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Lehren - oder die Kunst, Fenster zu öffnen: Betrachtungen eines Lehrers auf dem Weg in den Ruhestand
Lehren - oder die Kunst, Fenster zu öffnen: Betrachtungen eines Lehrers auf dem Weg in den Ruhestand
Lehren - oder die Kunst, Fenster zu öffnen: Betrachtungen eines Lehrers auf dem Weg in den Ruhestand
eBook295 Seiten3 Stunden

Lehren - oder die Kunst, Fenster zu öffnen: Betrachtungen eines Lehrers auf dem Weg in den Ruhestand

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Über dieses E-Book

In diesem Buch lotet ein Südtiroler Mittelschullehrer an der Schwelle zu seiner Pensionierung Möglichkeiten der Schulentwicklung aus und legt den Finger auf diese und jene von ihm im "System Schule" im Verlauf seiner 42 Dienstjahre wahrgenommene Wunde. Ein Ausleuchten der im Dämmerlicht des Halbbewusstseins liegenden Bereiche eröffnet brach liegende Ressourcen, die auf Umsetzung warten.
Ungewollt geistreiche Schülermeldungen aus Tests und Klassenarbeiten nehmen den Texten ihren tierischen Ernst und weisen augenzwinkernd hin auf den kreativen Reichtum einer "Parallel-Welt", die wir alle vor längerer oder nicht so langer Zeit durchlaufen haben und die uns, in welcher Form auch immer, als prägende Phase in unserer Entwicklung bis heute nicht unberührt lässt.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum28. Juli 2015
ISBN9783739273174
Lehren - oder die Kunst, Fenster zu öffnen: Betrachtungen eines Lehrers auf dem Weg in den Ruhestand
Autor

Elmar Perkmann

Elmar Perkmann ist Co-Autor des vorliegenden Werkes "Gelebtes und Erlebtes"

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    Buchvorschau

    Lehren - oder die Kunst, Fenster zu öffnen - Elmar Perkmann

    Wahrheit?

    Vorwort

    Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen der Mittelschule Kastelruth,

    meine bevorstehende Pensionierung hat mir den schlussendlichen „Schupfer" gegeben, dieses Büchlein zusammenzustellen. Während meiner vier Jahrzehnte dauernden Tätigkeit an Grund-, mehr an Mittelschulen, und im Rahmen meiner Arbeit in der Lehrer/innenausbildung und in der Lehrer/innenfortbildung habe ich mich zeitlebens berufsbegleitend auch theoretisch mit Themen der Schule und des Unterrichts auseinander gesetzt und ich möchte auf diese Weise verhindern, dass Herr Alzheimer oder der Zahn der Zeit diese Erfahrungen vor der Zeit ins Nirwana befördern. Geschriebenes hält eben länger.

    Die folgenden Überlegungen sind im Lauf meiner Unterrichtstätigkeit „geboren" und ich habe sie nun zusammenfassend zu Papier gebracht. Wenn sich Wiederholungen ergeben ist das deshalb, weil die Beiträge unterschiedliche Entstehungszeiten haben. Manche sind auch als Leserbriefe oder in Zeitschriften erschienen.

    Die Motivation zu diesem „Werk" ist zweifach:

    Einmal bot mir das Schreiben eine Möglichkeit, mit meinem Schul-Leben abzuschließen, indem ich mir wichtige Inhalte und Stationen durch Kopf und Seele wandern ließ. Zum anderen möchte ich euch Gelegenheit geben, in Synergie – oder in Kontrast – zu meinen Gedanken die euren an meinen manchmal polarisierenden, übertreibenden Haltungen zu messen, zu schleifen und zu reiben. Nicht wo wir übereinstimmen kommen wir persönlich und beruflich weiter, sondern in dem, wo wir uns unterscheiden – wenn wir unsere Auseinandersetzungen in konstruktivem Geist bewältigen und für Veränderungen offen sind.

    Ich habe weder das Gelbe vom Ei erfunden noch das Rad. Was ich meiner Art entsprechend gemacht habe ist, aufmerksam den Gesprächen und den Vibrationen der Zeit zu lauschen, mich über Entwicklungen zu informieren und in Austausch mit gesellschaftlichen Kräften zu treten, was mitunter zu harten Konfrontationen geführt hat. Die nicht enden wollenden Reformen, das Rempeln und Herumdoktern an einem an sich gesunden Schulsystem hat ganz schön strapaziert. Auf diese Weise konnte ich meine schulischen Ideen, Haltungen und Überzeugungen formen und entwickeln.

    Wenn ich eine Erkenntnis gewonnen habe, die sich in eine kompakte Formel gießen ließe, dann ist es diese: „Fenster öffnen". Ich meine dabei nicht das Eindrücken oder gar Einschlagen der „Fenster"unserer Schüler/innen von außen. Ich verstehe damit ein Öffnen von innen, das die Bereitschaft einschließt, sich genauso der gegenständlichen Welt (den Fachinhalten) zu öffnen wie den gesellschaftlichen Kräften, den Menschen, Mitschülern und Erwachsenen, denen unsere Schüler/innen auf ihrem Lebensweg begegnen. Das betrifft natürlich auch uns Erwachsene. Ich habe diesem Thema einen eigenen Text gewidmet.

    Es ist mir ein Anliegen noch einmal darauf zu verweisen, dass es sich bei den folgenden Aufsätzen um persönliche Darstellungen aus subjektivem Blickwinkel handelt. Ich erhebe keinerlei Anspruch darauf, „die Wahrheit gepachtet zu haben. Es gibt ja nicht bloß eine einzige Wahrheit, sondern deren viele, und eine davon, die hier dargestellte, ist die meine. Alle unsere Wahrheiten zusammengenommen ergeben einen bunten Strauß, eine breite Palette des Denkbaren. Beschäftige dich mit meiner Facette, wenn du magst, und mute auch die deine anderen zu! Auf diese Weise - und nur auf diese - nähern wir uns dem an, was wir mit dem Wort„Realität umschreiben mögen. Didaktische Impulse findet ihr nur in Ausnahmefällen. Dazu habt ihr Ideen und Kompetenzen en masse.

    Ich durfte von euch und mit euch lernen, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen. Eure Ansichten, Haltungen und Gedanken sind in der Motivation, dieses Büchlein zum Abschied meines Schullebens zu verfassen, und in seinen Beiträgen genauso vertreten wie eure Kraft und euer Einfallsreichtum es in meiner schulischen Arbeit getan haben. Eure Warmherzigkeit und euer Rackern für eine „gute Schule" werden mir zeitlebens in Erinnerung bleiben und ich nehme euch in meinem Herzen auf die nun folgende Reise in ein unbestelltes Land mit.

    Euch, liebe junge Kolleginnen, liebe junge Kollegen, wünsche ich von Herzen, dass es euch möglich sein wird, diesen herrlichen Beruf genauso zu lieben wie ich. „Burnout" ist für mich zeitlebens ein Fremd–wort geblieben.

    Mittelschule Kastelruth im Frühjahr 2015

    1967...........2015: Eine lückenhafte Chronik

    Da trat ich also meine erste Lehrerstelle an der Volksschule (heute sagen wir Grundschule dazu) an. In St. Konstantin. Ich weiß, dort befindet sich schon längst keine Grundschule mehr. Die ist einer ersten Rationalisierungswelle zum Opfer gefallen genauso wie die eine in Ums. Ja, liebe Völser, in Ums befand sich tatsächlich eine Grundschule, das Gebäude wurde mittlerweile aber geschleift. Auch die alte Völser Volksschule existiert nicht mehr. Die stand unter der Villa Martha und dem Zeitungsgeschäft. Da, wo heute die Schautafel der Gemeinde steht, befand sich früher die Volksschule. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich mit Vater auf dem Gerüst stand, als das Fresko von A. Stolz an die Wand gemalt wurde. Zurück zur Volksschule in St. Konstantin. Diese Sektion bestand aus zwei Räumen und einem Klo. Der eine Raum war eigentlich ein den schulischen Zwecken angepasstes Wohnzimmer, eine Stube. Der andere war die Küche. Im Wesentlichen wurde in einem Raum unterrichtet, und 1967, als ich mein erstes Unterrichtsjahr bestritt, bestand die Schülerschaft aus 10 Schülern. Einer war in der ersten, zwei waren in der zweiten, einer in der dritten, drei in der vierten und drei in der fünften Klasse. Eine so genannte einklassige Schule. Bis zur Matura war ich noch, ich erinnere mich mit gemischten Gefühlen daran, eins der Enfants terribles gewesen: Die späten 60er Jahre waren gekennzeichnet von Umbruch und Ausuferung. Der Vietnamkrieg, von dem wir Dorfkinder so gut wie nichts verstanden, heizte die weltpolitische Stimmung auf, jeder Jugendliche, der „in sein wollte (und wir wollten „in sein!) war gegen die Amerikaner, die mit Agent Orange tropische Blätterdächer entlaubten und die Vietkong von der Luft aus mit 400.000 Tonnen Napalm und mit Bomben und aus Maschinengewehren massakrierten. Flowerpower, wie ihr wisst, Woodstock, die Hippies. Das war die Zeit, als ich die Matura machte (mit 36 Punkten, also „gerade noch). Und dann kam der Sommer. Und dann kam meine erste Lehrerstelle, und ich war wie umgedreht. Ausgewechselt. Plötzlich hatte ich Verantwortung zu tragen. Meine erste Klasse! Ich war verzweifelt, freute mich, hatte Angst, war verzweifelt – und dasselbe von vorne. Ich wusste trotz meines eingeschränkten jugendlichen Realitätssinns, dass ich auf diese Arbeit absolut nicht vorbereitet war. An der Lehrerbildungsanstalt in Meran – später wurde ein Pädagogisches Gymnasium daraus, was edler klingt – hatten wir durchaus das Fach „Methodik. Auch Pädagogik und Psychologie wurde geboten. Die Methodik bestand aber darin, dass wir während der letzten beiden Jahre ganze zwei Schulauftritte hatten, also zwei Mal an einer benachbarten Grundschule eine Lehrprobe zu absolvieren hatten. Die Mitschüler schauten zu. Verwertbares Feedback hatte es keines gegeben. Fallweise wurde uns gedroht, wir würden für unsere erste Lehrerstelle nach Spiluck auf 1380 m Meereshöhe versetzt werden. Keine Ahnung, wo Spiluck gelegen war, es musste aber in etwa mit dem griechischen Hades verwandt gewesen sein. So stand ich nun also, mit dürftiger, wenn nicht gar ohne, Ausrüstung vor meinem geistigen und emotionalen Spiluck, und es war bereits Samstag geworden. In meiner Not erinnerte ich mich an meine Lehrerin aus der Volksschule und suchte sie auf (Telefon war damals noch nicht, außer in einigen wenigen privilegierten Häusern. Ich erinnere mich noch an die Telefonnummer des Widums, wenn der Pfarrer mit „Qui Parroco, fentinofe fentitre auf das fremdartige Klingeln antwortete. Meine Familie wohnte damals im Widum). Frau Niederkofler brachte mir nun im Eilverfahren einige wichtige Dinge bei, die ich als mageres und natürlich nicht ausreichendes Marschgepäck am Montag nach der Schulmesse mit in die Schulstube brachte. Zehn Kinder hatte ich zu betreuen, und da waren fünf Schulstufen, auf die ich mich vorzubereiten hatte! Ich erinnere mich, dass ich jeden Tag bis 11 Uhr abends bzw. nachts an der Vorbereitung saß und die Logistik dieser Vielschichtigkeit in Form von Plänen zu bewältigen versuchte. Wer wann Direktunterricht erhielt, was mit den vier anderen Schulstufen derweil passierte, wie die Folgestunde abzuwickeln war, für die die Klasse mit dem Direktunterricht dann Aufträge erhielt, die dann in der dritten Stunde zu kontrollieren waren, während – Wahnsinn!! Ich war fix und fertig. Die Nerven! Morgens ging ich zeitig von Völs los und wanderte die drei Kilometer nach Konstantin, wo ich dann die Tafeln vollschrieb, damit die Klassen, die keinen Direktunterricht hatten, in der ersten Stunde Arbeitsaufträge hatten, die dann in der zweiten Stunde, wenn die eine Klasse mit dem Direktunterricht Stillarbeit machte – oh Gottohgott. Es hat ein paar Monate gedauert, bis ich drauf kam, dass diese Not eigentlich eine Ressource war. Langsam langsam stellte ich mein selbst-gezimmertes starres System auf flexibel um: Ich nahm fallweise zwei Klassen zusammen, während ein flottes Mädchen aus der Vierten den Erstklässler betreute. Und so weiter. Ich hoffe, dass ich die Situation nichtverkläre, wenn ich aus heutiger Sicht behaupte, dass dieses System unzweifelhafte Vorteile bot. Die Schüler/innen zeigten sich aufeinander eingestellt, halfen sich gegenseitig aus und arbeiteten selbständig und eigenverantwortlich. Spontane Feedbacks von einzelnen Schülern fielen allerdings nicht eben schmeichelhaft aus. Ich bekam zu hören, ich sei „streng gewesen, man hätte aber „viel gelernt". Alle, die vom Fach sind, wissen, wie diese Aussagen zu dekodieren sind: Der Lehrer war unangemessen streng, und man hat aus Angst vor den Strafen gelernt.

    Das Jahr war vorbei, und aus familiären Gründen, die ich nicht näher erläutern möchte, wählte ich beim Stellenmarkt im August eine Ortschaft, von der ich wusste, dass sie aAdW lag: St. Gertraud in Ulten auf 1510 m Meereshöhe. Der Bus legte abends vom Sandplatz in Meran ab und quälte sich während der folgenden eindreiviertel Stunden ins und durch das Ultental. So lange und so weit, bis es beim besten Willen nicht mehr weiter ging. Da war die Kirche und das Widum, das Gasthaus, darunter das Schulhaus. Noch weiter unten an der Bushaltestelle (damaliger Sprachgebrauch: Postautohaltestelle) ein, zwei (vielleicht waren es auch drei) Häuser und ein Gasthaus. Das Positive war, dass ich nur mehr zwei Klassen zu betreuen hatte, eine erste und eine zweite. Ein weiterer Kollege hatte ebenfalls zwei Klassen, ein ortsansässiger Lehrer, „der Lehrer, die fünfte. Und der Kollege und ich wohnten im Schulhaus. Auf diese Weise konnte ich auf den „Patschen von meinem Zimmer über den Gang zur Schulklasse hinüber gehen und dort am Abend meine Tafelbilder anbringen. Ich erinnere mich noch daran, dass in den Klassenzimmern Kanonenöfen standen. Ein Mädchen aus der ersten Klasse mit strammen blonden Zöpfchen und roten Wangen kam nach einem Schulweg von fast einer Stunde von einem Hof weit oberhalb zur Schule herab. Wenn es schneite, brachte es der Vater mit dem Schlitten herunter. Ich setzte das völlig durchnässte Kind an den Kanonenofen, um es in seinen Kleidern zu trocknen. Nur die Schuhe zog ich ihr aus, und sie baumelte quietschvergnügt mit den strumpfbezogenen Beinchen. Natürlich war es in der schulfreien Zeit nicht eben anregend dort. Fernseher gab es noch keinen, im Gasthaus karteten die Männer, mit denen es sich nicht leicht warm werden ließ. Aber da war ein junger Kerl in meinem Alter, mit dem ging ich manchmal zum Wildern auf die Weißseen hinauf. Im Winter war die Straße (natürlich war sie nicht asphaltiert) manchmal eine Woche oder auch länger „zu. Das war kein angenehmes Gefühl, dort drinnen eingesperrt zu sein. Beinahe klaustrophobisch. Dann kam die Militärzeit, und nachher (inzwischen hatte ich auf den langen Fahrten ins Ultental meine spätere Frau kennen gelernt) unterrichteten wir beide in Klausen an der Mittelschule. Die vier Jahre in Klausen waren bestimmt und geprägt von einem kollegialen Lebensgefühl und einer optimistischen Lebensfreude unter den Lehrern, die in unendlichen Festen und Feiern gipfelte, von denen das „Stempelfest das herausragende war: Das Stempelfest war dazu da, „die Neuen zu stempeln, das heißt, sie ins Lehrerkollektiv aufzunehmen. Direktor und das gesamte Lehrerkollegium trafen sich in einem Gasthaus, und dort wurde eher weniger Mineralwasser getrunken. Wenn man weiß, dass „der H. in Graz studiert hat und dass das Gösserbier aus der Steiermark kommt, kann man sich das Ganze etwas plastischer ausmalen. Irgendwann wurden vom Direktor und ein, zwei Freiwilligen die Neuen mit dem amtlichen Schulstempel gestempelt. Falls es sich um neue Kollegen weiblichen Geschlechts handelte, wurden die Stempelabdrücke entsprechend platziert. Und man, sagen wir: frau, war nicht zimperlich oder gar zickig. Dass die Feste fallweise durchaus entgleisten und zum Stadtgespräch wurden, störte eigentlich niemand. Das waren eben „die Lehrer", die zu feiern wissen.

    Dann kamen das Studium und das achtjährige Salzburger Intermezzo. Dass meine Arbeit in einer sozialtherapeutischen Jugendwohngemeinschaft mit den entsprechenden Erfahrungen von Blut, Verwüstungen, Polizeipräsenz, Krankenhauseinlieferungen, Gerichtsverhandlungen und so weiter meine Sichtweise der „Bösewichte" in der Schule prägten, kann man sich vorstellen. Als ich dann in Kastelruth an der Mittelschule zu arbeiten anfing, konnte ich die Aufregung wegen einiger Missetaten von Schülern einfach nicht nachvollziehen: Ich hatte um Potenzen Schwierigeres erlebt und diese Lausbübereien und Entgleisungen, die manchen Kollegen so zu schaffen machten, kamen wir absolut undramatisch vor.

    In Kastelruth setzte sich die vorhin in Bezug auf Klausen geschilderte Kollegialität fort. Inzwischen waren die 80er angebrochen (meine Frau, unser Sohn und ich übersiedelten 1982 nach Völs und meine Frau und ich unterrichteten an der Mittelschule in Kastelruth). Die Welt war optimistisch gestimmt, allerorten war eine positive Stimmung vorherrschend, es war kein Problem, eine Arbeit zu finden. 1977 hatte der Psychiater Basaglia die Auflösung der Nervenheilanstalten und der Sonderschulen erwirkt. Es brach das Zeitalter der integrierten Klassen an. Das kooperative Unterrichtsmodell, das zuletzt noch in Tramin praktiziert wurde (und das ich heute favorisieren würde), konnte sich nicht durchsetzen. Der Trend ging dahin, Schüler/innen mit besonderem Unterrichts- und Beziehungsbedarf (Ausländer gab es noch keine) in Normalklassen anzusiedeln. Es entstand das Modell des „Stützunterrichts, bei dem in einem Klassenverband, der aus höchstens 20 Schülern bestehen durfte, bis zu zwei „Stützschüler angesiedelt waren. Der Klasse zugeteilt war ein Stützlehrer bzw. eine Stützlehrerin. Wie man den Unterricht abwickelte, war diesem Team überlassen, sei es in Form einer Klassenteilung oder durch Hilfe am Platz. Die Mittelschule in Kastelruth war bei der Erarbeitung eines „Stützkonzepts landesweit eine Vorreiterschule; Direktor Seberich, die graue Eminenz (für manche offizielle Stellen war er durchaus eher eine „gräuliche) der Schule und einer der Leader in der Südtiroler Schullandschaft, konnte beinahe alles durchsetzen, was er für gut erachtete. Die damaligen Direktoren waren überhaupt aus einem besonderen Holz geschnitzt, „der Tappeiner, „der Hasler, „die Uxa, „der Seberich und wie sie alle hießen, waren Autoritäten, mit denen das Schulamt rechnen musste. Apropos Schulamt: Der unwürdige Stellenmarkt wurde schon angesprochen, und oft wurden Bewerber für eine Jahresstelle bei dieser „Veranstaltung" nachgerade respektlos behandelt. Ich habe gehört, dass das bis vor Kurzem immer noch so war. Inzwischen ist das Schulamt zu einer Landesabteilung geworden, das Pädagogische Institut, das früher eine selbständige Einrichtung war, ist assimiliert. Aber zurück zur Schule: Mein Vertrag bestand damals aus 15 Wochenstunden, und da zudem viel weniger Sitzungen waren als heute, war die Arbeit damals absolut entspannter, freudiger, fröhlicher, optimistischer. Glaubt ja nicht, ihr heutigen gestressten Lehrkräfte, dass damals weniger gearbeitet wurde! Es bestand eine Lust am Arbeiten und Experimentieren, die uns Heutigen durch die Verplanung so kaum mehr möglich ist. Die Angst, wir Lehrer würden zu wenig arbeiten, die ein entsprechendes Mehr an Stundenverpflichtung gebracht hat, führte nachgerade zu einem Schuss, der nach hinten losgeht. Die Rechnung geht nicht auf. Es gab nicht nur den Begriff Burnout nicht, es gab das Phänomen nicht. Und wir hatten obendrein immer noch Zeit und Lust zum Feiern. Glaubt nicht, dass die Lehrer früher nicht auch Kinder hatten. Trotzdem war es möglich, dass auch Mütter mitfeiern konnten. Die Entlohnung war allerdings weitaus geringer. In den 70er Jahren wurden wir Lehrer von der übrigen Bevölkerung nachgerade bedauert. Eine Kellnerin verdiente mehr als ein Lehrer, ein Umstand, der zur Folge hatte, dass diese Arbeit nur wirklich daran Interessierte machten.

    Die Kinder waren so wie sie halt sind. Früher waren sie, den anderen Umständen entsprechend, weniger gepflegt. Allerorten „duftete es nach Mist und nach ungewaschenen Körpern. Der „Pubertätsgeruch (Insider kennen ihn) war, ist manchmal schon eine Plage. In den Achtzigern waren nicht wenige Eltern der Meinung, ihre Tochter solle nicht „weiterstudieren, weil sie ja eh bald heiraten und Kinder kriegen würde. Eltern hatten zur damaligen Zeit noch weniger Schwierigkeiten, ihr Kind der Schule anzuvertrauen. Strafen wurden als a priori gerechtfertigt hingenommen. Unter den Schülern herrschte damals eine im Vergleich zu heute stärker ausgeprägte, latent vorhandene Aggressivität. Immer wieder gab es im Pausenhof Schlägereien, die manchmal ausarteten und es kam mitunter zu Verletzungen. Italienisch wurde von nicht wenigen Schülern abgelehnt, Englisch gab es überhaupt noch nicht. Nach den Spiritusmatrizen kamen langsam langsam Fotokopierer auf, die viel bestaunt wurden ganz zu schweigen von den ersten Computern in den späten 80ern. Es wurde viel mehr geschrieben als heute, Zeichnungen wurden auf Grundlage von Overheadfolien und Tafelbildern abgezeichnet, was Ruhe und eine angenehme Arbeitsatmosphäre in die Klasse brachte. Vielfach wurde frontal unterrichtet, eine Unterrichtsform, die seit Kurzem als eigenständige Technik, als „Dialogisches Lernen, durchs Hintertürl, aber nichtsdestotrotz mit fliegenden Fahnen und so, als hätte einer vor ein paar Jahren das Gelbe vom Ei entdeckt, verloren gegangenes Terrain zurück erobert. Wehe, man hätte sich noch vor ein paar Jahren zum Frontalunterricht bekannt – oder hätte „zugegeben", dass man einen solchen praktiziert! Der Letzte wäre man gewesen! Absolut antiquiert. Und so haben sich im Verlauf der Jahre und Jahrzehnte bei im Wesentlichen gleichbleibenden Herausforderungen die Methoden die Türklinke in die Hand gegeben wie in einem großen, im Wesentlichen sinnlosen, Karussell. Eine Zeitlang beherrschten die Gruppenarbeiten den Schulalltag: Allerorten konnte man Schüler, mit aufgestütztem Ellenbogen auf dem Boden liegend, extensiv an riesigen Plakaten malen sehen. Was da zumeist malte, war die eine freie Hand, während die Aufmerksamkeit dem Gruppenpartner zugutekam, der seinerseits seit drei Stunden an einer überdimensionalen Überschrift malte. Analog dazu war es verpönt, die Schulbänke in Reih und Glied zu ordnen. Es mussten schon in Vierergruppen angeordnete Arrangements sein. Eine kurze Zeit dominierten in manchen Klassen auch U-förmige Ordnungen oder solche, bei der die Bänke zu einem riesigen Viereck arrangiert waren. Als positiv

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