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Symphonia Culinaria: Ein Koch zum Verlieben
Symphonia Culinaria: Ein Koch zum Verlieben
Symphonia Culinaria: Ein Koch zum Verlieben
eBook323 Seiten4 Stunden

Symphonia Culinaria: Ein Koch zum Verlieben

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Über dieses E-Book

Eine Straßenmusikerin, die nach den Sternen strebt.

Ein Fernsehkoch auf dem Tiefpunkt seiner Karriere.

Nika steht kurz vor der Erfüllung ihres großen Traums. Schon einmal hatte sie sich diesen verbaut, als sie blind vor Liebe den Versprechungen ihres Freundes folgte. Nun ist für sie die Zeit gekommen, endlich mit der Vergangenheit abzuschließen.

Benedikt Krohs, ehemals gefeierter Sternekoch, muss nach einem Entzug wieder ganz von vorne anfangen. Seine ruppige Art ist ihm dabei leider keine Hilfe. Unverhofft erhält er ein verlockendes Angebot, das ihn auf eine abenteuerliche Reise quer durch Deutschland führt und sein Leben verändern könnte. Aber ist er dazu auch bereit?

Zwei Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Beide verfolgen ihre Träume und müssen sich am Ende fragen, ob sie nicht den falschen Werten hinterherjagen. Das Schicksal hält nämlich so manche Überraschung für sie bereit.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum25. Juni 2019
ISBN9783743800359
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    Buchvorschau

    Symphonia Culinaria - Loki Miller

    Kapitel 1

    Nika

    Meine Finger berührten ehrfürchtig die elfenbeinfarbenen Tasten der Klaviatur. Unwillkürlich fragte ich mich, wie viele Menschen wohl schon vor mir genau diesen Moment durchlebt hatten? Waren sie ebenso nervös gewesen wie ich? Oder hatten sie cool und lässig ihr Programm abgespult?

    Was ich mit Sicherheit sagen konnte, war, dass wir alle exakt zehn Minuten auf dieser Bühne erhielten.

    Zehn Minuten, die über unsere Zukunft entschieden. Ich rutschte auf dem Klavierhocker ein Stückchen nach vorne und spürte dabei deutlich die über die Jahre entstandene Sitzkuhle. Ich erlaubte mir einen kurzen Blick in Richtung Publikum. In dem Konzertsaal kam ich mir so klein und unbedeutend vor ...

    Nicht darüber nachdenken, ermahnte ich mich, sonst wirst du vor lauter Nervosität noch deinen Auftritt versauen.

    Ich schloss die Augen, atmete tief ein und blendete alles um mich herum aus. Das grelle Licht der Scheinwerfer, das Rascheln und das Getuschel auf den Rängen sowie das flaue Gefühl im Magen verschwanden.

    Übrig blieb vollkommene Ruhe. Ich war eins mit mir. Ganz so, wie ich es von meinem Vater gelernt hatte. Langsam ließ ich den angehaltenen Atem los, spürte, wie sich mein Brustkorb senkte, und öffnete die Augen. Wie von selbst begannen sich meine Finger zu bewegen.

    Das musikalische Talent hatte ich von meinem Vater, einem Konzertpianisten, geerbt. Der war allerdings ganz und gar nicht glücklich darüber, dass ich in seine Fußstapfen treten wollte. Er wünschte sich einen soliden Ausbildungsberuf für mich. Irgendetwas, das absolut nichts mit Kunst zu tun hatte. Musizieren könnte ich ja immer noch als Hobby betreiben. Wirklich ernsthaft interveniert hatte er allerdings nie, denn er wusste ebenso wie ich, dass die Musik mein Leben war und ich sie niemals aufgeben könnte. Sie war in mir und um mich herum wie die Luft zum Atmen.

    Nahezu mein ganzes Leben hatte ich auf diesen Moment hingearbeitet. Als Erstes hatte ich einen leichten Walzer von Brahms vorgetragen. Klassische Musik mochte ich zwar, modernere Stücke waren mir jedoch lieber. Bei ihnen war ich mit mehr Herzblut dabei.

    Zu meiner Freude, hatte die Prüfungskommission als nächstes Lied ein Stück meines Lieblingskomponisten ausgewählt. Obwohl mich die Wahl doch überrascht hatte, weil es eher ein Stück für Fortgeschrittene war, viele Tempowechsel beinhaltete und eine ganz eigene Stimmung erzeugte. Ludovico Einaudi hatte dieses Stück geschrieben, um auf den Schutz der Arktis aufmerksam zu machen. Ich hoffte, dass ich diesem Meister der Klavierkunst gerecht werden konnte. Vor meinem inneren Auge sah ich, wie mein Atem in der Luft gefror. Meterhohe Eisberge knackten, bevor Teile von ihnen abbrachen und krachend ins Meer stürzten. Möwen zogen auf der Suche nach dem nächsten Leckerbissen Kreise über meinem Kopf. Eisschollen trieben knisternd an mir vorbei. Ich setzte meinen Fuß vorsichtig auf eine von ihnen und ließ mich davontragen. Alles schien so lebendig und strahlte doch eine gewisse Ruhe und Stille aus, die ich mit meinem Klavierspiel einzufangen versuchte.

    Es dauerte einen Moment, bis ich in die Realität zurückkehrte. Und auch meine Zuhörer waren noch so gefangen, dass sie nicht reagierten, als die letzten Töne verstummten. Ich ließ die Hände sinken, erhob mich von meinem Platz und verbeugte mich. Als ob der Bann dadurch gebrochen wäre, hielt es niemanden mehr auf den Sitzen. Die Kommission bestand aus zehn Professoren, die mir nun allesamt stehend applaudierten. Eine von ihnen fuhr sich verstohlen über die Augen, was mich berührte.

    Musik war die einzige Sprache der Welt, für die man keine Übersetzung brauchte. Mit ihr konnte man eine Bandbreite an Emotionen erzeugen, wenn man sein Instrument beherrschte. Die Reaktion meines Publikums war für mich die schönste Bestätigung.

    Mit vier Jahren hatte ich das erste Mal am Klavier meines Vaters gesessen. Zwei Jahre später fing ich zusätzlich an Gitarre zu spielen. Mein erstes eigenes Stück komponierte ich in der fünften Klasse. Ich war nicht gut genug, um als Wunderkind zu gelten, aber ich liebte das, was ich tat. Auch wenn ich einen hohen Preis dafür bezahlen musste.

    Und ich liebte es, gemeinsam mit meinem Vater zu musizieren. Das ging nun leider nicht mehr, da seine Finger von der Gicht zu verkrümmt waren. Obwohl er es missbilligte, dass ich Musik studieren wollte, konnte ich jetzt den Stolz in seinen Augen sehen. Von seinem Platz auf den hinteren Rängen strahlte er mich an, gemeinsam mit meiner Mutter, um die er einen Arm gelegt hatte. Mein Herz erwärmte sich bei diesem Anblick und ließ mich versonnen lächeln.

    »Das war großartig! Fantastisch! Sensationell!« Professor Jankowicz kam an den Orchestergraben und überschüttete mich dabei mit Superlativen. Ich verließ die Bühne über die kleine Treppe und gesellte mich zu ihm. »Ich möchte nicht zu viel versprechen, aber wenn Sie bei den anderen Prüfungen keinen Mist bauen, sollte Ihrer Aufnahme nichts im Wege stehen.«

    »Ich danke Ihnen, Herr Professor.« Freudestrahlend schüttelte ich die mir dargebotene Hand. Vor mir lagen noch die allgemeinen Prüfungen in Gehörbildung und Musiktheorie. Für den schriftlichen Teil hatte ich mehr als genug gebüffelt. Der mündliche Teil beinhaltete das Erkennen und Singen von Skalen, Intervallen und Akkorden, das Vom-Blatt-Singen und das Realisieren eines Rhythmus‘. Darüber machte ich mir keine Gedanken, weil ich das schon von klein auf gelernt hatte.

    Ich bedankte mich noch bei den anderen Mitgliedern der Prüfungskommission und ging zu meiner Familie, die mich überschwänglich drückte und herzte. Sie waren extra dreihundertzwanzig Kilometer von München nach Karlsruhe gefahren, nur um mich anfeuern zu können. Ihr einziges Kind würde sie bald verlassen und an der Hochschule für Musik studieren. Wenn alles gutging.

    Seitdem ich verkündet hatte, dass ich zur Aufnahmeprüfung eingeladen worden war, herrschte eine merkwürdige Stimmung in unserem Haus. Sie schwankte zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt.

    Wir verließen den kühlen Konzertsaal, spazierten den Korridor entlang und betraten kurz darauf den Garten. Heute war Sommeranfang. Das Wetter entsprach dem sogar, was in Deutschland ja keine Selbstverständlichkeit war. Die Sonne wärmte angenehm die Haut, Bienen flogen zwischen den Blumenwiesen umher und Vögel zwitscherten in den Bäumen um die Wette. Ich drehte mich um, um die Schönheit der Hochschule auf mich wirken zu lassen. Sie befand sich im Renaissance-Schloss Gottesaue, das auf dem Areal einer ehemaligen Benediktinerabtei errichtet worden war. Die ziegelsteinfarbene Fassade leuchtete im Sonnenlicht und blendete mich fast so sehr wie die goldenen Spitzen der Türme, die das Gebäude umrahmten. Im obersten der fünf Stockwerke würde ich bald den größten Teil meiner Zeit am Klavier verbringen. Mein Ziel war es, ein Solistenexamen abzulegen. Vorher musste ich nächste Woche erneut herkommen, um die allgemeine Prüfung zu bestehen und dann hoffentlich zum Studium zugelassen zu werden. Wenn mir vor einem Jahr jemand gesagt hätte, dass ich diese Riesenchance bekommen würde, hätte ich ihn ausgelacht.

    Mein Vater trat neben mich und folgte meinem Blick hinauf zu den Schlosszinnen. »Ich denke, hier bist du in guten Händen. Die Studenten scheinen mir vernünftig zu sein. Nicht so wie …«

    »Paps, können wir es heute bitte nicht erwähnen?«, unterbrach ich ihn. »Ich will die Vergangenheit hinter mir lassen. Stattdessen mein Glück und meinen ersten Erfolg auf dem Weg in ein neues Leben genießen.«

    »Entschuldige, meine Kleine. Ich wollte nicht schon wieder darauf herumreiten.« Er legte seinen Arm um meine Schulter: »Ich wünschte, ich hätte damals an so einer schönen Uni studieren können.«

    »Paps«, ermahnte ich ihn, weil ich genau wusste, dass er Unsinn erzählte. »Du hast in London an der Royal Academy of Music studiert. Schon vergessen?«

    »Die hatten aber nicht so einen schönen Garten.«

    Ich lachte und schüttelte den Kopf. Die Academy gehörte zu den führenden Musikinstitutionen weltweit und lag in unmittelbarer Nachbarschaft zum Regent’s Park im Herzen von London. Jeder Musiker hätte sich die Beine ausgerissen, um dort studieren zu können. Meinem Vater war das egal.

    Er hätte auch unter einer Brücke gelebt, solange er nur musizieren durfte. In dem Punkt ähnelten wir uns sehr. Meine Mutter liebte seine Leidenschaft zur Musik und verfluchte ihn zugleich dafür, da wir ständig deswegen umziehen mussten. Er war als Solist sehr begehrt gewesen. So hatte ich meine Kindheit nur in Hotels verbracht, da eine Wohnung zu mieten oder gar ein Haus zu kaufen für uns nicht lohnte. Erst als ich schulpflichtig wurde, nahm mein Vater längerfristige Engagements an, die uns nur noch alle zwei bis drei Jahre zwangen, umzuziehen. Wen wunderte es da, dass ich keinen Wert darauf legte, Freundschaften mit Klassenkameraden zu schließen.

    Bis ich David kennenlernte.

    Mich in ihn verliebte.

    Und er versuchte, mich zu zerstören.

    Ben

    »Autsch!«

    Hastig stellte ich den Becher zurück auf den Tisch und wedelte mit meiner Hand durch die Luft, um sie abzukühlen. Das mochte nicht sehr männlich aussehen, aber in meinem Einzelzimmer konnte ich mir so etwas durchaus erlauben.

    Nachdem der Schmerz nachgelassen hatte, beugte ich mich vor, um mich an dem Geruch zu erfreuen, bis der Kaffee auf Trinktemperatur abgekühlt war. Wie gewohnt fächelte ich den Duft zu mir und zog die Luft in meine Lungen ein. Ich freute mich schon auf das Kopfkino, das gleich ausgelöst werden würde. Je nach Herkunftsland der Bohnen konnte das anders aussehen.

    Lamas, die durch die Anden streiften.

    Dunkelhäutige Frauen, die Körbe voller Bohnen auf ihren Köpfen durch die Felder transportierten.

    Sambaklänge, bei denen man nicht stillsitzen konnte.

    Sommer, Sonne, Strand, Meer, Urlaub …

    Spülmittel, Bahnhofstoiletten, Urinstein, Klobürste … »Argh!« Bevor ein Unglück passieren konnte, wendete ich den Kopf ab, hechtete in Richtung Fenster, riss es auf und nahm ein paar Züge der frischen Meeresluft, die Gott sei Dank nicht nach Fisch und Algen stank!

    Dabei schloss ich die Augen und stellte mir vor, wie ich zu Hause meine aus Brasilien importierten Kaffeebohnen mahlte, genau richtig temperiertes, gefiltertes Wasser darübergoss und das pure schwarze Glück in langsamen Schlucken aus einer Porzellan-Designer-Tasse genoss, die mir mein Produzent zu Beginn meiner Karriere geschenkt hatte.

    Gerne würde ich in diese Zeit zurückreisen und meinem damaligen Ich sagen, dass er besser auf uns aufpassen soll.

    Seufzend öffnete ich die Augen und ging zurück zu meiner Sitzecke mit Blick auf das Meer. Wo war ich hier nur gelandet? Angewidert rührte ich mit dem Plastiklöffel in dem Plastikbecher umher, der angeblich Kaffee enthalten sollte.

    Ja, die Flüssigkeit war schwarz und kochend heiß. Hier hörten aber auch schon die Gemeinsamkeiten mit dem Kaffee, den ich kannte, auf. Die Plörre vor mir grenzte an Körperverletzung!

    Man sollte meinen, dass ich mich in den vergangenen zwölf Wochen an das – nennen wir es mal »Essen« - in dieser Einrichtung gewöhnt hatte. Doch mein Gaumen kannte seit Jahren nur das Beste vom Besten. So einfach ließ der sich nicht überlisten.

    Wenigstens konnte ich die Aussicht genießen. Aber das war auch schon alles. Die Zimmereinrichtung war nur auf das Nötigste beschränkt. Kein Fernseher, kein Radio, keine Kommunikationsmöglichkeiten mit der Außenwelt.

    Ich kam mir vor wie ein Mönch in seiner Klosterzelle. Aber ich wusste ja, wofür es gut war. Entweder dies hier oder man hätte über kurz oder lang schon einmal meine Beerdigung organisieren können.

    Gerne hätte ich gewusst, wie spät es war. Leider gehörten Uhren ebenfalls zu den Dingen, die nicht erwünscht waren. Wir sollten lernen, auf unseren Körper und unsere innere Uhr zu hören. Sämtliche Einflüsse von außen waren unerwünscht.

    Irgendwie vermittelte mir besagte innere Uhr, dass Mona zu spät kam. Wieder einmal. Am liebsten hätte ich sie auf der Stelle angerufen und gefeuert, aber ich war leider auf sie angewiesen.

    Ich spürte, wie mich der altbekannte Zorn einzuholen drohte. Wie ich es gelernt hatte, setzte ich mich aufrecht hin, kanalisierte meine Atmung und meine Gedanken. Dann sagte ich mein Mantra auf: »Es ist okay, wenn etwas nicht nach Plan verläuft. Ich muss nicht immer alles kontrollieren. Hektik erzeugt Fehler. Der Besonnene erreicht sein Ziel schneller.«

    Das aufzusagen half nicht immer. Aber es gab mir Halt, wenn ich in meine alten Muster zu rutschen drohte. Ich wusste, dass ich noch einen langen Weg vor mir hatte, und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich keine Ahnung, wie es mit mir weitergehen würde. Das war ein wenig beängstigend, aber irgendwie auch … befreiend.

    Es klopfte an der Tür. »Herein«, antwortete ich voller freudiger Erwartung, bald frei zu sein. Die Tür wurde nur einen Spalt geöffnet, sodass Mona ihren Kopf hindurchstecken konnte. »Bist du angezogen, Boss?«

    Ich verdrehte die Augen, was sie nicht sehen konnte, da ihre geschlossen waren. »Hätte ich dich sonst hereingebeten?«

    »Na ja … Das letzte Mal, als ich dich gesehen habe, hast du nackt auf dem Tresen im Fitnessstudio gehockt, mit den Füßen gescharrt und wolltest ein Ei legen. Das war für alle Anwesenden ein ziemlich traumatischer Anblick.« Mona tastete sich langsam an der Tür entlang in das Zimmer vor, die Augen noch immer zusammengekniffen. »Ich konnte tagelang nicht schlafen. Auch wenn ich zugeben muss, dass du ziemlich gut …«

    »Mona!«, empörte ich mich, während sie kicherte. »Ich war in dem Moment nicht ich selbst. Ich schwöre dir hoch und heilig, dass du mich nie wieder nackt sehen wirst!«

    »Versprochen?«

    »Ja.« Dass mich eine Frau nicht nackt sehen wollte, war eine neue Erfahrung für mich. Bei einigen Auftritten musste mein Management früher sogar Bodyguards an meine Seite stellen.

    Nun, die Zeiten durften endgültig vorbei sein. »Wann geht denn mein Flug?«, fragte ich sie, um das Thema zu wechseln. Meine Assistentin öffnete endlich die Augen, schob sich ihre stylische Brille auf die Nase und tippte auf einem ihrer Hightech-Geräte herum. »Wann immer du willst, Boss. Die Maschine steht bereit. Wenn du fertig bist, können wir in einer Stunde auf dem Rollfeld sein.« Sie redete mit mir, sah mich dabei aber noch immer nicht an. Mein Anblick musste wirklich traumatisierend gewirkt haben.

    »Gut, lass uns gehen.« Ich stand auf, ging zur Tür und betrat den Flur. Ein letztes Mal ließ ich den Anblick der mausgrauen Wände mit den angeblich beruhigenden Tintenklecksbildern auf mich wirken. Die Ärzte in der Klinik waren ihr Geld wert. Das Interieur dagegen ließ zu wünschen übrig. Vielleicht sollte ich unter dem Deckmantel der »Dankbarkeit« meine Innenarchitektin für ein Makeover vorbeischicken.

    So stand ich eine Weile herum, bis mir auffiel, dass Mona noch immer in meiner Mönchszelle verharrte und mich erwartungsvoll ansah. Ich starrte fragend zurück. Schließlich zuckte sie mit den Schultern, ging zum Bett, auf dem mein gepackter Koffer lag, hievte ihn geräuschvoll herunter und zog ihn schmollend an mir vorbei den Flur entlang.

    »Was denn?«, fragte ich unschuldig. Schließlich war sie meine Assistentin und wurde fürstlich dafür entlohnt, mir die Arbeit abzunehmen. Zur Antwort feuerte Mona einen giftigen Blick in meine Richtung und beschleunigte ihre Schritte, sodass ich Mühe hatte hinterherzukommen. Innerlich sprach ich ihr meinen Respekt dafür aus, da ihre Füße in zehn Zentimeter hohen Pumps steckten.

    Am Ausgang der Klinik angekommen, wappnete ich mich für das Blitzlichtgewitter. Doch anstatt einer Meute Klatschreporter erwartete mich … niemand.

    Obwohl, … das war so nicht korrekt. Der ortsansässige »Club der Landfrauen« war durch zwei stark übergewichtige Hausfrauen im Kittel vertreten, die stolz ein Banner mit der Aufschrift »Let me be your Sushi Roll« hochhielten.

    »Muss ich den Schriftzug verstehen?«, flüsterte ich Mona zu, die die beiden Damen daraufhin erst wahrnahm. Dann lachte sie lauthals.

    »Weißt du noch, als du in einer Sendung so in deine selbstgemachten Sushi verliebt warst, dass du sie zärtlich geküsst hast, bevor du dann mit der Zunge …«

    »Ja, schon okay«, unterbrach ich sie gequält, als die Erinnerung zurückkam. Die Pillen hatten meinen Sexualtrieb verstärkt und meine Hemmschwelle dafür sinken lassen. Tolle Kombination. Kein Wunder, dass sie mich in eine Irrenanstalt eingewiesen hatten. Ach nein, so durfte ich das ja nicht nennen. Offiziell hatte ich ja nur eine kreative Pause eingelegt.

    Winkend schritt ich an den Damen vorbei, die daraufhin verzückt quietschend zu Teenagern mutierten. Eine von ihnen nahm all ihren Mut zusammen und sprach mich an: »Herr Krohs, dürfte ich Sie um ein Foto bitten?«

    Ich nickte. Dann schlang sich, schneller als ich zurückweichen konnte, ein Arm um meine Hüfte und zerquetschte mich fast.

    »Und jetzt bitte hübsch lächeln«, befahl die andere Dame. Ich gab mein Bestes, während sie ein Foto nach dem anderen schoss. Ich versuchte, Mona mit Blicken zu signalisieren, dass sie einschreiten solle, doch die war wie immer mit ihrem Hightech-Gerät beschäftigt. Dann tauschten die Damen die Plätze und die nächste Fotosession folgte.

    Bevor mein Kiefer vom gezwungenen Dauergrinsen verkrampfte, löste ich mich sanft, aber bestimmt aus der Umklammerung. »Es hat mich sehr gefreut, meine Damen. Leider wartet ein Flieger auf mich, den ich nicht verpassen darf.«

    »Oh, natürlich, wir wollen Sie ja nicht aufhalten«, beeilte sich die eine zu versichern und die andere nickte, dass ihr Doppelkinn wackelte. »Danke, dass Sie sich überhaupt die Zeit genommen haben. Ich bin schon seit Jahren ein riesen Fan von Ihnen und werde Ihnen auch immer treu bleiben. Zu welchem Sender werden Sie denn wechseln?«

    »Wechseln?«, fragte ich verwirrt. »Wieso sollte ich …?«

    Mona ergriff meine Hand und zerrte mich hinter sich her. Den beiden Damen rief sie zu: »Tragen Sie sich in den Newsletter seiner Homepage ein. Und folgen Sie ihm auf Twitter, Instagram, Facebook, Snapchat und dem Charity Hashtag seiner Stiftung KrohsCooksForKids. Dort hält er seine Fans immer auf dem Laufenden.«

    »Tue ich das?« Meine Verwirrung wuchs ins Unermessliche. Dass ich eine Homepage hatte, war mir neu. Und von dem letzten Satz hatte ich nur verstanden, dass ich offensichtlich eine Stiftung gegründet hatte.

    »Na ja, so indirekt. Als deine Social Media Managerin übernehme ich das natürlich für dich.«

    »Ach so«, antwortete ich und hatte noch immer keinen blassen Schimmer, wovon meine Assistentin (Verzeihung – Social Media Managerin) redete. »Und was meinte die Frau damit, zu welchem Sender ich wechseln werde? Gibt es irgendetwas, das ich wissen muss?«

    Mona verstaute mein Gepäck im Kofferraum der wartenden Limousine und hielt mir anschließend die Tür zum Font auf. »Ach, du kennst doch die Medien. Die erfinden gerne Gerüchte. Mach dir keine Gedanken. Wir fliegen jetzt erst mal zurück nach Frankfurt. Deinen Termin mit Flavio hast du erst in ein paar Wochen. Dann könnt ihr besprechen, wie es weitergehen soll.«

    »In ein paar Wochen erst? Und was mache ich in der Zwischenzeit? Wieso ist er eigentlich nicht hier? Von meinem Manager hätte ich das irgendwie erwartet«, murmelte ich vor mich hin, während ich in der Limousine Platz nahm. Drinnen wartete ein gekühltes Kokoswasser auf mich – ganz so, als ob ich nie weggewesen wäre.

    »Er wollte dir Zeit geben, bevor er dich mit den Alltagsdingen überfällt.«

    »So ist er eben. Ständig um mich besorgt.« Den Sarkasmus konnte ich nicht aus meiner Stimme heraushalten. Nicht aufregen ..., ermahnte ich mich.

    Während der Wagen sich in Bewegung setzte, warf ich einen letzten Blick auf die Klinik. Eigentlich war es mir hier ganz gut gegangen, schoss es mir durch den Kopf. Gleich darauf fragte ich mich, wie ich auf diesen absurden Gedanken kam. Schon hatten wir das Ende der Auffahrt erreicht und fuhren die Landstraße entlang in Richtung Flughafen.

    Kapitel 2

    Nika

    »Nika, Schatz. Du musst aufstehen!« Die Stimme meiner Mutter riss mich aus meinen Träumen. Ich öffnete die Augen und musste meine Gedanken sortieren. Ist heute nicht Samstag?, schoss es mir in den Kopf. Direkt danach fiel mir ein, dass ich ja schon länger keine Schülerin mehr war, sondern eine dreiundzwanzigjährige Erwachsene, die samstags arbeiten musste. »Verdammt!«, fluchte ich und schlug die Decke zurück.

    Seit meinem Vorspielen und den allgemeinen Prüfungen waren mehrere Wochen vergangen, und noch immer hatte ich nichts von der Hochschule gehört. Diese Ungewissheit trübte meine Laune extrem. Die Aussicht, jetzt in Arbeitsklamotten schlüpfen zu müssen, anstatt mit meiner Gitarre durch die Gegend zu ziehen, trug ihr Übriges dazu bei. Vielleicht hatte ich ja Glück und es war nicht viel los. Das war der einzige Gedanke, der mich ein wenig tröstete.

    »Niikaa«, flötete meine Mutter wieder.

    »Jaahhaa«, gab ich ebenso flötend zurück. »Ich bin waahaach.«

    »Okaayy.«

    Ich musste lachen. Mum wollte früher Opernsängerin werden und hatte bis heute nicht akzeptiert, dass sie vollkommen unbegabt war. So trällerte und flötete sie bei jeder Gelegenheit vor sich hin und trieb dabei meinen Vater und mich in den Wahnsinn. Je mehr wir uns aufregten, umso schiefer sang sie. Im Laufe der Zeit hatten wir gelernt, einfach nichts mehr zu sagen und still zu leiden.

    Frisch geduscht saß ich kurz darauf am Frühstückstisch. Am Wochenende gemeinsam zu frühstücken war ein Ritual, dass sich unabgesprochen in unseren Alltag integriert hatte, seitdem Paps nicht mehr auftreten konnte.

    Heute war kein guter Tag.

    Ich konnte sehen, wie er unter Schmerzen litt, während er versuchte, sein Brötchen aufzuschneiden. Niemals würde er um Hilfe bitten.

    Mum löste die Situation geschickt, indem sie den Korb mit den Brötchen vom Tisch nahm, zur Spüle trug und dabei sagte: »Entschuldigt bitte, dass ich kein Brötchenmesser auf den Tisch getan habe. Ich schneide sie schnell auf.«

    Paps lächelte sie aufrichtig dankbar an. Ich liebte und bewunderte meine Eltern für ihre Beziehung. Nach all den Jahren teilten sie noch immer alles miteinander. Freude und Trauer, Glück und Leid. Einmal hatte ich meine Mutter gefragt, warum sie meinen Vater liebte. Ihre Antwort war: »Er kann das, was ich nicht kann. Und umgekehrt genauso.«

    Vielleicht hätte ich damals auch jemanden als Partner auswählen sollen, der mich ergänzte. David war das genaue Gegenteil gewesen. Ich wollte ihn glücklich sehen, er wollte um jeden Preis besser sein als ich.

    Gestärkt und gut gelaunt verließ ich wenig später das Haus. Als mir der Bus vor der Nase wegfuhr, fragte ich mich wie jedes Mal, warum ich noch immer keinen Führerschein gemacht hatte.

    Weil der Verkehr in München eine einzige Katastrophe ist und es sich irgendwie bisher einfach nicht ergeben hat, rief ich mir die Antwort ins Gedächtnis.

    Alles Grummeln half ja doch nichts, also begab ich mich zur nächsten U-Bahn-Station. Auf dem Weg dorthin überlegte ich mir eine Ausrede für meine Chefin, da ich bei meinem Glück bestimmt zu spät kommen würde. Man kannte ja die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der Bahn …

    Wie durch ein Wunder schaffte ich es doch noch, pünktlich am Marienplatz anzukommen. Von dort war es nur noch ein kurzes Stück zu meiner Arbeit. Vor der Tür tauschte ich meine Turnschuhe gegen weiße Gesundheitslatschen, strich mein blaues Kleid und die Schürze mit den Rüschen zurecht und betrat den Delikatessenladen.

    Als meine Eltern mich vor fünf Jahren zum ersten Mal zum Essen hierhin ausführten, war ich geblendet von den vielen goldenen Auslagen, die mit allem gefüllt waren, was das Herz begehrte. Feinste handgefertigte Pralinen, eine eigene Lachsmanufaktur, aromatische Käsesorten von Kühen, die auf naturbelassenen Alpenwiesen grasten, über einhundert verschiedene Kaffee- und Teesorten, Weine, Spirituosen, Schinken, Wurst, Marmelade, Essige und Öle.

    Gerade hatte ich dafür leider keinen Blick. Ich eilte in die Geschenkabteilung, in der ich heute eingesetzt war. Katja, eine meiner Lieblingskolleginnen und ein Urgestein in dem Laden, sah mich tadelnd an: »Hast du ein Glück, dass die Chefin heute Urlaub hat.«

    »Ich bin doch noch pünktlich«, sagte ich und riskierte einen unauffälligen Blick auf die Standuhr, die Kaiser Franz gehört hatte. Sagte die Chefin zumindest … Sie zeigte neun Uhr fünfundzwanzig an.

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