Glück im Nixengrund: Sophienlust Extra 107 – Familienroman
Von Gert Rothberg
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Über dieses E-Book
In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg.
Der Postbote von Bachenau ging schmunzelnd auf das Tor des Tierheims Waldi & Co. zu. Dort stand die junge Frau des Tierarztes Dr. von Lehn und sah ihm erwartungsvoll entgegen. Sofort nahm sie ihm den Packen Post ab und stöhnte dabei: »So viel! Aber für mich ist sicher nichts dabei. Ich sehe nur Drucksachen, Werbesendungen und Veterinär-Zeitschriften.« Andrea von Lehn hatte übersehen, dass der Postbote noch einen Brief in der Hand hielt. Jetzt reichte er ihr das Kuvert. »Dieser Brief ist zwar nicht an Sie adressiert, Frau von Lehn, aber er dürfte hierhergehören.« Er rückte seine Mütze in den Nacken und lachte. »So etwas ist mir auch noch nicht passiert. Aber wie ich immer sage, bei unserer Post geht nichts verloren. Da, lesen Sie!« »An den Dackel Waldi im Tierheim Waldi Co., Bachenau«, buchstabierte Andrea. Jetzt lachte auch sie. »Das ist wirklich der erste Brief, den unser Waldi & Co., Bachenau, bekommt.
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Buchvorschau
Glück im Nixengrund - Gert Rothberg
Sophienlust Extra
– 107 –
Glück im Nixengrund
Unveröffentlichter Roman
Gert Rothberg
Der Postbote von Bachenau ging schmunzelnd auf das Tor des Tierheims Waldi & Co. zu. Dort stand die junge Frau des Tierarztes Dr. von Lehn und sah ihm erwartungsvoll entgegen. Sofort nahm sie ihm den Packen Post ab und stöhnte dabei: »So viel! Aber für mich ist sicher nichts dabei. Ich sehe nur Drucksachen, Werbesendungen und Veterinär-Zeitschriften.«
Andrea von Lehn hatte übersehen, dass der Postbote noch einen Brief in der Hand hielt. Jetzt reichte er ihr das Kuvert. »Dieser Brief ist zwar nicht an Sie adressiert, Frau von Lehn, aber er dürfte hierhergehören.« Er rückte seine Mütze in den Nacken und lachte.
»So etwas ist mir auch noch nicht passiert. Aber wie ich immer sage, bei unserer Post geht nichts verloren. Da, lesen Sie!«
»An den Dackel Waldi im Tierheim Waldi Co., Bachenau«, buchstabierte Andrea. Jetzt lachte auch sie. »Das ist wirklich der erste Brief, den unser Waldi & Co., Bachenau, bekommt. Ob er diese Ehre zu schätzen weiß? Das muss ich ihn doch gleich einmal fragen.« Sie nickte dem Postboten zu. »Danke.« Während sie auf das große Wohnhaus zuging, sah sie noch immer auf den weißen Briefumschlag. »Natürlich eine Kinderhandschrift. Da bin ich aber neugierig.«
Andrea vergaß, sich nach Waldi umzusehen. In der Diele rief sie dem Hausmädchen zu: »Waldi hat heute einen Brief bekommen. Es gibt doch noch Überraschungen auf dieser verrückten Welt.« Sie drückte dem Mädchen den Stapel der übrigen Post auf den Arm. »Geben Sie das bitte meinem Mann ins Sprechzimmer.«
Marianne sah Andrea etwas verwundert nach. Mit dem Brief an Waldi, das konnte doch nicht stimmen. Wer würde denn an einen Hund schreiben? Schließlich wusste doch jedes Kind, dass Hunde nicht lesen konnten. Sicher hatte sich die junge Frau nur einen Scherz erlaubt, wie sie es in ihrem Übermut oft tat.
Damit war die Sache für Marianne erledigt.
Nicht aber für Andrea. Sie lag inzwischen in einem Polstersessel, die Beine auf der Lehne und las den Brief.
Lieber Waldi, gestern hat mir mein Freund Dieter von Dir aus der Zeitung vorgelesen. Das hat mir gut gefallen. Ich finde es sehr mutig von Dir, dass Du der Chef von so vielen Tieren bist. Auch von denen, die größer und stärker sind als Du.
Aber ich wollte Dich etwas fragen, lieber Waldi. Hättest du in dem schönen Tierheim nicht noch Platz für drei junge Collies? Sie sind so arm, weil sie keine Mutter haben. Ein böser Mann hat sie erschossen. Sie war eine so liebe Lassie. Und sie hat mir gehört. Deshalb gehören ihre Kinder auch mir. Aber ich darf sie nicht behalten. Meine Mutti und ich leben nämlich jetzt in einem Gasthof, weil uns mein Vati fortgeschickt hat. Und meine drei Collies müssen in einer alten Regentonne auf dem Hof wohnen. Aber selbst darüber schimpft der Wirt den ganzen Tag. Gestern hat er mir vor Wut das Milchfläschchen zerschlagen. Dabei brauche ich es so nötig, um meine Collies zu füttern.
Weißt Du, Waldi, ich werde ja sehr weinen, wenn ich mich von meinen Collies trennen muss, aber ich bitte Dich trotzdem ganz lieb: Nimm sie zu Dir und passe gut auf sie auf. So wie auf Deine anderen Freunde.
Ich weiß nur nicht, wie meine Collies zu Dir kommen sollen. Meine Mutti und ich haben kein Geld für die Bahnfahrt. Aber vielleicht weißt Du Rat. In der Zeitung hat ja gestanden, dass Du so gescheit bist.
Ich muss Dir noch sagen, wie meine Collies heißen: Kasper, Friedo und Ambo. Mein Freund Dieter hat diese Namen mit ausgesucht.
Bitte, bitte, lieber guter Waldi, hilf meinen Collies und mir. Ich streichle Dich dafür ganz lieb.
Deine Kathi König.
Andrea von Lehn kämpfte mit Tränen der Rührung, wie immer, wenn es um die Sorgen kleiner Kinder und um Tiere ging.
Jetzt erst sah sie, dass in dem Briefumschlag noch ein Zettel steckte. Die Notiz darauf war in derselben Handschrift geschrieben wie der Brief. Ich bin Dieter Wessel und zehn Jahre alt. Kathi ist erst fünf Jahre, sie kann noch nicht schreiben. Deshalb musste ich es tun. Kathi hat einen Dickkopf. Ich musste alles so schreiben, wie sie es wollte. Kathi und ihre Mutter wohnen im Gasthof ›Weißer Hirsch‹ in Lauterbach. Bitte, liebes Frauchen oder Herrchen von Waldi, holen Sie die drei armen Collies.
»Das werde ich auch tun.« Andrea sprang auf. Mit dem Brief und dem Zettel in der Hand lief sie ins Sprechzimmer ihres Mannes.
Dr. Hans-Joachim von Lehn sah etwas ungehalten zur Tür, beugte sich aber gleich darauf wieder über den Behandlungstisch. Dort lag ein weißer Spitz. Neben ihm stand ein älterer Herr.
Andrea kannte ihn sehr gut. Es war der Studienrat Klemmer. Er hatte im Gymnasium versucht, ihr Mathematik beizubringen. Andrea erinnerte sich daran nicht sehr gern. Studienrat Klemmer allem Anschein nach auch nicht. Er sah sie jetzt empört an. »Noch immer das alte Temperament, Frau Andrea? Wie können Sie es wagen, so in die Sprechstunde Ihres Mannes hereinzuplatzen? Ich verstehe nicht, dass er sich das nicht verbietet.«
In Andreas Augen blitzte der Übermut auf. »Er ist nicht mein Lehrer, Herr Klemmer.« Mit einem abgrundtiefen Seufzer setzte sie hinzu: »Gott sei Dank nicht.« Sie stieß ihren Mann in die Rippen. »Das würde mir wirklich noch fehlen, Hans-Joachim.« Nun neigte sie sich über den Spitz. »Was fehlt ihm denn?«
»Wie herzlos Sie das fragen, Frau Andrea«, regte sich Studienrat Klemmer auf. »Sehen Sie nicht, wie sehr mein Bingo leidet?«
»Der fühlt sich ganz wohl«, stellte Andrea sehr sachlich fest. »Wenigstens sieht er so aus.« Sie streichelte den Spitz, der sich sogleich erheben wollte.
Schon drückte sein Herr ihn auf den Tisch zurück. »Ich bitte dich, bleibe liegen, Bingo.« Er sah den Tierarzt vorwurfsvoll an. »Haben Sie den Splitter in der Pfote gefunden? Und werden Sie jetzt Penicillin spritzen?«
Dr. Hans-Joachim von Lehn sagte: »Nein, das werde ich nicht tun, weil es nicht nötig ist. Der Hund hat einen kaum sichtbaren Schnitt im Ballen. Von Splitter keine Spur. Bitte, glauben Sie mir das, Herr Klemmer.«
»Nein, das kann ich nicht glauben. Sie waren nicht sorgfältig genug. Sie müssen Ihren Beruf verfehlt haben, Herr Doktor. Ich werde Bingo zu einem anderen Tierarzt bringen. Aber ich sage Ihnen schon jetzt, wenn dem armen Tier ein bleibender Schaden entsteht, mache ich Sie dafür verantwortlich.« Studienrat Klemmer hob seinen Spitz auf den Arm, sah noch einmal mit einem wütenden Blick von Andrea zu ihrem Mann und verließ das Sprechzimmer.
Andrea sank auf einen Stuhl, Hans-Joachim aber lachte. »Jetzt wundere ich mich nicht mehr, dass du nie in die höhere Mathematik eingestiegen bist, mein Liebes. Bei diesem Lehrer hätte ich auch nicht mehr als das Einmaleins gelernt.«
»Willst du damit sagen, dass ich nicht rechnen kann, Hans-Joachim?«, empörte sich Andrea.
»Ich werde mich hüten, dir so etwas vorzuhalten. Das hieße ja, dass mein nächster Patient eine geschlagene Stunde warten müsste, bis er verarztet wird.«
Dr. von Lehn wollte zur Tür des Wartezimmers gehen. Aber da war Andrea schon bei ihm und hielt ihn am Ärmel seines weißen Kittels fest. »Dein nächster Patient muss ohnehin jetzt warten. Da, setz dich hin, und lies diesen Brief. Aber beeile dich, bitte. Ich muss sofort wegfahren.«
»Wegfahren?« Dr. von Lehn sah seine Frau wenig begeistert an. »Du hast ein besonderes Talent, Andrea, mich zu ungelegener Zeit mit ungelegenen Überraschungen zu beglücken. Er griff nach dem Brief und stöhnte: »So lang? Hat es wirklich nicht Zeit bis zum Mittagessen?«
»Nein. Jetzt und hier musst du den Brief lesen, Hans-Joachim. Du könntest schon damit fertig sein, wenn du gleich angefangen hättest. Aha, du schmunzelst schon. Aber das wird dir am Ende des Briefes genauso vergehen wie mir.«
Dr. von Lehn winkte mit der Hand ab und fing an zu lesen. Andrea beobachtete ihn. Als er den Brief weglegte, fragte sie: »Ich darf also fahren und die Collies holen, Hans-Joachim?«
»Was heißt das – darf? Du setzt doch immer deinen Kopf durch, Andrea. Aber heute könntest du einmal auf meinen Rat hören. Ich kenne die Strecke von Bachenau nach Lauterbach. Sie ist stark befahren und gefährlich. Nein, nein, ich bezweifle deine Fahrkunst nicht.« Hans-Joachim legte den Arm um seine Frau … Ich mache mir nur Sorgen um dich. Ich weiß genau, dass du auf der ganzen Fahrt nur an die drei Collies denken wirst, und vielleicht auch an das kleine Mädchen. Auf dem Rückweg kann es noch schlimmer werden. Du brauchst nur mit dem Kind etwas Erschütterndes zu erleben, vielleicht die schmerzliche Trennung von den Hunden, dann bist du ganz durcheinander. Bitte, Andrea, lass einen anderen fahren. Tu es mir zuliebe.«
»Und wen?«, fragte Andrea mit sehr unzufriedenem Gesicht, obwohl sie sich den Argumenten ihres Mannes nicht ganz verschließen konnte.
»Vielleicht unseren Eugen Luchs. Er wäre der richtige Mann. Leih ihm deinen Wagen, damit er nicht seinen großen Wohnwagen in Bewegung setzen muss.«
Noch einmal versuchte Andrea, doch selbst fahren zu können. »So viel ich weiß, ist unser Herr Tierschriftsteller gerade beim Ausarbeiten seiner nächsten Sendungen als Rundfunk-Märchenonkel. Das hat mir die kleine Peggy erzählt. Sie war gestern hier.«
»Für ein paar Stunden wird er sich von seiner Arbeit losreißen können. Eugen Luchs ist schließlich ein beweglicher Mann. Geh schon, Andrea, und erledige diese Sache. Ich muss jetzt wirklich an meine Patienten im Wartezimmer denken.« Hans-Joachim von Lehn küsste seine Frau und schob sie aus dem Sprechzimmer.
Andrea drehte sich in der Diele noch einmal um. »Das Weib soll dem Mann untertan sein«, maulte sie. »Irgendso einen Unsinn muss ich wohl geschworen haben, als ich dich heiratete. Ich hätte vorsichtiger sein sollen. Aber