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Zweiundvierzig - Ein Uni-Thriller
Zweiundvierzig - Ein Uni-Thriller
Zweiundvierzig - Ein Uni-Thriller
eBook237 Seiten3 Stunden

Zweiundvierzig - Ein Uni-Thriller

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Über dieses E-Book

Wohin gehst du, wenn es keinen Ausweg gibt?

Es ist Freitag, kurz vor Weihnachten. Auf dem Campus der exzellenten Provinzuni halten sich nur wenige Menschen auf, als plötzlich das Licht ausgeht. Von einem Moment zum anderen sind Strom und Heizung abgeschaltet, weder Mobilfunknetze noch das Internet sind verfügbar. Und alle Ausänge sind mit Sprengladungen gesichert - Die Uni wird zur Todesfalle.
SpracheDeutsch
HerausgeberAmrûn Verlag
Erscheinungsdatum27. Okt. 2014
ISBN9783944729367
Zweiundvierzig - Ein Uni-Thriller
Autor

Claudia Rapp

Dr. Claudia Rapp ist Professorin für Byzantinistik am Institut für Byzantinistik und Neogräzistik der Universität Wien.

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    Buchvorschau

    Zweiundvierzig - Ein Uni-Thriller - Claudia Rapp

    Inhaltsverzeichnis

    Zweiundvierzig

    Über die Autorin

    Claudia Rapp

    zweiundvierzig

    Ein Uni-Thriller

    © 2013 Amrûn Verlag

    Jürgen Eglseer, Traunstein

    Umschlaggestaltung: Jürgen Eglseer

    Lektorat: Veronika Pirnack

    Alle Rechte vorbehalten

    ISBN – 978-3-944729-35-0

    Besuchen Sie unsere Webseite:

    http://amrun-verlag.de

    Der folgende Text ist Fiktion. Ähnlichkeiten zu lebenden oder toten Personen sind zufällig; es handelt sich nicht um einen Schlüsselroman. Natürlich ist die Ausgangssituation inspiriert von der realen Asbestbelastung und Bibliotheksschließung an meiner Heimatuniversität in Konstanz am Bodensee. Und einen Mann im grünen Mantel gibt’s dort auch. Damit hören die Parallelen aber auch schon auf. Deshalb habe ich mir die Freiheit genommen, die Uni ein wenig zu verfremden.

    Vorbereitung

    Das Handy brummt. Schon wieder eine SMS. Genervt wühlt die rot­haarige Studentin in ihrer Tasche, um nachzusehen, was ihre Freundin nun wieder von ihr will. Das Telefon ist natürlich nach ganz unten gerutscht, und während sie noch sucht, geht ein ganz und gar unauffälliger Mann an ihrem Arbeitsplatz in der Bibliothek vorbei und biegt um die nächste Regalreihe. Er zieht einen Kugelschreiber aus der Schultertasche, drückt hinten auf den Schieber, so dass vorne die Mine schreibbereit herausschaut und legt den Stift neben eine Reihe Soziologiebücher über Identität, knapp oberhalb seines Kopfes. Eine Etage höher, bei den Büchern über die Französische Revolution, wird er eine Minute später das Gleiche tun. Die Studentin hat ihr Telefon gefunden und verdreht die Augen. Schon wieder Liebeskummer. Ihre Freundin sollte sich lieber öfter zum Lernen vergraben, statt ihr mit ständig wechselnden Affären das Leben schwer zu machen. Der Mann verlässt die Bibliothek. Er hat kein Buch ausgeliehen, aber fünfzehn Kugelschreiber aktiviert und abgelegt. Selbst im Leseraum für wertvolle Manuskripte war er, und die zuständige Bibliotheksangestellte war die einzige, mit der er an diesem Morgen ein Wort gewechselt hat. Er fragte nach den Reichenauer Handschriften. Aber die liegen seit jeher in der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe.

    In der Mensa verteilt eine junge Frau Flyer für die nächste Party. Auf jedem Tisch landet ein Zettel; ein paar fallen auf den Boden. Niemand hebt sie auf. Es ist noch relativ leer hier, der Ansturm beginnt erst gegen halb zwölf.

    Ein kleiner Mann geht in der Eingangshalle umher und pinnt Aushänge an die Wände. Zu verkaufen: Gebrauchtes Rennrad. 150 Euro, mit Telefonnummer. Um ihn herum fluten die Studierenden den Raum und fließen in unterschiedliche Richtungen ab. Stimmengewirr, Lachen, Verabredungen. Der kleine Mann ist bereits auf dem Weg zum Parkplatz, als die Erste vor einem seiner Zettel stehen bleibt, gleich das Telefon aus der Tasche ihrer Sporthose zieht und die Nummer wählt. Eine undeutliche Stimme leiert den üblichen Mailbox-Spruch herunter: Ich kann gerade nicht ans Telefon kommen, aber hinterlasst mir doch eine Nachricht.« Schade.

    Als die Sportstudentin sich umdreht, rauscht einer der Hausmeister in seinem dunkelgrünen Kittel an ihr vorbei. Sie lacht in sich hinein. Dieser Kerl sieht immer aus, als sei er in einer höchst wichtigen Mission unterwegs. Wahrscheinlich funktioniert wieder irgendwo ein Beamer nicht. Wichtige Mission. Und dabei sieht er aus wie ein Covermodel für Heftromane aus den neunziger Jahren. Langes Haar, kleines Kinnbärtchen und schmaler Schnauz, eng anliegendes T-Shirt, dessen offene Knöpfe das Brusthaar sehen lassen, verbringt offensichtlich viel Zeit im Fitnessstudio. Der grüne Hausmeistermantel bauscht sich im Schwung seines entschlossenen Schrittes. Sie stellt sich immer vor, wie er als junger Mann Pate stand für all die Highlander, englischen Lords, Wikinger, und sonstigen Titelhelden. Seine beste Zeit ist vorüber, die Fältchen um die Augen verraten sein Alter, er muss an die fünfzig sein, aber die geschwellte Brust, der Gang des Helden und das wehende Haar sind ihm geblieben. Sie schüttelt den Kopf über ihre blühende Fantasie und geht weiter zum Automaten, um sich eine Cola zu ziehen. Das Rennrad ist vergessen.

    Auf dem Parkplatz wartet der unauffällige Mann bereits an einem Mercedes, als die junge Frau und der kleine Mann auftauchen. Sie steigen gemeinsam in das blaue Auto und fahren davon, über die einzige Zufahrtstraße zum Campus.

    Die Sekretärin des Rektors tippt ein Memo, das an alle Organisations­einheiten geht:

    Betreff: Erneuerung der Belüftungsanlagen

    Aufgrund der derzeit laufenden Baumaßnahmen findet am Freitag den 2. November zwischen 9:00 und 12:00 eine routinemäßige Schadstoffmessung im gesamten oberen Bibliotheksbereich statt. Bitte stellen Sie sich darauf ein, dass es zu Lärmbelästigung und Verzögerungen bei der Verbuchung kommen kann. Legen Sie Ihre Bibliotheksarbeitszeit wenn möglich auf einen anderen Tag. Wir danken für Ihr Verständnis. Mit freundlichen Grüßen.

    An einem weit entfernten Ort sitzt ein Mann im Halbdunkel vor dem Bildschirm seines Computers. Seine Finger verharren über der Tastatur. Er ist abgelenkt, nicht hundertprozentig bei der Sache. Vor seinem inneren Auge sieht er den See, leuchtend blau in der Sommersonne, dunkelgrün am frühen Morgen, bleigrau unter Novembernebel. Der Blick aus dem Fenster, auf die ewig wechselnden Farben, ist einmal sein liebstes Morgenritual gewesen. Aber der Gedanke an diese launische Schönheit aus Wasser und Licht ändert nichts an seinem Plan. Mit einem verächtlichen Lachen verbannt er die Bilder aus seinem Kopf und konzentriert sich wieder auf die Arbeit. Heute steht der See nur noch als Chiffre für einen Ring, den er erobern, eine Bank, die er ausrauben, einen Planeten, den er zerstören wird.

    Die ersten Schritte sind getan, die Uhr tickt. Jetzt kann er geduldig warten, in der Gewissheit, dass seine Stunde kommt. Unaufhaltsam. Während er seine Berechnungen mit wechselnder Konzentration durchgeht, suhlt er sich geradezu im Gefühl seiner Überlegenheit. Die Vergleiche tanzen durch seinen Kopf. Ich bin dein Vater. Ich bin der Große Bruder. Nein, besser, ich bin der Hüter meines Bruders. Er kichert. Damit wäre die Frage nach seinem Codenamen auch geklärt. Dann nimmt er, immer noch erheitert, sein Handy zur Hand.

    Warten

    Die rothaarige Studentin sitzt wieder an ihrem Platz bei den Soziologiebüchern. Eine ruhige Ecke, besonders Freitags, wenn viele bereits auf dem Heimweg ins Wochenende sind. Es sei denn, ihre bisweilen sehr anstrengende Freundin belästigt sie mit ihren endlosen Textnachrichten. Heute ist es noch leerer als sonst, und die Ruhe tut gut. Das Lernen geht voran.

    Umso mehr erschrickt sie, als plötzlich eine Stimme durch die Sprechanlage ertönt, von der sie nicht einmal gewusst hat, dass es sie gibt. »Leider müssen wir die Bibliothek aus dringendem Anlass schließen. Bitte begeben Sie sich umgehend zur Verbuchung und nehmen Sie ihre persönlichen Gegenstände mit. Ich wiederhole: Die Bibliothek muss umgehend geschlossen werden. Bitte begeben Sie sich zum Ausgang.«

    Was? Es ist Freitagnachmittag, und das ist eine 24-Stunden-Bibliothek! Ein Fakt, mit dem die kleine Eliteuniversität auf ihrer Homepage stolz wirbt. Während die Rothaarige noch kopfschüttelnd ihre Bücher und den Notizblock einpackt, kommt bereits ein Mitarbeiter auf sie zu und bittet sie ebenfalls, sofort zum Ausgang zu gehen. Kein Brandgeruch, kein Lärm, nur diese Stille, die nun mit einem Mal gar nicht mehr angenehm, sondern unheimlich und bedrohlich wirkt.

    Es sind nur eine Handvoll Studenten, die sich nun ratlos vor der verschlossenen Tür der Bibliothek wiederfinden. Mutmaßungen werden geäußert, dem Ärger Luft gemacht. »Was soll denn das, kann man uns nicht wenigstens sagen, was hier eigentlich los ist?« »Wenn es brennen würde, müsste man es riechen.« »Ja, aber was kann es denn sonst wohl sein?« »Ich habe meine Tasche vergessen, ich muss nochmal rein.« »Da wirst du Pech haben, die Angestellten sind auch alle raus. Die sehen genauso schlau aus wie wir.« »Hallo, wissen Sie was da genau los ist? Meine Tasche ist noch da drin.« »Das ist doch lächerlich, wieso dürfen Sie nicht mehr aufschließen, was soll der Scheiß?« Man diskutiert, man entschuldigt sich, man weiß nichts.

    Zögernd löst sich der kleine Haufen auf, lernt zuhause weiter, startet verfrüht ins Wochenende, verflucht die dämliche Uni, geht ein Bier trinken.

    Am Samstag geht eine Mail über die Schließung der Bibliothek an den Uni-Verteiler, aber wer schaut schon am Wochenende nach?

    Die Rothaarige trifft sich mit ihrer Freundin in einem Club, im kleinen Industriegebiet der Stadt, und bekommt den neusten Fang serviert, einen hübschen Langweiler. Aber man kann ja nicht immer lernen. Für sie selbst ist nichts Interessantes dabei, immer dieselben Gesichter. Man hätte in einer Großstadt studieren sollen, nicht hier in der Idylle am Bodensee, wo alles so überschaubar und bekannt ist. Jetzt geht es darum, schnell fertig zu werden, und dann einen Job irgendwo zu finden wo es spannender ist. Hoffentlich hat die Bibliothek am Montag wieder auf, sie muss lernen. Die Sportstudentin mit den Hausmeisterfantasien geht joggen, verbringt die Nacht bei ihrem Freund, bleibt den Sonntag über mit ihm im Bett. Es ist ein gutes Wochenende, die Liebe ist noch frisch. Sie machen Pläne, wollen ins Ausland, Australien wäre für beide der Traum. Der blonde Hausmeister trainiert im Studio, wäscht seinen Wagen, einen alten weißen Mercedes, mit Hingabe. Und natürlich von Hand. Er verbringt den Samstagabend bei seiner Modelleisenbahn, bastelt und poliert, baut eine neue Brücke zusammen. Am Sonntag liest er einen alten Tom Clancy Roman. Zum dritten Mal? Er liebt gut gemachte Thriller, auch die unwahrscheinlichen. Am Abend wird er den Hamburger Tatort anschauen, und ihn schlecht gemacht finden. Ein hanebüchener Terror­ismus-Plot. Sowas sollten sie den Amerikanern überlassen, die können solche Geschichten erzählen.

    Die junge Frau, der unauffällige und der kleine Mann warten. Um sich die Zeit zu vertreiben, färbt sich die Frau die Haare braun. Sieht ganz anders aus als zuvor. Der Kleine rasiert sich den schicken Bart ab, komplett glatt. Der Unauffällige setzt eine auffällige Brille auf, um die Zeitung zu lesen. Er sieht gar nicht aus, als brauche er eine Lesehilfe. Sie warten. Auf dem Schrank neben dem Kachelofen steht ein kleiner brauner Karton in dem fünfzehn Kugelschreiber liegen und darauf warten, mitsamt ihrer Verpackung im Ofen zu verschwinden. Die junge Frau hat sie bereits am Freitagmorgen abgeholt. Draußen wehte an diesem Tag ein kalter Wind, aber die Bibliothek war angenehm beheizt. Trotzdem hat sie weder den mehrfach um Hals und Mund gewickelten Schal noch ihre Lederhandschuhe ausgezogen.

    Zwei Fremde

    »Hast Du diesen Mist gehört? Die Bib ist bis auf Weiteres geschlossen. Um elf und um halb zwei gibt’s Infoveranstaltungen im Audimax.«

    »Mir doch egal. Ich geh erst mal essen. Kannst mir ja nachher erzählen, was die sagen.«

    Das Wochenende ist vorüber, die Uni füllt sich. Einige haben die Rundmail bereits gelesen, aber die meisten sehen verwundert, dass an der Eingangstüre Plakate hängen mit der Aufschrift: WICHTIG – Informationsveranstaltungen zur Schließung der Bibliothek.

    Viele gehen achtlos daran vorbei, wie auch an den Infotafeln im Eingangsbereich. In den Seminaren geben die Dozenten die spärlichen Informationen weiter, die sie haben.

    Die Rothaarige erfährt es von ihrem Statistik-Professor: »Bei einer Routinemessung wurden sehr hohe Feinstaubwerte in der Bibliothek festgestellt. Diese musste sofort geschlossen werden. Noch ist nicht klar um welche Schadstoffe es sich handelt. Alles Weitere werden der Rektor und die Bibliotheksleitung in den Infoveranstaltungen bekannt geben. Ich mache um fünf vor elf Schluss, damit wir alle dorthin gehen können. Aber nun wenden wir uns noch einmal der Problematik von letzter Woche zu …«

    Ihre Sitznachbarin ist eine von den Engagierten, die Dreadlocks trägt und im AStA sitzt. Jetzt echauffiert sie sich: »Feinstaub? Schadstoffe? Das wird wie immer Asbest sein. Was für ‘ne Überraschung. War doch klar bei einem Bau aus den frühen Siebzigern. Was muss man da denn auf einmal alles dichtmachen, hat doch sonst auch noch nie jemanden interessiert.« Der Professor bedenkt sie mit einem deutlichen Blick, und sie ist still, aber man sieht ihr den Groll an. Sie wird sicher eine der ersten sein, die unangenehme Fragen stellt, wenn sich alles im Audimax drängt, in einer halben Stunde.

    Prateet Prattapoo zieht sich einen Automatenkaffee. Er ist müde, denn die Skype-Gespräche mit seiner verzweigten Familie finden immer zu unmöglichen Zeiten statt. Er beginnt inzwischen, die Sonntage zu hassen. Unter der Woche ist alles gut, er kann sich auf seine Kurse konzentrieren, in der Mensa eine Suppe essen, lernen, lernen, lernen, und abends am Computer zocken. Samstags arbeitet er an Dingen, von denen keiner weiß, keiner wissen darf, und die es ihm ermöglichen, auf angenehme Art sein Studium zu finanzieren, insbesondere diesen Auslandsaufenthalt. Ein Jahr Deutschland, ein Jahr im kleinen aber feinen Informatik-Fachbereich an dieser idyllisch gelegenen Provinzuni. Weit weg. Aber wehe es wird Sonntagnachmittag. Gegen vier meldet sich seine Tante aus Lampali, einem kleinen Dorf im Norden seiner Heimat Sri Lanka. Die Internetverbindung dort ist nicht sehr stabil, aber nach unzähligen Versuchen haben sie gemeinsam herausgefunden, dass es gleich nach dem sonntäglichen Abendessen in Lampali am ehesten eine störungsfreie Verbindung gibt. Also ruft Tante Neeha ihren Neffen an und erzählt ihm haarklein von der Benzinknappheit, den Gefechten, dem Dorftratsch und den heiratsfähigen Mädchen im Ort. Immer wieder; das meiste davon hört er mindestens fünf Mal. Neeha wird vergesslich. Inzwischen simuliert er manchmal Verbindungsstörungen, wenn der Redeschwall gar nicht mehr aufhören will. Immerhin hat Tante Neeha keine Webcam, so muss er sie nur hören, und kann nebenher etwas essen, oder Wäsche aufhängen. Aber so lästig diese Anrufe sein mögen, sie sind kein Vergleich zu dem, was unausweichlich danach kommt.

    Prateets Schwestern, die allesamt im sicheren Süden des Landes wohnen, wechseln sich mit ihren Kontrollanrufen ab, brav ihrem Alter nach geordnet. Pasupathy ist die erste, und sie will jedes Detail von Tante Neehas Bericht wiederholt bekommen. Ameeta interessiert sich nur für den Klatsch, während Jayanthi die militärischen und politischen Entwicklungen verfolgt. Zuletzt ruft Chandraya an, die Langeweile hat. Trotzdem ist all das nicht dafür verantwortlich, dass er montags so müde ist, denn Sri Lanka ist der deutschen Zeitzone nur dreieinhalb Stunden voraus. Aber wenn es auf Mitternacht zugeht, kommt der Anruf seiner Mutter. Prateets Eltern leben in Kalifornien, und dort ist es dann erst drei Uhr nachmittags. Nachdem Teventhira, Prateets Mutter, gegessen hat, will sie den Sonntagnachmittag mit ihrer Familie verbringen. Leider ist sie ein ziemlicher Tyrann, und so verbringt ihr Mann Kumar den Nachmittag lieber mit seinen amerikanischen Arbeitskollegen in Stadien und auf Sportplätzen, die Abende in der Kneipe. Es hat sicher seinen guten Grund, dass ihre vier Töchter, allesamt auch nicht gerade sanfte Engel, es vorgezogen haben, zurück in die Heimat ihrer Kindheit zu ziehen, anstatt bei den Eltern in Kalifornien zu bleiben. Oder, dass Teventhira und ihre Schwester Neeha seit nunmehr neun Jahren kein Wort mehr miteinander wechseln. Bleibt nur Prateet.

    Er ist vierundzwanzig, ein brillanter Informatiker, ein beinahe ebenso fähiger Hacker, ein wenig übergewichtig, nicht besonders groß, hat funkelnde dunkelbraune Augen und schwarze, nicht zu kurz geschnittene Haare. Er trägt zuhause auf dem Sofa gern das traditionelle weiße Hemd mit dem gewickelten Männerrock der Sri Lanker, aber das weiß niemand hier. Freunde, die ihn in seinem Studentenzimmer besuchen kommen, hat er nicht. Die Kommilitonen kennen ihn nur als ehrgeizigen indischen Austauschstudenten, der immer noch kein Deutsch gelernt hat. Die nationale Fehleinschätzung nimmt er unkommentiert hin. Für ihn sehen die Nordeuropäer auch alle gleich aus. Fremdsprachen sind seine schwache Seite; auch für das Englische hat er viel länger gebraucht als seine Schwestern. Aber die Schwäche, die ihn jetzt mit müden Augen am Kaffeeautomaten stehen lässt, besteht darin, dass er nicht nein sagen kann, wenn seine Familie ihn als Vermittler, Boten, Informationsquelle und Friedensstifter benutzt. Und das tun sie alle, jeden Sonntag, bis spät in die Nacht.

    Langsam seinen Kaffee schlürfend registriert er jetzt, dass irgendetwas anders ist als sonst. Das übliche Gedränge, Geraune, Gerede im großen Foyer ist dichter, lauter und chaotischer als sonst. Verstehen tut er fast nichts, denn sein Deutsch ist wirklich schlecht; es reicht gerade, um eine Pizza zu bestellen, wenn nötig. Oder ein Bier.

    Und alle strömen ins Audimax, oder besser gesagt, sie sammeln sich davor, denn inzwischen ist das Auditorium Maximum, der größte Hörsaal der Uni, mehr als übervoll. Kurzerhand spricht er eine Rothaarige an, die zu spät gekommen ist und sehr besorgt aussieht. Sein Englisch ist einwandfrei, aber ihres scheinbar nicht, denn sie schaut ihn erst einmal für mehrere Herzschläge an, als sei er verrückt. Dann erst reagiert sie, offenbar kommt sie mit seinem hübschen Akzent nicht klar, der über die Konsonanten gleitet, sie abschleift, und die Worte zu einer Melodie fügt, die weder britisch noch amerikanisch klingt. Aha, die Bibliothek ist geschlossen, alle sind verwirrt, und hier wird man jetzt erfahren, was Sache ist. Stört ihn nicht besonders, er bezieht die meisten seiner Informationen aus dem Netz, zumeist legal, zur Not auch anders. Woran es liegen soll, hat er nicht richtig verstanden. Feiner Nebel? Vielleicht Asbest? Egal, was genau passiert ist, wird mit der Zeit auch bis zu ihm durchdringen, denkt er. Und natürlich ist die Stabsstelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auch bereits angewiesen, die nächsten Rundmails auf Deutsch und Englisch zu verfassen. Es gibt immerhin fast eintausend internationale Studierende an dieser Uni, etwa ein Zehntel der gesamten Studentenzahl.

    Eine davon ist Lara, die eine Schwäche mit Prateet teilt. Auch sie hat Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache, mit Sprachen überhaupt. Laras Muttersprache ist tschechisch. Man könnte ihr nachsagen, dass auch sie so ihre Schwierigkeiten mit dem nein sagen hat. Denn Gerüchten zufolge hat sie viele Liebhaber, wie in ihrer Nachbarschaft neugierig registriert wird. Enge Freunde hat sie jedenfalls genauso wenig wie er. Daher weiß auch niemand so ganz genau, was es mit den häufigen Herrenbesuchen auf sich hat. Noch weiß jemand, dass sie an den Abenden, an denen sie

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