Sieben Kerle, sieben Storys – ein Finale: Dating Ü 50
Von Meli Telmann
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Über dieses E-Book
Meli Telmann
Meli Telmann (Pseudonym), Jahrgang: 50 plus, Redakteurin, hat sich nach Jahrzehnten von Recherche und sachgerechtem Schreiben an einem dichten Roman versucht. Sie möchte dabei vor allem eines: unterhalten.
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Buchvorschau
Sieben Kerle, sieben Storys – ein Finale - Meli Telmann
Am Ende wird ...
Das Catering war bestellt; Kerstin hatte sich für herbstliche Suppen entschieden. Kastanie, Zucchini, Hühnersuppe. In Olivenöl geröstetes Ciabatta, Baguette, Bauernbrotschiffchen mit Butter.
Der sehnlich erwartete Tag! Nur, so ganz wohl fühlte sich Kerstin nicht. Sie war es nicht gewohnt, so manipulativ zu sein. Es war nicht ihre Art strategisch vorzugehen. Die Fäden komplett in der Hand zu halten. Organisieren, Partys vorbereiten und managen. Ja, das konnte sie. Doch sie wusste aus Erfahrung, dass es ihr schwerfallen würde, ihr Vorhaben konsequent durchzuziehen. Ihre Empfänglichkeit für Äußerungen und Befindlichkeiten anderer stand ihr im Weg. Das konnte sie nicht einfach abstellen oder abschütteln.
Noch nie hatte Kerstin so ein großes Ding geplant. Präsentationen, ja; Unterricht, ebenfalls, auch Workshops. Doch die Nummer hier war vor allem emotional stark belegt. – „Müßig, dachte sie, „dem immer wieder nachzuhängen. Du hast es ins Rollen gebracht. Die Lawine lässt sich schwerlich aufhalten.
Alle hatten zugesagt, wobei es noch eine Weile gedauert hatte, bis ein gemeinsamer Termin stand. Heute, der 16. November, 14 Uhr. Die Lokalität hatte Kerstin recht schnell ausgewählt. Sie kannte die Leiterin einer Sprachenschule, die den Raum hier im Bahnhofsgebäude gemietet hatte. In der Regel gab es am Wochenende keinen Unterricht. So stand es ihr für einen kleinen Betrag, fünfundachtzig Euro, den Samstagmittag über zur Verfügung.
Die vorhandenen Tische hatte sie nach ihrem Geschmack aufgestellt, so dass sich der Raum auf eine große Tafel konzentrierte. Eingedeckt hatte sie ebenfalls, mit Damast-Tischdecken, dem festlichen Anlass entsprechend weiß, Kerstin musste bei dem Gedanken grinsen, nein, es war ganz einfach so, dass sie weiße Tischwäsche liebte, und Gläsern. Tischdecke und Gläser hatte sie gestern bereits bei den Cateringleuten abgeholt. In einer Ecke stand eine Couch rosèfarben, mit zwei Sesseln und einem kleinen Tisch – falls es jemanden nicht mehr an der großen Tafel hielt. Auch gab es noch eine kleine Theke im Vorraum. Von dort aus erst führte eine kleine Treppe in den großen Raum. Neben der Theke befand sich ein großer Getränkekühlschrank, den sie bereits gefüllt hatte, mit Wasser, Cola, Saft, Bier, Wein, Sekt. Der Rotwein und ein Teil der Getränke standen daneben. So weit war alles vorbereitet. Gleich, um halb zwei, sollte der Catering-Service kommen.
Zuerst hatte Kerstin noch erwogen, eine richtige Präsentation mit Laptop und Beamer vorzubereiten. Hatte den Gedanken aber verworfen. Ihr wäre es zu geschäftsmäßig vorgekommen. Ihren Gästen wohl auch. Wobei – der ein oder andere hätte sich dadurch vielleicht auch wohler gefühlt. O weh, sie selbst vermutlich auch … Nicht nachdenken. Kerstin verwarf den Gedanken.
Sie hörte Schritte auf der Treppe, der Raum lag im zweiten Obergeschoss. Sie schaute nach. Ja, das Essen wurde geliefert. Zwei junge Frauen – in weißen Baumwollhemden mit gelben Knöpfen auf blauen, karierten Hosen – trugen jeweils einen Metallbehälter, wohl mit zwei der Suppen gefüllt. Eine der beiden, sie hatte kurzes braunes Haar und war etwas voluminös, war außer Atem, trat schwer auf die Stufen. Eine kräftige Köchin wie sie – vermutlich war sie das: Köchin – hatte etwas vertrauenerweckendes. Die andere rank und schlank wäre wohl gerne hochgehüpft, allerdings hätte Übermut die Suppe ins Schaukeln und zum Überschwappen gebracht. Kerstin wies ihnen den Weg zu dem separierten Tisch rechts von der Treppe.
„Soll ich was helfen?"
„Ja, das Brot vielleicht", bat die ‚Köchin‘.
Kerstin ging mit nach unten, wo ein geöffneter Kleintransporter vor dem Eingang stand. Sie nahm die beiden Körbe mit dem Brot. Das Auto hielt im Haltverbot, weil es hier am Bahnhof kaum freie Parkplätze gab. Daher beeilte sich Kerstin.
Oben richteten die Frauen alles an: die drei Behälter mit den Suppen auf die Warmhalteplatten, die sie rasch mit einer Steckerleiste an den Strom anschlossen. Das Brot bedeckten sie mit weißen Servietten. Stellten die Capuccino-Torte auf den Tisch. Zum Schluss brachten die beiden noch die Teller und das Besteck in kleinen Körben mit Servietten ausgelegt.
„Geplant habe ich vier Stunden, also bis achtzehn Uhr. Falls die Veranstaltung früher fertig sein sollte, soll ich Ihnen Bescheid geben?"
„Ja, hier noch mal unsere Visitenkarte." Kerstin rekapitulierte: Sieben Männer hatte sie eingeladen. Catering war ausreichend. Getränke im Kühlschrank und daneben – je nach Kühlungswunsch.
Geschafft. Sie spürte ein Kribbeln in der Magengegend – gar nicht so unangenehm. Jetzt geht’s los.
Kurt und der Avatar
Manchmal wiederholt das Leben einen Film. Selten zwei Filme. Überaus rar ist die unmittelbare Verknüpfung der Realität mit virtuellen Welten. Oder?
Vor zwei Wochen hatte Kerstin sich im Dating-Portal angemeldet; heute fand das erste Treffen statt. Mit Kurt, 52, 1,67, geschieden. Auf dem Profilfoto stellte er sich sportlich dar – mit Rennrad, passendem Dress und Schutzhelm. Dadurch strahlte er Dynamik aus, ohne wirklich sichtbar und erkennbar zu sein. Was nicht nur Kurts Auftritt begünstigte, sondern auch Kerstin entgegenkam – ließ sie sich doch oft abschrecken von Männern auf Fotos, die ihr so gar nicht gefielen. Wobei sich tatsächlich die Frage ergab, was passte ihr nicht? Der Mann oder das Foto? Im wahren Leben war sie ja ab und an mit weniger attraktiven Männern zusammen gewesen, die zum Ausgleich eine gewinnende Art hatten. Sei es eine besondere Dynamik und Forschheit oder eine überzeugende Zugewandtheit. Allerdings fand Kerstin auch entschuldigende Worte für ihre Ablehnung im Portal: auf den ersten Blick hatte sie sich von den unattraktiven oder besser gesagt wenig gutaussehenden Männern im wahren Leben, um es mal so zu nennen, nie angezogen gefühlt – gewinnend fand sie diejenigen dennoch irgendwann.
Was den sportlichen Profilauftritt von Kurt anging: Irgendwann hörte sie später aus dem Mund einer Prominenten, die Kerstin hier nicht diffamieren will, zu der sie sich aber des Öfteren bereits derart geäußert hatte, dass sie nicht die allergeringste Sympathie für sie hege; was wohl noch einer Beschönigung gleichkam. Aus dem Munde dieser Besagten also hörte sie die Worte, dass Männer in Dating-Portalen zu neunzig Prozent sportlich aufträten. Ein Fakt, den Kerstin nach einer Weile auf der Plattform durchaus bestätigen konnte, nicht zu hundert Prozent, also die neunzig Prozent nicht zu hundert Prozent bestätigen konnte, doch gut die Hälfte waren es durchaus. Dem maß sie allerdings kein großes Gewicht bei. Im Munde der erwähnten prominenten Persönlichkeit hatte die Äußerung von dem sportiven Auftreten der Männer in Dating-Portalen jedoch einen Unterton, nein, nicht einen Unterton, sondern einen betonten Ton von schwanzlos, hirnlos, seelenlos.
Wie kann sie selbst rüber? Keine Ahnung. Sie hatte ein paar Fotos reingestellt. Eines war im Winter aufgenommen. Der Lichteinfall war gut gewesen, sie war in Bewegung, daher sah sie zwar nicht umwerfend gut aus, kam aber agil und jugendlich rüber. Letzteres hatte ihr jemand im Portal geschrieben, aber davon später. Dann hatte sie noch ein Foto im Park aufgenommen, warmer, heller Sommertag, das kann an und für sich fatal sein. Hat man die Sonne direkt im Gesicht, wird jedes Fältchen, jede Runzel und Flecklein sichtbar. Doch hier im Park hatte sie ein sehr gutes Plätzchen gefunden, auf einer Bank. Das Licht fiel auf ihr Gesicht, so dass ihre Züge wie von einem Scheinwerfer perfekt ausgeleuchtet waren. Allerdings sah sie darauf so attraktiv aus, dass die ‚Wirklichkeit‘ da nicht heranreichte. Sie stellte es dennoch auf die Plattform, in Kombination mit den anderen Fotos, so konnte sich jeder denken, der sich Gedanken machte, dass sie normal und auch verdammt gut aussehen konnte. Aber, wie sie nach und nach entdeckte, hielten sich die Männer da nicht so lange auf und machten sich wohl auch nicht wenig Gedanken.
Bei Kurt passte das sportliche Auftreten, wer hätte das gedacht, zu seinem forschen Verhalten: Kaum war Kerstin fünf Minuten im Portal, als Kurt nachfragte, ob sie sich mit ihm treffen wollte. Was, auch das wusste Kerstin in den Anfängen ihrer Portal-Präsenz noch nicht, auf den Plattformen eher selten war. Und wenn es vorkam, dass sich ein Mann einem, bildlich gesprochen, direkt an den Hals warf, so kam meist ein oder zwei Tage später von der Administration die Meldung, dass genau derjenige aus dem Portal entfernt worden sei, wegen ungebührlichen Auftretens.
Doch Kurts Forschheit war keiner bösen Absicht geschuldet.
Die Entschlossenheit gefiel Kerstin und stimmte sie gegenüber seinem Konterfei milde. Ein Mann, der weiß, was er will. Der weiß, was er hier in der gefilterten und aufbereiteten virtuellen Welt möchte. Daher gab sie ihm auch recht schnell ihre Handynummer. Zum Whatsappen. Das bereute Kerstin recht schnell. Nicht aus Sicherheitsgründen, sondern aus Gründen des guten Geschmacks.
Denn sie erhielt von ihm stehenden Fußes und fortan jeden Morgen und jeden Abend einen ausgeschmückten Liebesgruß. Mann und Frau umarmen sich vor untergehender Sonne. Sinnsprüche aus der Reihe Liebe ist …, zum Beispiel Liebe ist Mut und Mut tut gut. Videos und Animationen, die Liebesszenen zeigten. Nein, keine pornografischen. – Zwei Äffchen, inniglich umarmt, Buchseiten in Herzform, die im Raum schwebten, zwei Schäfchen Arm in Arm am Sternenhimmel.
Wie auch immmer, sie verabredete sich mit Kurt.
Nun also das Treffen. Kerstin rechnete davor mit dem Schlimmsten. Sie nahm daher eine große Einkaufstasche mit, falls Kurt weiche Gegenstände in Herzform mit sich führen sollte. Die konnte sie dann gleich in der Tasche verschwinden lassen.
Während Kerstin ihr Auto in einem Parkhaus abstellte – sie hatten sich in einer Nachbarstadt verabredet –, fühlte sie Unruhe in sich aufsteigen, ums Sonnengeflecht, in der Magengegend. Mein Gott, ermahnte sie sich, du hast doch gar keine Erwartungen, du wolltest ein erstes Date, wovor solltest du Angst haben? Tatsächlich hatte sie keinen Bammel vor Enttäuschung. Er gefiel ihr ja überhaupt nicht. Allein, dass er so forsch gewesen war, hatte ihr imponiert – was danach bei ihr an digitaler Post eingegangen war, hatte sie abtörnend gefunden. Doch was wäre, wenn er aufdringlich war, nicht im körperlichen Sinne, sondern wenn er emotional uneinsichtig war. Gesetzt der Fall sie würde sagen, es war nett, aber ich glaube, wir haben nicht so viele gemeinsame Interessen. Immer höflich bleiben! Und er dann konterte, dass sie sich doch noch gar nicht kennengelernt hätten. Oder sie sagte, nun eine deftige Lüge, dass sie emotional immer noch gebunden sei. „Aber wieso suchst du dann jemanden? Ich glaube, du willst es tief in deinem Innern, aber du traust es dir nicht zu." Mist. Jetzt gingen ihr die Argumente aus. – Fast schon wollte sie zum Auto zurückgehen. Da fiel Kerstin ein: Ich neige zu fantasievollen Übertreibungen.
Zur Abschwächung ihrer aufkeimenden Beklemmung zitierte sie ihre frühere Lehrerin: „Es wird nichts so heiß gegessen wie gekocht." Die Lehrerin hatte die, na ja, abgeflachte Weisheit zwar in einem anderen Zusammenhang eingesetzt – rebellische Schüler in einer rebellischen Zeit. Aber der Spruch war nicht auf eine Zielgruppe festgelegt. Zudem – das Angstgefühl abschwächend – fiel Kerstin ein künstlerisches Genre ein. Und zwar das bereits erwähnte erste Filmzitat: Billy Wilders ‚Some like it hot'. Eine amerikanische Filmkomödie, in der zwei Musiker sich als Frauen verkleiden – Joe/Josephine (Tony Curtis) und Jerry/Daphne (Jack Lemmon) –, um ein Engagement zu erhalten. Der Millionär Osgood Fielding (Jou E. Brown) verliebt sich in Daphne, die vermeintliche Frau.
Schlussszene: Daphne und Osgood Fielding sitzen in einem fahrenden Motorboot, auf der Flucht vor der Mafia. Osgood erzählt stolz, er habe seine Mutter über die bevorstehende Hochzeit mit Daphne informiert.
Daphne will es ihm ausreden: „I’m not a natural blond!"
Osgood: „It doesn’t matter."
„I smoke. I smoke all the time."
„I don’t care."
„I lived together with an saxophone player for a month."
„I forgive you."
Daphne reißt sich die Perücke vom Kopf: „I am a man!"
„Nobody’s perfect."
Das überlegte Kerstin auf dem Weg zum Date. Sie hatte außerdem bei ihrem Aufenthalt im Portal von den Betreibern erfahren – sie erhielt regelmäßig einschlägige Tipps –, dass es fünfundzwanzig Dates brauchte, bis der Richtige vor dem Museum, an der Theke im Bistro oder an der Wasserfontäne wartete. Sie räumte ein, dass die angelesene Zahl variierbar sei …
Heute allerdings wartet erst mal niemand am verabredeten Ort. In der Fußgängerzone, Ecke Drogeriemarkt. Dafür erhält sie einen Anruf: „Kerstin, ich bin es, Kurt. Komme erst in einer Viertelstunde."
So was Ärgerliches. Kerstin spürt Groll in sich aufsteigen. Hatte sie das nötig? Dieser Schnösel, der ihr eh nicht gefiel. Dieser Banause. Er erdreistete sich, sie warten zu lassen. Und nochmal: Hatte sie das nötig? Sie, 56, ledig, attraktiv, intelligent und gebildet. Sie biss sich auf die Unterlippe. Und ging kurzentschlossen in den Drogeriemarkt. Von einer Einheitsduftwolke umhüllt, roch sie mal wieder an Wässerchen von Lauder, Dior und Sander. Eine halbe Stunde später trat sie vor die Tür. Und sah an der Ecke eine unverkennbar wartende Gestalt, ihr Date. Sie ging auf ihn zu.
„Hallo"
„Wo bleibst du denn?"
„Ich war pünktlich."
Er war, wie erwartet und auch angegeben, nicht sehr groß. Das störte Kerstin