Ein kleines Wunder, das Herzen berührt: Sophienlust - Die nächste Generation 91 – Familienroman
Von Simone Aigner
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Über dieses E-Book
Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt.
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
Philipp Köster warf mürrisch seinen Rucksack über die Schulter und hielt ihn an einem Riemen fest. »Mach nicht so ein Gesicht«, ermahnte ihn sein Vater, der ihn zum Gymnasium in Maibach gefahren hatte. »Du wirst dich schon eingewöhnen. Und jetzt beeil dich, der Unterricht fängt gleich an.« »Tschüs«, murrte Philipp und warf die Autotür zu, ehe sein Vater antworten konnte. Mit finsterer Miene überquerte er den Schulhof und ging zu der zweiflügeligen Eingangstür der Schule, von der eine Seite offenstand. Er stapfte die wenigen Stufen hinauf und betrat das Gebäude. Der typische Geruch nach Putzmitteln, Kreide und alten Mauern empfing ihn. Nahezu verlassen lagen das Foyer und die Flure, die von ihm abgingen, vor ihm. Er war zu spät. Der Zeiger der großen Uhr gegenüber dem Eingang zeigte drei Minuten nach acht Uhr. Vorhin hatte er sich aus Trotz beim Aufstehen und Frühstücken soviel Zeit gelassen, dass er den Bus versäumt hatte, woraufhin ihn sein Vater auf dem Weg ins Büro an der neuen Schule abgesetzt hatte. Mittlerweile bereute er das Trödeln. Jetzt musste er vermutlich als Letzter die Klasse betreten, was bedeutete, dass sich alle Augen neugierig auf ihn richten würden. Erster Flur links und dann das dritte Zimmer, hatte der Direktor gesagt, als er vergangene Woche mit seinem Vater hier gewesen war, für die Anmeldung in der neuen Schule. Widerstrebend trottete er in die Richtung. Vor der dritten Tür blieb er stehen. Links vom Türrahmen hing ein Schild, auf dem stand ›Klasse 9a – Frau Rettberger‹.
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Buchvorschau
Ein kleines Wunder, das Herzen berührt - Simone Aigner
Sophienlust - Die nächste Generation
– 91 –
Ein kleines Wunder, das Herzen berührt
Unveröffentlichter Roman
Simone Aigner
Philipp Köster warf mürrisch seinen Rucksack über die Schulter und hielt ihn an einem Riemen fest.
»Mach nicht so ein Gesicht«, ermahnte ihn sein Vater, der ihn zum Gymnasium in Maibach gefahren hatte. »Du wirst dich schon eingewöhnen. Und jetzt beeil dich, der Unterricht fängt gleich an.«
»Tschüs«, murrte Philipp und warf die Autotür zu, ehe sein Vater antworten konnte. Mit finsterer Miene überquerte er den Schulhof und ging zu der zweiflügeligen Eingangstür der Schule, von der eine Seite offenstand. Er stapfte die wenigen Stufen hinauf und betrat das Gebäude. Der typische Geruch nach Putzmitteln, Kreide und alten Mauern empfing ihn. Nahezu verlassen lagen das Foyer und die Flure, die von ihm abgingen, vor ihm. Er war zu spät. Der Zeiger der großen Uhr gegenüber dem Eingang zeigte drei Minuten nach acht Uhr.
Vorhin hatte er sich aus Trotz beim Aufstehen und Frühstücken soviel Zeit gelassen, dass er den Bus versäumt hatte, woraufhin ihn sein Vater auf dem Weg ins Büro an der neuen Schule abgesetzt hatte. Mittlerweile bereute er das Trödeln. Jetzt musste er vermutlich als Letzter die Klasse betreten, was bedeutete, dass sich alle Augen neugierig auf ihn richten würden.
Erster Flur links und dann das dritte Zimmer, hatte der Direktor gesagt, als er vergangene Woche mit seinem Vater hier gewesen war, für die Anmeldung in der neuen Schule.
Widerstrebend trottete er in die Richtung. Vor der dritten Tür blieb er stehen. Links vom Türrahmen hing ein Schild, auf dem stand ›Klasse 9a – Frau Rettberger‹. Nun rettete ihn nichts mehr. Er musste jetzt da rein.
Er pochte einmal mit den Fingerknöcheln gegen die Tür und betrat gleich darauf den Raum. Hinter einem schlichten Schreibtisch stand eine Frau, die ungefähr so alt sein mochte, wie seine Mutter. Sie lächelte ihm zu.
»Guten Morgen. Du bist sicher Philipp Köster. Mein Name ist Rettberger, ich bin die Klassenlehrerin der 9a. Herzlich willkommen.«
»Morgen«, murmelte er und fühlte sich von der freundlichen Begrüßung ganz erschlagen. Er hatte mit einer sofortigen Rüge gerechnet, weil er zu spät war.
»Bitte setz dich auf den Platz in der vierten Reihe, neben Paul Reuter«, fuhr die Klassenlehrerin fort. »Wir schreiben jetzt eine Schulaufgabe in Mathematik. Philipp, schreibe bitte mit. Keine Sorge. Du konntest dich nicht darauf vorbereiten, weil du heute den ersten Tag bei uns bist, also werte ich deine Arbeit nur, wenn sie gut oder sehr gut ist.«
Philipp ging zwischen den Stühlen und Tischen hindurch, ohne nach links und rechts zu sehen und setzte sich auf den zugewiesenen Platz. Er spürte, wie seine neuen Mitschüler ihn neugierig musterten, wie befürchtet, und das mochte er überhaupt nicht.
»Ich teile jetzt die Aufgaben aus. Ich möchte nichts weiter auf euren Tischen sehen, als Schreibzeug«, fuhr die Lehrerin fort.
Philipp öffnete seinen Rucksack, nahm sein Schlampermäppchen heraus, das schon recht abgegriffen war und versuchte, den Reißverschluss zu öffnen. Er klemmte, Philipp zerrte daran und der Reißverschluss – ging kaputt. Gleichzeitig flogen einige Stifte heraus, kullerten über den Tisch, zwei fielen zu Boden und rollten unter einen Stuhl. Etliche der neuen Mitschüler wandten sich ihm zu, um zu sehen, was passiert war. Ihm wurde heiß. Das war echt voll peinlich.
Das Mädchen, unter dessen Stuhl seine Stifte gerollt waren, hob sie auf und reichte sie ihm mit einem Lächeln. Um ihr Gesicht kringelten sich unzählige kupferfarbene Locken und sie hatte schier unendlich viele Sommersprossen im Gesicht und an den Armen und Händen und sicherlich überall sonst auch.
Philipp bekam einen trockenen Mund.
»Danke«, nuschelte er.
»Gerne«, erwiderte das Mädchen und wandte sich wieder um, sodass er nur noch ihren Rücken sah. Es war ein schmaler Rücken und sie trug ein eng anliegendes, geringeltes T-Shirt, in dunkelblau und dunkelgrün, dazu eine Jeans und weiße Turnschuhe.
Frau Rettberger legte ein Arbeitsblatt vor ihn auf die Tischplatte und versperrte ihm die Aussicht auf das Sommersprossenmädchen. Er senkte den Blick auf die Aufgaben, als wollte er sie lesen. Kurz dachte er an die niedliche Anita, mit den hüftlangen blonden Haaren, die er auf der Geburtstagsparty seines Freundes Sven kennengelernt hatte. Aus ihr und ihm wäre ganz bestimmt ein Paar geworden, hätte sich sein Vater nicht von einer Woche auf die andere entschieden, von seiner Heimat Regensburg in dieses Nest Kupferstetten zu ziehen, nur wenige Kilometer von Maibach entfernt, was ebenfalls das reinste Dorf war, gegen die Großstadt, aus der er kam.
Ein völlig unsinniger Umzug, wie Philipp fand und alles nur, weil sein Vater in diesem verschlafenen Dorf das Haus einer Großtante geerbt hatte. Und er musste natürlich mit: die Schule wechseln, seine Freunde aufgeben, den Fußball-Verein und Anita sowieso. Wobei Anita gegen das Sommersprossenmädchen total verblasste, das war so was von klar.
*
Angelina Dommin, die von jedem, der sie kannte, wegen ihrer vielen Sommersprossen nur Pünktchen genannt wurde, stand mit einigen anderen Kindern am Busplatz, vor dem Gymnasium in Maibach. Der Bus, mit dem sie nach Wildmoos fahren wollte, musste jeden Moment hier sein. Er würde sie zurück ins Kinderheim Sophienlust bringen, das sich am Rande der kleinen Ortschaft befand.
Pünktchen hatte das Gefühl, dass sie beobachtet wurde und sah sich um. In ein paar Metern Abstand lehnte betont lässig der neue Mitschüler Philipp Köster an einem Laternenpfahl. Als sich ihre Blicke kreuzten, sah er angelegentlich weg.
»Der steht auf dich«, bemerkte Jannika Stüber, die im Unterricht neben ihr saß, grinsend. Pünktchen lächelte.
»Meinst du?«, fragte sie.
»Aber so was von. Und schlecht sieht der echt nicht aus«, fuhr sie fort und Pünktchen glaubte, ein wenig sehnsuchtsvollen Neid in ihrer Stimme zu hören. Wieder warf sie einen Blick zu dem Neuen. Jannika hatte recht, er sah gut aus. Er war groß und schlank, hatte braune Locken und ein ebenmäßiges Gesicht, das ihr tatsächlich auch gefiel. Aber er war nicht Nick.
»Hast recht, er sieht gut aus«, bestätigte sie. Endlich kam der Bus.
»Tschüs, bis morgen«, verabschiedete sie sich von Jannika, die mit einem anderen Bus nach Hause fahren musste.
»Tschüs«, erwiderte Jannika.
Pünktchen stieg ein, ging so weit als möglich im Bus nach hinten und setzte sich ans Fenster. Sie saß jetzt so, dass sie auf gleicher Höhe mit Philipps Laternenpfahl war. Er sah zu ihr hoch. Unerwartet machte er eine Bewegung, als wollte er mit einem Finger in seinen Locken drehen, grinste und hob dann den Daumen zu einem ›Gefällt mir‹. Pünktchen musste lachen. Vermutlich wollte er ihr sagen, dass ihm ihre Haare gefielen. Der Bus ruckelte und fuhr los. In zehn Minuten würde sie im Kinderheim Sophienlust sein. Sie hatte Hunger und freute sich darauf, was Magda, die Köchin, für heute Leckeres vorbereitet haben mochte. Und sie freute sich darauf, Tante Ma, der Heimleiterin, die eigentlich Else Rennert hieß, sowie Tante Isi, der Mutter von Nick, dem das Kinderheim gehörte, von dem Ergebnis ihrer Englisch-Schulaufgabe zu erzählen. Sie hatte nämlich die beste Arbeit geschrieben und darauf war sie schon ein bisschen stolz.
*
Philipp beobachtete Pünktchen, die mit gesenktem Kopf eifrig Notizen in ein Heft machte. Ihr Stift kritzelte über das Papier. Sie schien völlig versunken in das Thema des Deutschunterrichtes, der sich gerade mit erweiterten Inhaltsangaben, dem Verwenden von sprachlich-stilistischen Mitteln und weiteren, aus seiner Sicht völlig Unnützem, befasste. Ihn langweilte das alles schrecklich. Viel lieber hätte er den sommersprossigen Lockenkopf mal alleine getroffen. In den zwei Wochen, die er das Gymnasium in Maibach jetzt schon besuchte, hatte er es allerdings noch nicht gewagt, einen Verabredungsversuch zu unternehmen. Er war zwar nicht schüchtern, aber Pünktchen befand sich nahezu ständig in einem Kreis von Freunden und Freundinnen. Alleine hatte er sie noch nirgends angetroffen. Er bekam ja nun selten eine Abfuhr, wenn er sich mit einem Mädchen treffen wollte. Aber selten hieß nicht ›nie‹. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass gerade das Sommersprossenmädchen ihn abblitzen ließ, wollte er sie lieber ansprechen, wenn es keine Zeugen gab. Allerdings wartete er jetzt schon wirklich lange. Zu lange. Der schwarzhaarige Eugen, der auch viel Pünktchens Nähe suchte, war seiner Meinung nach keine Konkurrenz. Eher schon Lukas aus der Parallelklasse, der gestern in der Pause seinen Schokoladenriegel mit ihr geteilt hatte. Wie auch immer, er wollte nicht länger warten. Philipp riss ein Stück Papier von seinem Notizblock ab. Kino?, schrieb er darauf und faltete das Papierchen zusammen und verbarg es in seiner Hand. Dann stand er auf.
»Philipp, was gibt es?«, fragte der Deutschlehrer, Herr Porst.
»Kann ich mal für kleine Jungs?«, erkundigte Philipp