In Berlin wird noch geschossen e-book: Roman
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Über dieses E-Book
Die erste große Liebe ist auch die erste große Enttäuschung, eine ernsthafte Erkrankung der Grund zum Abbruch. Júlia landet nach nicht mal zwei Jahren wieder in ihrem Dorf.
Eine Reihe von Untersuchungen und Behandlungen beginnt, die mit einem Kuraufenthalt in Hévíz, Ungarns berühmtesten Kurort, endet.
Dort lernt sie ihren späteren Ehemann kennen. Fried Reimann ist Bürger der DDR, acht Jahre älter, mit Leib und Seele Seemann und stets erfüllt von Fernweh. Er träumt von Ländern, die er bereisen möchte, aber nicht kann.
Mit Fred Reimann hält das Abenteuer im Hause Márton Einzug, oder das, was Eltern und Großmutter dafür halten.
Es kommt wie es kommen soll: Kaum volljährig, gibt Júlia das Jawort, nur zusammen leben mit ihrem Ehemann kann sie nicht.
Eines Tages kommt Fred mit einem Seesack auf der Schulter und der Chow-Chow-Hündin an der Leine im Dorf an. Er lernt die Sprache, um in Ungarn arbeiten zu können. Nach kürzester Zeit hat er ein beachtliches Vokabular an Schimpfwörtern, kennt bald alle Kneipen im Ort und in der Umgebung und kehrt öfter mit dekorativen blauen Flecken heim ...
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Buchvorschau
In Berlin wird noch geschossen e-book - Alana Maria Molnár
Alana Maria Molnár
In Berlin wird noch
geschossen
Roman
Imprint
In Berlin wird noch geschossen – Roman
Alana Maria Molnár
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: © 2012 Alana Maria Molnár
ISBN 978-3-8442-3675-0
Júlia Márton, die Ich-Erzählerin aus Band 1 „Einmal im Jahr die Sintflut" wird flügge und verlässt das Dorf, um den Traumberuf ihres Vaters zu erlernen. Die Schule ist mehrere hundert Kilometer entfernt, sie wird im Internat des Gartenbautechnikums wohnen. Besuche zu Hause gibt es nur in den Ferien, Besuche von zu Hause eher selten, wegen der Entfernung.
Die erste große Liebe ist auch die erste große Enttäuschung, eine ernsthafte Erkrankung der Grund zum Abbruch. Júlia landet nach nicht mal zwei Jahren wieder in ihrem Dorf.
Eine Reihe von Untersuchungen und Behandlungen beginnt, die mit einem Kuraufenthalt in Hévíz endet, Ungarns berühmtesten Kurort.
Dort lernt sie ihren späteren Ehemann kennen, der mit einer ganzen Gruppe von DDR-Bürgern auch dort weilt. Fried Reimann ist acht Jahre älter, mit Leib und Seele Seemann und stets erfüllt von Fernweh. Er träumt von Ländern, die er bereisen möchte, aber nicht kann, weil sein Land ja ein Gefängnis ist - sagt er. Was Júlia nicht versteht, weil sie kein Deutsch spricht und Fred kein Ungarisch. Das ändert sich bald, als Júlia, gleich nach ihrer Rückkehr aus der Kur, mit einem Privatlehrer fleißig deutsche Vokabeln samt nötiger Grammatik paukt.
Mit Fred Reimann hält das Abenteuer im Hause Márton Einzug, oder das, was Eltern und Großmutter dafür halten.
Es kommt wie es kommen soll: Kaum volljährig, gibt Júlia das Jawort, fährt mit einem Touristenvisum zu Besuch zu ihrem Ehemann und will in die DDR.
Das weiß Fred zu verhindern. Eines Tages kommt er mit einem Seesack auf der Schulter und mit einer Chow-Chow-Hündin an der Leine im Dorf an. Er lernt die Sprache, um in Ungarn arbeiten zu können. Nach kürzester Zeit hat er ein beachtliches Vokabular an Schimpfwörtern, kennt bald alle Kneipen im Ort und in der Umgebung und kehrt öfter mit dekorativen blauen Flecken heim ...
Die Autorin: Übersetzerin für die ungarische Sprache und bildende Künstlerin, lebt seit 1972 in Berlin.
„Mit viiiiel Geduld und der
richtigen Strategie
kann man jedes Ziel erreichen."
(frei nach R.H.)
Für meinen Mann R.H.
Was willst du werden?
Mit vierzehn Jahren ist es an der Zeit zu entscheiden, was aus einem werden soll im Leben, heißt es in der Schule. Keine Ahnung, antworte ich, wenn man mich fragt, was ich denn werden wolle. Vater nimmt die Sache in die Hand und arbeitet hart daran, mich für seine Leidenschaft Gartenbau zu erwärmen. Als praktische Beispiele meiner bereits vorhandenen Erfahrungen auf dem Gebiet erwähnt er die prächtigen Blumen, die ich aus Samen gezogen habe. Er war sehr überrascht und erfreut gewesen zu sehen, mit welchem Eifer und auch System ich an die Sache heranging. Das Heft, das ich zu diesem Zweck angelegt habe, sei der klare Beweis dafür, daß aus mir ein guter Gärtner werden kann, meint Vater.
Er weiß nicht, daß ich meine Aufzeichnungen sorgfältig kopiert und Kálmán nach Siebenbürgen geschickt habe. Die begeisterte Antwort kam an Erikas Adresse. Auch Kálmán meint, ich müsse unbedingt etwas mit Blumen machen, oder überhaupt mit Pflanzen, ich sei dafür wie vom lieben Gott geschaffen.
Wenn zwei gestandene Männer mir dazu raten, kann es nicht falsch sein. Im ganzen Land gibt es drei Schulen, Gartenbautechnikum genannt, die Vater nun anschreibt. Alle drei schicken die Bewerbungsunterlagen, denn ich muß ein Aufnahmeverfahren mit schriftlichen und mündlichen Prüfungen durchlaufen. Obwohl das meine Chancen vermindert, entscheidet Vater, daß ich mich nur in einer Schule bewerben sollte, und zwar in dem Städtchen mit dem zungenbrecherischen Namen Sátoraljaújhely, im nordöstlichsten Zipfel Ungarns. Die Stadt liegt an der slowakischen Grenze und ist gleichzeitig Grenzübergang. Die Wahl fällt nicht zufällig auf diese Schule, Vater kennt irgendwelche Leute, die wiederum einen der wichtigsten Lehrer kennen, der in der Prüfungskommission sitzt und darüber befindet, welche Bewerber aufgenommen werden.
Vater begleitet mich zur Aufnahmeprüfung. Die Reise dauert viele Stunden. Was genau geprüft wird, wissen wir nicht, in den Unterlagen waren die Angaben spärlich. Die Schule hat aber den Ruf, die beste von allen dreien zu sein, die Absolventen bekommen mit dem Abschluß automatisch die Eintrittskarte für die Hochschule für Gartenbau in Budapest. Vater plant langfristig.
Das alte Gebäude mit angeschlossenem Internat ist ein ganzes Stück vom Bahnhof entfernt, wir müssen uns beeilen.
Der erste Teil des Aufnahmeverfahrens besteht aus drei schriftlichen Prüfungen, danach kommt ein Gespräch mit jedem einzelnen Bewerber. Die Aula ist voll, die Schüler müssen für die Klausuren auf zwei Räume verteilt werden. Eine schweißtreibende Angelegenheit, vor allem in Mathematik. Die Aufgaben in den anderen Fächern fallen mir leicht. Am Nachmittag dann das Gespräch, im Beisein des Direktors und drei anderer Lehrer.
Bevor wir wieder zum Bahnhof gehen, entdeckt Vater den Freund, der für mich ein gutes Wort einlegen will. Er ist mit seinem Sohn da, mit Gáspár, einem schlacksigen Jungen mit dunklem krausem Haarschopf und einer römischen Nase. Gáspár schafft es, wie auch ich. Wegen seiner Haare heißt er vom ersten Tag an das Schaf.
Der Drachen
Die achte Schulklasse mit prachtvoller Abschlußfeier und dem obligatorischen Buchpräsent liegt hinter mir. Jedes Jahr habe ich für gute Leistungen ein Buch bekommen. Die ersten vier tragen die zierliche Perlenschrift der kleinen Szabó
. Die übrigen von Frau Hegedűs, meine Klassenlehreren ab der fünften Klasse, sie schreibt auffallend große Buchstaben. Der Direktor hält eine lange Rede, und Großmutter weiß besser, was er gesagt hat, als ich. Sie wiederholt es zu Hause, bei unserer familiären Feier. Tante Eszter und Onkel Béla sind da, meine Patentante und natürlich Großtante Klára. Laci fehlt, er ist schon irgendwo in den Ferien.
Der Sommer erscheint mir kürzer als sonst, vielleicht wegen der Vorbereitungen. Es gibt eine Menge Sachen, die wir besorgen müssen, dazu gehören auch Schulkittel für den theoretischen Unterricht in der Schule und kräftige und auch warme Kleidung mit festen Schuhen für die Arbeiten im Freien. Vier Tage haben wir Theorie und einen Tag Praxis, nach Ende des regulären Schuljahres noch einmal zusammenhängend vier Wochen Praktika. Das bedeutet ab sofort kürzere Ferien.
Bei der Einschulung ist Mutter dabei, einen großen Koffer haben wir mit der Bahn vorher schon aufgegeben. Die Fahrt erscheint mir diesmal kürzer als damals mit Vater, aber ich denke nicht viel darüber nach. Bei der Feier morgen wird Mutter nicht mehr da sein, sie fährt, gleich nachdem sie mich einquartiert habe, wie sie sagt, gleich wieder zurück. In dieser Stadt haben wir keine Bekannte oder Freunde, bei denen sie übernachten könnte.
Das Geschlechterverhältnis in der Schule ist drei zu eins, zugunsten der Jungs. In meiner, der ersten Klasse, gibt es dreißig Jungs und zehn Mädchen. Das sei gut, sagt Mutter, dann tragen die euch auf Händen. Ihre Prophezeiung erfüllt sich nicht. Unsere Privilegien werden daraus bestehen, den Jungs die Hemden bügeln zu dürfen. Freilich erst in den höheren Klassen, und da auch nur die Hemden des Auserwählten.
In einem Zimmer wohnen sechs Mädchen, im Alter gemischt. Die Kleiderschränke stehen auf dem Flur, immer in der Nähe der Zimmer. Vor dem Schrank, der mir zugewiesen wurde, steht schon ein leerer Koffer, Mutter hilft mir beim Einräumen der Sachen.
»Ob dein Schrank nach einer Woche auch noch so aussieht?«
Die Frau, die das fragt, wird unsere Aufseherin. Sie ist auffallend dünn, hat vorstehende Augen und Haare wie ein Wischmop. Mit qualmender Zigarette in der Hand und heiserer Stimme liest sie die Namen der Neuankömmlinge von einem Blatt ab und teilt uns die Betten zu.
»Bei uns herrscht Ordnung, dafür sorge ich«, verkündet Frau Veres. »Jede Woche mache ich Schrankkontrolle und sollte etwas nicht so sein, wie es sollte, gibt es Hausarrest.«
Mutter versucht ihr Befremden über diese Frau, die wir später nur noch Drachen nennen, nicht zu zeigen. Den Gesichtsausdruck kenne ich, dem folgt meist der Ausbruch. Und den gilt es mit allen Mitteln zu verhindern. Ich ziehe sie in das Zimmer, in dem mein Bett steht, wir setzen uns nebeneinander auf die Kante. »Sehr spartanisch«, lautet ihr Kommentar.
»Mehr braucht man hier nicht«, mischt sich der Drachen gleich ein, »das Hauptaugenmerk unserer Schule liegt auf dem Lernen.«
Ich lege meine Hand auf Mutters Hand, sie zittert nämlich schon. Was das bedeutet, ist mir bekannt. Nur keine Szene hier, nicht jetzt. Die Löwin kann sie immer noch herauskehren, wenn es denn nötig sein sollte, aber erst später. Der Schrank ist schnell eingeräumt, der vorausgeschickte Koffer kann wieder nach Hause. Erst nach Mutters Weggang habe ich die Ruhe, mich umzusehen.
Mein neues Zuhause
Am nächsten Vormittag hält der Direktor mit leiser Stimme die Begrüßungsrede, und in der großen Aula ist es sehr still, während der kleine Mann spricht. Danach kommt eine kurze Ansprache unseres Klassenlehrers, er bittet uns, ihm in den Klassenraum zu folgen. Herr Dávid ist nicht größer als Vater, hat schwarzes, leicht gewelltes Haar und ist sehr freundlich. Er bittet die Mädchen, erst einmal in den vorderen Reihen Platz zu nehmen. Später, nachdem er uns alle kennengelernt habe, werde es eine andere Sitzordnung geben. Herr Dávid unterrichtet Biologie, eines der wichtigsten Fächer an dieser Schule. Am selben Nachmittag erhalten wir unsere Bücher, danach können wir einen ersten Erkundungsspaziergang in der Stadt machen.
Die meisten Schüler sind Interne, nur ein kleiner Rest wohnt in der Stadt oder in der nahen Umgebung und kommt jeden Tag zu Fuß oder per Bahn oder Bus hierher.
Jeden Morgen, bevor der Unterricht beginnt, eilen die Jungs aller vier Klassen zum Gartenzaun. Von dort beobachten sie den Zug der Mädchen, die in ordentlichen Zweierreihen von ihrem Internat zum Gymnasium marschieren. Auch sie tragen Schuluniform, auf den ersten Blick sehen alle gleich aus. Unsere Jungs aber scheinen Habichtaugen zu besitzen, denn nach ein paar Tagen schon unterhalten sich selbst meine Klassenkameraden lebhaft über die körperlichen Vorzüge des einen oder anderen Mädchens, bis der Drachen sie vom Zaun scheucht.
Die größeren Mädchen im Internat ersparen uns die Gemeinheiten, mit denen die Jungs der ersten Klasse begrüßt werden. Schwarze Schuhcreme in die Hände eines Schlafenden zu schmieren ist eine der harmloseren Sachen. Als der Drachen erfährt, daß ein paar von den Erstklässlern in der ersten Woche ins Bett gepinkelt haben, führt sie eine Inquisition durch. Es stellt sich heraus, daß einer aus der dritten Klasse Wasser hat plätschern lassen, bevorzugt in der Nähe der schlafenden Neuen. Der Übeltäter bekommt zwei Wochen Hausarrest, er darf das Gelände des Internats nicht verlassen. Nach der Urteilsverkündung schaut der Drachen triumphierend in die Runde aber niemand wagt es, auch nur ein bißchen zu kichern oder auch nur ein klitzekleines Lächeln zu riskieren.
Mittlerweile wissen auch schon die Erstklässler, welche Möglichkeiten es gibt, das Internat ungesehen zu verlassen und genauso wieder zurückzukommen. Die am häufigsten genutzte ist das Abseilen aus dem Fenster per zusammengedrehtem Bettlaken. Bei den Jungs ist das einfacher, die wohnen im ersten Stock des Hauses. Ein paar beherzte Mädchen aus den höheren Klassen nutzen auch regelmäßig diese Möglichkeit des Ausgangs und seilen sich aus dem zweiten Stock ab.
Das Leben im Internat läuft in geregelten Bahnen, wir sind gut beschäftigt mit Unterricht, nachmittäglichem Silencium, Praktikum, gemeinsamen Mahlzeiten und abendlichen Pressereferaten. Derzeitiges Thema ist der Vietnam-Krieg, es wird überall im Land fleißig für die Kriegsopfer und das gebeutelte Land gesammelt, Solidaritätsmarken verkauft, und über die Verwendung des Geldes berichtet.
Die einzige Zeitung, aus deren Artikeln die Referate zusammengestellt werden, ist das Parteiblatt des Landes, die Berichterstattung immer gleich, einseitig, zensiert. Das aber weiß ich noch nicht und bereite mich jedesmal gewissenhaft und mit großem Vergnügen auf meine abendlichen Auftritte. Im Gegensatz zu den anderen Schülern suche ich aus der Lokalzeitung aktuelle Themen heraus, manchmal auch etwas Lustiges. Letzteres kommt beim Lehrerkollegium und beim Drachen nicht gut an. Vielleicht ist das der Grund, warum ich immer seltener aufgefordert werde, mich auf ein Pressereferat vorzubereiten.
Während des Silenciums werden in den Unterrichtsräumen die Hausaufgaben erledigt, stets ist eine Aufsichtsperson, ein Lehrer, dabei. Hat jemand ein Problem und der Lehrer kann ihm nicht helfen, weil es nicht sein Fach ist, fragt er, ob jemand aus der Klasse einspringen kann. Ist das nicht der Fall, dann wird ein älterer Schüler herbeigeholt, der auf Wunsch auch mit anderen Interessierten das Problem erörtert. Bei uns gibt es niemals unerledigte Hausaufgaben.
Die Weihnachtsferien stehen schon vor der Tür, die Internen