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Die Anstalt: Momente einer Wirklichkeit
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eBook212 Seiten2 Stunden

Die Anstalt: Momente einer Wirklichkeit

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Über dieses E-Book

DDR der 50er Jahre
Im Mittelpunkt die "Anstalt" mit ihren "Insassen", 17-18 jährigen Mädchen und Jungen, die nach drei Jahren die Staatliche Abschlussprüfung als Unterstufenlehrer ablegen sollen.
Ihr Alltag ist voller Überraschungen. Was sie erleben, denken und fühlen wird sehr lebendig erzählt.
Die Momente reihen sich aneinander und lassen ein Bild der Wirklichkeit entstehen.
"Die Anstalt" ist ein humorvolles Buch, dennoch mit ernsthaftem Hintergrund, kritisch, aber ohne Bitterkeit.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum9. Aug. 2016
ISBN9783741213786
Die Anstalt: Momente einer Wirklichkeit
Autor

Detlef Kristeleit

19. Nov. 1940 in Königsberg geboren 1957 Schulbesuch in Zeitz 1960 Staatliche Abschlussprüfung als Lehrer Tätigkeit im Schuldienst 1966 Studium Kunsterziehung in Erfurt und Dresden 1969 Diplomabschluss als Kunsterzieher Tätigkeiten im Schuldienst 1994 Freiberufliche Tätigkeit Werbe- und Messegrafik, Buchillustrationen, freie Grafik und Malerei 2007 erste literarische Texte

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    Buchvorschau

    Die Anstalt - Detlef Kristeleit

    kurz.

    INHALT

    Teil I

    1

    Schlüsselerlebnis

    *

    Wie man durch Schlafwandeln zu Erkenntnissen gelangt und ein Internatszimmer von einem Krankenhauszimmer unterscheidet

    2

    Wie ein Staat zu Lehrern kommt

    *

    Wie viele Wurzeln ein einziger Wunsch haben kann

    *

    Warum zwei weiße Inseln im Blau ein Ärgernis sind

    *

    Was dabei herauskommt, wenn sich jeder seinen Lehrer selber wählt, und eine sichere Methode, die Führung aus der Hand zu geben

    3

    Die Anstalt

    *

    Was Donaldchen glücklich macht

    *

    Aktion Blitz

    *

    Wie der Merker seine Macht missbraucht

    *

    Wie man vom Duscher zum Straßenkehrer wird, sich bedankt und seine eigene Ordnung erstellt

    4

    Die Ängste der Mütter, wenn die Haare ihrer Söhne immer kürzer, die Hosen enger werden und die Schuhe klappern

    *

    Wie ein Mantel blind machen und das Lernen fast eine Nebensache werden kann

    5

    Sommerende

    *

    Wie es sich anfühlt, wenn man lächelnd Abschied nimmt und Baumner von den Störchen schwafelt

    6

    Warum Erdbeeren, die im Winter reifen, platzen

    *

    Wie man nach der Unendlichkeit suchen kann, der Lange ein Büffel wird und Dirk ein Weißer Klauschke

    7

    Püschel und Mayer

    *

    Eine Methode, Bauern für die LPG zu werben

    *

    Wie ein kluges politisches Konzept an der fehlenden Reife der Jugend scheitert und Herbert die Diktatur der Arbeiterklasse ausübt

    8

    Wie ein Studienjahr mit Wundern endet, Emil ein Blauhemd trägt und Kuddel russisch spricht

    *

    Elterntag und Martins Himmelfahrt

    1

    Schlüsselerlebnis

    *

    Wie man durch Schlafwandeln zu Erkenntnissen gelangt und ein Internatszimmer von einem Krankenhauszimmer unterscheidet

    »Halt! Blei´m Se stehn!«

    Die durchdringende Bassstimme hallte den schwach erleuchteten Treppenflur herunter. Einschüchternd? Nein.

    Aber ich glaube, du hättest genau wie ich den Eindruck bekommen, dass es besser wäre, dieser Stimme mit dem deutlich sächsischen Dialekt Folge zu leisten.

    Die sechs siebzehnjährigen Jungen, in wohlgeordneter Reihe auf den Treppenstufen hintereinander emporsteigend, hielten an. Das Merkwürdige an dieser Szene war, dass die Jungen alle die Arme vorhielten, als wollten sie sofort beginnen, Kniebeugen zu üben.

    Irreal!

    Auch die nun folgende Unbeweglichkeit schien unwirklich.

    Irritierende Stille, um sich greifend, Spannung erzeugend. Und die Jungen, ernst, voll konzentriert, ohne jegliche Regung, standen in diesem dahindämmernden Treppenhauslicht reglos, still, erstarrt.

    Habtachtstellung! Steif nach vorn zeigende Arme.

    Versteinert. Eingefroren. Filmriss! Standbild!

    »Das ist Kino«, dachte Dirk begeistert, »das geht immer so weiter! Aber wie? Werden wir alle es durchhalten, die Arme oben zu behalten? Wenn nur einer von uns aufgibt, einer diese Spannung nicht mehr aushält, vielleicht anfängt zu lachen, ist der Film zu Ende.« Es prickelte!

    Aus den Augenwinkeln, nur aus den Augenwinkeln schielte er nach oben. Denn du musst wissen, er war der Kleinste der Gruppe, stand demzufolge hintenan, auf der untersten Treppenstufe.

    Auf dem oberen Treppenabsatz stand im Dämmerlicht eine kompakte Mannsperson, Arme auf dem Rücken verschränkt, Oberkörper, Kopf und Kinn weit vorgeschoben, alles durch eine dunkle Hornbrille fixierend.

    Du konntest es richtig sehen: Dirk hatte es gepackt!

    »Das ist ein richtiger Haudegen! Was wird geschehen?«, dachte er.

    Die sonore Stimme ertönte erneut: »Sag´n Se, wie lange sind Se schon hier?«

    »Seit heute!«

    »Und da spinn' Se schon?«

    Das Lachen saß den Jungen in der Kehle. Aber sie räusperten sich nicht. Strenge Lautlosigkeit.

    Es tat sich nichts. Die Zeit stand still.

    Keine Regung! Kein Ton!

    Da setzte dieser große selbstsichere laute Mensch hinzu: »Haun Se ab!«

    Die Truppe setzte sich in Bewegung. Die schmerzenden Arme weit von sich gestreckt, erstiegen die Jungen die letzten Stufen.

    Erst als sie ihr Zimmer erreicht hatten, die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, sprang, das hättest du hören sollen, ihr wieherndes Gelächter wie ein ausgelassenes Fohlen durch den Raum, über Tische, Stühle und Betten. Als es zur Ruhe kam, war das Zimmer mit Frohsinn ausgefüllt, mit Übermut und unterschwelliger Siegesfreude.

    Ahnung: Kraftprobe bestanden!

    Was sie allerdings nicht wussten, war, dass sich ein Gerücht auf den Weg machte, die Lehrerschaft des Institutes erreichte und ihr zutrug, dass es im Seminar L/1 eine eigenartige Gruppierung gäbe. Danach behauptete man im Lehrkörper: »Das wird Ärger geben!«

    Was meinst du? Eine kleine harmlose Episode. Stimmt`s?

    Trotzdem, du wirst es sehen, ein Schlüsselerlebnis!

    An diesem ersten Tag, dem Anreisetag, bevor also diese Episode abends passierte, hatte man den Neuankömmlingen die Zimmer zugewiesen. Spartanisch, sage ich dir, kahl, schmucklos.

    Du hättest Krankenhaus vermutet, aber es roch anders. Es roch eigentlich überhaupt nicht. Es war clean!

    Als Dirk einmal bei seinem Onkel Wanja im Krankenhaus gewesen war, hatte er diesen Geruch das erste Mal verspürt. Erst dachte er, er hätte wieder seinen Knoblauch gegessen, also sein Onkel, und dieser Atemduft mische sich mit den Dünsten von Medizin und Desinfektionsmitteln.

    Aber es roch gleichermaßen auch auf den Fluren, überall. Krankenhausnebel!

    Dieser muss sich damals in ihm festgesetzt haben. Wenn er in so ein Zimmer kam, befiel ihn immer dieser Dunst. Also, ernüchternd das Zimmer, mehr noch, entmutigend. Kein Bild an der Wand. Zwar hell und sauber, aber abschreckend. Kein Ort zum Wohlfühlen.

    Neun Betten, neun Nachtschränkchen, zwei Tische, neun Stühle, neun Spinde. Auf diesen die Koffer. Zwei Lampen, ein Besen, ein Handfeger, ein Aufnehmer, ein Papierkorb. Die Inventarliste.

    Die schmalen Schränke füllten sich mit Unterwäsche, Sportzeug, Strümpfen, mit sorgfältig gestapelten Hemden, Campinghemden mit spitzem Ausschnitt und einem Campingbinder, einer Art Kordelschnur, mit zwei Stoffhosen - eine für täglich, eine für gut.

    Du wirst Jeans in dieser Aufzählung vermissen.

    Jeans - da hättest du Verwandtschaft im Westen haben müssen. Hatte Dirk. Einen Vater.

    Seine Mutter sagte immer, wenn auf ihn die Sprache kam: «Sehr intelligent und immer gesellig. Der hat sicher seine eigenen Sorgen.«

    »Ja«, dachte Dirk dann, »die Sorge, wieder nüchtern zu werden. Von dem bekomme ich im Leben keine Jeans.«

    Jeans hätte man aber in diesem Internat in jener Zeit wohl kaum tragen können. Das waren hier keine Jeans, das waren Nietenhosen, wie Walter Ulbricht sich ausdrückte, Hosen, die die amerikanischen Cowboys trugen, Hosen des Klassenfeindes.

    Dafür hingen Sakko, Sommermantel und Regenjacke einträchtig nebeneinander, stapelten sich Pullover und andere nützliche Sachen.

    Nun gab es einen Rundgang durch das Gebäude. Da war alles beisammen: Klassen- und Funktionsräume, Aula, Bibliothek und Leseraum, Turnhalle, Mehrzwecksaal mit Bühne und kleinen Proberäumen für den Instrumentalunterricht.

    Und gerade in diesem Saal gab es nach dem Abendessen einen französischen Film: »In gewissen Nächten«. Der ist heute sicher längst vergessen, aber nicht von Dirk und nicht von seinen Freunden, die mit ihm das Zimmer teilten. In der Hauptrolle ein Mondsüchtiger, gespielt von Fernandel, der mit diesem riesigen Pferdegebiss. Er heiratet letztendlich und vererbt allen seinen heranwachsenden Kindern diese schlafwandlerische Veranlagung. Letztes Filmbild: Die Kinder, vom größten bis zum kleinsten, ziehen mit schlafwandlerisch vorgestreckten Armen hinter ihrem Vater über die Dächer von Paris.

    Ja, ich weiß, du hast es längst geahnt. Das war der Ursprung dieses Treppenzuges.

    Aber weißt du, nun stellt man sich doch vor, dass man vorher bespricht, wie und wer was tut.

    So war es aber nicht! Irgendeiner der Burschen, frag mich nicht wer, begann. Die anderen sahen es, und jeder tat etwas dazu, erahnte, was hier losgehen könnte.

    Ich sage dir: Das war etwas für Dirk.

    Theater des Augenblicks!

    Improvisation!

    Das prickelte!

    2

    Wie ein Staat zu Lehrern kommt

    *

    Wie viele Wurzeln ein einziger Wunsch haben kann

    *

    Warum zwei weiße Inseln im Blau ein Ärgernis sind

    *

    Was dabei herauskommt, wenn sich jeder seinen Lehrer selber wählt, und eine sichere Methode, die Führung aus der Hand zu geben

    Das Land brauchte dringend Lehrer. Und es tat etwas. Institute für Lehrerbildung wurden gegründet. Junge Leute gewonnen, den Lehrerberuf zu ergreifen. Tempo!

    Regelfall drei Jahre Studium nach Klasse zehn. Staatsexamen. Zwei Probejahre. Lehrer der Klassen eins bis vier, Unterstufenlehrer.

    Das wollten all die Jungen und Mädchen werden, die hier in den steilen Stuhlreihen vor der stummen Orgel der Aula saßen.

    Ihre Motive waren vielfältig, vor allem bei den wenigen Jungen.

    Kaspar sollte und wollte die Tradition der mühsamen Feldarbeit seiner Vorfahren verlassen. Der Junge sollte es besser haben.

    Fred hatte als Helfer im Ferienlager gearbeitet. Die Kinder hatten seinen Worten gelauscht, ihn bewundert. Begeistert hatte er sie. Sie liefen ihm hinterher, hingen an seinem Hemdzipfel. Er liebte diese fröhlichen unbekümmerten Mädel und Jungen. Unterstufenlehrer, genau das war sein Beruf.

    Der Lange hatte ein Maschinenbaustudium begonnen. Nicht sein Ding! Etwas anderes musste her.

    Dirk hatte sich keine Gedanken gemacht, welchen Beruf er erlernen wollte. Dieser kleine freundliche Bursche fühlte sich in der Schule wohl. Lernen fiel ihm leicht. Vormittags waren lauter Freunde um ihn herum, nachmittags las er, spielte Fußball.

    Neuerdings nahmen auch die Mädchen Raum in seiner fantasievollen Gedankenwelt ein.

    »Das geht immer so weiter«, muss er gedacht haben. »Mal sehen, was kommt.«

    »Vielleicht kann er ja Gärtner lernen«, schlug Kuddel, sein Stiefvater, vor. Der war Kraftfahrer beim Rat der Stadt und fuhr in dieser Eigenschaft gerade verschiedentlich den Gartenbauarchitekten.

    Dazu hatte Dirk eigentlich keine rechte Lust. Aber wie sollte er es sagen? Er fand es schwierig. Sein Stiefvater kümmerte sich um ihn. Dirk war ihm dankbar.

    So kam die Werbecampagne gerade recht. Diese paarte sich mit der Entrüstung seiner umsichtigen Tante, ihren Dirk zum Gärtner machen zu wollen, und endete in dem Schiedsspruch Onkel Wanjas: »Warum soll er in der Erde wühlen, wenn er fliegen kann?«

    *

    Immatrikulation!

    FDJ-Hemd Pflicht!

    Lauter junge Leute, die heute ein Studium begannen. Da hättest du Freude vermutet. Oder?

    Aber sie saßen kraftlos und müde in den Reihen der Aula. Ich will dir dieses Bild nicht ersparen, wie sie sich durch die fade Rede des Genossen Hardlaib, Direktor des Instituts, quälten.

    Zeitungsdeutsch strömte gemächlich, als sei es von sich selbst gelangweilt, durch das FDJ-Blau der Aula. Politische Phrasentäler - agitatorische Wellenberge, manchmal wie knorriges Schwemmholz - stalinistisches Wurzelwerk. Zähes Dahinfließen. Mitten in diesem gleichtönigen Blau, zwei kleine weiße Inseln: Martin und Emil. Sie hatten weiße Hemden an.

    »Das fängt ja gut an,« dachte der Genosse Hardlaib.

    »Ärgerlich! Sehr ärgerlich! Nachhaken! Klassenleiter der L/1: Abändern! Bericht!«

    Der Lehrkörper wurde vorgestellt.

    Das war ein Zeitpunkt des Aufatmens, wo die Gelangweilten aus ihrer Starre erwachten.

    Der stellvertretende Institutsleiter, Genosse Nebel, machte seinem Namen alle Ehre. Vorgestellt und nie mehr bemerkt. Einer von denen, dachte Dirk, die im Schatten arbeiteten, die die Arbeit leisteten mit denen sich dann andere in der Sonne bewundern ließen. Ob der die Rede Hardlaibs geschrieben hatte? Kann eigentlich nicht sein. Onkel Wanja hatte mal zu ihm gesagt: »Sei nicht dumm! Hüte dich vor denen im Schatten!«

    Und seinem Onkel, verstehst du, dem glaubte er. Der hatte Lebenserfahrung. Wenn er, der Dirk, in der Klemme war, dachte er daran, was sein Onkel wohl tun würde. Das war vielleicht nicht heldenhaft, aber klug immer.

    Merker, der Internatsleiter, schaute herausfordernd in die Runde. Die »Neuen« sahen diesen humorlosen Blick und dachten: »Bei dem werden wir nichts zu lachen haben!« Und richtig, er sollte sich als der unerbittliche Hüter über Ordnung und Sitten im Internat herausstellen, ausgestattet mit der Lizenz, willkürlich Strafen jeglicher Art, bis hin zu verdecktem Entzug des Wochenendurlaubs, auszuteilen.

    Ich sage dir, es gab nichts, was er nicht ausspionierte. Neben ihm, mit bürgerlich korrektem Scheitel, gelassen, ernst und gleichmütig, der bescheiden wirkende Redlich, Mathematiker.

    Dann das Gesicht der gestrigen Begegnung, das Gesicht der Bassstimme, das Gesicht des Psychologen Barde. Als er aufstand, beugt sich der Oberkörper wieder leicht vor, die Arme verschränkten sich auf dem Rücken, sein imposantes Kinn stieß steil voran. Was für ein Kerl, lauter zurückgehaltene Energie!

    Der

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