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Nocturne
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eBook590 Seiten11 Stunden

Nocturne

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Über dieses E-Book

Savannah Marshall ist eine talentierte Flötistin und Angehörige des Musiker-Adels, als sie an das New England Conservatory of Music, ein Elitekonservatorium, geht. Sie ist brillant, vielseitig und passioniert, sie lebt Musik, aber sie ringt mit ihren Plänen für die Zukunft.

Gregory Fitzgerald ist einer der angesehensten Cellisten seiner Generation. Als Mitglied des Boston Symphony Orchestra und Professor am Konservatorium ist er nur auf seine Karriere fixiert. So sehr, dass er auch Freunde, Familie und vor allem Liebe aus seinem Leben ausschließt.

Als sich die Wege von Gregory und Savannah im Kursraum kreuzen, fordert das mehr als nur ihre sehr unterschiedlichen Ansichten über Musik heraus. Freundschaften, Moral und Karrieren werden aufs Spiel gesetzt, als die beiden eine Symphonie aus Leidenschaft und Herzschmerz spielen.

Im Schlusssatz stehen Gregory und Savannah vor ihrer größten Herausforderung, weil der Verlust von absolut allem, was sie für wahr hielten, droht.

SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum17. Dez. 2017
ISBN9781311874733
Nocturne
Autor

Charles Sheehan-Miles

Charles Sheehan-Miles has been a soldier, computer programmer, short-order cook and non-profit executive. He is the author of several books, including the indie bestsellers Just Remember to Breathe and Republic: A Novel of America's Future.

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    Buchvorschau

    Nocturne - Charles Sheehan-Miles

    nocturne_internal

    Andrea Randall

    Charles Sheehan-Miles

    Nocturne

    aus dem Amerikanischen

    von

    Dimitra Fleissner

    Bücher von Andrea Randall

    In The Stillness

    Something's Come Up (mit Michelle Pace)

    Bar Crawl

    Chasing Kane

    Jesus Freaks

    Sins of the Father

    The Prodigal

    The Broken Ones

    November Blue

    Ten Days of Perfect

    Reckless Abandon

    Sweet Forty-Two

    Marrying Ember

    Bo & Ember

    mit Charles Sheehan-Miles

    Nocturne

    Become a Full-Time Author: Practical Tips, Skills and Strategies to Turn Your Writing Hobby into a Career

    Bücher von Charles Sheehan-Miles

    Thompson Sisters

    (mit Dimitra Fleissner)

    Ein Song für Julia

    Sternschnuppen

    Ein Blick aus der Ewigkeit

    Vergiss nicht zu atmen

    Die letzte Stunde

    Thompson Sisters / Rachel's Peril

    (mit Dimitra Fleissner)

    Mädchen der Lüge

    Mädchen der Wut

    Mädchen der Rache

    Fiction

    Matt & Zoe (mit Dimitra Fleissner)

    Republic: A Novel of America's Future

    Insurgent: Book 2 of America's Future

    Prayer at Rumayla: A Novel of the Gulf War

    Inhalt

    Prelude

    Gregory

    Savannah

    Teil Eins

    Kapitel 1

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 2

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 3

    Gregory

    Savannah

    Kapitel 4

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 5

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 6

    Gregory

    Savannah

    Kapitel 7

    Gregory

    Savannah

    Kapitel 8

    Savannah

    Gregory

    Savannah

    Kapitel 9

    Gregory

    Savannah

    Kapitel 10

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 11

    Gregory

    Savannah

    Kapitel 12

    Gregory

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 13

    Savannah

    Gregory

    Savannah

    Kapitel 14

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 15

    Gregory

    Savannah

    Kapitel 16

    Gregory

    Savannah

    Kapitel 17

    Savannah

    Gregory

    Teil Zwei

    Kapitel 18

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 19

    Gregory

    Savannah

    Kapitel 20

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 21

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 22

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 23

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 24

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 25

    Gregory

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 26

    Gregory

    Kapitel 27

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 28

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 29

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 30

    Gregory

    Savannah

    Kapitel 31

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 32

    Savannah

    Gregory

    Kapitel 33

    Savannah

    Coda

    Gregory

    Danksagung

    Nachwort zur deutschen Ausgabe

    Prelude

    Gregory

    Als ich zur nächsten Kandidatin, die den Raum betrat, aufschaute, ertappte ich mich sofort dabei, Punkte abzuziehen. Ihr dunkelblondes Haar war lang und flog in ungebändigten Locken in alle Richtungen. Sie trug einen ärmellosen Pullover, einen grauen Rock, der unangemessen kurz war, er endete recht weit über ihren Knien, und dazu lange schwarze Stiefel. Sie sah aus, als ob sie zu einem Date gehen würde. Eine junge Frau, die so attraktiv war, dass einem der Atem ein bisschen wegblieb. Sie stellte ihre Noten auf einen Notenständer und dann stand sie mit einem selbstsicheren Gesichtsausdruck vor uns.

    James schob eine Akte zu mir über den Tisch und sagte leise: „Savannah Marshall. Sie hat einen etwas unkonventionellen Hintergrund."

    Ich hob meine Augenbrauen. Sein Gesichtsausdruck war nicht deutbar.

    Ich öffnete die Akte und ignorierte dabei absichtlich das Mädchen, das vor uns stand. Ich schaute über ihre Bewerbung. Wie die meisten Bewerber, die heute Morgen vorspielten, war sie im letzten High School Jahr. Sie hatte eine beeindruckende Anzahl Auftritte in ihrer Bewerbung aufgeführt, aber einige davon waren… merkwürdig. Veranstaltungsorte, von denen ich noch niemals gehört hatte und eine breit gefächerte Auswahl Musik, nicht nur Klassik. Das war für künftige Studenten des Konservatoriums ungewöhnlich. Insbesondere hatte sie einen Sommer aufgeführt, während dem sie mit einer Rockband getourt war, vermutlich durch Scheunen und Kaufhäuser, da sie ja noch unter einundzwanzig war und deshalb nicht in Kneipen auftreten konnte, wo solche Bands üblicherweise spielten. Ich klappte die Akte zu. Ich gab ihr kaum eine Chance. Ich hatte nicht vor, Studenten aufzunehmen, die ihre Musik nicht ernst nahmen.

    Ich hatte oft genug selbst vorgespielt, auch wenn es schon ein paar Jahre her war. Ich konnte die Sehnsucht in ihren Augen sehen, aber wie sie ihre Fassung behielt, war beeindruckend. Die meisten Vorspiele diesen Vormittag waren nervöse Angelegenheiten gewesen. Schwitzende Hände, fallengelassene Instrumente, schweres Atmen, das typische total verängstigte Verhalten von Teenagern bei einem Vorspiel, das ihr Leben verändern konnte. Es kamen jedes Jahr so viele Leute her, die von Musik träumten. Sie war anders. Ihr Selbstbewusstsein deutete an, dass ein Versagen keine Option war. Oder dass es ihr einfach egal war, was ihrem Outfit nach zu urteilen wahrscheinlicher war. Mal sehen, dachte ich.

    Ich wedelte mit meiner Hand, winkte sie zu uns heran. „Bitte fangen Sie an."

    Sie hob ihren Arm und die Querflöte an ihren Mund. Ihr Pullover schob sich leicht nach oben und entblößte einen Zentimeter Haut über ihrem Rock. Sehr unangemessen. Ihr Stand war allerdings sehr präzise. Sie nickte mit ihrem Oberkörper leicht dem Klavierbegleiter zu, der daraufhin zu spielen begann.

    Das Stück war eine Etüde von Paul Jeanjean, ein ziemlich schweres Stück für Fortgeschrittene. Ich lehnte mich vor, stützte meinen Ellbogen auf dem Tisch auf und umfasste mein Kinn mit meinem Daumen und Fingern, dabei zupfte ich müßig an meinem Bart. Ihr Spiel war akkurat. James, der neben mir saß, lehnte sich auch auf seinem Stuhl nach vorne, seine Augen waren konzentriert. Er hörte das Gleiche wie ich. Sie war etwas Besonderes. Mit Abstand das beste Vorspiel, das wir gehört hatten, und sie hatte erst ein paar Takte gespielt.

    James lehnte sich zu mir rüber, so als wollte er etwas sagen. Ich bewegte mich nicht. „Sie ist gut", murmelte er.

    „Schhhhhhh." Ich wollte die Musik hören, nicht seine Kommentare.

    Es war selten, dass man ein so ausgewogenes Vorspiel hörte. Ihr Ton war rein, und das Timing und ihre Intonation waren fast perfekt. Als sie ihr erstes Stück beendete, wedelte ich wieder mit meiner Hand und sagte: „Fahren Sie fort."

    Sie begann mit ihrem zweiten Stück, ein Mozart Konzert in D-Dur. Ich machte ein paar Notizen am Rand ihrer Bewerbung, dann schaute ich sie mir nochmals an. Bisher hatte sie gute Noten an der High School, auch wenn wir noch kein Abschlusszeugnis von ihr hatten. Ich schaute mir ihre Empfehlungsschreiben an. Sie waren glänzend. Eines sprang mir ins Auge. Die Empfehlung kam von einem privaten Musiklehrer aus Philadelphia, den ich kannte und respektierte.

    Ich schloss die Akte erneut und hörte einfach nur zu. Savannah begann mit ihrem letzten Stück, der Dutilleux Sonatine. Ein ambitioniertes Stück, aber eines, das Studenten oft versuchten. Schön, wenn es richtig gespielt wurde. Ein Desaster wenn nicht.

    Als die Klavierbegleitung begann, holte sie langsam Luft, sammelte sich. Dann hob sie die Flöte an ihre Lippen. Ihr Klang war vorzüglich und sie war so selbstsicher, dass man meinen konnte, sie war sich gar nicht mehr bewusst, dass wir anwesend waren. Ihr Oberkörper bewegte sich zur Musik, und als sie die schwerste Stelle erreichte, die volle Aufmerksamkeit benötigte, schloss sie ihre Augen, ignorierte die Noten und spielte einfach.

    Ich ertappte mich dabei, wie ich den Atem anhielt. Savannah war eine außerordentlich talentierte Musikerin. Ich schloss meine Augen, erfreute mich an dem vollen Klang, seinem Tempo und seiner Schönheit. Ich würde einem Schüler sowas niemals sagen, aber sie war jetzt schon fast gut genug, um für das Sinfonieorchester vorzuspielen. Wir mussten sie am Konservatorium haben. Wir mussten über ihr Talent wachen, es fördern.

    Ich öffnete erneut die Akte, machte einige Notizen und lehnte mich dann nah zu James. „Wir müssen sie haben. Wenn sie es sich nicht leisten kann, besorg ihr ein Stipendium. Was auch immer nötig ist."

    Er nickte zustimmend.

    Savannah beendete ihr Spiel. Ich sah ihr für eine kurze Sekunde in die Augen. Sie hatte einen überschwänglichen Gesichtsausdruck, ein fantastisches Lächeln. Nicht die Panik und die Angst, die ich gewohnt war bei Schülern vor und nach einem Vorspiel zu sehen. Sie wusste es. Was gefährlich war, denn zu viel Selbstsicherheit konnte dazu führen, dass man faul wurde.

    Ich wusste, wie ich damit umgehen musste. Ich hob meine Hand zu einem abweisenden Winken. „Wir werden uns bei Ihnen melden", sagte ich mit so kalter Stimme, wie es mir möglich war. Dann drehte ich mich um, wartete nicht darauf, ihre Ernüchterung zu sehen.

    Savannah

    Acht Minuten und neunundvierzig Sekunden.

    Ich hatte mir mein zeitgenössisches Werk für den Schluss aufgehoben, und nur dieses Stück trennte mich noch vom Ende meines Vorspiels. Es war nicht so, als ob ich schon immer auf das New England Conversatory gehen wollte, nein, ich wusste immer, dass ich dorthin gehen würde. Für mich war es die einzige Option. Als ich als Neunjährige zum ersten Mal eine Flöte in der Hand hielt, war da sofort eine Verbindung gewesen. Es war mir bestimmt, Querflöte zu spielen. Jetzt, fast neun Jahre später, stand ich vor der wichtigsten Jury, vor der ich je gespielt hatte. Ich holte Luft und begann mit der Dutilleux Sonatine. Jede Sekunde dieser Komposition, in Teilstücken und auch vollständig, hatte ich schon so oft gespielt, dass ich sie im Schlaf hören konnte. Ich kannte sie in- und auswendig. Die gesamten acht Minuten und neunundvierzig Sekunden. Ich war überhaupt nicht nervös. Ich hatte mich mehr als mein halbes Leben lang hierauf vorbereitet.

    Das ist eine Lüge. Ich machte mir fast in die Hose vor Angst.

    Ich hatte nur acht Minuten und neunundvierzig Sekunden, um die nächsten vier Jahre meines Lebens zu besiegeln, welche wiederum den Rest meines Lebens besiegeln würden. Ich hatte die vorhergehenden drei Stücke hervorragend gespielt, jetzt blieb nur noch dieses eine übrig.

    Bevor ich zu spielen begann, warf ich einen letzten Blick auf meine Juroren. Ich sah, wie jemand vom Studentenbüro ihm erneut meine Akte zuschob. Gregory Fitzgerald. Auch wenn die Mitglieder der Jury aus einer Reihe von Gründen vorab nicht bekanntgemacht wurden, kannte ich doch alle Professoren und Musiker der Schule. Ich war mir sicher, dass man Gregory Fitzgerald einzig und allein in das Gremium mitaufgenommen hatte, um uns einzuschüchtern. Er war Cellist. Der Cellist. Er spielte im Boston Symphonieorchester und unterrichtete am Konservatorium. Sein Ruf als Musiker war unangefochten. Er war einer der jüngsten Musiker, schon gar unter den Cellisten, dem man einen Platz im BSO zugebilligt hatte. Wenn die Gerüchte stimmten, die Nathan mir erzählt hatte, dann hat man ihn fast angefleht, sich zu bewerben und vorzuspielen.

    Sein Ruf als Mensch war allerdings weniger eindrucksvoll. Er hatte eine Gabe Studenten so zu erniedrigen, dass sie sich fühlten, als wüssten sie gar nichts. Niemand braucht diese Form von herber Negativität in seinem Leben. Von mir aus konnte er der düstere, grüblerische, einsiedlerische Stereotyp eines Musikers sein, mir war es egal.

    Aber es war schwer, ihn nicht anzuschauen. Soviel musste ich ihm lassen. Die strenge Aura, die ihn wie eine Wolke umgab, verschwand für eine kurze Sekunde, als er zu dem Mann neben ihm etwas sagte und ihm ein halbes Lächeln schenkte. Kleine Fältchen formten sich am Rand seiner Augen und bewiesen, dass er hin und wieder lächelte. Und es stand ihm gut.

    Da ich nicht wollte, dass er dachte, dass ich ihn zwischen den Stücken auch nur eine Sekunde zu lange anstarrte, nickte ich dem Pianisten zu und begann zu spielen. Das Stück beginnt mit einer sehr tiefen Note, wenn man ein hohes Instrument spielt, kann man einen solchen Ton schnell total verpatzen. Aber es hat einfach nur damit zu tun, wie man hineinbläst. Nichts wirklich Schweres. Meine größte Angst galt einer Stelle kurz vor der dritten Minute. Wenn man die Noten für diese Stelle anschaut, dann sieht es aus wie eine sehr steile Treppe, die erst hinauf und dann herunter führt. Wenn ich nicht aufpasste, würde es sich anhören, als ob ich sie herunterfiel. Es passiert leicht, dass die Finger den Augen davonlaufen, vor allem an schnellen Stellen, und das würde das Stück ruinieren. Alles ruinieren. Also tat ich, als ich die Stelle erreichte, etwas, dass ich bisher nur ein einziges Mal getan hatte, und ich kann immer noch nicht glauben, dass ich das während des wichtigsten Vorspiels meines Lebens gemacht habe. Ich schloss meine Augen.

    Die Noten kamen leicht in meine Finger, sie waren in jede Faser meines Körpers gewebt. Meine Finger schwebten über die Klappen und meine Zunge fühlte sich leicht an, während ich die schwierigen Läufe spielte. Die Freiheit, die man erlangt, wenn man Rock und Jazz spielt, ist aufregend und belebend. Die Zeit, die ich letzten Sommer mit den The Howling Toddlers auf Tour im Dreiländereck verbracht hatte, hatte mir erlaubt, mit meinem Instrument neue, kreative Möglichkeiten auszuprobieren. Aber die Geborgenheit und Struktur und die pure Schönheit klassischer Musik fühlte sich erdend an. Wie zu Hause. Für die verbleibenden fünf Minuten versank ich in dem Stück, in den Noten, im Klang. Wenn ich hätte lächeln können, ohne es zu versauen, hätte ich es getan. Ich wollte weinen. Als ich die letzten Töne gespielt hatte und meine Augen öffnete, bekam ich eine Gänsehaut.

    Ich hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.

    Gregory Fitzgerald sah mir in die Augen, während ich die Flöte vor mich hielt. Sein prüfender Blick führte dazu, dass ich mich schockierend nackt fühlte. Ich hatte gedacht, ich hätte meinen Vorrat an Adrenalin während des letzten Stückes aufgebraucht, aber jetzt schoss es erneut durch meine Venen. Seine rechte Augenbraue zuckte nach oben, bevor er wieder hinunter zu meiner Akte schaute. Der Rest seines Gesichtsausdrucks veränderte sich nicht. Er wedelte schrecklich arrogant mit seiner Hand, bevor er sagte: „Wir werden uns bei Ihnen melden." Ich versuchte, meine Schultern nicht hängen zu lassen, aber sein Tonfall war wie ein Schlag in die Magengrube.

    Trotzdem lächelte ich, nickte und ging hinter die Bühne.

    Arschloch. Er wusste, dass ich es auf den Punkt gebracht hatte.

    Als ich durch die Tür in den Flur des Backstagebereichs trat, begrüßte mich Nathan mit einem breiten Lächeln.

    „Und?", fragte er und breitete seine Arme aus.

    Nathan war bereits hier Student, aber ich kannte ihn schon seit Jahren. Wir schienen uns durch die vielen musikalischen Sommer Camps quer durch Neuengland zu folgen, seit ich zehn und er elf Jahre alt gewesen waren. Er spielte auch Flöte und hatte mir Mut gemacht, während ich mich für das Vorspiel vorbereitet hatte.

    Als wir schließlich weit genug von der Bühne, der Musik und der Möglichkeit, es doch noch zu vermasseln, entfernt waren, ließ ich zu, dass ein paar nervöse Tränen meine Augen füllten, während ich lächelte. „Ich hab’s geschafft!"

    „Ja!, rief er, legte seine Arme um meine Hüfte und wirbelte mich herum, bevor er, während er mich wieder absetzte, meine Stirn küsste. „Ich bin so stolz auf dich, Savannah.

    Ich boxte ihm spielerisch gegen die Schulter, dann begann ich, meine Flöte zu zerlegen. „Was zur Hölle hatte Gregory Fitzgerald dort zu suchen? Hat er nicht genug Erstsemester zum Quälen?"

    Nathans verspielt aussehende braunen Augen wurden groß. „Was? Er war dort?"

    „Ja, natürlich war er dort. Warum sollte ich nicht einen der striktesten Juroren für den wichtigsten Tag meines Lebens haben? Ich verdrehte meine Augen und packte die Noten in meine Tasche, bevor ich den Reißverschluss zuzog. Dabei spürte ich immer noch den Effekt seiner kristallblauen Augen, als er mein sorgfältig ausgesuchtes Outfit begutachtete. „Ich hoffe, ich komme nicht in ein Ensemble, das er betreut. Er schien von mir nicht sehr beeindruckt zu sein.

    „Autsch, seufzte Nathan, „hat er dir für deine Zeit gedankt, oder sowas? Er hatte bereits einen rücksichtsvollen Gesichtsausdruck.

    „Nein, er sagte: Wir werden uns bei Ihnen melden."

    Nathans Lächeln kehrte zurück, er griff nach meinen Schultern und schaute mir direkt in die Augen. „Bist du sicher, dass er das gesagt hat?"

    „Ähm… ja. Das hat er gesagt und dabei wie ein Arschloch mit seiner Hand gewedelt." Ich wiederholte die Bewegung seiner Hand, dabei bekam ich ein flaues Gefühl im Magen. Vielleicht hatte mein Spiel doch nicht so gut geklungen wie ich dachte. Vielleicht kam es mir nur so vor und ich hatte es in Wirklichkeit total vermasselt.

    Nathan drückte meine Schultern und lächelte breiter, als ich es je bei ihm gesehen hatte. „Du hast es geschafft, Baby. Du hast es geschafft."

    Teil Eins

    Drei Jahre später

    Kapitel 1

    Savannah

    „Ich bin froh, dass wir diesen Kurs so lange aufschieben konnten, bis Madeleine ihn als Dozentin übernommen hat." Nathan streckte seinen Arm in Richtung der Rückenlehne meines Stuhls aus, während wir uns für einen der letzten Pflichtkurse in Musiktheorie bereitmachten.

    Es war das Sommersemester meines vorletzten Jahres – es war sein letztes – auch wenn der Boden immer noch mit Schnee bedeckt war, denn es war Ende Januar. Ich war begeistert, einen Kurs bei Madeleine White zu belegen. Sie war eine Flötistin und ich hatte die Ehre gehabt, während der letzten paar Jahre immer wieder mit ihr arbeiten zu dürfen. Und sie war, seit ich am Konservatorium war, meine persönliche Tutorin. Was aber noch viel wichtiger war, sie teilte einige unserer liberalen Einstellungen zur Musik.

    „Ich bin ganz deiner Meinung. Unsere letzten beiden Kurse waren schrecklich langweilig. In diesem Semester haben wir zumindest eine Chance, wach zu bleiben." Ich kicherte und legte meinen Kopf für eine Sekunde auf seine Schulter.

    Nathan und ich waren Naturtalente an der Querflöte. Das ist keine Angeberei – es war eine verdammte Erleichterung. Wir lernten schwierige Stücke schneller und konnten die hohen und tiefen Oktaven früher spielen als die meisten unserer Mitschüler. Das eröffnete uns hier am Campus eine Menge Möglichkeiten.

    Man könnte meinen, dass wir uns aufgrund unserer technischen Fähigkeiten durch die vielen historischen Stücke in der Bibliothek gruben, um Stücke zu spielen, die lange vor der Gründung Amerikas komponiert worden waren. Aber wir taten manchmal genau das Gegenteil. Wir spielten mit der Musik. Wir versuchten, unser Talent in etwas anderes zu verwandeln, etwas das Spaß machte und lebendig war. Es ist irgendwie schaurig Stücke zu spielen, die während der Pestepidemien geschrieben wurden, als die Welt total zerfiel. Aber in der Lage zu sein, Noten, die vor vielen Kulturen und Sprachen geschrieben worden sind, in etwas Frisches, Neues zu verwandeln war belebend. Wir wussten, dass White genauso dachte. Und obwohl ich wusste, dass wir in dem Kurs viele praktische Grundlagen der Musik und der Tonleitern und die Art und Weise, wie Stücke aufgebaut waren, lernen mussten, war ich froh, dass ich diese langweiligen Dinge mit Madeleine durchnehmen würde, die sehr intelligent und offen war. Während wir zusammen in Musik-Camps waren, hat sie uns immer gebeten, sie Madeleine zu nennen, ich fragte mich, ob sie das hier in der Klasse auch machen würde.

    „Es ist schon zehn nach. Nathan rutschte auf seinem Stuhl herum. Er kann nicht lange stillsitzen. Es ist übrigens urkomisch ihm dabei zuzusehen, wie er versucht, das während eines Auftritts unter Kontrolle zu halten. „Wo zur Hölle ist sie?

    Genau in dem Moment ging die Tür auf und die Klasse seufzte in einer Mischung aus Enttäuschung, weil die Studenten bleiben mussten und Erleichterung, dass es anfing.

    „Was zur Hölle?" Ich stöhnte, während Nathan einen Bleistift aus seiner Tasche holte.

    Er setzte sich auf und schaute zur Tür. „Was macht er hier?"

    Es war Gregory Fitzgerald, die Selbstgefälligkeit in Form eines Cellos, der bei meinem Vorspiel vor drei Jahren dabei gewesen war. Wie man sehen konnte, war ich am Konservatorium aufgenommen worden. Ich war nicht nur aufgenommen worden, während der ersten Monate hatte ich von der Jury auch immer wieder lobende Worte gehört. Von allen, außer ihm.

    Wie auch immer.

    Ich hatte ihn während meiner drei Jahre am Campus selten gesehen, aber jetzt, drei Jahre später, kam er in Madeleine Whites Kurs über Musiktheorie. Mit seinem Cellokoffer. Er hatte immer noch den gleichen Bart, auch wenn er ein kleines bisschen kürzer war. Er war ordentlich gestutzt, aber er machte ihn älter als er war. Ich wusste, er war einunddreißig. Vermutlich war das genau seine Absicht. Ich habe mal ein Interview mit ihm gelesen, im Newsletter des BSO, den meine Großeltern jedes Vierteljahr erhielten, zusammen mit den Newslettern der anderen vier Big Five Orchester. Der Reporter hatte ihn gefragt, was er darüber dachte, dass er einer der jüngsten Ersten Cellisten in der Szene war. Er hatte es abgewiegelt, und argumentiert, dass Alter und Erfahrung durch harte Arbeit übertrumpft werden konnten. Sein dunkles Haar schien noch keine grauen Strähnen zu haben, aber ich dachte, dass sich das bald ändern würde, wenn er niemals seinen finsteren Blick ablegte.

    „Ladies und Gentleman, verkündete er ohne Bedauern. „Bei Madeleine White gab es leider einen persönlichen Notfall und deshalb wird sie das ganze Semester nicht unterrichten.

    Nathan lehnte sich zu mir rüber und flüsterte in mein Ohr: „Und sie konnten niemand anderen als heutige Vertretung finden als ihn?"

    Ich zuckte mit den Schultern. „Wir sollten Madeleine nach dem Kurs anrufen und fragen, ob alles okay ist", flüsterte ich.

    „Ich weiß. Ich möchte mir wirklich keinen neuen Tutor suchen müssen. Ich arbeite schon seit einer Ewigkeit mit ihr zusammen."

    „Wie mitfühlend." Ich schlug gegen Nathans Arm und rutschte auf meinem Stuhl etwas zur Seite, bevor ich meinen Blick wieder auf unseren neuen, attraktiven Professor richtete.

    „Also, fuhr Fitzgerald fort. „Ich werde diesen Kurs übernehmen. In der Klasse war eine misstönende Mischung aus Unmut und Jubelrufen zu hören.

    Gott.

    Gregory Fitzgerald wurde von den Studenten überraschenderweise sehr kontrovers gesehen, wenn man bedachte, wie wenig er tatsächlich mit der Studentenschaft zu tun hatte. Die meisten waren sich über seine Fähigkeiten einig, man konnte kaum etwas dagegen sagen, dass er einer der Besten in seinem Fach war. Und die meisten Frauen schienen sich auch über sein Aussehen einig zu sein. Während die Männer um uns finster dreinblickten, weil sie nun nicht den Kurs bei der hübschen Madeleine White hatten, wurden die Frauen rot und grinsten. Sie hatten plötzlich viel mehr Interesse an Musiktheorie. Seine Anziehungskraft kam nicht ausschließlich von seinen klaren blauen Augen, sondern von der Art und Weise wie er mich anschaute. Wie Beute, so als hätte er die ganzen Studentinnen begutachtet und sich dann für mich als Ziel entschieden.

    Atmen.

    Als es darum ging zu mutmaßen, wie er zu seinem Ruhm als Cellist gekommen war, gingen die Meinungen allerdings auseinander. Man wusste, dass er, bevor er als einer der Besten akzeptiert worden war, zwanzig Stunden am Tag geübt hatte. Klar, das war vermutlich ziemlich normal. Aber, dass er jetzt immer noch strikte Übungszeiten einhielt, war nicht mehr normal. Man munkelte, dass es zehn bis fünfzehn Stunden täglich waren, und an Tagen, an denen er auftrat, nur leicht weniger. Üben, Üben und noch mehr Üben war eindeutig sein Ruf. Meine Begeisterung über den Musiktheoriekurs in diesem Semester war von einer Sekunde auf die andere dahin.

    „Wenn Sie dann alle fertig und bereit sind, sich wie die Erwachsenen zu verhalten, für die die Regierung Sie hält, können wir anfangen." Er legte seinen Cellokoffer auf den Boden neben dem Podium und begann mit der trockensten Einführung in einem Musiktheoriekurs für höhere Musikstudenten, die es jemals in der Menschheitsgeschichte gab. Er stellte sich nicht mal vor. Das brauchte er nicht, aber dass er wusste, dass er es nicht brauchte, ging mir wirklich unter die Haut.

    Nathan legte erneut seinen Arm um meine Schultern. „Entspann dich, Hübsche. Es wird ein schrecklich langes Semester werden."

    Als Fitzgerald am Ende seines Vortrags angelangt war, beobachtete ich den Sekundenzeiger der Uhr, ich war mir sicher, dass er absichtlich langsamer wurde. Ich wippte ängstlich mit meinem Knie auf und ab, als Gregory dabei war zu erläutern, warum Musiker bestimmte Tonleitern in einer bestimmten Reihenfolge lernen sollten und wie sich das dann in bestimmten klassischen Stücken wiederfand. Er verließ das Podium und die Studenten begannen auf ihren Stühlen herumzurutschen, ihre Taschen zu packen, einige standen auf. Er griff nach seinem Cello und ging zu einem Stuhl im vorderen Teil des Podiums. Ich schaute zu Nathan hoch, er zuckte einfach mit seinen Schultern und drehte sich zurück zu Gregory. Ohne seinem Kurs noch etwas zu sagen, ohne auch nur eine einzige Person aufzufordern, sich wieder hinzusetzen oder still zu sein, begann er zu spielen.

    Es war Bachs Cello Suite Nr. 1 in G-Dur. Jeder kennt sie. Sogar Leute, die nichts mit Musik tun haben, würden das Stück am ersten Takt erkennen, auch wenn sie nicht wussten wie es hieß. Ich runzelte meine Stirn, versuchte herauszufinden, warum er so ein leichtes Stück spielte. Vor allem, da ich wusste, was er wirklich alles spielen konnte. Meine Güte, selbst ich könnte es vermutlich spielen, wenn ich etwas Zeit an einem Cello verbringen würde.

    Als er den dritten Takt erreicht, war es schockierend eindeutig. Plötzlich waren keine weiteren Studenten im Raum und ich bemerkte kaum, wie Nathan neben mir stand und sich nicht bewegte. Mein Blick war auf Gregorys Hände fixiert. Sein Gesicht. Die Art, wie sich sein Körper jedes Mal leicht bewegte, wenn sein Bogen sich so verführerisch über die Seiten strich. Es dauerte keine zehn Sekunden und er war Musiker. Genau wie der Rest von uns. Okay nein, er war überhaupt nicht wie der Rest von uns. Er war perfekt. Es war perfekt. Seine Augen waren geschlossen, und als das Stück ungefähr vor den letzten zwölf Sekunden ruhiger wurde, waren seine Augenbrauen zusammengezogen, während er die Pause auskostete. Ich hielt den Atem an, mein Hals war vor Erwartung wie zugeschnürt. In meinen Augen waren Tränen wegen der absoluten Schönheit dieses im Grunde elementaren Stücks, das er auf ein Level brachte, von dem ich nicht wusste, dass es existierte.

    Ich atmete erst dann vorsichtig aus, als er das Ende des Stückes erreichte. Dann räusperte ich mich und schaute hoch zu Nathan, der immer noch mit offenem Mund dastand. Es lag nicht daran, dass wir gerade eine bahnbrechende Vorführung angesehen hatten, oder dass im Raum deshalb Totenstille herrschte. Es lag daran, dass wir gerade einem Musiker mit einem unglaublich strengen Ruf dabei zugesehen hatten, wie er ihm gerecht wurde. Und das in einem Kursraum voller Studenten, die davon träumten, auch nur einen Bruchteil seines Talents zu haben. Direkt vor unseren Augen.

    Er legte den Bogen auf seinen Beinen ab und öffnete seine klaren, blauen Augen. „Die Stunde ist zu Ende."

    Gregory

    Nur ein Semester. Das war alles, womit ich zurechtkommen musste… ein Semester, während dem ich meine Aufmerksamkeit auf arrogante, störende Teenager richten musste, meine Zeit in einem Kurs verschwenden musste, den ich niemals hatte unterrichten wollen. Ich hoffte, dass Madeleine in der Lage sein würde, den Kurs vor Ende des Semesters wieder zu übernehmen, aber es war unwahrscheinlich, wenn man bedachte, wie kompliziert die Operation an ihrem Handgelenk gewesen war. Sie würde ihre Freizeit mit Physiotherapie verbringen und damit, wieder spielen zu lernen. Das konnte ich verstehen. Während ich um die Ecke bog, um den Flur an den Übungsräumen entlangzugehen, schauderte ich bei dem Gedanken, wie Madeleine monatelang nicht spielen zu können.

    Die Übungsräume waren weitgehend schallgeschützt, also war ich überrascht, als ich die hohen Töne einer Flötenmelodie im Flur hören konnte. Der Ton war stabil, der Klang schön, aber die Noten waren durcheinander. Es klang nicht nach Jazz – den kann ich zumindest auf einem technischen Level würdigen, nicht aber wenn es um den Klang oder die Komposition geht – es klang wie eine Art Rockmusik. Plötzlich hörten die Töne auf und die hypnotisierende Melodie des Entr’acte von Carmen überwältigte meine Sinne. Obwohl es, was die Noten und den Rhythmus angeht, ein ziemlich einfaches Stück ist, ist es eine Herausforderung, es schön zu spielen. Es ist vorwiegend in der hohen Oktave in piano und mezzo-forte zu spielen. Das ist vor allem für untrainierte Kehlen schwierig, die eher dazu neigen, durch die hohen Oktaven zu schmettern als wären sie eine Marschkapelle.

    Als ich das Ende des Ganges erreicht hatte, begann das Stück, direkt nachdem es geendet hatte, von neuem. Es klang noch schöner als beim ersten Mal. Ich wusste, dass es nicht Madeleine war, auch wenn der Klang ihrem Spiel sehr ähnlich war. Es musste einer ihrer Studenten sein. Madeleine war gründlich und fordernd bei der körperlichen Anleitung ihrer Studenten, sie lehrte sie, ihren Hals offen und den Ton gleich stark zu halten. Es war für alle Flötisten gut, das zu lernen, aber Madeleine war in der Lage ihre Studenten so anzuleiten, dass sie große Ausdauer zeigten. Eine Neugier, die ich normalerweise bei Blasinstrumenten nicht hatte, zog mich zu dem Raum. Dabei dachte ich, dass es vermutlich eine andere Professorin oder ein Professor war. Der Klang kam mir aber zu bekannt vor, um von jemand zu kommen, den ich nicht kannte. Als der zweite Durchgang von Entr’acte beendet war, war wieder der mir unbekannte Rocksong zu hören.

    Normalerweise gehört es sich nicht, hinter jemand herzuspionieren, der übt, aber es irritierte mich, dass der Spieler nicht bei der Sache bleiben konnte. Wie konnte jemand von einer klassischen Oper zu diesem unkultivierten Krach wechseln und dann wieder zurück? Ich hob meine Augenbrauen, als ich Savannah Marshall sah. Sie stand mit dem Rücken zu mir vor einem Notenständer. Ihre Kontrolle über die Töne hielt meine Ohren gefangen. Obwohl sie Musik spielte, mit der ich nichts anfangen konnte, war ich nicht in der Lage wegzuschauen. Ich erinnerte mich noch an ihr Vorspiel vor drei Jahren, als wäre es gestern gewesen, denn ich hatte in all meinen Jahren noch keine siebzehnjährige Flötistin mit so guten Fähigkeiten gehört. Aber ich hatte damals gedacht, dass es vor allem daran gelegen hatte, dass sie bei einem Vorspiel zur Höchstform auflief.

    Einige Leute haben Lampenfieber. Das ist der Grund, warum viele Musiker im Laufe der Zeit zu Medikamenten gegen Angstzustände und Betablockern griffen, um ihre Nerven zu beruhigen. Andere Musiker wiederum sind bei einem Vorspiel am besten, können dieses Level aber sonst nicht halten. Ich hatte angenommen, dass das bei Savannah der Fall war. Ich konnte mich noch an ihre fast eingebildete Art während ihres Vorspiels erinnern, und auch an ihr ständiges Flüstern während meiner Ausführungen im Kurs ließen mich annehmen, dass sie Musik einfach nicht ernst nahm.

    Die junge Frau vor mir war allerdings ganz sicher eine Musikerin. Ihre Haltung war perfekt, und sie schwankte genug, um zu zeigen, dass sie die Musik fühlte, aber nicht so sehr, dass es aufgesetzt wirkte. Plötzlich, so als spürte sie, dass sie beobachtet wurde, nahm sie die Flöte von den Lippen und drehte sich um. Sie schien nicht verwundert zu sein, während sie mich mit ihren großen braunen Augen ansah, die anscheinend feucht waren.

    „Sie sollten wirklich die Türe schließen, Miss Marshall." Ich biss mir innen auf die Wangen, um auf meinem Gesicht keinerlei Lob zu zeigen, dabei legte ich meine Hand auf die Türklinke.

    Sie räusperte sich und schüttelte ihren Kopf. „Es tut mir Leid, Mr. Fitzgerald. Sie können sie jetzt aber offen lassen, ich bin fertig."

    Während sie zum Stuhl an der Tür ging und damit begann, ihre Flöte zu zerlegen, sie zu reinigen und jedes Teil wieder in den Kasten zu legen, ließ ich die Türklinke los. Das Instrument war wunderschön. Der untere Teil hatte eine rotgoldene Farbe mit silbernen Klappen und im goldenen Mundstück waren Verzierungen eingraviert. Das war eine ziemlich hochwertige Flöte für eine Studentin – auch am Konservatorium. Irgendjemand glaubte fest an sie, diese professionelle Flöte kostete locker zehn- bis fünfzehntausend Dollar.

    „Sie haben da ein sehr schönes Instrument." Ich versuchte, meine Stimme beiläufig zu halten, ich wollte nicht, dass sie bemerkte, dass ich unbedingt wissen wollte, wie sie an so ein Instrument gekommen war. Ich hatte auf das Haus meiner Großmutter, das in der besten Gegend von Boston lag, eine Hypothek aufgenommen, um mein Cello zu kaufen. Denn wenn man ein Instrument so gut spielen kann, dann gibt man alles, um ein herausragendes Instrument zu bekommen. Auch sein ganzes Leben.

    „Danke, antwortete sie. „Mein Vater hat sie mir während der Winterferien geschenkt. Ich bin noch in der Eingewöhnungsphase, aber ich liebe sie. Während sie sprach, erhellte sich ihr Gesicht.

    „Er muss viel von Ihnen und Ihrem Talent halten, Savannah."

    Ihre Augen schauten direkt zu mir und sie runzelte ihre Stirn, als sie versuchte, meine Aussage zu verarbeiten.

    „Ich bin hier am Konservatorium, nicht wahr?, schoss sie zurück. „Das hier ist nicht nur ein Hobby für mich, Mr. Fitzgerald. Sie kicherte in sich hinein, dabei schloss sie ihren Flötenkasten und packte ihn in eine größere Tasche.

    „Das Stück, das Sie gespielt haben…", begann ich.

    „Das Entr’acte? Was ist damit?" Sie schlüpfte in ihre Jacke und legte sich den dazu passenden Schal um den Hals.

    „Ist das nicht ein ziemlich einfaches Stück für eine Studentin?" Ich hielt ihr die Tür auf, sie ging hindurch und kam hinaus zu mir in den Flur.

    Sie drehte sich auf ihrem Absatz um, um mich erneut anzuschauen. „Das war die Bach Suite, die Sie letzte Woche in unserem Kurs gespielt haben, auch."

    Unerklärlicherweise folgte ich ihr den Flur entlang. Sie hatte ein etwas blumiges Parfüm aufgelegt. Es war nicht aufdringlich, aber es hing bei jedem ihrer Schritte in der Luft.

    „Ja, aber das war das Stück, wegen dem es sich für mich gelohnt hat Cello spielen zu lernen. Es war das erste wirklich klassische Stück, das ich einstudierte und der Aufwand hat sich gelohnt. Ich räusperte mich, war von meiner Ehrlichkeit gegenüber einer Studentin schockiert. „Ich habe aber bestimmt keine Zeit mit Rockmusik verschwendet. Ich hob meine Augenbrauen in ihre Richtung.

    Savannah blieb stehen. „Und das Entr’acte ist mein Stück. Es war das erste wirkliche Stück, das ich spielen konnte. Ich war zehn…" Ihr Blick ging wie ihre Stimme ins Leere, und sie ignorierte meinen Seitenhieb bezüglich der Auswahl ihres anderen Stückes.

    „Zehn?, fragte ich. „Das ist eine ziemlich ambitionierte Stimmlage für eine junge Flötistin.

    „Meine Mutter spielte damals bei Carmen mit. Ich hörte das Lied und wollte sofort lernen es zu spielen. Also habe ich es geübt. Es war so, als ob wir zusammen spielten." Ihre Stimme klang immer noch distanziert.

    Ah, ihre Mutter war also Flötistin. Das ergab natürlich Sinn. Die meisten Studenten hatten zumindest ein Elternteil, welcher Musiker war, oder versuchte, Musiker zu sein.

    „Ihre Mutter spielt also an der Oper? An welcher?", fragte ich, als wir die Tür nach draußen erreichten. Ich liebte die Oper.

    Savannahs Augenbrauen zogen sich ein bisschen zusammen, bevor sie mich entspannt anlächelte. „Ich muss zurück ins Wohnheim. Entschuldigen Sie die offene Tür, Mr. Fitzgerald. Ich werde in Zukunft daran denken, sie zu schließen." Ein Schwung eisig kalter Luft traf mich, als sie schnell das Gebäude verließ.

    „Ist schon gut, Miss Marshall", murmelte ich der zufallenden Tür entgegen. Sie hatte meine Frage nach ihrer Mutter nicht beantwortet.

    Vor zwei Jahren war ich für ein Konzert im National Arboretum in Washington DC gewesen. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie die Sonne durch das Glas geschienen hatte, an den leisen Klang des Wassers im Springbrunnen und die schöne Musik, während wir gespielt hatten. Aber vor allem erinnerte ich mich an den leichten Duft von Lilien, der über mich gezogen war, als ich gespielt hatte, er war fast betäubend gewesen.

    In diesem Moment wurde es mir klar. Das Parfüm, das ich vorher nicht zuordnen konnte. Ich war niemals ein Garten- oder Blumenliebhaber gewesen, aber an diesen Geruch erinnerte ich mich. Das war der Geruch des Parfüms, das sie aufgelegt hatte.

    Der leichte Geruch von Lilien hing in der Luft, als die Tür zufiel und ich allein im Gang stand.

    Kapitel 2

    Savannah

    Ich setzte mich in Musiktheorie auf meinen Stuhl und lehnte mich zu Nathan hinüber. „Fühlst du dich besser?"

    Er schaute mich verschlafen an. Er hatte einen Kater und es geschah ihm ganz recht.

    „Nicht wirklich", murmelte er. Ich vermute, seine Stimme war gerade mal so laut, wie seine Kopfschmerzen es erlaubten.

    Wir waren am Abend zuvor zusammen ausgegangen, zum Abendessen und auf ein paar Drinks. Bei ihm waren es mehr als nur ein paar gewesen. Das hatte dann zu einem komischen Moment geführt, als wir zurück zum Schulgelände gegangen waren. Er hatte angehalten, seine Füße hatten währenddessen in den Schnee gekickt, und er hatte mich angeschaut.

    „Savannah?" Er hatte das Wort gelallt.

    Ich hatte meine Augenbrauen gehoben und mich zu ihm umgedreht. Er hatte mir in die Augen geschaut, und ich in seine. Dabei hatte er verlorener ausgesehen, als ich ihn je erlebt hatte. Ich hatte gespürt, dass ich etwas hätte sagen sollen – er hatte gleichzeitig verärgert, traurig und verwirrt ausgesehen. Bevor ich meinen Mund hatte öffnen können, hatte er seinen Kopf geschüttelt.

    „Vergiss es", damit hatte er das Ganze beendet.

    Ich hatte ihn nicht bedrängt. Wir waren weiter zum Wohnheim gegangen.

    An diesem Morgen sah er ein bisschen besser aus, aber nur ein bisschen. Seine Haut war wie ausgewaschen, sie sah unter den Sommersprossen auf seiner Nase und seinen Wangen blass aus, und seine Augen waren gerötet. Es sah Nathan nicht ähnlich, so viel zu trinken.

    Die Tür zum Seminarraum wurde aufgerissen und Fitzgerald marschierte herein. Er lehnte seinen Cellokoffer vorsichtig gegen die Wand, zog seine Jacke aus und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Ein paar Schneeflocken widersetzten sich seinem Versuch, sie wegzuwischen.

    Er ignorierte uns alle, ging an die Tafel und begann darauf zu schreiben. Gegenbewegung. Spiegelung. Verhältnis. Spirale. Begleitung.

    Er drehte sich um. Seine blauen Augen blickten an mir vorbei, fixierten Nathan für ein paar Sekunden, dann wanderten sie weiter zu den anderen Studenten im Raum. Auf seinem Gesicht formte sich ein unnachgiebiges Runzeln, seine Haltung signalisierte Anspannung, gezügelte Bewegung und Intensität.

    „Mr. Connors. Können Sie für die Klasse nochmals die drei Voraussetzungen nennen, damit eine musikalische Komposition als strenger Kanon bezeichnet werden kann?"

    Meine Augen schauten schnell zu Nathan. Heute Morgen konnte er schon froh sein, wenn er sich an seinen eigenen Namen erinnern konnte. Er war offensichtlich verkatert, also konnte ich nichts anderes annehmen, als dass Fitzgerald ihn deshalb absichtlich drangenommen hatte.

    Nathan rutschte auf seinem Sitz herum und sein Gesicht wurde dabei sogar noch ein bisschen weißer. Er räusperte sich: „Ähm… die zweite Stimme… darf nicht von der ersten abweichen…oder sie ist ähm…oder sie ist eine kontrapunktische Variation… ähm… die zweite Stimme beginnt später… außer wenn…"

    Nathans Stimme verstummte und er schloss seine Augen.

    „Mr. Connors, ich habe Ihnen allen letzte Woche erklärt, dass ich erwarte, dass Sie sich auf die Stunde vorbereiten. Das ist Material, dass wir letzten Freitag durchgenommen haben und Sie hatten das ganze Wochenende Zeit, es zu lernen. Wie wollen Sie sonst der heutigen Stunde folgen können?"

    Ich hob meine Hand. Fitzgerald ignorierte sie.

    Nathan hielt seine Augen geschlossen und holte tief Luft. „Sir, bitte entschuldigen Sie, ich fühle mich heute Morgen nicht gut."

    Fitzgerald starrte Nathan weiter an, also sagte ich schließlich etwas und hoffte, damit seine Aufmerksamkeit vom ganz offensichtlich leidenden Nathan abzulenken. „Die drei Voraussetzungen sind: Die zweite Stimme muss entweder genau der ersten entsprechen oder eine kontrapunktische Variation sein. Die zweite Stimme beginnt nach der ersten, außer bei einem Spiegel- oder Krebskanon. Die Riposta

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