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Liebe laut oder leise: Sechs Liebesgeschichten
Liebe laut oder leise: Sechs Liebesgeschichten
Liebe laut oder leise: Sechs Liebesgeschichten
eBook222 Seiten2 Stunden

Liebe laut oder leise: Sechs Liebesgeschichten

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Über dieses E-Book

Tief wie das Meer ist unsere Sehnsucht nach Liebe.
Sie ist der Kompass unseres Lebens und bestimmt unser Schicksal, ist gleichzeitig unser Anker und unser Steuerrad.

Für die Liebe gibt es keine Schatzkarte. Mal ist sie laut wie ein Sturm auf offener See, mal leise wie sanfte Wellen am Fuße eines idyllischen Strandhauses.

In sechs Erzählungen entführt Alexander Cheers die Leserinnen und Leser in die unergründliche Welt der tiefen Gefühle. Mal geht es auf dem Roller nach Italien, mal mit dem Spaten auf Goldsuche, mal zu Geschichten von früher an Omas Tisch: Liebe findet uns unverhofft. Manchmal für einen Tag, manchmal für immer.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum9. Juni 2021
ISBN9783754131039
Liebe laut oder leise: Sechs Liebesgeschichten
Autor

Ralf Prost

Autor von Liebesgeschichten Wenn Träume wahr werden… Als Fünfzehnjähriger träumte ich einmal davon, am Meer zu leben und ein Buch zu schreiben. Vier Jahrzehnte später, nach einem Leben mit Höhen und Tiefen, habe ich mir diesen Traum erfüllt. Mit meinen Büchern, möchte ich meine Leserinnen und Leser in die Welte der Gefühle und Abenteuer eintauchen lassen. Lasst Euch gedanklich an die schönen Küsten dieser Welt entführen. Mein Herzblut ist Euch sicher… http://www.RalfProst.de

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    Buchvorschau

    Liebe laut oder leise - Ralf Prost

    Rotipa

    »Tina, bitte bleibe hier, das ziemt sich als Verlobte nicht! Du kannst doch nicht einfach für zwei Wochen mit dem Roller nach Italien abhauen«, meinte Stefan, mein siebenundzwanzigjähriger Verlobter.

    »Doch, du musst ja eh an deiner Doktorarbeit schreiben und ich muss hier dringend mal raus! Und überhaupt, das ziemt sich nicht … Was ist das denn für ein bescheuertes antiquiertes Wort?«, erwiderte ich. »Ich bin maßlos enttäuscht von dir«, waren die letzten Worte, die Stefan mir mit auf den Weg gab, bevor ich mich auf meine weiße Vespa, Sondermodell Yacht-Club, schwang.

    Ich war auch enttäuscht. Kein ‚Ich liebe dich‘ oder ‚Ich werde dich vermissen‘. Zugegeben, ein solcher Abschied hätte nicht glaubhaft gewirkt. In unserer Beziehung kriselte es. Mir gelang es immerhin, ihn mit den Worten »Pass auf dich auf, wir telefonieren« zu verabschieden. Mit einer Hand winkend verschwand ich hinter der ersten Kurve in die Freiheit, weg von der Enge unserer Gemeinde Pfinztal bei Karlsruhe. Auf einen Abschiedskuss hatten wir wie selbstverständlich verzichtet. Stefan hatte ohnehin nie gern geküsst. Aus hygienischen Gründen, zumindest behauptete er das. Seine wissenschaftlich fundierten Ausführungen hierzu überzeugten mich nie. Nach meinem Modedesign Studium plante ich, bei meinem Bruder einzusteigen, um in der Kreativabteilung seines Modehauses Bella Kleider zu entwerfen.

    Meine erste Rast peilte ich um die Mittagszeit in Konstanz am Bodensee an. Im Fahrtwind fühlte ich mich von Minute zu Minute unbeschwerter und genoss jeden Meter meiner Fahrt zu meinem heißgeliebten Gardasee. Der Roller und ich sollten auf der Reise, die ich mir anlässlich meines Studienabschlusses gönnte, zu einer Einheit werden. Ich hoffte auf Freiheit ohne die Zwänge des Berufsalltages, der mich bald erwarten würde, und freute mich auf eine unbeschwerte Zeit mit wenig Luxus, aber Sonne und Meer pur. Nun da die stressigen Abschlussprüfungen endlich vorbei waren, sehnte ich mich nach einer sich hoffentlich bald einstellenden inneren Ruhe. Noch war mein Kopf nicht frei, aber meine Abenteuerlust erinnerte mich an die Zeit als pubertierende Jugendliche, als ich zum ersten Mal allein mit einer Freundin eine Radtour unternahm. Meine Gedanken kreisten um den Berufsstart mit meinem Bruder als Chef – was für ein Gedanke! – sowie um die Beziehung zu Stefan. Fühlte sich das alles mit ihm noch richtig an? Auf Stefan war Verlass, aber ich war für ihn zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Als angehender Wissenschaftler für Atomforschung im CERN lebte er in einer anderen Welt. Ich bewunderte seinen brillanten naturwissenschaftlichen Verstand, aber wie war es um seine soziale und emotionale Intelligenz bestellt? Musischen Angelegenheiten gegenüber war er verschlossen, Sozialkontakte waren ihm zuwider. Immer weniger konnte ich damit umgehen, dass er sich fast nie in meine Gefühlswelt hineinversetzen wollte. Die geplante Heirat bedrückte mich, besonders jetzt, da ich auf dem Roller sitzend die Zeit hatte, nachzudenken und in mich hineinzuhören. In den drei Jahren, die wir nun schon zusammen waren, war unser Alltag monoton und vorhersehbar geworden. Umso mehr freute ich mich auf die bevorstehende Zeit in Italien. Meine langen schwarzen Haare wehten wild unter meinem Helm hervor. In den Kurven des Höllentals bei Freiburg atmete ich mit offenem Visier die erfrischende Schwarzwaldluft ein. Ich genoss das wohltuende Gefühl der Unabhängigkeit. Auf der Schnellstraße Richtung Bodensee ereilten mich die düsteren Gedanken an den gestrigen Abend und unseren Abschied. Ich mochte Stefan, aber wo waren unsere Gefühle füreinander geblieben? ‚Es ziemt sich nicht‘. Diese Worte gingen mir nicht aus dem Sinn. Gestern Abend ziemte es sich aber noch, den Herrn sexuell zu verwöhnen. Natürlich unter Einhaltung selbstauferlegter Hygieneregeln. Wir hatten grundsätzlich nur zu festgelegten Zeiten Geschlechtsverkehr, nämlich jeweils am Montag und Freitag um achtzehn Uhr dreißig. Als ich mich am vergangenen Abend dieser Routine widmen wollte, strafte er mich zunächst mit vorwurfsvollen Blicken, weil ich einen Büstenhalter und einen Slip nicht sofort in den Wäschekorb, sondern auf einen Stuhl geworfen hatte. Nachdem er demonstrativ das Aufräumen der Kleidungsstücke übernommen hatte, forderte er mich um achtzehn Uhr zweiunddreißig auf, ihn oral zu befriedigen. Welch ein feinfühliges Vorspiel … Nein, so egoistisch war er nicht immer.Es hatte auch schöne Momente in den letzten drei Jahren gegeben, aber diese waren immer seltener geworden. Obwohl ich nicht die geringste Lust verspürte, bemühte ich mich, ihm Vergnügen zu bereiten. Verkrampft sehnten wir beide seinen Höhepunkt herbei. Trotz aller Anstrengungen konnte ich kein Feuer bei ihm entfachen, sein Orgasmus ließ lange auf sich warten. Ich fühlte mich weder geliebt noch begehrt. In der Vergangenheit war es mir öfter einmal gelungen, aus einem Wissenschaftler einen kleinen Tiger zu machen. Doch gestern blieb mein körperlicher Einsatz umsonst. Ich war nicht der Typ, der eine Beziehung beendete. Viel häufiger suchte ich die Fehler allein bei mir selbst und gab mir die Schuld daran, wenn eine Beziehung nicht funktionierte.

    Am Bodensee angekommen, parkte ich mein geliebtes Gefährt beim Konstanzer Konzilgebäude. Versonnen blickte ich zurück zum Roller. In seinen Chromteilen spiegelten sich die roten Rosen der gegenüberliegenden Blumenrabatte. Ich erstand einen Coffee-to-go und schlenderte die herrliche Uferpromenade entlang. Noch war ich zu aufgewühlt, um innezuhalten, außerdem tat mir die Bewegung nach der ersten langen Etappe gut. Ich lief immer weiter am See entlang in Richtung Strandbad Horn. Erst an einem breiten Kiesstrand ließ ich mich zufrieden nieder. Dort zogen mich die unzähligen Steinskulpturen in ihren Bann. Das Wasser war an dieser Stelle sehr flach und unnatürlich türkisfarben, der See ruhig, keine Wolke am Himmel. Am weit entfernten Horizont ging das Wasser in ein herrliches tiefes Blau über. Ganz friedlich glitten die Silhouetten dreier Segelboote über die spiegelnde Oberfläche. Einige schneeweiße Möwen schwammen ganz nah am Ufer. Dieses Türkis, dieses Licht, es erinnerte mich an die Karibik. Hier wollte ich verweilen. Andächtig lächelnd zündete ich mir einen Joint an. Der erste seit drei Jahren … Unwillkürlich muss ich an meine Freundin Sophie denken: »Echt cool, zwei Wochen auf Spritztour! Das wird dich hoffentlich entspannen. Ich schenke dir zur Sicherheit noch ein paar harmlose Tüten, die rauchst du dann, wirst locker und denkst dabei gefälligst an deine beste Freundin.« Schon nach den ersten Zügen, die mich zunächst leicht hüsteln ließen, stellte sich eine gewisse Gelassenheit ein. Eigentlich war ich doch ein Glückspilz: Ich hatte meinen Studienabschluss in der Tasche und vom lieben Gott ein sehr großes Talent in Sachen Mode geschenkt bekommen. Das Entwerfen immer neuer Kreationen würde wohl stets mein Lebenselixier sein. Trotz aller Selbstkritik war mir bewusst, dass ich eine attraktive junge Frau war. Mit meinen fünfundzwanzig Jahren hatte ich eine fast makellose schlanke Figur. Mein strahlendes Lächeln hatte schon viele Menschen verzaubert. Na ja, Stefans Brille war wohl mit inzwischen zwei Dioptrien immun gegen meine Schönheit geworden. Ich schmunzelte. Egal, jetzt saß ich hier in meiner Ersatzkaribik und versuchte mir die unterschiedlichen Erbauer der Steintürmchen vorzustellen. Sie spiegelten sich im ruhigen Wasser, auf dem reflektierte Sonnenstrahlen tanzten. Die Luft flimmerte regelrecht über der Wasseroberfläche, so heiß war es. Viele der gegen jegliche physikalischen Gesetze stabil stehenden Skulpturen waren sicherlich von in sich ruhenden Künstlern geschaffen worden. Die Werke waren vergänglich, aber verschafften mir in diesen magischen Minuten, gepaart mit dem Joint, eine zunehmende Entspannung. Fast eine Stunde nahm ich mir diese Auszeit. Ich war ganz allein. Es gelang mir, die Gedanken allein auf die Schönheit meiner Umgebung zu lenken. Diese Art der Fokussierung auf die Natur war mir selten gegönnt. Auf einmal näherte sich ein etwa zehnjähriger, spitzbübisch wirkender Junge. Er bewarf den höchsten der Türme, der von Stefan hätte sein können, mit groben Kieselsteinen. Akkurat waren flache Steine von groß nach klein aufeinandergestapelt, physikalisch statisch korrekt. Der Turm war stabil, aber mit der Zeit gelang es dem Jungen, ihn einzureißen.

    Zeitgleich brummte mein Handy. Eine WhatsApp-Nachricht von Stefan: Hallo Tina, du wirst mich vermutlich ewig hassen, aber ich muss es dir endlich sagen: Ich liebe dich nicht mehr. Ich habe vor ein paar Monaten an der Uni eine junge Physikerin kennengelernt, mit der ich so gut zusammenarbeiten kann. Wir passen einfach zueinander. Das Doppelleben halte ich nicht mehr aus. Wenn du zurückkommst, werde ich aus deiner Wohnung ausgezogen sein. Ich habe lange mit mir gekämpft, aber es funktioniert nicht mehr. Pass auf dich auf!

    Was war das? Drei Jahre Beziehung … unsere Verlobung … in ein paar feigen Zeilen digital beendet. Im selben Moment war der Turm zusammengefallen. Welche Ironie des Schicksals! Sollte ich ihn, einem Impuls folgend, anrufen und zur Schnecke machen? Heimfahren und ihm die Augen auskratzen? Ich zündete einen weiteren Joint an. Langsam wich die Wut einem überraschenden Gefühl der Erleichterung. Es hätte auf Dauer nicht mit ihm funktioniert. Der Stil des Schlussmachens war unterirdisch, aber die Trennung längst vorprogrammiert. Da ich ein sehr emotional veranlagter Mensch war, würden wahrscheinlich noch Momente und Tage der Trauer folgen, aber im Jetzt fühlte ich mich eher frei. Mich überfiel fast ein schlechtes Gewissen, dass ich es im Augenblick so einfach nahm. Benebelt bewegte ich meinen Körper wie in einer leichten Trance zurück nach Konstanz. Bei einem Edel-Italiener aß ich ein köstliches Pasta Gericht. Meine Lebensgeister kehrten zurück. So gestärkt gelang es mir nach einigen Telefonaten, für morgen ein Zimmer in Limone zu buchen. Heute Nacht würde ich in mein neues Leben fahren. Die nächtliche Fahrt über den Brennerpass reizte mich. Das Verhältnis zu meiner Vespa war vom ersten Tag an etwas ganz Besonderes. Nach dem zweiten Semester hatte ich mit einem selbstentworfenen Cocktailkleid an einem Mailänder Designerwettbewerb teilgenommen. Das Preisgeld für den dritten Platz betrug genau fünftausend Euro und war bisher mein größter beruflicher Erfolg. Das Geld hatte ich in den Roller investiert. Die Fahrt auf meiner Vespa schenkte mir das Gefühl von Freiheit, Abenteuer, Dolce Vita … Normalerweise war ich ein Angsthase, aber eingemummelt in meine wärmste Jacke wagte ich die nächtliche Fahrt über den Brenner Richtung Gardasee. Das hellblaue Licht meines Displays am Rollertacho setzte sich von der mysteriös dunklen Nacht ab. Es besaß eine oft beschriebene spirituelle Wirkung und ich schien sie zu empfangen. Die Nachtfahrt sensibilisierte mich. Alle meine Sinne waren geschärft und empfangsbereit. Ich hörte die leisesten Geräusche, nahm jeden Geruch überdeutlich wahr. Die einsame karge Landschaft des Brenners, der Fahrtwind, der Nebelschleier der Nacht in den Höhen des Passes … Das Motorengeräusch des Rollers, begleitet vom Wind des Passplateaus. Eine neue, surreale Erfahrung. Im Morgengrauen näherte ich mich dem Gardasee. Der erste Blick auf das Wasser war mir mit dem einhergehenden herrlichen Sonnenaufgang bei Torbole vergönnt. Immer wieder tauchte nach einer Serpentine der See auf. Genau im Lichtkegel der erwachenden Sonne waren Vögel zu erkennen, die sich als kleine bewegende Punkte darin abzeichneten. Auf der kurvenreichen Küstenstraße legte ich mich voller Endorphine in jede Kurve. Italien, ich komme … Trotz der langen Fahrt war ich auf einmal ganz aufgekratzt. Diese mediterrane Landschaft mit ihrem einzigartigen Licht, das jetzt schon sichtbare, am Hang erbaute Städtchen Limone mitsamt den typisch südländisch gekachelten Dächern … Einfach herrlich! Im kleinen, aber schmucken Hotel ganz oben am Hang wurde ich gleich herzlich begrüßt: »Come stai giovane donna?« Ich kannte nur wenige italienische Wörter, dennoch genoss ich diese lebensfrohe, temperamentvolle Sprache. Mir ging es gut, obwohl mein Verlobter gestern Schluss gemacht hatte. Ich durfte frühstücken und danach sogar gleich mein Zimmer beziehen. Nachdem ich die atemberaubende Aussicht genossen hatte, zog ich die schweren lachsfarbenen Vorhänge zu und warf mich in voller Montur aufs quietschende Bett. Mir war ein langer erholsamer Schlaf vergönnt. Als ich erwachte, linste ich durch die Vorhänge und erfreute mich am Anblick der Altstadt-Dächer und des Sees. Ich setzte mich auf einen fast barock anmutenden Stuhl, von wo aus ich das Wasser sehen konnte. Das Polster hatte den gleichen lachsfarbenen Ton wie die Vorhänge. Ich nahm mein Handy und schrieb an Stefan: Ich wünsche dir für deine Zukunft Erfolg, Gesundheit und deinen persönlichen Seelenfrieden. Unsere Trennung war wohl vorherbestimmt und nur eine Frage der Zeit. Es fühlt sich richtig an. Lebe wohl. Was sollten Vorwürfe und Belehrungen? Auf einmal erinnerte ich mich an den unangenehmen Geschmack von Gummi im Mund. Den lustlosen Sex in unserer letzten gemeinsamen Nacht hätten wir uns schenken können! Ich sah die zwei blauen Häkchen hinter meiner Nachricht und schaltete, mir in Gedanken auf die Schulter klopfend, das Handy aus. Das oftmals als magisch bezeichnete blaue Licht meines Tachos kam mir wieder in den Sinn. Das Kapitel Stefan war im wahrsten Sinne des Wortes blau abgehakt. Insgeheim dankte ich dem lieben Gott für diese unumgängliche Wendung in meinem Leben.

    Nach einer wohltuenden Dusche zog ich mir frische Kleidung an – eine Jeans sowie eine weiße Bluse – und eroberte die idyllischen Gassen der kleinen Altstadt. Für den frühen Abend hatte ich mir eine neunzigminütige Massage im Hotel gebucht, wo ich mich einige Zeit später bis auf den Slip nackt wiederfand. Die kleine bildhübsche Italienerin massierte mich mit Öl am Rücken und an den Beinen. Ihre Hände bewegten sich sanft und zugleich professionell im Einklang mit der beruhigenden Hintergrundmusik. Ihre Hände hatten die Eleganz von lieblicher Poesie und brachten mich innerhalb weniger Minuten in eine Sphäre der tiefen Entspannung. Immer wieder durchzuckte ein kleiner Schauer meinen Körper. Ich genoss die Massage in einem Schwebezustand zwischen Schlaf und Traum. Das waren wahrlich gesegnete Hände. Die Kunst der Berührung hatte Stefan nie beherrscht. Wahrscheinlich war mir die Massage gerade deshalb ein üppiges Trinkgeld wert.

    Für den nächsten Tag hatte ich noch keinen Plan, aber mein Roller führte mich wie selbstverständlich zurück nach Torbole, dem Surferparadies. Spontan buchte ich einen Kurs, obwohl ich bereits surfen konnte. Als Jugendliche war ich mehrere Jahre hintereinander hier auf dem Bord unterwegs gewesen. Ich war damals richtig gut. Es war wie mit dem Fahrradfahren. Man verlernt es nicht. Schon nach wenigen Minuten entließ mich der Lehrer mit den Worten: »Bella, you can surf like a pro. Why did you book this course?« Ich spielte tatsächlich wie eine wilde Amazone mit dem Wind. Meine langen wehenden schwarzen Haare und mein flach über das raue Wasser geneigter Körper beeindruckte die anderen Kursteilnehmer. Ich nutzte die Kräfte des Windes optimal für die Geschwindigkeit und alberte mit den anderen sympathischen jungen Leuten herum. Allerdings überschüttete mich der braungebrannte Surflehrer zunehmend mit schleimigen Komplimenten, sodass ich die letzte Stunde lieber allein mit dem Gefühl der Freiheit auf den Wellen genoss.

    Als ich das Bord abgegeben hatte, winkte mich ein an der Küstenmauer sitzender alter Maler herbei. Er hatte mich doch tatsächlich mit wild wehenden Haaren auf dem Bord gezeichnet. Ich verliebte mich sofort in das Bild. Es machte mich stolz und ein klitzekleines bisschen selbstverliebt. Spontan kam mir die Idee, eine Bikini-Kollektion zu entwerfen und ich beschloss, als Vermarktungsstrategie surfende Schönheiten vorzuschlagen. Zur Not würde ich mich selbst als Model zur Verfügung stellen. Tina, jetzt bist du aber wirklich zu selbstverliebt, brachte ich mich innerlich wieder etwas zur Vernunft. Das sonnengegerbte, faltige Gesicht mit der römischen Hakennase und den stechenden Augen erhellte sich zu einem warmherzigen Lächeln, als ich das Bild großzügig bezahlte. In den folgenden vierzehn Tagen war ich sowohl an der Ostküste, der Westküste als auch im bergigen Hinterland mit meiner geliebten Vespa unterwegs. Ich fühlte mich nicht getrieben wie eine klassische Touristin. Ich verpflichtete mich nicht dazu, alle

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