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DIE SCHULE DER ALLESKÖNNER: Eine experimentelle Kopfkino-Geschichte mit ungewissem Ende
DIE SCHULE DER ALLESKÖNNER: Eine experimentelle Kopfkino-Geschichte mit ungewissem Ende
DIE SCHULE DER ALLESKÖNNER: Eine experimentelle Kopfkino-Geschichte mit ungewissem Ende
eBook232 Seiten2 Stunden

DIE SCHULE DER ALLESKÖNNER: Eine experimentelle Kopfkino-Geschichte mit ungewissem Ende

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Über dieses E-Book

Der Roman "Die Schule der Alleskönner" ist ein experimentelles Werk, bei dem Erhard Schümmelfeder versuchte, spontan eine Liebesgeschichte mit allerlei Schwierigkeiten, Verwicklungen, Machenschaften, Briefgeheimnissen, Schlüsselerlebnissen, Katastrophen und Überraschungen im auf & Ab & Hin und Her der ersten großen Liebe in Szene zu setzen. - Nach einem Schulwechsel hat es der achtzehnjährige Peter Pencil schwer, sich in der neuen Lebensumgebung gegen die Lauten, Starken und Frechen durchzusetzen. Als er sich in die siebzehnjährige Ivon verliebt, begreift er die vorherrschende Spielregel des Lebens: Im Krieg, in der Werbung und in der Liebe sind alle Schliche erlaubt. Mit einer List gelingt es dem Jungen, die Sympathie des begehrten Mädchens zu erlangen. Um Ivon weiterhin zu beeindrucken, gründet er eine Organisation mit dem Namen DIE SCHULE DER ALLESKÖNNER, in der Schüler ihre Fähigkeiten auf dem freien Markt gegen Bezahlung verkaufen können. Das Projekt wird ein großer Erfolg. Neider aber treiben einen Keil zwischen Peter und Ivon. Vertrauensbruch. Trennung. Liebesleid. Weltuntergangsstimmung. Wie aus dieser verfahrenen Beziehungsgeschichte ein Happy-End entstehen könnte, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Kenner des Autors aber wissen: Ihm fällt immer etwas ein. Diesmal jedoch könnte es "eng" werden.
Lassen wir uns also überraschen!
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum11. Nov. 2012
ISBN9783847622925
DIE SCHULE DER ALLESKÖNNER: Eine experimentelle Kopfkino-Geschichte mit ungewissem Ende

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    Buchvorschau

    DIE SCHULE DER ALLESKÖNNER - Erhard Schümmelfeder

    1

    (...)

    Hier beginnt das Manuskript:

    Mit gemischten Gefühlen betrat Peter Pencil an ei­nem sonnigen Augustmorgen jene siebenstu­fige Marmortreppe, die ihn fortan zum Schulgebäude führen sollte. Als leseerfahrener Schüler erinnerte er sich an Bücher, in denen Jungen an ihrem ersten Tag in ei­ner neuen Schule Anfeindungen und un­vermeidlichen Schwierigkeiten ausge­setzt wa­ren, von denen er insgeheim hoffte, dass sie ihm erspart blieben. In seiner Tasche befand sich ein Umschlag mit einem bedeutsa­men Dokument, welches ihm - wie er meinte - die nötige Schonung garantierte.

    Unbehagen, Interesse, Neugier - er hätte kaum zu sa­gen vermocht, welche seiner schwankenden Empfindungen die stärkste war, als er im Strom einer Mädchenschar auf den weiten Vorplatz kam. Ein Flugzeug hinterließ am Himmel über dem Hauptgebäude zwei Kondensstreifen, die sich allmählich verflüchtigten. Hunderte von Jungen und Mädchen bevölkerten in vielen kleinen Gruppen den Platz: erwartungsvoll, ge­langweilt, zuversichtlich oder gleichgültig. Game-Boy-Spie-ler und Walkman-Hörer hatten die Bänke unter den schattigen Buchen besetzt. Einige Jungen der unteren Jahrgänge spielten zwischen leeren Abfallkörben, die als Torpfosten dienten, Fußball mit einer zerbeulten Coladose. Über dem Stimmengewirr und dem Poltern der Dose vernahm Peter vom Parkplatz her das Aufheulen eines Mofamotors, der dann abrupt verstummte. Er nahm sich vor, am nächsten Tag mit dem Rad zur Schule zu fahren, um auf diese Weise den zehnminütigen Hin- und Rückweg zu verkürzen. Vergeblich suchte er unter all den Schülern ein bekanntes Gesicht. An dieser Schule, die sein Vater zwei Jahrzehnte zuvor ebenfalls be­sucht hatte, war es möglicherweise kaum anders als in den Lernfabriken, von denen er berichten konn­te. Während seine Augen ohne eigentliches Ziel umherwanderten, dachte er daran, dass es auch an die­ser Bildungsanstalt zuging wie überall: Es gab die Cliquen, die Lauten, die Leisen, die Lacher, die Mitlacher, die Schweigsamen, die Lästerer, die Schwätzer, die Gaffer, die Unbeteiligten, die Eckensteher, die Raucher, die Knutscher, die Ausgeschlafenen, die Unausgeschlafenen, es gab die Distanzierten, die Frechen, die Pausenclowns, die Pausenflitzer, die Vernünftigen, die Diskutierer ...

    In Gedanken versunken spürte Peter, wie seine Brille ein Stück den Nasenrücken herunterrutschte. Er schob sie mit dem rechten Zeigefinger zurück, während ein Mädchen mit kurzen dunklen Haaren und Madonnengesicht an ihm vorbeiging. Als er den Kopf her­umwandte, blickten sie sich an. Eine Sekunde lang nur. Diese Sekunde vermittelte ihm die Gewissheit, dass sie ihn deutlich wahrgenommen hatte. Für Peter war es ein namen­loses Mädchen, obwohl sie ihm seit dem Umzug nach Beverungen bereits einige Male wäh­rend der zurückliegenden Sommerferien in den Straßen der Stadt begegnet war. Sie war das Mädchen, das an Haustüren klingelte und den Leuten etwas brachte. Auf dem Gepäckträger ihres Fahrrades hatte sie zumeist einen Metallkorb festge­klemmt. Was der Korb enthielt, wusste er nicht. Warum ging er nun dem namenlosen Mädchen nach? Er war bereit, sich zu verlieben. Grund genug, seine Verfolgung fortzusetzen. Mal sehen, was noch passiert, dacht er. Er war sich be­wusst, dass das flüchtige Blickerlebnis eine Empfindung bewirkt hatte: Ein Gefühl von Wärme, die sich sehr rasch in Kühle verwan­delte, als das Mädchen im Schülergetümmel untertauchte. Die Augen, deren Farbe er nicht ein­mal zu benennen vermochte, be­saßen sanftmütige Wärme. Ein weiterer Grund also, diesem weiblichen Wesen auf den Fersen zu bleiben. Vielleicht war sie - wie er - zum ersten Mal an dieser Schule. -Nein, das konnte nicht sein. Sie ging ziel­strebig. Sie kannte sich aus.

    Jemand rempelte ihn an.

    - Wo war sie nun? Die Kleidung des Mädchens hatte in seiner Erinnerung kaum eine Spur hinterlassen. Dann sah er wieder die dunkle Kurzhaarfrisur unter dem Vordach des Schulgebäudes. Diesmal prägte er sich ein: Schlanke, grazil wirkende Gestalt, ruhige Ausstrahlung, schöne Augen mit langen Wimpern ... Die Kleidung: Rote Bluse, gelbes Seidentuch, blaue Jeans mit silberfarbenem Gürtel, nackte Füße in Sandalen ... Das Mäd­chen erreichte das Schwarze Brett und stellte die Bücherta­sche zwi­schen den Beinen auf den gepflasterten Boden. Aus dem Seitenfach zog sie einen Zettel her­vor, den sie mit zwei Reißzwecken an einer freien Stelle des Brettes befe­stigte. Wieder sah er ihre Augen, ihr Ge­sicht, doch schien sie ihn diesmal nicht zu beachten. Kühle. Sie hob die Tasche auf, drehte sich herum und ging durch den Eingang ins Gebäude.

    Peter räusperte sich und versuchte, etwas wie sach­li­che Klarheit in seine Empfindungen zu bringen: Einmal hatte er in den letzten Augenblicken Wärme, zweimal aber Kühle empfunden. Als Kopfmensch misstraute er zuweilen seinen Gefühlen, doch war er stets neugierig, ob sich nicht irgendwo eine Tür öffnete, hinter der sich für ihn etwas bis­lang noch nie Erlebtes, Überraschendes verbarg.

    Er blickte zum oberen Rand des Schwarzen Bret­tes, auf dem siebzehn regenbogenfarbene Buchstaben auf Papptafeln den Namen des Ortes verkündeten, der die Schülergemeinde wie ein Magnet in seinen Bann zog:

    DAS GEDANKENMUSEUM

    Endlich gelang es ihm, sich an den Lesern vorbeizudrängeln. Vergeblich suchte er den Zettel, den das Mädchen erst vor einer Minute an­geheftet hatte. Es gab an der langen Schautafel in­teressante, langwei­lige, wichtige, unwichtige, banale und nichtssagende Meldungen, die er rasch über­flog. Welche Botschaft stammte von dem Mädchen? Aus der Entfernung hatte er die Farbe der verwen­deten Reißzwecken nicht er­kennen können. Grün, gelb, rot? Er las:

    Für das Theaterstück Momo wurden noch Darsteller gesucht. Aus Russland kam der Brief einer Austauschklasse, die einen Monat dem deutschen Unterricht beigewohnt hatte. Jemand bot alte Lesebücher zum Verkauf an. Nachhilfeunterricht in Deutsch, Englisch und Französisch versprach eine Telefonnummer ...

    Das Läuten der Schulglocke weckte ihn aus seinen Gedanken. Zusammen mit an­de­ren Schülern gelang­te er in den Eingangsflur des Gebäudes, fand seinen Namen auf einem Schild, das ihn und andere Kandidaten aufforderte, den Raum 24 im Obergeschoss aufzusu­chen, wo der Beratungslehrer, Herr Muller, nach der Begrüßung einen ausgedehnten Vortrag über den zu erwartenden Unterricht hielt. In seiner rechten Hand umschloss Herr Muller einen weißen Kugelschreiber mit einer blauen Druckknopfperle, die er unentwegt während seiner Rede mit einem irri­tierenden Knick-knack ein- und ausra­sten ließ.

    »Mit Beginn dieses Schuljahres gibt es für Sie alle kei­nen Klassenverband mehr«, erklärte er. »Von nun an werden sie in sogenannten Kursen unter­richtet. Ich werde jetzt die Bücherliste für jeden Schüler und den ab heute gültigen Stundenplan ausgeben. Nach Ablauf meiner Einführung beginnt für Sie in der dritten Stunde der planmäßige Unterricht -«

    Ein Junge, den die anderen zuvor mit Axel ange­redet hatten, hob eine Hand.

    »Herr Muller! Frage: Ist der Stundenplan definitiv bis zum Ende dieses Halbjahres verbindlich?«

    »Ich hoffe es.«

    Während aus der Zuhörergruppe weitere Fragen gestellt und korrekt von Herrn Muller beantwortet wurden, registrierte Peter zweierlei: Fast alle Jungen und Mädchen in dem Raum benutzten einen wei­ßen Kugelschreiber mit blauem Perldruckknopf, um die notwendigen Informationen eilig mitzuschreiben. Das Mädchen mit den dunklen Haaren saß in der letzten Bankreihe. Sie blätterte in einem Schreibheft. Erst jetzt bemerkte er den winzigen goldenen Ring in ihrem linken Ohr.

    »Peter Pencil?«

    »Hier«, machte er sich bemerkbar und nahm den Stundenplan aus der Hand des Beratungslehrers ent­gegen. Nackte Füße in braunen Sandalen, ging es ihm durch den Sinn. Ob sie ihre Fußnägel lackiert hatte?

    Ein blonder Junge in der Bank neben ihm sprach ihn von der Seite an.

    »Peter Pencil?« Der Junge war schmächtig und hatte ein aufgewecktes Brillengesicht. »Dein Vater arbeitet bei der Zeitung.«

    »Haargenau«, bestätigte Peter. »Kennst du ihn?«

    »Nur flüchtig«, sagte der Junge und schob ihm ei­nen weißen Kugelschreiber herüber. »Kleines Werbegeschenk der Firma.«

    Peter nahm den Kugelschreiber, drückte - knick-knack - die blaue Kugel und las die rote Beschriftung: Elektrogroßhandlung Jau.

    »Deine Firma?«

    »Noch gehört sie meinem Vater. - Dein Vater hat in der letzten Woche einen Artikel geschrieben über unsere Neueröffnung nach dem Umbau.«

    »Wie erfreulich«, sagte Peter. »Wenn ich einen Werbe-Bleistift von der Redaktion meines Vaters besäße, könnte ich mich revanchieren.«

    »Nicht nötig«, wehrte der Junge seufzend ab. »Ich bin froh, wenn ich meinen Ballast endlich über Bord ge­worfen habe.«

    Er öffnete eine Papiertüte, die noch bis zur Hälfte mit Kugelschreibern gefüllt war.

    »Verstehe«, sagte Peter. Dann fragte er: »Heißt du mit Vornamen auch Elektrogroßhandlung

    »Zum Glück nicht. Meine Mutter konnte sich bei der Taufe mit Jonas durchsetzen.«

    Es war gewiss nützlich, ei­nem schmächtigen Jungen mit einem vertrauenerweckenden Brillengesicht zu begegnen.

    »Wir kennen uns übrigens«, bemerkte Peter mit Bestimmtheit. Auf Jonas' fragenden Blick fügte er hinzu: »Aus einem anderen Leben.«

    »Wie meinst du das?«

    »Wir waren zusammen im Kindergarten.«

    Erstaunen zeigte sich in Jonas' Gesicht. »In der Grünen Gruppe?«

    »Schön, wenn du dich daran erinnerst«, freute Peter sich.

    »Ich habe keine Erinnerung an dich«, sagte Jonas. Er wies auf Peters Stundenplan und erkundigte sich: »Haben wir einige Kurse gemeinsam?«

    Sie verglichen ihre Stundenpläne.

    »Deutsch, Geschichte, Chemie und so weiter«, stellte Peter fest. Er fuhr fort: »Schade übrigens, dass man Mathematik nicht abwählen kann.«

    »Weshalb?«

    »Ich stamme aus einer alten Schriftgelehrtenfamilie. Mit Ausnahme von Edwin können wir Pencils mit Zahlen nur wenig anfan­gen.«

    »Wer ist Edwin?«

    »Mein älterer Bruder. Er ist Berufssoldat.«

    »Ich komme aus einer alten Kaufmannsfamilie«, be­kannte Jonas. »Zahlen - oder besser: Umsatzzahlen - sind unser Leben. Leider.«

    »Sonst noch Fragen?«, wollte Herr Muller wissen.

    Ein Mädchen mit Pickelgesicht erkundigte sich nach irgendetwas, das Peter nicht verstand, denn Jonas re­dete ihn mit grübelnder Miene erneut von der Seite an: »Merkwürdig. Ich kann mich überhaupt nicht an dich erinnern.«

    »Das ist gut möglich«, sagte Peter. »Ich war als Kind immer sehr zurückhaltend.«

    »Wie war ich im Kindergarten?«

    Es war eine Testfrage. Duchschaut er mich?, dachte Peter. Dann antwortete er:

    »Du warst immer sehr schmächtig und unscheinbar.«

    »Stimmt.«.

    »Probleme hattest du auch.«

    »Ach, Probleme?«

    »Was weiß ich«, sagte Peter. »Ich glaube, deine Probleme lagen darin begründet, dass du so schmächtig und unscheinbar warst.«

    »Das kann sein«, meinte Jonas mit leisem Vorbehalt in der Stimme. »Ich habe oft Prügel von den anderen bezogen.«

    »Einigemale habe ich dir geholfen gegen die Großen, Starken, Frechen«, warf Peter ein.

    »Sieh an. Interessante Legenden berichtest du da. Ich weiß nur: Fräulein Andrea hat mich oft vor dem Verprügeltwerden bewahrt.«

    »Nachdem ich sie zu Hilfe gerufen hatte.«

    »Du warst das?«, fragte Jonas mit übertriebener Ahnungslosigkeit.

    »Wenn sonst keine Fragen mehr bestehen«, hörte Peter Herrn Muller sagen, »dann können wir unsere Informationsveranstaltung hiermit beenden und -«

    Das Mädchen mit den dunklen Haaren verließ den Raum.

    Peter meldete sich zu Wort.

    »Eine bescheidene Frage hätte ich auf dem Herzen, Herr Muller.«

    »Bitte! Ich höre!«

    Peter zog den braunen Umschlag aus seiner Schultasche und erklärte:

    »Ich habe hier eine ärztli­che Bescheinigung, die mich für alle Zeiten vom Sport be­freit. Dürfte ich Sie bitten, die Bescheinigung an die zuständige Stelle dieser Schule wieterzuleiten?«

    Freundlich sagte Herr Muller:

    »Sie dürfen. Selbstver­ständlich. Ich werde sie dem Schulleiter überge­ben.«

    Peter erhob sich mit Mühe von seiner Bank und ging gemessenen Schrittes zum Lehrerpult. Herr Muller bemerkte Peters Hinken und hob die Augenbrauen. Er erkundigte sich: »Eine schlimme Sache?«

    »Ziemlich. Aber inzwischen habe ich mein Schicksal akzeptiert.«

    »Warum bist du denn vom Sport befreit?«, fragte in­diskret ein Mädchen mit Hornbrille.

    »Noch dazu für alle Zeiten«, fügte ein Junge, der ein Boss-T-Shirt trug, hinzu.

    Hämisch klang die Schelmstimme aus dem hinte­ren Teil des Raumes: »Vielleicht hat er ja ein Holzbein.«

    Lachen, Kichern, Grölen, Wiehern gingen über in ein gemäßigtes Murmeln. Dann sprach ein Mädchen mit ernstem Gesicht und einer zur Vernünftigkeit neigenden Stimme: »Hast du viel­leicht ein Holzbein?«

    Peter schob den gefalteten Stundenplan in seine Tasche, blickte zuerst in das betroffene Gesicht des Mädchens, ließ seine Augen zu Herrn Muller wan­dern und wandte sich dann an die abrupt verstum­mende Gemeinschaft. In die Stille hinein sagte er nur ein Wort:

    »Ja.«

    (...)

    Erleichtert vernahm Peter am frühen Nachmittag den Glockenton, der seinen ersten Tag in der neuen Schule beendete. Er war zufrieden mit seinem kurzen Auftritt vor den Schülern. Ähnlich hatte er sich dies auch in Gedanken vorgestellt. Die auflodernde Neugier an seiner Person war noch während des Vormittags erloschen, denn wohl jeder seiner Mitschüler war damit beschäf­tigt gewesen, sich im Gedrängel des neu geordneten Schulalltags zurechtzu­finden.

    Ein Stück Sicherheit erfuhr Peter durch Jonas, mit dem er in den gemeinsamen Kursen die Bank teilen durfte. Der Preis, einen alten Bekannten aus ver­gangener Zeit zu haben, war hoch bemessen, aber dennoch recht lohnenswert. Es war anstrengend all die Fragen zu beantworten, die Jonas interessierten (Wo wohnst du jetzt? Wo hast du vorher ge­wohnt? In welchem Jahr seid ihr fortgezogen? Was hat euch in die Stadt zurück­gelockt? Bist du auch Pazifist? Und so weiter ...) Endlich gelang es Peter, ebenfalls ei­ne Frage zu formulieren, als sie in der Mittagshitze über den Schulhof zum Ausgang schrit­ten:

    »In welcher Buchhandlung bestelle ich heute meine Bücher?«

    »Am besten bei Steiner«, klärte Jonas ihn auf. »In der Langen Straße.« Er blickte auf Peters rechtes Bein. »Soll ich deine Tasche tragen?«

    War seine Frage taktvoll, rührend, komisch oder mitleidig? Peter räusperte sich.

    »Ich bin zwar eine Sport-Flasche, aber meine Tasche kann ich durch­aus allein tragen. Danke, trotzdem.«

    »Unfall?«

    »Ja. Aber ich denke nicht gern daran.«

    »Kann ich mir vorstellen.«

    »Mit nur einem Bein muss ich versuchen, mich in allen geistigen Dimensio­nen mit doppelter Intensität zu profilieren.«

    »Wo liegt deine Stärke? Wenn ich fragen darf.«

    »Ich bin ein Multitalent - wie mein Vater.«

    »Dein Vater ist Redakteur«, fiel Jonas ein. Er blickte zwei Mädchen nach, die lachend an ihnen vorbeiliefen. Er blieb am Fahrradständer stehen und klemmte die Ledertasche auf dem Gepäckträger seines roten Rades fest.

    »Wahrscheinlich werde ich auch als Schreiberling enden«, klärte Peter ihn auf.

    Ein voll besetzter Schulbus fuhr von der Haltestelle blinkend auf die Fahrbahn. Starker Dieselgeruch erfüll­te einen Moment die Luft.

    »Schreibst du mit dem PC oder der Schreibmaschine?«

    »Tagebuch führe ich nach wie vor mit dem Kugelschreiber.«

    Jonas blickte auf die braune Papiertüte in seiner linken Hand.

    »Könntest du mir noch n paar von den Werbekulis abnehmen?«

    »Meinetwegen kannst du sie mir alle geben.«

    »Bist du Vielschreiber?«

    »Nein. Ich würde die Tüte an meine Mutter weiterreichen. Sie könnte die Kulis an ihre Kinder verschenken.«

    »Ist deine Mutter Kinderärztin oder so?«

    »Nein. Sie arbeitet als Ergotherapeutin in der Bahnhofstraße.«

    Jonas reichte Peter die Tüte.

    »Mach damit, was du willst. Hauptsache, ich bin den Schrott los.«

    Er setzte sich auf den Sattel seines Rades und rollte langsam zum Straßenrand.

    Peter

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