Ein Mädchen, das niemand will?: Mami 2059 – Familienroman
Von Jenny Pergelt
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Über dieses E-Book
Im Radio lief ihr Lieblingslied, und sofort trällerte Nora gut gelaunt mit. Schwungvoll bewegte sie sich zu dem flotten Tempo der Musik. Ihre herrlichen rotblonden Locken, die ihr weit über den Rücken fielen, schwangen bei jedem Tanzschritt rhythmisch mit. Der Tanz war schon immer ihre große Leidenschaft gewesen. Nicht das klassische Ballett – dem konnte sie nichts abgewinnen – sie liebte das ausgelassene Feiern und Abtanzen auf schicken Veranstaltungen oder wilden Partys. Auf dem breiten Doppelbett lagen Berge von Kleidern, Blusen, Tops und Hosen, daneben ein geöffneter Koffer. Hin und wieder nahm sie ein Kleidungsstück aus dem Schrank, hielt es sich vor ihrem schlanken Körper und begutachtete das Ergebnis tänzelnd vor dem hohen Spiegel. Bestand das auserwählte Stück ihre kritische Prüfung, landete es im Koffer – falls nicht, auf dem Bett. »Was machst du da?« Nora warf dem fragenden Kind, das im Türrahmen stand, einen flüchtigen Blick zu, ohne ihr Tun zu unterbrechen. »Siehst du doch … packen«, trällerte sie. Diese knappe Antwort schien die Achtjährige weder zu überraschen noch zu verletzen. Sie zuckte die Schultern und ließ ihre Mutter allein. Sophie wusste ohnehin, was dieses Theater bedeutete. Sobald Nora Keller gut gelaunt den Koffer packte, hieß es auch für sie, ihre Sachen zusammenzusuchen. Leider hatten sie und ihre Mutter nur selten ein gemeinsames Reiseziel. Die meisten Orte, an denen sich die Mama so gern aufhielt, waren für kleine Mädchen tabu. Sie brauchte also nicht damit zu rechnen, dass sie ihre Mutter begleiten durfte. Kinder konnten lästig sein, und niemand wollte auf sie aufpassen müssen, das hatte Sophie schon längst verstanden.
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Buchvorschau
Ein Mädchen, das niemand will? - Jenny Pergelt
Mami
– 2059 –
Ein Mädchen, das niemand will?
Unveröffentlichter Roman
Jenny Pergelt
Im Radio lief ihr Lieblingslied, und sofort trällerte Nora gut gelaunt mit. Schwungvoll bewegte sie sich zu dem flotten Tempo der Musik. Ihre herrlichen rotblonden Locken, die ihr weit über den Rücken fielen, schwangen bei jedem Tanzschritt rhythmisch mit. Der Tanz war schon immer ihre große Leidenschaft gewesen. Nicht das klassische Ballett – dem konnte sie nichts abgewinnen – sie liebte das ausgelassene Feiern und Abtanzen auf schicken Veranstaltungen oder wilden Partys.
Auf dem breiten Doppelbett lagen Berge von Kleidern, Blusen, Tops und Hosen, daneben ein geöffneter Koffer. Hin und wieder nahm sie ein Kleidungsstück aus dem Schrank, hielt es sich vor ihrem schlanken Körper und begutachtete das Ergebnis tänzelnd vor dem hohen Spiegel. Bestand das auserwählte Stück ihre kritische Prüfung, landete es im Koffer – falls nicht, auf dem Bett.
»Was machst du da?«
Nora warf dem fragenden Kind, das im Türrahmen stand, einen flüchtigen Blick zu, ohne ihr Tun zu unterbrechen.
»Siehst du doch … packen«, trällerte sie.
Diese knappe Antwort schien die Achtjährige weder zu überraschen noch zu verletzen. Sie zuckte die Schultern und ließ ihre Mutter allein. Sophie wusste ohnehin, was dieses Theater bedeutete.
Sobald Nora Keller gut gelaunt den Koffer packte, hieß es auch für sie, ihre Sachen zusammenzusuchen. Leider hatten sie und ihre Mutter nur selten ein gemeinsames Reiseziel. Die meisten Orte, an denen sich die Mama so gern aufhielt, waren für kleine Mädchen tabu. Sie brauchte also nicht damit zu rechnen, dass sie ihre Mutter begleiten durfte. Kinder konnten lästig sein, und niemand wollte auf sie aufpassen müssen, das hatte Sophie schon längst verstanden. Ihre Mama konnte wirklich froh sein, dass sie genügend Freunde hatte, die ihr Sophie für eine Weile abnahmen. Und auch Sophie war froh darüber. Wo sollte sie denn sonst bleiben, wenn keiner sie wollte?
Die Wahl des Babysitters traf leider nicht immer ihren Geschmack. Sophie seufzte leise. Sie konnte nur hoffen, dass sie diesmal nicht zu Tante Hella und ihren beiden schlecht gelaunten Perserkatzen musste. Dort war es schrecklich langweilig. Es gab keine Kinder in der Nachbarschaft, mit denen sie spielen konnte, und deshalb verbrachte sie die meiste Zeit im Haus, um zusammen mit Hella fernzusehen.
Ein paar Tage konnte sie es dort gut aushalten. Aber zwei Jahre? Sophie schluckte, als ihr einfiel, dass ihre Mutter bald zu der großen Weltreise aufbrechen würde. Noch wusste niemand, wo Sophie so lange bleiben sollte, und das machte ihr furchtbare Angst. Sie musste fast ständig daran denken. In der Schule oder zu Hause und oft auch nachts, wenn der Kummer sie nicht mehr schlafen ließ. Manchmal träumte sie sogar davon.
Sophie setzte sich auf ihr Bett. Der Bauch tat plötzlich weh, und sie strich vorsichtig darüber. Es war nichts, worüber man sich Sorgen machen musste, hatte Dr. Böhmer gesagt. Das könne schon mal vorkommen, wenn Kinder ein wenig sensibel seien. Sophie hatte damals nicht verstanden, was der Arzt damit gemeint hatte. Ihre Mama hatte ihr dann auf der Heimfahrt erklärt, sensibel bedeutet, dass sie viel zu empfindlich wäre und sich wegen jeder unbedeutenden Kleinigkeit aufregen würde. Dann hatte sie mit ihr geschimpft, weil sie ihrer Mama mit ihrem Getue den ganzen Nachmittag verdorben hätte. Sophie hatte sich furchtbar geschämt und sich fest vorgenommen, endlich vernünftiger zu werden. Seitdem hatte sie niemanden mehr davon erzählt, wenn sie wieder die Bauchschmerzen plagten. Und meistens hielten sie sowieso nicht lange an.
Es half, wenn Sophie an etwas anderes dachte und es ihr dadurch gelang, ihre trüben Gedanken loszuwerden.
Sie stand auf und ging zu ihrem Kleiderschrank. Es wurde Zeit, sich ein wenig abzulenken. Aus dem untersten Fach des Schranks holte sie eine kleine Reisetasche heraus. So wie sie es von ihrer Mutter kannte, stellte sie die Tasche zum Packen aufs Bett. Doch mit ihren Kleidungsstücken ging Sophie viel sorgfältiger um. Gezielt griff sie nach drei Shirts, der roten Sweatjacke und einer Jeans. Ordentlich legte sie sie in die Tasche und strich sie glatt, damit sich keine hässlichen Falten bilden konnten. Dazu gesellten sich ihr Lieblingsnachthemd und etwas Unterwäsche. Ihre Waschutensilien würde sie erst kurz vor der Abreise reinlegen. Mehr brauchte sie nicht. Länger als drei Tage würde die Reise nicht dauern, denn am Montag musste sie ja wieder pünktlich in der Schule sein.
Alle Sachen waren verstaut – bis auf das Wichtigste. Sophie lauschte auf das unbekümmerte Trällern, das weiterhin aus dem Schlafzimmer klang. Schnell huschte sie zum Kopfende ihres Bettes und hob das Kissen hoch. Hier lag Konrad, ein alter Teddybär, der ihr treuer Begleiter war, solange sie zurückdenken konnte. Er sah schon reichlich mitgenommen aus. Das Fell wirkte abgewetzt, seine Farben waren verblasst und erinnerten nur noch fern an das ehemals kräftige Schokoladenbraun vergangener Zeiten.
Sophie drückte ihn kurz an sich und legte ihn dann in die Tasche. »Ich lass den Reißverschluss ein bisschen auf«, flüsterte sie ihm leise zu. »Dann ist es nicht so duster für dich.« Sie lächelte ihm ein letztes Mal liebevoll zu, bevor sie die Tasche auf den Fußboden neben ihrem Kopfende abstellte. So war er trotzdem in ihrer Nähe, und sie könnte ihn schnell zu sich ins Bett holen, falls die bösen Träume zurückkehrten.
Nora Keller machte kein großes Geheimnis daraus, dass sie Konrad verabscheute. Sie sagte, er sei schäbig und gehöre in den Müll. Und tatsächlich musste ihn Sophie schon einmal aus der Mülltonne retten, in die ihn ihre Mama geworfen hatte. Seitdem versteckte sie ihn immer gut und achtete sorgfältig darauf, dass ihre Mutter ihn nicht mehr zu sehen bekam.
Natürlich wusste Sophie, dass Konrad etwas unansehnlich war. Er hielt einem Vergleich mit den teuren und eleganten Puppen nicht stand, die hier überall in den Regalen und auf dem Bett drapiert waren. Doch das störte Sophie nicht. Für sie war Konrad der schönste Bär der Welt und was noch viel wichtiger war: ihr allerbester Freund.
Sophie schreckte aus ihren Gedanken auf, als sich die Haustür öffnete. Sie sprang auf und lief auf den Flur hinaus, um den Mann zu begrüßen, der soeben das Haus betrat. »Hallo, Onkel Karsten.«
Es gelang ihr sogar ein freundliches Lächeln. Doch er erwiderte weder das Lächeln noch den Gruß. Er sah nur kurz zu ihr und ging dann wortlos vorbei. Sophie wusste, dass er nun zu ihrer Mutter gehen würde, um sie mit einem Kuss zu begrüßen. Das tat er immer, wenn er abends zu ihnen kam.
Das fröhliche Lachen ihrer Mama drang zu Sophie hinüber. So glücklich hörte sie sich nur an, wenn Onkel Karsten bei ihr war. Deshalb war Sophie auch so froh, dass er kam, obwohl sie ihn nicht besonders mochte. Bei ihm war ihre Mama immer gut gelaunt, und sie schimpfte viel weniger mit ihr.
Die Türen standen offen, und Sophie konnte jedes Wort der Unterhaltung verstehen.
»Wie weit bist du?«, fragte Onkel Karsten gerade.
»Fast fertig.«
»Danach sieht es aber nicht aus. Was willst du denn noch einpacken? Wir sind nur übers Wochenende weg.«
»Man kann nie zu viel mitnehmen. Ich habe es halt gern, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein.«
»Eventualitäten? Sag doch einfach, dass du dabei nur an deine Partys denkst!« Er klang verärgert, und Sophie wunderte sich. Onkel Karsten war noch nie sauer auf ihre Mama gewesen. »Nora, wir fahren nicht nach München, um uns dort zu amüsieren. Muss ich dich erst daran erinnern, dass der einzige Grund unserer Fahrt dein Ex ist? Du weißt genau, wie viel für uns von seiner Kooperation abhängt.«
»Das wird schon klappen. Du machst dir viel zu viele Sorgen.«
»Jedenfalls mehr als du, da gebe ich dir recht. Vielleicht wird