiert hatte.
Ein schriller, schmerzlicher Aufschrei war Al Turkis letzte Botschaft ans Diesseits, denn die Bruchlandung war nicht nur gewaltig, sie war auch letal. Dass Ibn Balq, genannt Al Turki sofort als Kämpfer ins Paradies kam, um dort von hochbusigen Himmelssklavinnen sinnenfreudig umsorgt zu werden, kann als sicher gelten.
Seiner Frau aber reichte er dadurch sein eigenes Dilemma, an dessen Lösung er gerade eben noch erfolglos herumgekiefelt hatte, einfach weiter, jedoch mit dem wesentlichen Unterschied, dass Safiya in diese Zwickmühle, in der sie nun steckte, völlig unschuldig hineingeschlittert war. Aber wer würde ihr das schon glauben?
Ibn Balq selbst galt nämlich in der Gemeinde, trotz der verschwenderischen Arroganz seiner Vorfahren, als höchst gottesfürchtig und ehrenwert. Und da war auch noch der kleine, unglückliche Al Murzi, der offenbar zur falschen Zeit den Mund zu voll genommen hatte. Kein Gericht der Welt würde ihr Glauben schenken, erst recht keines, welches durchwegs aus Männern bestand, und schon gar kein islamisches.
Man würde ihr die Zähne ausreißen, eine Hand abhacken und sie an einen Pfahl vor der Moschee anbinden, wie das zu jener Zeit eben üblich war, um sie so den phantasievollsten Quälereien auszusetzen, die jeder, der es wollte, ungestraft an ihr vornehmen durfte.
Diese Vorstellung gefiel Safiya nicht. So hob sie sich die Trauer für später auf, verschleierte vorschriftsmäßig ihr Antlitz und begab sich flugs auf den Basar. Dort herrschte wie immer ungetrübte Geschäftigkeit. Zahllose Menschen und Tiere drängten sich zwischen den Ständen der Händler, die verführerisch mit ausführlichsten und lieblichsten Worten ihre Waren feilboten.
Von Lämmern über Teppiche bis hin zu Sklaven, von Gewürzen bis zu Schläuchen voll von köstlichem Dattelwein, war an diesem heißen, windstillen Vormittag, wie immer alles zu erfeilschen.
Safiya jedoch hatte in dieser schweren Stunde keinen Sinn dafür. Aufgeregt suchte sie nach Ibn Aser al-Shwaiq, dem unzugänglichen, tauben Sänger und Dichter, der meist einsam in der Nähe des sorglos dahinplätschernden Brunnens saß. Ihm wollte sie, dem Allah die Gnade der Abgeschiedenheit gewährte, ihre unfassbare Geschichte erzählen. Dem alten Ibn Aser, der nicht mehr zu hören vermochte, ihm, dem Gehörlosen, wollte sie alles anvertrauen und somit gleichsam ihre Seele entlasten, um mit Hilfe der eigenen Rede, die ja klare Gedanken und Formulierungen voraussetzte, vielleicht doch noch zu einer günstigen Lösung der abstrusen Probleme zu gelangen, welche ihr momentan, durch