ENDE DER BEDENKZEIT: Erzählungen
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Über dieses E-Book
Ein harmlos anmutender Streit zwischen zwei Schülern endet nach einer fruchtlosen Bedenkzeit mit einer entsetzlichen Katastrophe in der Kurzgeschichte "Der Drohbrief". - In "Ende der Bedenkzeit", der Titelgeschichgte dieses Bandes, erfährt das Verhältnis eines Ehrgeizlings zu seiner Verlobten auf brieflichem Wege eine folgenschwere Erschütterung. - "Der Ausweg": Der Direktor einer Schule versucht, den Gelddiebstahl in einer Klasse aufzuklären. Als er dem vermeintlichen Dieb gegenübersteht, erinnert er sich an ein grausames Ereignis aus seiner eigenen Kindheit. Wie es dem Direktor gelingt, die verfahrene Situation zu einem guten Ende zu führen, erzählt diese Geschichte. - "Der Verdacht": Ein kleiner Angestellter gerät unverhofft in den Verdacht, in seiner Firma heimlich Radiogeräte entwendet zu haben. Als der Mann versucht, seine Unschuld zu beweisen, begeht er einen schlimmen Fehler, der sein Leben verändern wird. - "Die Beurteilung": Der tiefverwurzelte und unüberbrückbar erscheinender Beziehungskonflikt zwischen einem Abteilungsleiter und einer Angestellten steht im Mittelpunkt dieser psychologisch vielschichtigen Erzählung aus der modernen Bürowelt.
LESERSTIMMEN: "Psychologische Nahaufnahmen, sehr eindringlich und überzeugend." (Walle Bayer) "Die Geschichten gehen unter die Haut." (Veronika Feth) "Der Autor hat eine ganz eigene Erzählstimme." (Sylvia Mann) "Sozialkritisch ... Hochgradig unterhaltsam." (Manfred Nietfeld)
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Buchvorschau
ENDE DER BEDENKZEIT - Erhard Schümmelfeder
DER DROHBRIEF
Großvater erzählt eine Geschichte
Das Ergründen verborgener Geheimnisse in handgeschriebenen Briefen ist eine gedankliche Übung, an der ich immer wieder mein Vergnügen finde.
Nach dem raschen Aufreißen des verklebten Umschlages folgt das Herausziehen und Entfalten des Papiers. Innerhalb weniger Sekunden wird das Geschriebene von mir überflogen und sein mehr oder weniger bedeutsamer Inhalt zur Kenntnis genommen. Neben dem objektiven Informationsgehalt einer Nachricht entdecke ich vielerlei unterschwellige Botschaften, die ich bewusst oder unbewusst in mein Denken einbeziehe: Der Geruch des Papiers, offensichtliche Fehler, das Schriftbild, die Wahl der Wörter, Bilder, Vergleiche, die Schönheit neuer Formulierungen und die Gliederung der Gedanken durch Absätze. Die Länge eines Briefes, die Sorgfalt bei der sprachlichen Gestaltung und der unterschwellige Ton vermitteln etwas vom Grad der Wertschätzung, die mir, dem Empfänger, entgegengebracht wird.
Ein handgeschriebener Brief ist für mich immer etwas sehr Persönliches, Intimes, denn er offenbart auf verschiedenen Ebenen die inneren Befindlichkeiten des Schreibers: seine Einstellung zu den Dingen des Lebens, Sensibilität, Bildung, Weltoffenheit usw. Zu den häufigsten Briefschreiber-Typen gehören: Der Formstrenge, der Sachliche, der Unverbindliche, der Rechtschreibsichere, der pflichtmäßig Bedauernde, der Vernünftige mit den ironischen Bemerkungen in Anführungszeichen
... usw. Allerdings ist dies jeweils nur eine vorläufige Grobeinteilung, denn bei genauer Betrachtung erweisen sich die meisten Briefschreiber als Misch-Typen. So auch der humorlose Droher, mit dem ich im Alter von dreizehn Jahren meine ersten Erfahrungen machte.
Nach den Ferien kam ein Neuer in unsere Klasse. Er hieß Ludger und war ein Sitzenbleiber. Im Sport erwies er sich als einer der eifrigsten, wenn er mit hochrotem Kopf, schweißtriefend und keuchend, dem Ball nachjagte. Da er sich einen Namen als laufstarker Fußballer gemacht hatte, genoss er das Ansehen der anderen Schüler, für die sportliche Fähigkeiten und Körperkraft mehr zählten als theoretisches Wissen.
Bald wurde er auch zum Klassensprecher gewählt. Im Unterricht spielte er den Braven. Auf dem Schulhof ließ er die Maske fallen und erprobte seinen Machteinfluss unter uns Jungen, indem er sich ironisch-überlegen gab. Die meisten von uns unterwarfen sich und erkannten seine Führerschaft an. Oft äußerte er witzige Bosheiten über Schwächere, während die feigen Mitläufer den lachenden Hintergrund bildeten. Ludger, mehr als ein Jahr älter als wir, schien seine physische Überlegenheit zu genießen. Ich empfand keine Sympathie für ihn und hielt mich zumeist abseits.
Bei Klassenarbeiten hatte Ludger seine Mühe, denn jedes Mal rötete sich sein Gesicht und er begann zu transpirieren, wobei ihn ein herber Kohlsuppengeruch umgab. Innerlich begann ich die Nase über ihn zu rümpfen. Er war ein geistloser Schwitzer, zu dem die anderen kurioserweise aufblickten und vor dem sie kuschten.
Da er bei Streitereien gelegentlich auch Schläge austeilte, wurde deutlich, wie gerne er derbe Späße mit anderen trieb, selbst jedoch keinen Spaß verstand. Bereits nach kurzer Zeit kam es zwischen ihm und mir zu kleineren Wortgefechten, aus denen er nicht überzeugend als Sieger hervorging. Körperlich war er mir voraus, das war offensichtlich. Was