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Von ganzem Herzen mangelhaft: ...wie man an einem Strang zieht, statt sich gegenseitig aufzuhängen
Von ganzem Herzen mangelhaft: ...wie man an einem Strang zieht, statt sich gegenseitig aufzuhängen
Von ganzem Herzen mangelhaft: ...wie man an einem Strang zieht, statt sich gegenseitig aufzuhängen
eBook359 Seiten5 Stunden

Von ganzem Herzen mangelhaft: ...wie man an einem Strang zieht, statt sich gegenseitig aufzuhängen

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Über dieses E-Book

Jenny Stila ist eine modebewusste, bei Eltern und Schülern beliebte Lehrerin auf der Suche nach dem perfekten Mann. Doch wie soll man seinen Helden finden, wenn man nur über ein sehr geringes Selbstwertgefühl verfügt? Als Teenager fanden ihre Mitschüler sie ungefähr so cool wie ein Leberwurstbrot in einer Tupperdose. Äußerlich hat Jenny sich seitdem weiterentwickelt, aber das Gefühl der Unzulänglichkeit ist geblieben. Und das ist weder beim Dating, noch bei der Arbeit mit arroganten Pubertierenden von Vorteil.
Doch Jenny hat ihrem schüchternen Ich den Kampf angesagt: Mit viel Humor und großen Idealen bewaffnet, kämpft sie gegen die Vorurteile, die ihr Männer, die eigene Familie, oder Eltern und Schüler entgegenbringen: Lehrer seien faul, inkompetent und Mauerblümchen.
Doch ihre größte Herausforderung steht ihr bevor, als sie auf den Finnen Aleksander, die Liebe ihres Lebens, trifft: Seine Tochter hebt Jennys Kampf um Selbstbehauptung auf ein ganz neues Niveau...
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum3. Mai 2016
ISBN9783741808043
Von ganzem Herzen mangelhaft: ...wie man an einem Strang zieht, statt sich gegenseitig aufzuhängen

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    Buchvorschau

    Von ganzem Herzen mangelhaft - Tina Flynn

    „Es ist leichter, einen Atomkern zu spalten als ein Vorurteil"

    Albert Einstein

    Kapitel 1

    „Lehrer haben vormittags Recht und nachmittags frei."

    Dann würden sie wohl vormittags Lotto spielen und nachmittags shoppen gehen.

    Jenny Stila

    20 Jahre zuvor

    Sie starrte auf die Tafel, unfähig, zu begreifen, was Herr Blaschke ihnen da zu erklären versuchte. Die Wörter „Mathe und „Hölle hatten Jennys Meinung nach nicht umsonst soviel gemeinsam: Fünf Buchstaben, ein e am Ende, beides brachte sie ins Schwitzen. Ihre Mitschülerinnen Nadine und Andrea rollten mit den Augen, sie rollte mit und grinste, doch Andrea sah genervt zur Seite und Nadine blickte Jenny so irritiert an, als wollte sie fragen 'was willst du von uns?'

    Als es nach dem erlösenden Klingeln raus in die Pause ging, eilten alle lachend und schwatzend an dem pummeligen kleinen Mädchen in Mamis Strickpullover vorbei und bezogen ihre Grüppchenplätze draußen. Die stylishe Mädelsclique neben dem Eingang zum Quatschen über Jungs, die sportliche drüben am Spielplatz, zum Gummitwist. Jenny versuchte sich unauffällig Richtung Sekretariat durchzuschlagen. Sie hatte dort zwar nichts zu tun, aber so bekam sie wenigstens die zehn Minuten Pause rum, ohne dass sie eine Aufsicht mitleidig fragen würde, warum sie denn alleine auf dem Hof herumstehe. Nicht, dass sie das gern tat. Sie hätte viel lieber zu einem der Mädchentrupps gehört, aber sie wollten Jenny nicht dabei haben. Warum, blieb ihr schleierhaft. Gut, sie stand eher auf klassische Musik als auf Pop, hatte keine Ahnung, wer gerade angesagt war, trug nicht die neuesten Klamotten der hippen Marken, aber sie verstand nicht, warum das den anderen reichte, um sie abzulehnen. Jedenfalls war Jenny zu schüchtern, um zu fragen.

    Auf dem Heimweg schaute sie noch im kleinen Kiosk vorbei, um sich für ihren gemütlichen Lesenachmittag mit Süßigkeiten einzudecken, dann bummelte sie nach Hause. In ihr Refugium. Dorthin, wo sie geliebt wurde, wie sie war. Meistens jedenfalls. Mama oder Mams, wie sie von ihren Kindern genannt wurde, hatte das Hühnerfrikassee fertig, und Bruder und Oberprimaner Kai (kein Mensch verwendete heute noch die Bezeichnung Oberprimaner für einen Schüler der 13. Klasse, aber Jenny war ein großer 'Nesthäkchen'-Fan und neidisch auf Annemaries großen Bruder Hans, der immer so nett zu seiner kleinen Schwester war), hatte schon um zwölf Uhr Unterrichtsschluss gehabt. Papa bekam im Himmel vermutlich Hühnerleber mit Zwiebeln. „Hallo, mein Schatz, begrüßte Mams ihre Jüngste fröhlich, alles okay in der Schule? Jenny nickte, damit bloß keiner nachfragte. Kai sah die Papiertüte vom Kiosk aus der Tasche lugen und meinte: „Bist du sicher, dass du noch mehr Kilos auf den Hüften vertragen kannst? Rot bis unter die Haarwurzeln entriss Jenny ihm die verräterisch knisternde Tüte und stopfte sie zurück. „Aber erst nach dem Mittagessen!, wies Mams sie zurecht. Sie hätte ihr die Tüte sicher abgenommen, wenn sie gesehen hätte, wie groß und prall gefüllt sie war. Außerdem wird gleich dein Zimmer aufgeräumt. Wie kann man nur so schlampig sein, ich weiß gar nicht, von wem du das hast!, wunderte sich ihre Mutter kopfschüttelnd. Mams!, rief Jenny. Ich weiß, ich mach das noch. Ich bin halt nicht so ein Ordnungsengel. Irgendwie passiert das mit dem Chaos immer ganz von allein. Mams hielt inne und sah ihre Tochter streng an. Du musst an dir arbeiten. Jeder kann das lernen, man muss es nur wollen. Jenny sagte nichts. Was war nur falsch an ihr? Barbara aus ihrer Klasse hatte neulich noch getönt, wie chaotisch sie war, aber dass sie das von ihrer Mutter hätte, und nie Ärger deswegen bekäme. Mühlschreibers waren eben so. Aber bei Jenny war es anscheinend ein Charakterfehler. Sie schien aus sehr vielen Fehlern zu bestehen. Sie war nicht ordentlich genug (Mams), nicht sportlich genug (Kai), nicht cool genug (Mitschüler). Nur schreiben, das konnte sie. „Ich hab in Deutsch eine 1-!, verkündete Jenny stolz. Kai nickte unbeeindruckt. „Aber nicht abheben, junge Dame. Schön weiter lernen. „Ich freu mich so!, lächelte Mams liebevoll. „Du bist eben eine Deutschkanone, so wie ich früher. Nur viel hübscher und klüger. Jenny schnaubte innerlich. Ihre Mutter hatte ja keine Ahnung. Die Klasse war da sicher anderer Meinung. „Mathe sollte sie können, brummte Kai, „das ist viel wichtiger im Leben als Schwafeln. „Kommt drauf an, in welchem Beruf, entgegnete Jenny. Kai musterte sie. „Du willst ja wohl nicht Lehrerin werden", knurrte er.

    Schule? Bis ans Ende ihrer Tage?

    Nie im Leben.

    Heute

    An einem ihrer letzten Osterferientage hatte Jenny Stila, 31 Jahre alt, Studienrätin für Deutsch und Latein, es noch einmal mit einem Date versuchen wollen. Auf Love for Eternity - Singlebörse für Anspruchsvolle hatte sie sich vor einigen Monaten angemeldet, nachdem ihr Ex und bester Freund Armin davon geschwärmt hatte. Das Ergebnis waren bisher zwei nette, vier unspektakuläre und ein sehr verstörendes Date gewesen, das sie eine Weile von LFE ferngehalten hatte. Im Internet hatte 'Paul' sich als 'fröhlichen Papieringenieur' bezeichnet. Während des Treffens hatte er dann Hochzeitspläne mit ihr schmieden wollen. Eine seiner fröhlichen Ideen war dabei, dass sie als Lehrerin ja quasi das Papier verwenden würde, das er herstellte. Bildlich natürlich, aber doch ungemein romantisch, oder? Sie hatte sich nur dadurch retten können, dass sie Armin auf der Toilette angerufen und herbeizitiert hatte. Der da hatte dann den eifersüchtigen Ex so überzeugend gemimt, dass 'Papierpaul', wie Jenny ihn seither nannte, panisch die Flucht ergriffen hatte. Und jetzt saß sie hier wieder mit einem Vertreter der Papierindustrie. Redakteur Ben. Jenny verlor sofort jedes Interesse an ihrem Gesprächspartner, wenn dieser nur um sich selbst kreiste. Hallo? Sie waren doch hier, um sich kennen zu lernen, und nicht in einer Castingshow. Geistesabwesend ließ Jenny ihren Blick durch das kleine Restaurant kreisen, in dem sie sich bisher mit allen ihren Dates verabredet hatte. Von hier aus hatte sie es nicht weit bis nach Hause. Wirt Pino hatte nach ihrer vierten Verabredung angefangen, sie anzuzwinkern und den Daumen hoch- oder runter zu halten, je nachdem, ob er ihre Verabredung für vielversprechend hielt oder nicht. Das war ihr ein bisschen peinlich. Zumal er sie heute, als sie mit Ben hier aufgetaucht war, mit den Worten Platz wie immer am Fenster? begrüßt hatte. Der fröhliche Wirt hatte es sicherlich gut gemeint und wollte ihr seine Aufmerksamkeit beweisen, doch sie mochte ihren Dates nicht unbedingt auf die Nase binden, dass sie fast wöchentlich jemand anderes anschleppte.

    So lief das eben auf einer Internet-Datingplattform. Zumindest, wenn man ernsthaft nach einem Partner suchte und nicht nur nach einem Abenteuer fürs Bett. Man lernte sich per mails kennen, fand sich interessant und traf sich. Aber dann stellte man in der Regel entweder Enttäuschung oder höchstens Sympathie fest. Jetzt saß sie hier mit Ben. Und flirtete mit Pino. Pino war toll. Ein immer strahlender, in sich ruhender runder kleiner Mexikaner mit italienischen Wurzeln,  Halbglatze und einer fröhlichen Frau mit zwei bezaubernden Töchtern. Pinos Daumen zeigten beide nach unten. Jenny seufzte. ...das ist natürlich ein Wahnsinnsauftrag, nicht jeder zieht sowas an Land... Jenny dachte wehmütig daran, dass bald ihre Osterferien beendet sein würden. ...ich will mich ja nicht selbst loben, aber da macht mir wirklich keiner was vor... Ihr Blick erstarrte. Das durfte jetzt nicht wahr sein, oder? Ebru und Harkan, das sympathischste und hübscheste Pärchen des Schillergymnasiums und Schüler ihres Lateinkurses, steuerten genau auf ihre Lehrerin zu. Hallo, Frau Stila, das ist ja cool, röhrte Harkan, und seine schwarze Lederjacke quietschte. Was macht ihr denn hier?, fragte sie starr vor Schreck. Natürlich war der Anblick netter Schüler immer ein Grund zur Freude, aber doch nicht, wenn sie einen bei einem Fast-Blind-Date erwischten! Musste sie jetzt alle einander vorstellen? Himmel! Doch Ebru, die die Situation mal wieder wesentlich schneller im Blick hatte als ihr Freund, zupfte ihn am Ärmel, was bei der dicken Lederjacke eine Herausforderung war und wisperte: Komm, wir stören bestimmt. Lass uns einen Platz suchen. Harkan wollte protestieren, doch Ebru zog ihn mit sich. Schönen Abend noch, Frau Stila, lächelte sie Jenny an, bis nächste Woche im Unterricht. Jenny sah beiden kurz hinterher. Dann lächelte sie Ben schief an. Ich konnte mir in dem Alter noch keine Abende beim Italiener leisten. Doch Ben starrte ihr nur ungläubig ins Gesicht. Du bist tatsächlich Lehrerin?, fragte er fast angewidert. Sie hob die Braue. Wieso? Stand doch im Profil?, fragte sie zurück. Er verzog das Gesicht. Ich dachte, das sei ein Witz. Du siehst überhaupt nicht aus wie eine ... Er riss sich zusammen. Na toll. Wieder einer mit Vorurteilen. Sie sah diskret auf die Uhr und dann zu Ben: Entschuldige bitte, ich geh mal kurz auf die Toilette. Er nickte abwesend. Pinos Edelpizzeria hatte zum Glück auch auf dem Klo Empfang. Minchen?, schrie sie fast ins Handy, du musst mich retten. Pinos?, brummte ihr Ex. Du spinnst ja. Er legte auf. In spätestens einer Viertelstunde würde er da sein. Als sie wieder zurück zu ihrem Platz kam, war Ben verschwunden. Nicht zum Rauchen oder auf die Toilette, nein, er war gegangen. Und hatte bezahlt, wie Pino ihr versicherte. Sei froh, dass du den losbist, meinte er, dase ware eine Idiot. Aber wie ich gesehen habe, kennst du meine Nichte?, zwinkerte er begeistert. Jenny kippte die Kinnlade herunter. Ebru ist deine Nichte? Pino strahlte begeistert. Du willst mir sagen, dass meine Schülerin die Nichte des Mannes ist, der seit Monaten meine Dates kulinarisch betreut? Pino strahlte noch mehr. Dann hielt er sich den Zeigefinger vor den Mund. Aber ich nix verrate, keine Sorge. Ebru weiß nix. Ebru Job für dis, Männer privat!, zwinkerte er nochmals. In dem Moment kam Armin durch die Tür. Was ist?, brummte er. Soll ich dich etwa vor Pino retten? Doch der Italiener wieselte schon davon.

    Du kannst doch nicht jedes Mal so ein Theater veranstalten, nur um ein Date loszuwerden, schüttelte Minchen den Kopf, als sie nebeneinander zu ihr nach Hause trabten. Man kann auch ganz ehrlich sagen 'hey, danke für den schönen Abend, aber ich glaube, wir passen nicht so gut zusammen.' Er sah sie von der Seite an. Wir Männer haben auch Gefühle. Jenny nickte eifrig. Eben. Die will ich ja nicht verletzen! Minchen schüttelte den Kopf. Und deshalb muss ich kommen und so tun, als gäbe es einen Notfall? Glaubst du, die Typen sind dämlich? Die merken doch, dass das ein Trick ist. Ich kann nicht schauspielern! Und diese Verarsche verletzt sie vielmehr, als eine klare Aussage. Jenny war anderer Meinung. Die meisten hören einem doch gar nicht zu. Doch Minchen blieb eisern. Das war das letzte Mal. In Zukunft haust du dich selbst da raus. Jenny seufzte. Ihr Liebesleben war viele Jahre bei Armin gut aufgehoben gewesen, jetzt war er ihr bester Freund. Deshalb ließ sie sich seine Kritik gefallen. Er und Jennys Bruder Kai arbeiteten beide bei der gleichen Bank in verschiedenen Städten, und hatten eigentlich nicht viel miteinander zu tun, außer einem gemeinsamen Ziel: Jennys Leben zu retten: Vor Naivität, vor Absturz in die Armut, vor im Bad herumliegenden Stromkabeln, vor allem. Armin und Jenny stellten irgendwann fest, dass ihre Erotik verschwand und ersetzt wurde durch Wettpupsen. Dass sie gute Freunde, aber kein Liebespaar mehr waren. Noch lange nach der Trennung fragten ihre Familien sie ständig, ob sie nicht endlich wieder vernünftig werden und zusammenziehen wollten. Jenny hatte sogar das Gerücht gehört, es seien Wetten auf sie beide abgeschlossen worden, bei denen es übrigens nicht um das Ob, sondern nur um das Wann ging. Aber die Sache war für beide gegessen, und so hatten sie sich auf Love for Eternity angemeldet. Armin ging weg wie warme Semmeln, wie er gern betonte, er hatte schon viele Verabredungen gehabt, suchte aber auch nicht so ernsthaft wie Jenny. Er war aber auch ein Hauptgewinn: Ein perfekter Hausmann, der kochen, waschen und putzen konnte. Deshalb nannte sie ihn Minchen, weil er so süß war und ein bisschen wie ein Hausmädchen. Er rief sie  immer noch an, wenn es bei Aldi mal wieder was im Sonderangebot gab. Putzlappen oder Suppen. Und auch sonst war er für sie da, wenn sie ihn brauchte. Der perfekte platonische Freund.

    Sie waren fast bei Jennys Wohnung in der grünen Siedlung angekommen. Minchen hatte sich aufs Schweigen verlegt, das konnte er gut, und Jenny, die Ben längst abgehakt hatte, hing nun ihren Gedanken an die Schule nach. Bald waren die Ferien vorbei, und der Alltagswahnsinn würde wieder losgehen. Der Alltag mit Anais, dieser arroganten Prinzessin aus ihrem Lateinkurs. Jenny sah in dem Mädchen jedes Mal die tuschelnden Klassenkameradinnen von einst, die geringschätzig die Augenbrauen hoben, wenn sie sich näherte. Sie manifestierten sich nun in einer begabten, schönen 18jährigen Latein-Schülerin, die die Wertschätzung des Direktors, die Sympathien des Lehrerkollegiums und die Bewunderung ihrer Mitschüler besaß. Sie hatte schon oft mit ihrem Therapeuten darüber diskutiert, weshalb sie Lehrerin geworden war. Ihrer Meinung nach lag es daran, dass man, wenn man sich unsicher fühlt, aus verschiedenen Optionen das Bekannte wählt, auch wenn es nicht gut für einen ist. Als sie sich für eine Studienrichtung entscheiden musste, konnte sie auf eine Schulzeit zurückblicken, in der sie mit Lehrern prima zurecht gekommen war. Lehrer waren soziale Menschen, die Verständnis für vieles hatten, mit denen man immer reden konnte, und die stille, fleißige Menschen wie sie selbst zu schätzen wussten. Außerdem gab es für Jenny kaum einen schöneren Ort als ihren Schreibtisch, der prall gefüllt war mit bunten Ordnungsboxen, Stiften in allen Farben des Regenbogens, Post-its, Notizbüchern und glänzenden Papieren. Im Referendariat merkte sie, dass es ihr lag, tolle Materialien wie Arbeitsblätter oder Spielkarten herzustellen und zu gestalten. Außerdem verfügte sie über großes Talent, wenn es darum ging, schwierige Zusammenhänge leicht verständlich zu machen. Sie nahm ihre erste feste Stelle an in der Überzeugung, dass der Lehrberuf für einen kreativen, schülerzugewandten und engagierten Menschen wie sie ein Spaziergang werden würde. Leider erkannte sie zwei grundlegende Tatsachen erst, als es zu spät war: Als Lehrer war man mittlerweile auch unter den besten Voraussetzungen für viele Eltern und Schüler keine Respektsperson mehr, sondern eher Freiwild, das inkompetent und faul zu finden chic ist. Außerdem wurde jede Kreativität durch immer größere Klassen und einen Haufen Bürokratie im Keim erstickt. Sie erwachte aus ihren tiefdunklen Gedanken und schloss die Türe auf. Während Minchen seine Jacke aufhängte und sich auf den Fernseher zubewegte, verschwand Jenny im Bad. Dort blieb sie plötzlich stocksteif stehen und starrte auf das schwarze, haarige Etwas, das zu ihren Füßen über die Wand des Badezimmers kroch. „Hab keine Angst!, hörte sie im Geiste die Stimme von Paps, „die Spinne hat vielmehr Angst vor dir, als du vor ihr. Jenny bezweifelte das auch mit 31 noch. Weshalb traute sich das Mistvieh dann hierher? Es gab Ritzen, Spalten, den Keller. Aber sie hatte eine eigene Theorie entwickelt, warum alle Spinnen dieser Welt anscheinend gezielt ihre Nähe suchten: Bestimmt machten sie Jagd auf Lehrer. Das Tier war sicherlich nicht zufällig ausgerechnet an einem der letzten Ferientage aufgetaucht, um Jenny Stila vor dem Schulanfang nochmal ordentlich zu zeigen, wo das Netz hängt. Ihr Therapeut würde wahrscheinlich wieder väterlich grinsen, wie immer, wenn sie versuchte, sich in seiner Gegenwart selbst zu interpretieren: Meine Angst vor Spinnen bedeutet bestimmt eine schwierige Beziehung zu meiner Mutter, meine Angst vor arroganten Schülern hat mit den Schwierigkeiten zu tun, die ich selbst als Teenager mit Gleichaltrigen hatte. „Diese 1:1-Deutungen sind längst überholt, würde er sagen, und sie fragen, warum sie denn die Beziehung zu Mams als schwierig bezeichnen würde. War das herauszufinden nicht sein Job? Als Jenny nach den ersten Jahren mit einer Vollzeitstelle gemerkt hatte, dass sie nur solange eine bezaubernde, souveräne und beliebte Lehrerin sein konnte, bis sie ein Schüler provozierte, war sie zu einem Therapeuten gegangen, der jetzt mit ihr zusammen ihre Kindheit aufarbeitete, um nach der Ursache für ihre Unsicherheit zu forschen. Auch die Wutanfälle, die sie zwar nicht auslebte, sie aber langsam verrückt machten, waren ein Grund. Die ständige öffentliche Lehrerschelte von Eltern, in Zeitungen oder Nachrichten machte sie so fertig, dass sie am liebsten alles hinschmeißen wollte. Sie war nämlich gut in ihrem Job. Aber wie sollte sie das dieser blöden Spinne beibringen? Ihr Therapeut hatte Jenny geraten, ein Tagebuch zu schreiben über alles, was sie an ihrem Beruf aufregte oder wütend machte. Sie nannte es ihr 'Ragebuch' und hatte davon bereits zehn in ihrem Regal stehen. Alle schwarz. Die Spinne bewegte sich. „IIIIIIeh!, kreischte Jenny. „Du musst sofort ins Bad!, schrie sie hysterisch und zog Minchen von der Couch hoch. „Hey!, rief Armin, „ich will nicht duschen! Ich will keinen Sex! Lass mich los! Was willst du von mir?! Doch Jenny ließ sich nicht auf Diskussionen ein. „Komm jetzt, da hockt eine mega haarige Spinne. Mach die weg! Doch Minchen schüttelte den Kopf und zappte ungerührt durch das Programm. „Lass mich in Frieden. Ich mag auch keine Spinnen. Außerdem sind wir nicht mehr zusammen. Such dir einen anderen Helden für die Drecksarbeit. Langsam wurde Jenny panisch. „Armin, bitte, das ist kein Witz. Wenn du die nicht sofort ins Jenseits beförderst, komm ich gleich mit und ziehe wieder bei dir ein. Das wirkte. Seufzend stand er auf, ging zur Badezimmertür, öffnete sie vorsichtig und schloss sie sofort wieder. „Da ist nichts. Wortlos wies sie mit ausgestrecktem Arm auf die Tür. Er grinste und ging hinein. „IIIIIeh!, hörte sie ihn rufen und etwas krachen. Klang wie ihr Mülleimer. „So. Die ist tot. Aber den Dreck machst du weg. „Was?, schrie Jenny entsetzt. „Ich hab Angst! „Herrschaft!, meckerte er, „alles muss man selber machen. Er holte ein Papiertuch aus der Küche und verschwand wieder im Bad. Sie hörte die Klospülung und seufzte erleichtert. „Danke!, lächelte sie kläglich, als er brummend wieder herauskam. Harkan sagt auch immer, was einen Mann nicht umbringt, macht ihn härter. Wer ist Harkan?, fragte Minchen. Du hast einen Männerverschleiß! Doch Jenny schüttelte abwehrend den Kopf. Das ist einer meiner Schüler aus der Oberstufe. Der hat mal eine Spinne für mich aus dem Fenster geworfen. Naja, gab sie zu, für die anderen Mädels aus dem Kurs auch. Minchen zog die rechte Braue hoch. Du redest mit deinen Schülern über Spinnen? Und nennst deine Schülerinnen Mädels? Jenny zuckte die Schultern. Wieso nicht? Er wirkte skeptisch. Du bist die Lehrerin. Ein Vorbild. Da hat man keine Angst, sondern wahrt Distanz. So ein Blödsinn, erwiderte Jenny, du kennst doch meine Einstellung: Zuerst bin ich Mensch, dann Frau, irgendwo zwischen Platz elf und hundert deine Exfreundin. Eine meiner vielen sozialen Rollen ist Lehrerin, aber deshalb höre ich doch nicht auf, ein Mensch zu sein. Wissen das deine Schüler?, fragte Minchen. Jenny bezweifelte das. Für Schüler war man als Lehrperson vermutlich kein menschliches Wesen. Das merkte sie, wenn ihre Fünftklässler ihr mit weit aufgerissenen Augen beichteten, dass sie sie gestern in der Stadt beim Einkaufen gesehen hatten. Oder wenn Schüler, mit denen sie sonst prima klarkam, sie außerhalb des Schulgeländes sichtbar ignorierten. Schaudernd dachte sie an Harkan und Ebru. Wenn man mal Schüler-Ignoranz brauchte, konnte man sich aber auch nicht drauf verlassen. „Komm mit, riss Minchen sie aus ihren Gedanken, „ich muss dir was zeigen. Er zog Jenny zum Schreibtisch und warf ihren Computer an. Minchen war mal wieder begeistert auf der Suche nach einem passenden weiblichen Wesen. Zumindest normalerweise war er begeistert, jetzt erzählte er leicht beunruhigt, dass seine blöde Kollegin aus der Bank 80 Übereinstimmungs-Points mit ihm hatte. „Du bist doch immer so kreativ, behauptete er, „lass dir was einfallen, wie ich aus der Nummer wieder rauskomme. „Was krieg ich dafür?, wollte Jenny wissen. „Hallo? Ich hab grad eine Riesenspinne getötet und dein Bad geputzt, das reicht ja wohl! Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Sie setzten ein neues Profilbild von ihm ein, das ihn von weitem unter dem Schatten eines Baumes zeigte. Nun hofften sie, dass Bankmaus Erika ihn noch nicht online entdeckt hatte. In Jennys Postfach fand sich nichts Interessantes. Nur Franz war online. Ach du je. Spinne im Bad, Franz im Internet, Abend im Arsch. Laut LFE hatten sie 90 Points Übereinstimmung. „Heiratet am besten gleich!, witzelte Minchen, bevor er ging, doch das hatte Jenny eigentlich nicht vor. Zunächst verfolgte sie neugierig sein Profil, doch dann verlor sie schnell das Interesse. Weshalb glaubte eine seriöse Datingplattform, dass dieser Langweiler zu ihr passen würde? Franz liebte die Waldfotografie, las gerne Bücher über Physik und ging regelmäßig ins Kino. Langsam zweifelte Jenny daran, ob diese Art der Partnersuche wirklich etwas für sie war. Love for Eternity bot angeblich in kürzester Zeit die tollsten Männer: Intelligent, aber nicht selbstverliebt; witzig, aber nicht albern; sportlich, unternehmungslustig, aber auch häuslich; solide, aber nicht langweilig; gutaussehend, aber nicht vergeben. Das System bei LFE blieb Jenny rätselhaft – nach Anfertigung eines persönlichen, psychologischen Profils, bei dem es unter anderem darum ging, ob man mehr auf Kreise oder Dreiecke stand, wurden Love-Points vergeben, die Auskunft darüber gaben, wie gut man mit dem jeweiligen Partner zusammenpasste. Alles über 60 war gut, 100 bedeuteten den Volltreffer. Witzigerweise gehörte Minchen bisher nicht zu ihren Empfehlungen. Als sie Franz' Profil anklickte und zum zweiten Mal sein Foto sah, seufzte sie. Franz hatte kurze brünette Haare mit angedeutetem Mittelscheitel, trug eine Brille und lächelte glücklich in die Kamera. Mehr gab es nicht zu berichten. Jenny ermahnte sich selbst. Darin war sie Meisterin. Schlecht getroffenes Foto, Stimme und Bewegung zählten auch, wahrscheinlich war der total lustig und nett. Dass sich in diesen Internetdatingplattformen nur Mauerblümchen verabredeten, war doch völliger Unsinn. Sie selbst war schließlich auch alles andere. Als großer Fan von Typberatungsbüchern wusste sie sich zu stylen. Zumindest war das die Meinung ihrer Schüler und Kollegen. Mams dagegen fand die Haarexperimente ihrer Tochter meist eher interessant, Jennys Kleidung mutig und das MakeUp ...völlig überflüssig. In ein paar Jahren wirst du dich ärgern. Tante Lonny hat sich immer geschminkt, und wie sah sie kurz vor ihrem Tod aus? Falten über Falten." Leider vergaß Mams dabei immer zu erwähnen, dass Tante Lonny aus einer Generation stammte, in der Gesichtspuder gleichbedeutend war mit Kleister, sie außerdem rauchte wie ein Schlot und 'kurz vor ihrem Tod' bereits 93 Jahre alt war. Jenny klappte ihren Laptop wieder zu und stapfte in die Küche, um sich eine Tiefkühlpizza zu machen.

    An ihrem ersten Schultag nach den Ferien war die Bahn überraschenderweise pünktlich. Jenny ging nach hinten und kuschelte sich in einen Sitz am Fenster. Es war nicht mehr ganz dunkel draußen, die Sonne begann gerade, aufzugehen und einen Himmel zu malen, den man auf einem Bild für kitschig halten würde. Jenny sah hinauf und dachte an Paps. Wie es dort oben wohl war? Stimmte es, dass die Verstorbenen quasi wie Schutzengel über einen wachten? Die eigentlich romantische Vorstellung hatte schon einen faden Beigeschmack. Wer will sich schon von seinem Vater bei allem beobachten lassen, was man hier auf der Erde so trieb? Jenny musste grinsen. Ihre Gedanken wanderten zurück in die Vergangenheit. Ihre Eltern waren fast 20 Jahre lang glücklich verheiratet gewesen und hatten das Erziehungsprinzip hart aber herzlich verfolgt: Sie liebten Sohn Kai und ihre kleine Schneeflocke Jenny unendlich, erzogen sie mit viel Humor, aber auch konsequenter Strenge. Werte wie gutes Benehmen, Zuverlässigkeit und Fleiß standen an erster Stelle. Als Papa bei einem Autounfall starb, war Jenny acht Jahre alt, und dieses Prinzip wurde von Mams eisern weitergeführt. Unterstützt wurde sie dabei von ihrem Ältesten, den sie allerdings manchmal etwas bremsen musste, wenn er sich zu sehr als Jennys Vormund aufspielte. Mit Jennys Lehrern war sich Mams durch die Bank darüber einig, dass Klein-Jenny ziemlich intelligent sei. Deshalb erwartete sie von ihrem Mädchen immer, dass es sein Bestes gab und an seinen vermeintlichen Fehlern arbeitete. Leider führte diese Strategie allerdings dazu, dass Jenny sich immer weniger zutraute. Bruder Kai, sechs Jahre älter, begünstigte diese unerfreuliche Entwicklung, indem er es manchmal ein bisschen übertrieb mit dem Prinzip Kritik macht dich härter. Seine Sprüche waren nur als Neckerei gemeint, doch seine nach Liebe und Anerkennung hungernde Schwester nahm sie sich zu Herzen. Wenn Jenny Klassik hörte, drehte er ihr schonmal das Radio ab und drückte ihr eine Kassette in die Hand mit den Worten „DAS ist richtige Musik". Wenn sie mal wieder in ihrem Zimmer blieb, um zu lesen, zu basteln oder zu malen, bezeichnete er sie als 'Mauerblümchen', das doch so nie Freunde finden würde. Und in der Tat besaß Jenny keine richtige Freundin, die ihr den Rücken stärkte. Da sie gern für sich allein blieb und sich lieber kreativ beschäftigte, statt sich mit anderen Mädchen über Klamotten oder Jungs zu unterhalten, hatte sie nur wenige und wenn, eher oberflächliche Freundschaften. Jenny wurde nie physisch gemobbt, niemand tat ihr was, keiner versteckte das Mäppchen oder spielte Streiche, aber sie gehörte nie richtig dazu. Es war ihr peinlich, immer bis zuletzt auf der Bank zu sitzen, wenn im Sportunterricht Mannschaften gebildet wurden. Wenn es im Unterricht hieß, 'Gruppenarbeit', schoss ihr regelrecht das Blut in die Wangen, weil sie Angst hatte, dass keiner mit ihr arbeiten wollte. Es war Jenny zuwider, auf andere zuzugehen und zu fragen, dafür war sie zu schüchtern und vielleicht auch zu stolz. Kai hatte später die perfekte Lara geheiratet, Mams' Traumschwiegertochter. Lara war elegant, ordentlich, konnte sich auf jedem gesellschaftlichen Parkett bewegen und sich stundenlang mit Mams über Backrezepte und Kindererziehung unterhalten. Ganz anders, als die verträumte Jenny. Jetzt konnten sie ihr zu dritt bei jeder Gelegenheit aufs Butterbrot schmieren, dass sie sich endlich mal vernünftig kleiden (Mams) und einen Mann finden sollte (Lara). Der liebe Kai versorgte seine Schwester dann noch regelmäßig mit Thesen zu seinem Lieblingsthema, dass Lehrer zuviel Freizeit und von herzlich wenig eine Ahnung hätten. Das brachte sie gänzlich auf die Palme, und so entstand zwischen ihnen so eine Art Hassliebe. Jenny hatte Kai sogar ein eigenes Ragebuch gewidmet. Sie wuchs also in einer Atmosphäre auf, die ihr eine Menge Selbstzweifel mit auf den Weg gab. Auch noch als Erwachsene war sie sich nie ganz sicher, ob das, was sie tat, gut und richtig war oder sie fragte sich, wer das definierte. Sie lebte mit der Grundeinstellung, dass die Meinungen und Einstellungen anderer Leute wichtiger und kompetenter waren als ihre. Ein bisschen selbstsicherer wurde sie im Studium, als sie viele Gleichgesinnte traf, von zuhause auszog und ihr eigenes Leben begann. In dieser Zeit holte sie ihre Pubertät nach. Sie probierte vieles aus: Haarfarben, Makeups und Klamottenstile, die bei Mams und Kai meist auf eher wenig Zuspruch stießen, was diverse Umziehaktionen in engen Toiletten auf Bahnhöfen oder in Zügen mit sich brachte. Sie nahm lieber das in Kauf, als die hochgezogenen Brauen ihrer Familie. Als sie im Studium ihre Freundin Kim Chapelle kennenlernte, eine Deutsche mit französischen Wurzeln, fühlte sie sich sofort zu dem selbstbewussten Energiebündel hingezogen. Kim besaß genau die Spontaenität und unbeschwerte Lebensfreude, die Jenny gern gehabt hätte. Sie 'zog ihr Ding durch' und pfiff auf die Meinung anderer. Zu Jennys Bewunderung gesellte sich allerdings auch das Gefühl, stets die Unterlegene zu sein. Aber das war sie seit der Schulzeit gewöhnt. Im Großen und Ganzen wurde Jenny zu einer kreativen, fröhlichen Person mit ausgeprägtem Minderwertigkeitskomplex. Schwierige Voraussetzungen für den Lehrerberuf, auch wenn sie gelernt hatte, selbstbewusst zu wirken. Doch das war nur eine dünne Schale, die solange hielt, bis sie angekratzt wurde. Und in der Schule wird diese Schale oft angekratzt. Jenny seufzte. Im Moment war Anais Hackman die härteste Kratzbürste. Dann rief sie sich zur Ordnung. Schluss mit dem Gejammere! Im allgemeinen gefiel ihr das Schulleben doch. Die Schwätzchen im Lehrerzimmer, die wuseligen, hochmotivierten Kleinen, die harten, aber authentischen Mittelstufler und die engagierten Oberstufenschüler. Jenny lehnte sich entspannt zurück. Sie freute sich auf ihre Klasse.

    Wie erwartet hatte Jenny der Deutschunterricht in ihrer eigenen Sechs wieder großen Spaß gemacht. Sie hatte ihren Schülern stolz die neue Sitzordnung vorgestellt, die sie abends mühsam zusammengefriemelt hatte. Es handelte sich um ein logistisches Wunderwerk. Jenny hatte sich wirklich Mühe damit gegeben. Alle paar Wochen wechselten sie die Sitzordnung, damit jeder mal vorne sitzen durfte. In dem großen Raum standen immer drei Tische in Gruppen zusammen, sodass jeweils bis zu sechs Schülerinnen und Schüler ringsum Platz fanden. Gruppentische hatten den Vorteil, dass mehrere Kinder zusammenarbeiten konnten, ohne dass man ständig Tische und Stühle rücken musste, es sah gemütlicher aus. Kein Schüler hatte jemanden im Rücken sitzen, der einen unauffällig mit Papierkügelchen bewerfen konnte. Natürlich saßen zwangsläufig ein paar Kinder zumindest schräg zur Tafel und hatten nicht den allerbesten Blick nach vorne, aber Jenny war sehr zuversichtlich, dass ihre Bande mit dem Ergebnis zufrieden sein würde. Um eine möglichst ideale Kombination zu finden, die dafür sorgte, dass weder Quatscher den Unterricht störten, noch Erzfeinde nebeneinander ihr Dasein fristen mussten, jeder zumindest auf einer Seite mit einem Freund oder einer Freundin zusammensaß, kein Mädchen einsam an einem Jungentisch und kein Junge ausgeliefert an einem Mädchentisch Platz nehmen musste, hatte sie den Kindern erlaubt, auf einem Zettel Wunschkandidaten zu notieren. Und es war ihr tatsächlich nach zweistündiger Auswertungs- und Puzzlearbeit gelungen, eine Sitzordnung zu finden, die jedem gerecht wurde. Nachdem alle die neuen Plätze eingenommen hatten, fragte sie, ob es noch irgendwelche Unzufriedenheiten oder Fragen gäbe, aber anscheinend war alles prima.

    Deshalb begann sie nichtsahnend mit dem Deutschunterricht.

    Als es schellte, eilte Jenny, umhüllt vom wohligen Gefühl, alles richtig gemacht zu haben und voller Vorfreude auf ihre Theater-AG, Richtung Lehrerzimmer, um sich noch kurz mit dem Probenplan

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