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"Mensch Lehrer!": Ein Experiment, sich zu erinnern
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"Mensch Lehrer!": Ein Experiment, sich zu erinnern
eBook224 Seiten2 Stunden

"Mensch Lehrer!": Ein Experiment, sich zu erinnern

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Über dieses E-Book

Was macht das vorliegende Buch nun so unterhaltsam und lesenswert?
Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis verrät dem Leser, was ihn auf den 204 Seiten erwartet.
Von "Kakao und Zahnlücke" in der Kindheit über den "Meister im Bohren dünner Bretter" in der Ausbildungszeit bis hin zum "Ferienkoller" und der Erkenntnis "Lehrer kann man riechen" im aktiven Dienst wird der Leser "Von Baustelle zu Baustelle" durch das Leben des Gymnasiallehrers Heinz-Dieter Lauer geführt. Dieser knüpft seine Erlebnisse zwischen Frust und Freude an einen 2520 Kilometer langen Kreidestrich, der ihm als "weißer Faden" durch das Buch dient.
Die Begegnungen Lauers mit Generationen von Schülern, Eltern und Kollegen decken die gesamte Palette zwischenmenschlicher Beziehungen ab. Tragische, heitere und komische Momente lassen den Leser zum Schluss kommen: die besten Geschichten schreibt das Leben selbst.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum26. Feb. 2014
ISBN9783849576868
"Mensch Lehrer!": Ein Experiment, sich zu erinnern

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    Buchvorschau

    "Mensch Lehrer!" - Frank U. Frey

    Kapitel 1 Wie ich es wurde

    1.1  Auf der anderen Seite – eigene Schulzeit

    Abitur auf dem Flur

    Eine Zeit lang war ich felsenfest davon überzeugt, dass ich schon während meiner eigenen Schulzeit – spätestens am Gymnasium – Lehrer werden wollte. Doch ein zufälliger Blick in den Jahresbericht 1971/72 meines Ursprung-Gymnasiums in einer deutschen Kleinstadt belehrt mich Jahrzehnte später eines Besseren. Dort gibt der Abiturient der OImath Heinz-Dieter Lauer als seinen Berufswunsch Diplom-Ingenieur an.

    Ich stutze und bin während der weiteren Lektüre verwundert – kommt mir doch so vieles andere durchaus bekannt und vertraut vor: Die abgedruckten Abituraufgaben, die stichwortartig aufgezählte Schulchronik des betreffenden Jahres und die penibel nach dem Dienstgrad sortierte Liste des Lehrkörpers.

    Dachte ich im Mai damals etwa noch nicht an die Tätigkeit, von der ich heute behaupten würde, dass sie mir als Traumberuf schon in die Wiege gelegt worden ist? Wenn es wirklich erst später war, wann soll dies dann gewesen sein? Sicher war es nicht in jenem Jahr 1972, das mir in der Gestalt eines mit Fliege und Werner-Höfer-Brille geschmückten Oberstudiendirektors das Reifezeugnis übergab – nicht in der festlichen Atmosphäre der Schulaula, sondern im düsteren Flur vor dem Lehrerzimmer.

    Dort lungerten wir Abiturienten langhaarig, mit Nickelbrillen, in schmuddeligen Parkas und engen Jeans herum. Ich hatte meine getackert, nachdem meine Mutter die von mir dilettantisch gereihten Nähte wieder aufgetrennt hatte.

    Wir hegten als Fast-68er nur den einen Wunsch: Raus hier!

    Kakao und Zahnlücke

    Aber wenn ich etwas weiter zurückblicke, sehe ich vor mir einen Jungen, der immer gerne zur Schule ging.

    Vor dem Übergang zum Gymnasium – eine Zeit, in der die familiäre Situation alles andre als rosig war – zog ich fröhlich und unbekümmert durch die Welt der Schiefertafeln, Schönschreibhefte und Pausenkakaos zu zehn Pfennig. Mir fiel das Lernen leicht.

    Aus dieser Volksschulzeit mit dem durch ihr Holzbein ans Pult gefesselten Fräulein Wald – Fräulein, obwohl schon jenseits der Sechzig – fällt mir heute nicht ein Nachmittag ein, an dem ich Hausaufgaben zu erledigen hatte. Ich durfte und konnte diese schon in der Schule machen und verbrachte den Nachmittag mit Spielen – am liebsten im Freien.

    Das dritte Schuljahr sah die erste, aber auch letzte echte Schlägerei meines Lebens. Die Erkenntnis, dass die Trauer um zwei ausgeschlagene Milchschneidezähne nicht durch den Triumph über die blutige Nase des Kontrahenten wettgemacht werden konnte, hielt mich in der Zukunft heilsam von rein körperlichen Problemlösungsversuchen ab.

    So machte ich meiner Mutter auch in dieser Hinsicht keine Sorgen. Sie war froh darum, musste sie doch uns fünf Kinder alleinerziehend nur mit Sozialhilfe irgendwie – wirklich irgendwie – durchbringen.

    Die Jahre, in denen ihre Ehe mit meinem Vater in der Substanz zu Staub und Asche zerbröselte, setzten meinen älteren Geschwistern in ihrem Selbstbewusstsein derart zu, dass sie sich allesamt nicht trauten, eine weiterführende Schule zu besuchen. Ich erinnere mich an einen Nachmittag, als mein Bruder weinend unsere Mutter anflehte, nicht auf die Realschule gehen zu müssen, obwohl dies sein Klassenlehrer dringend empfohlen hatte.

    Mein eigener erster Schultag am Gymnasium ist eine Geschichte für sich.

    Der zweite erste Schultag

    Ich muss alleine mit dem Bus fahren – das Umsteigen eingeschlossen. Mein Ziel ist das riesige und ebenso Ehrfurcht wie Angst einflößende Gebäude meines Ursprung-Gymnasiums. Der alte und dunkle Bau liegt an einer stark befahrenen Straße, die den Schwerlastverkehr durch meine Heimatstadt leitet.

    Meine Mutter kann nicht mitkommen, weil sie meinen vierjährigen Bruder zu versorgen hat. Auf dem weiten Schulhofgelände versammeln sich immer mehr Kinder, die zumindest von einem Elternteil begleitet werden.

    Es ist 9 Uhr. Obwohl die älteren Schüler des Jungengymnasiums schon längst Unterricht haben, ist für mich die Menschenmenge unüberschaubar groß und beeindruckend zugleich.

    Der Schuldirektor, der ein Zwillingsbruder von Werner Höfer zu sein scheint, hält seine Begrüßungsrede. Meine Gedanken fliegen woanders hin. Ich kenne den echten Werner Höfer als TV-Moderator aus dem sonntäglichen „Internationalen Frühschoppen" – eine Sendung, die meine Mutter regelmäßig zu Hause schaut. Trotz unserer ärmlichen Verhältnisse haben wir schon jahrelang ein Grundig-Fernsehgerät, ein Schlechtes-Gewissen-Mitbringsel meines nie anwesenden Vaters.

    Ich bin stolz auf unseren Fernseher aber neidisch auf diejenigen Kinder, die hier von beiden Eltern begleitet werden und bestimmt wie ich vor Aufregung an den Worten des Direktors vorbeilauschen.

    Nachdem „Werner Höfer seine Rede beendet hat, treten die Klassenleiter der neuen Sexten auf den Plan, indem sie in alphabetischer Reihenfolge die Namen ihrer Schüler vorlesen. Ich muss mich konzentrieren, werden doch die Vornamen einfach ignoriert. In der VIa ist gar kein Name mit „L dabei, in der VIb wird ein „Lau aufgerufen – falsch, denn ich warte ja auf „Lauer. Bei der VIc lausche ich noch gespannter: „… Lachmann, Laue, Matell …" – wieder falsch! Schließlich beendet die Klassenleiterin ihre vornamenlose Listenlesung und setzt sich mit ihren Schülern in Bewegung.

    Ich schaue um mich herum und entdecke, dass außer mir kein Sextaner mehr übrig geblieben ist. Ich fühle mich sehr alleine, verloren und ratlos. Meine Angst verbietet mir sogar die Tränen. Eine Frau scheint dies bemerkt zu haben und fragt mich nach meinem Namen. „Heinz-Dieter Lauer", betone ich meinen Vornamen. Mit dieser Antwort im Ohr weist sie mit ihrem Zeigefinger in Richtung der sich in Zweierreihen fortbewegenden Marschformation der zuletzt genannten Klasse. Ich renne ihr hinterher und hänge mich unmittelbar hinter einem dicklichen, weißhäutigen Jungen mit Mecki-Haarschnitt an das rettende Zugende.

    Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, diesen um ein Haar misslungenen Schulstart zu Hause erzählt zu haben. Vielleicht war er damals auch durch die zahlreichen auf mich einwirkenden neuen Eindrücke weniger wichtig, als ich es heute in der Erinnerung eines Erwachsenen einschätze.

    Auf jeden Fall ist mir weder an diesem ersten Tag noch in den beiden folgenden Schuljahren am Gymnasium jemals der Gedanke gekommen, selbst einmal solche Namenslisten verlesen zu wollen, auch wenn ich mir dies dann sicher mit Vor- und Nachnamen vorgenommen hätte.

    Gymnasiale Schlüsselerlebnisse

    Wahrscheinlich gab es gar keinen solchen denkwürdigen Tag, an dem ein zentrales Schlüsselerlebnis in mir den Wunsch entzündete, Lehrer zu werden.

    Sollten es eher die vielen kleinen, aber feinen Erfahrungen gewesen sein, die sich mosaiksteinchenartig zusammenfügten, um mir dann schließlich nach meinem Abitur in klaren Konturen den Weg zu weisen?

    Oder war – auch wenn sich im Nachhinein eine gewisse Folgerichtigkeit ablesen lässt – alles nur Zufall?

    Ein Streifzug durch meine gymnasialen Lehrjahre kann zur Beantwortung dieser Fragen wohl keinen größeren Schaden anrichten.

    Die ersten beiden Schuljahre waren geprägt von meiner Anpassung an so viel Neues. Meine Mutter konnte mit ihrem Lerne-fleißig-und-sei-anständig mir keine intellektuelle Hilfe bieten.

    Ihr Versuch, meine älteste Schwester auf die Kontrolle meiner Hausaufgaben anzusetzen, war ebenso vergeblich wie einmalig. Weder suchte ich Hilfe, noch hatte ich sie nach meiner Ansicht nötig, denn ich kam alleine einigermaßen zurecht.

    Nur war ich anfangs allzu stark von den vor Selbstbewusstsein strotzenden Klassenkameraden beeindruckt, deren Eltern als Rechtsanwälte, Ärzte und Apotheker ihren Söhnen mit ausgestrecktem Arm den Weg nach vorn wiesen.

    Typisch für diese Situation waren die pädagogisch fragwürdigen Wettbewerbe, die sich damals der Lehrkörper des Ursprung-Gymnasiums einfallen ließ.

    Vom Lispeln und Singen

    „Good morning boys!", schmettert Mr. Acker uns eines Morgens zur Begrüßung entgegen, um uns dann mit eindringlichem Blick die Regeln seines neuen Spiels zu offenbaren.

    „Today we will have a championship in reading. You will start Detlef. If you will make a mistake, seine Augenbrauen ziehen sich bedrohlich zusammen, „you will have to stop reading at once and your neighbour will continue!

    Detlev liest ganz gut, aber nur bis zu dem ersten s-Laut, denn Detlef lispelt stark. Der Engländer an sich hat ja nichts gegen Lispellaute – doch nur an den ausgewählten Stellen des „th".

    „Stop!, schreitet Mr. Acker ein. „James! It’s your turn! Jakob liest flüssig, aber nur kein Englisch, was der unerbittliche Schiedsrichter mit den Worten „Oh James! You are reading Jamesish!" abfällig quittiert.

    Als Nächster liest Peter – und liest und liest. Irgendwann macht er absichtlich einen Fehler, grinst stolz und überheblich in die Runde, damit auch für jeden klar ist: er könnte noch länger, hat aber keine Lust mehr. Peter – die Inkarnation eines jungarroganten Arztsohnes – ist übrigens der dickliche, weißhäutige Junge von meinem ersten Schultag.

    Nun bin ich an der Reihe. Meine Anspannung, ja keinen Fehler zu begehen, steigert sich in Aufregung, als ich eine Zeile weiter das Wort „something erblicke. Auch ich neige manchmal zu leichtem Lispeln, konzentriere mich daher besonders gut und lese dann doch so etwas wie „thomesing, als das verdammte Wort an die Reihe kommt.

    Wer nun weiterlesen durfte weiß ich heute nicht mehr. Ich erinnere mich nur an meinen Zorn über die ungerechten Spielregeln. Im Fach Musik ging es ähnlich zu.

    Ich kann eigentlich ganz gut singen – vor allem in der Gemeinschaft eines Chores und so möchte ich gerne in den über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Schulchor. In der Aufnahmeprüfung müssen die Bewerber unserem Musiklehrer – einem Fels an unein geschränkter Autorität – paarweise vorsingen. Er zelebriert diese Prüfungssituationen, ist er doch in seiner Jugend selbst Sängerknabe im strenggeführten, legendären Thomanerchor gewesen.

    „Der Mond ist aufgegangen – Lachmann die erste Stimme und Lauer die zweite!"

    Der Lehrer legt mit aufforderndem und prüfendem Blick die Hände auf die Klaviertasten.

    Lothar Lachmann – Arztsohn und heute ein berühmter Orgelprofessor – absolviert die erste Stimme glockenrein und ich singe im richtigen Takt mit – nur eben auch die erste Stimme.

    Damit hat sich die Angelegenheit Schulchor für mich erledigt. Doch immer wenn die Auserwählten die „Carmina Burana" Carl Orffs proben, lausche ich durch die trennende Wand und singe mit, denn im Chor kann ich das ja.

    Trotz dieser frustrationsträchtigen Erlebnisse, die heutzutage schon viele Kinder – samt ihren Eltern – zu Fällen für den Schulpsychologen werden lassen, emanzipierte ich mich mehr und mehr.

    Familiäres Intermezzo

    Ich wuchs im Fußballverein und Turnunterricht zu einem brauchbaren Sportler heran, lernte schnell, richtig und richtig schnell rechnen, gewann Spielkameraden und echte Freunde – kurz: ich entwickelte mich zu einem aufgeschlossenen und aufgeweckten Burschen.

    „Der macht sein Abitur! Der ist munter und unruhig wie Fipps der Affe!", waren die Worte meines Mathematiklehrers, die meine Mutter von ihrem ersten und letzten Besuch eines Elternsprechtages mit nach Hause brachte.

    Ich war mächtig stolz auf diese Prognose, obwohl ich noch gar nicht wusste, was das Abitur eigentlich bedeutete. Aber dass sie ausgerechnet von dem Mann ausgesprochen wurde, der die halbe Klasse mit den Worten „Junge, geh’ doch in den Bims!" abqualifizierte, erfüllte mich mit Genugtuung.

    Ich ging auch relativ unbefangen – fast unbekümmert – mit den damals wirklich schwierigen familiären Verhältnissen um. Ich ignorierte sie zwar nicht, doch sie belasteten mich weniger als es ihnen vielleicht zustand.

    Wir hatten umziehen müssen in eine für sechs Personen viel zu kleine Sozialwohnung in einem vom unteren Drittel der Gesellschaft bewohnten Mietshaus.

    Meine Mutter war verzweifelt ob des Krachs und Drecks der Durchgangsstraße, an der wir gelandet waren. Sie weinte während der Schlüsselübergabe still vor sich hin, als der Hausverwalter alle Anwesenden – auch die Erwachsenen – distanzlos duzte und hausordnungsmäßig einschüchterte.

    Ich aber war froh über die neue Wohnlage, befand sich doch der Häuserblock schräg gegenüber meines Ursprung-Gymnasiums.

    Von dem kleinen, rothaarigen Mitvierziger über uns lernte ich das Streichen und Tapezieren, das Bohren und Dübeln. Auch räumte ich immer die Schuhe aller Familienangehörigen in den Schuhschrank, nachdem ich sie gegen einen kleinen Lohn geputzt hatte.

    Woher dieses innere, nicht belastende Verantwortungsgefühl kam, kann ich heute nur vermuten: Mein Großvater – mütterlicherseits – war

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