Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Mädchen, Mystik und Musik und meine Metanoia: Eine siebziger Jugend
Mädchen, Mystik und Musik und meine Metanoia: Eine siebziger Jugend
Mädchen, Mystik und Musik und meine Metanoia: Eine siebziger Jugend
eBook292 Seiten3 Stunden

Mädchen, Mystik und Musik und meine Metanoia: Eine siebziger Jugend

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Im Anfang war die Faszination: Von Musik und von Mädchen.
Seine Sehnsucht nach einem selbst bestimmten, kreativen Leben führt den Schüler in die „68er Revolution“ und schließlich in die psychedelische Bewegung.
Als Mitbegründer der legendären Lord’s Family, einer Musikkommune im Altmühltal, will er gemeinsam mit 15 Männern und Frauen die Vision einer gewaltfreien, mystischen und künstlerischen Gesellschaft verwirklichen. Seine Suche nach mystischer Erfahrung bringt ihn jedoch bald an die Grenzen seines Traums. Die ersehnte Begegnung mit dem LICHT verändert sein Leben grundlegend: Metanoia.
Ein spannendes Stimmungsbild der siebziger Jahre, das nicht den Klischees von den 68ern, vom Kommunenleben, sexueller Revolution und Drogenkonsum erfüllt.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum30. Apr. 2014
ISBN9783735776778
Mädchen, Mystik und Musik und meine Metanoia: Eine siebziger Jugend
Autor

Sepp Kuffer

Sepp Kuffer, geb. 1948, lebt in der Nähe von Bamberg, zusammen mit seiner Frau Ruth. Vier erwachsene Kinder. Außer seiner Berufstätigkeit in einer Pflegeeinrichtung leitet er Wortgottesdienste, malt, macht Musik und schreibt.

Ähnlich wie Mädchen, Mystik und Musik und meine Metanoia

Ähnliche E-Books

Biografien – Literatur für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Mädchen, Mystik und Musik und meine Metanoia

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Mädchen, Mystik und Musik und meine Metanoia - Sepp Kuffer

    wünsche.

    Faszination

    Die erste Wahrnehmung einer Linie, die jemand mit Bleistift oder Feder auf weißen Grund malt, geheimnisvolles Zeichen aus dem Nichts. Magischer Augenblick der Schöpfung, aus der Hand eines Menschen.

    Ein Ton, erzeugt von einer Saite, von einer Luftsäule, von einer Membrane – du kannst ihn hervorrufen, es ist dein Ton. Du kannst die Töne zusammenfügen, es sind deine Klänge. Magie des schwingenden Universums.

    Du begegnest einem anderen Kind. Es ist wie du und es ist ganz anders. Es rührt dich eine ganz andere Schwingung an, eine Sehnsucht, deren Erfüllung noch in den Abgründen des Sternenhimmels schläft.

    Das sind Lichtstrahlen, die durch die Türen und Fenster unserer noch träumenden Kinderseele fallen. Sie fallen in uns hinein und bahnen unseren Weg. Dies ist nichts Geringes; es ist tiefe Erfahrung der Wirklichkeit, wenn wir sie auch noch nicht benennen können und scheinbar wieder vergessen.

    Platten

    Irgendwann Anfang der Fünfziger, als meine Eltern bereits am Erhardschen Wirtschaftswunder teilnahmen, kauften sie den ersten Plattenspieler, ein Gerät namens Dual, lange bevor wir den ersten Volkswagen unser Eigen nannten. Ein flacher Kasten, von hellem Kunststoff ummantelt, mit einem schwarzen gerillten Plattenteller mit Gummibelag und dem organisch geformten beigefarbenen Tonarm, der an seiner Spitze den Saphir trug, der, so schärfte man mir ein, aufs äußerste zu schützen und mit größter Sorgfalt zu behandeln war.

    In mein Leben traten damit die schwarzen Scheiben mit Zarah Leander, Marlene Dietrich, mit Peter Kräuder am Kamin. Beim Meditieren der Plattenhülle rätselte ich lange, was der gewaltige schwarze Konzertflügel, vor dem der Musiker stand, mit einem Schornstein zu tun hat. Die Langspielplatten Perlen der Tanzmusik, Festliche Stunden mit dem Largo von Händel, dem Halleluja aus dem Messias, mit allem, was Bertelsmann in die Häuser schickte. erregten meine Begeisterung. Bald schon, mit dem sich erweiternden Musikhorizont meiner Eltern, waren es Peggy Lee mit Fever – die berühmte Aufnahme mit Fingerschnippen, Kontrabass und den genialen Drums – die Rhapsody in Blue von Gershwin, der Bolero von Ravel. Ende der fünfziger Jahre hörten wir die ersten Jazz-Platten: Louis Armstrong, Benny Goodman, Miles Davis, Charlie Parker.

    In meinem Elternhaus wurde gerne und oft gefeiert. In den Nachkriegsjahren gab es immer irgendeinen Anlass. Sie feierten mit Hartwurst und Streichkäse, ergattertem Schwarzgebrannten, später waren es die russischen Eier und Wodka mit jenen wunderbar nach Marzipan schmeckenden Kirschen. Dazu Max Gregers Moskauer Nächte mit Tiflis auf der Rückseite, das ich besonders liebte.

    Wenn es keinen Anlass zum Feiern gab, erfand man einen. Immer gab es auch Musik und es wurde getanzt.

    Sehr bald schon wollte ich selbst Musik machen. Ich wollte nichts nachspielen, sondern mich faszinierte die Möglichkeit, selbst Töne zu erzeugen. Der Ton. Der Klang. Das Phänomen des Erklingens, die Gestaltung und Organisation des akustischen Ereignisses. Die selbst erfundene, die selbst geschaffene, die eigene Musik. Das war Magie. Die ergriff mich auch beim Hören der Schallplatten und Radioprogramme. Die Geräusche, die der Radio bot, wenn ich den Zeiger auf unbekannte Städte drehte, ließen mich deren Entfernung ahnen.

    Es gab noch keine Wertung. Ein Zustand vollkommener Freiheit, den spätere musikalische Bildung zunehmend verengte und den ich erst sehr viele Jahre später annähernd wieder erreichen sollte. Mit zwölf hörte ich begeistert Operetten, Jazz, Klassik und die Schlager der Nachkriegszeit, die tiefe Gefühle in mir auslösten. Im Bayerischen Rundfunk Rundfunk gab es die Life-Sendung Das weiss-blaue Karussell. Der Kapellmeister Raymond Rosenberger ließ sich zu Sendebeginn vom Publikum einige Begriffe von lokaler Bedeutung zurufen und eine Melodie geben, aus denen er bis zum Ende der Sendung ein neues Lied mit komplettem Arrangement für das Orchester schuf, das vor dem begeisterten Publikum einmal und nie mehr aufgeführt wurde. Die Sendung wurde jedes Mal aus einer anderen Stadt übertragen und ich ließ mir kaum eine entgehen, war jedes Mal gespannt, wie Rosenberger die neue Aufgabe meistern würde. Den Roider Jackl und seine Gstanzln, von deren Inhalt ich außer der Namen Adenauer und Erhard wenig verstand, Bally Prell als Schönheitskönigin von Schneizelreuth, ich durfte sie noch life hören.

    Wolfgang der Gärtnersohn, mein Banknachbar fast während der gesamten Volksschulzeit, lernte schon in der sechsten Klasse Volksschule Akkordeon spielen. Fasziniert nahm ich an seinem Notenstudium teil. Meine erste Komposition entstand sofort, nachdem ich Tonleiter und Notenschrift nur halbwegs verstanden hatte. Mit solchem Unterricht musste ich noch warten, weil meine Eltern mich erst nach acht Klassen Volkschule in die siebenklassige Form des Musischen Gymnasiums übertreten lassen wollten, wo das Erlernen eines Musikinstrumentes Pflicht war. Solange bekam ich kein Instrument und half mir mit selbst gebastelten Trommeln und Saiteninstrumenten aus Karton und Gummibändern, aus Holzkästen und Draht, die ich zum Schwingen brachte. Die ersten physikalischen Experimente zum Verhältnis von Saitenlänge und Schwingungsfrequenz auf dem Monocord, ohne es zu wissen. Vom spärlichen Taschengeld kaufte ich mir Mundharmonikas, Tamburins, Kleinteile, die meinen Hunger kaum stillen konnten.

    Verwandte, Bekannte und Freunde der Eltern, die ein Klavier oder sonst ein Musikinstrument besaßen, besuchte ich gerne mit meinen Eltern. Die nahmen es meistens geduldig auf sich, dass ich stundenlang herumprobierte und Töne erzeugte, worauf auch immer, vom Schlagzeug bis zur Trompete und auf jedem Tasteninstrument. Es wurde mir nie langweilig und außer meiner Geräuschproduktion konnte man gut mit mir auskommen.

    Verwandte mit Klavieren gab es mehrere. Lehrerfamilien in der mütterlichen Verwandtschaft, in denen etliche Klavier spielen konnten. Weißhaarige Damen, die bei Kerzenlicht Beethovensonaten zum Besten gaben, gehören zu meinen frühen Erinnerungen. Erwarben meine Eltern neue Bekannte, kategorisierte ich sie danach, ob sie Musikinstrumente hatten oder nicht. Hatten sie keine, war nur noch zu hoffen, dass sie wenigstens Kinder hatten. Waren das auch noch Mädchen, war das Nichtvorhandensein von Musikinstrumenten zu verkraften. Hatten sie nichts von allem, waren langweilige Stunden angesagt.

    Ich bekenne, dass auch heute noch der Besuch bei Menschen, die nicht in irgendeiner Weise Musik besitzen, erzeugen oder zumindest lieben, ein gewisses Zugeständnis bedeutet. Mit den Mädchen ist das nicht mehr ganz so, weil ich eine Frau habe. Dennoch ist mir die Gesellschaft von Frauen meistens angenehm. Reine Männergesellschaften mit Männerthemen und Männerritualen sind verzichtbar.

    Eine andere, in diesen Jahren noch schwieriger zu befriedigende Passion war das logische Pendant zu meiner Sehnsucht nach Klangerzeugung: Das der Reproduktion, das Tonbandgerät. Die magische Möglichkeit, Geräusche, Sprache, Klänge aufzuzeichnen und wiederzugeben. Es war freilich schwer, an ein solches Gerät zu kommen. Zum einen war es unerschwinglich, zum andern erforderte es vom Besitzer die aktive Auseinandersetzung mit technischen Prozessen wie Aufnahme, Wiedergabe, Spulen und Löschen. Meinen Eltern genügten aber Radio und Plattenspieler. Man konnte sie nicht überzeugen. Wer ein Tonbandgerät besaß, hütete es und ließ nicht Kinder damit spielen. Es sollte noch Jahre dauern, bis ich unbefangen mit einem Tonbandgerät experimentieren konnte.

    Endlich, als ich vierzehn war, kauften meine Eltern ein gebrauchtes Steingraeber & Söhne, einen Saitentempel vom Ende des 19. Jahrhunderts, mit Säulen, Pilastern und Kerzenhaltern, das nie richtig zu stimmen ging, weil die Wirbel schon locker waren. Aber das Klavier wurde ein geduldiger Tastenesel für alle meine schlimmen Pflichten und lustvollen endlosen Entdeckungsreisen der Improvisation. Nach jedem Umzug meiner Eltern war es etwas verstimmter und der Anschlag labbriger. Das Klavier war sauschwer. Es gab Rätsel auf bei Umzügen. Sein Gewicht machte aus Fremden Freunde.

    Dass zum Freundeskreis meiner Eltern auch Musikhändler und Symphoniker aus dem nahen Bamberg gehörten, kam mir sehr zugute. Karl Dörr galt als begnadeter Klarinettist, ein Unterfranke, dessen zart knarrender bis samtig schneidender Ton für mich bisher unübertroffen bleibt. Einmal besuchte Dörr – wie auch andere Bekannte es gerne taten – meine junge hübsche Mutter und hörte dabei die für ihn sicher nicht leicht zu ertragenden atonalen Experimente auf meinem verstimmten Klavier, die ich umso intensiver betrieb, weil mir ein so berühmter Musiker zuhörte. Zu meiner Mutter sagte er: Der kommt irgendwann auch zu Mozart. Ich lehnte entrüstet ab. Aber er hatte Recht.

    Tex war ein jüngerer Freund meiner Eltern, Jazzpianist und damals noch Stud. rer. nat. Der Jatzer sagt Jatz und nicht Dschääß, lernte ich von Tex. Die jüngere Cousine meiner Mutter, Renate, hatte ihn eines Tages mitgebracht, denn sie durfte keinen Freund mit nach Hause bringen. Schon gar keinen Jatzer, der als Barpianist im amerikanischen Offizierscasino sein Studium finanziert. Als die Freundschaft später zu Ende war, kam Tex weiterhin jeden Samstag mit seinem Motorrad zu uns. Wenn er sein Motorrad im Leerlauf in die Toreinfahrt unseres Hofes rollen ließ, war jedenfalls ein Mensch glücklich. Das war ich.

    Tex war mein Vorbild, mein Idol. Ich bewunderte ihn in allem, was er sagte, tat und wie er sich verhielt. Wir hatten Blutsbrüderschaft geschlossen, indem wir uns in den Daumenballen geritzt und symbolisch unser Blut vermischt hatten. Ich durfte ihn als meinen großen Bruder betrachten. Ich legte Wert darauf, denselben Mackie, auch Stiftenkopf genannt, zu tragen.

    Sein Klavierspiel dürfte für den Zwölfjährigen ein erster und stärkster Life - Eindruck meisterlichen Spiels gewesen sein. Tex spielte virtuosen Swing mit traumhaft coolen Akkorden der linken Hand. Mein Hit, den er mir immer wieder vorspielen musste, war der Song Moon river aus dem Kultfilm dieser Tage Frühstück bei Tiffany. Diese Melodien und ihre Harmoniefolgen waren ein Lichtglanz aus der anderen Welt und entzündeten meine Sehnsucht. Tex schnaufte hörbar beim Spielen und sein Rasierwasser roch nach Amerika, Jazz und Freiheit. Er nahm mich ab und zu auf seinem Motorrad mit zu seinen geologischen Exkursionen, auf denen er mir viel erklärte über Gesteine und die Entstehung von Landschaften – mehr als ich erfassen und mir merken konnte.

    Man diskutierte in diesen Tagen über Camus und den französischen Existentialismus, las Gottfried Benn, hörte Cooljazz. Ich begriff noch wenig davon, aber ich spürte den Aufbruch, die Spannung, die Erotik und Unerhörtheit dieses neuen intellektuellen Lebensgefühles der Nachkriegszeit. Ich beobachtete Tex, wie er heimlich die behütete Tochter eines Grenzschutzmajors küsste, der bei uns zu Gast war und dass auch die Freundinnen meiner Mutter in ihn verliebt waren.

    Einige Male fuhr Tex mit uns im Urlaub an den Gardasee. Es war die erste Tourismuswelle Ende der 50-er Jahre. Onkel Kuno, ein Cousin meiner Mutter, Bauingenieur wie mein Vater, hatte begonnen, Ferienhäuser für Deutsche dort zu planen, deshalb fuhren wir regelmäßig dorthin. Tex freundete sich rasch mit den Italienern an, die ihn Americano nannten und lernte in unglaublichem Tempo die italienische Sprache.

    Zweifellos hatte Tex bedeutenden Einfluss auf meine weitere Entwicklung. Er schenkte mir nicht nur ein kleines Jagdmesser mit scharfer Klinge, sondern auch eine Nagelfeile und brachte mir die Wichtigkeit sauberer und kurz geschnittener Fingernägel nahe. In Riva del Garda durfte ich mit ihm gemeinsam ein Zimmer bewohnen. Dort gemahnte er mich auch – von Mann zu Mann – zur Intimhygiene, nachdem er bemerkt hatte, dass ich es damit nicht genau nahm. Diese Schule des Americano hat sich mir für mein Leben eingeprägt.

    Das Prickeln

    Wann genau ich bemerkt hatte, dass es zweierlei Menschen gibt, kann ich nicht mehr sagen. Aber eine erste Erfahrung erotischer Spannung gab es bereits im Alter von fünf oder sechs, ich musste gerade in die Schule gekommen sein. Als Einzelkind konnte ich nicht aus schwesterlicher Existenz schöpfen, aber ich hatte eine Cousine, Ursel, die ein Jahr jünger war und ein Stockwerk tiefer lebte, auch sie ein Einzelkind.

    Einst hatte ich den Auftrag, sie zu besuchen, weil sie krank im Bett lag. Man ist ja nie mehr so selig und munter krank wie in Kindheitstagen. Ich saß neben ihrem Krankenlager und sie bescherte mir aus heiterem Himmel jenen ersten Blick auf etwas Unerhörtes: Ihren nackten Hintern und kurz darauf die so ganz andere Anatomie der Vorderseite. Sie wollte, dass ich sie wickle und dazu ein Stück Kabelisolierung verwende, das ihr Papa irgendwo hingelegt hatte und das überhaupt nicht geeignet war, Inkontinenz Probleme zu lösen. Sie wollte ein Baby sein und ich sollte der Wickler sein, was wir beide sehr anregend fanden. Von mir wurde keinerlei Gegenleistung verlangt. In den folgenden Jahren gab es immer wieder solche Meetings, vor allem wenn die Eltern ab und zu gemeinsam aus dem Haus waren. Da entwickelte sich schon mal eine gewisse Zügellosigkeit, bei der auch ich das Objekt der Neugierde war. Diese gemeinsame Neugierde hatte eine deutlich andere, prickelndere Qualität als die auf andere Gegenstände.

    Dieses diffuse, kaum lokalisierbare Prickeln setzte sich fort, war vergessen und tauchte wieder auf, allein und mit anderen bis irgendwann das Tabu an Raum gewann. Bei mir war es weniger der Einfluss der Eltern, sondern der Kirche mit ihren merkwürdigen Texten und Fragen – immer unter Vermeidung konkreter Begriffe.

    Besonders als der Zeitraum der Ersten Heiligen Kommunion nahte, mit der ersten heiligen Beichte im Vorspann, wurde die Fantasie angeregt, darüber zu reflektieren, was wohl diese Unkeuschheit, die man alleine oder mit anderen betreiben konnte, sein solle. So schlau, damit dieses Prickeln zu verbinden – auch ohne Nennung von Körperteilen und den damit verbundenen Aktivitäten – waren wir schon.

    Außer meiner Cousine gab es da noch Isabella, Bella genannt, auch sie ein Einzelkind. Sie wohnte in der Nachbarschaft, unsere Eltern waren befreundet.

    Mit Bella und ihrem jüngeren Cousin Jochen verbrachte ich alljährlich lange und traumhaft schöne Große Ferien. Es fanden auch einige Doktorspiel-Sitzungen in der Scheune ihrer Eltern statt, was wir sehr aufregend fanden. Irgendwann wurde die Tat ruchbar und wir wurden von Jochens Vater, der Lehrer war, verhört, und zwar jeder einzeln.

    Einige Tage nach diesem Verhör schlug ich vor, wieder im Schuppen zu spielen, in dem sich Werkstatt, Garage und Lagerraum für alles Mögliche befanden. Da ließen mich die beiden stehen, rannten ins Haus und meldeten so laut und aufgeregt, dass ich es im Hof hören konnte, meinen Vorschlag. Nun stand ich draußen als Täter, als Verführer, obwohl ich keine Absichten gehegt hatte, sondern spielen wollte, was wir jeden Tag zusammen spielten: Wir bauten den alten Leiterwagen zu Polizeiautos, Militärjeeps oder Feuerwehrautos um, in dem wir dann unendliche und immer neue Geschichten und Abenteuer erlebten. Sie hatten mich zum dunklen Jungen mit schlechten Gedanken gemacht, der es mit anderen tut, Bella und Jochen waren die Bekehrten, die Geläuterten.

    Bella war bis in die Pubertätsjahre Ziel meiner Sehnsüchte, meiner erwachenden Sexualität, wobei sie sich immer meiner Begehrlichkeit bis Zudringlichkeit ehern widersetzte.

    Später, als wir etwa vierzehn waren, betätigte sich Cousine Ursel gelegentlich als Kupplerin und arrangierte Treffen mit Schulkameradinnen aus der Realschule der Englischen Fräulein. Denen hatte sie ihren Cousin zuvor angepriesen, vermittelte ein Date und ich traf die Mädchen dann im Hain, im Schwimmbad oder sonst wo. Eine Zeit lang war das jede Woche eine andere.

    War ich aufgeklärt? Für diese Zeit nicht schlecht. Meine Mutter hatte mir ein Heftchen aus dem Schriftenstand der Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen mitgebracht, wo einiges erklärt wurde anhand anatomischer Zeichnungen. Männliches und weibliches Genital, im Querschnitt gezeichnet. Trotz solcher gut gemeinten Aktionen versuchte man sich das meiste zusammenzureimen, teilweise erfolglos. Die ersten Empfindungen kamen ja schon mit zwölf Jahren. Das bereits bekannte angenehme Prickeln verdichtete sich zu zunehmend lokalisierbaren Wohlgefühlen mit ebenso unerklärlicher anschließender Feuchtigkeit. Bald erfuhr ich von anderen, dass dies kein individuelles Missgeschick sondern ein prinzipiell wünschenswerter, auch willkürlich herbei zu führender Zustand ist, zu dessen gemeinsamer Hervorrufung sich sogar kleine Zirkel zum Knabenkult des Bestaunens, Vergleichens und Messens zusammenfanden. Für einige Jahre eine Lösung, mit der man sich alleine und mit anderen begnügen konnte und wollte.

    Schließlich der Bücherschrank der Eltern! Dem in sexuellen Angelegenheiten erwachenden Bewusstsein des Jünglings entgingen nicht die Andeutungen und verschlüsselten Inhaltsangaben der Erwachsenen zu bestimmten Werken, wie Lady Chatterly von D.H. Lawrence und Nabokovs Lolita. Wobei ich noch nicht alt genug war, diese Bücher zu verstehen. Aber ich fand zielsicher die Textstellen mit den erregenden Schilderungen. Endlich fand sich auch der Kinsey-Report im Bücherschrank, dem ich die ersten umfassenden und erregenden Kenntnisse über die menschliche Sexualität verdanke.

    Berufe raten, nicht heiter

    Die Gescheiteren von M. waren schon nach der vierten Klasse im Kümmnasium. Mein Eintritt ins Musische Gymnasium sollte erst nach der achten Klasse Volksschule erfolgen. Es hieß damals noch Deutsches Gymnasium, eine bayerische Spezialität, die Nachfolgeinstitution der Lehrerbildungsanstalt, in der bereits meine Großväter mütterlicherseits und mein Vater ihre Reifeprüfung abgelegt hatten. Der Übertritt nach der vollen Volksschulzeit in die Kurzform des Deutschen Gymnasiums war ein Spezifikum dieses Schultyps.

    Die Cousine meiner Mutter, Renate, war eine künstlerisch begabte junge Frau. Sie malte und modellierte. Anlässlich meines zwölften Geburtstages hatte ich bei der Großtante Anneliese, Renates Mutter, einen Wunsch frei. Renate versuchte mich zu überzeugen, mir statt eines Matchbox-Autos lieber Malutensilien zu wünschen.

    Vorher hatte ich bei Tanten und Großeltern meistens Tintenstifte, Kugelschreiber und die Ränder von Zeitungen zum Draufmalen bekommen, damit ich beschäftigt war. Man konnte mich damit allerdings für Stunden ruhig stellen. Der Opa in Nürnberg, der Vater meiner Mutter, war Lehrer und hatte immer Papier für mich, Schmierpapier aus seiner Schule und Faber-Castell-Stifte.

    Ich war zu begeistern für echte Malutensilien (das Wort hörte ich zum ersten Mal) und Renate brachte mir einen großen Zeichenblock, Zeichenkohle mit einem Fixierspray und Wachsmalkreiden mit. Jetzt malte ich richtig, entwarf nicht mehr nur mit Kugelschreiber Autos, Militärfahrzeuge, Motorräder, sondern begann Gesichter, Stillleben und skurrile Figuren zu malen.

    Niemals mehr ließen sich Politiker so leicht karikieren wie Adenauer und Erhard, Ollenhauer und Strauß. In dieser Kunst übte ich mich, hatte ich doch schnell herausgefunden, dass Beifall aus der Welt der Erwachsenen sicher war. Es gelang mir schließlich auch, anwesende Damen und Herren zu zeichnen, was bei Verwandten und Bekannten, in dem Augenblick, da sie sich von der Hand eines Zwölfjährigen gezeichnet, wieder erkannten, Begeisterungsstürme hervorrief. Sogar für den Faschingszug in M. durfte ich Politikerkarikaturen malen. Da war auch dem Volksschullehrer bald klar, dass der Bub eine künstlerische Karriere anstreben sollte.

    Angst

    Von den Nachwirkungen der Nazi-Zeit habe ich noch etwas gespürt, ein Nachwehen des Faschismus in der Volksschule und in den Köpfen einzelner Personen, die mich – so empfand ich es gegen Ende der Volksschulzeit – an den Füßen festhalten wollten vor dem Entkommen aus dem graubraunen Sumpf der vorangegangenen Jahrzehnte, habe noch den Schweißmief von Turnstundenstress ausgeströmt und gerochen. In der ersten Klasse habe ich mich nicht austreten trauen, weil die Lehrerin nicht akzeptierte, dass man in der letzten Stunde noch aufs Klo muss, wo gleich Schluss ist. Ich wagte nicht, vorher etwas zu sagen. Jedes Mal pinkelte ich beim Schlussgebet in meine kurze Bleyle-Hose. Kopfschüttelnd und zeternd wischte die Lehrerin die Lache weg. Sie sprach nicht mit mir und nicht mit meiner Mutter darüber und ich schämte mich furchtbar. Viel später erst wurde mir bewusst, wie wenige Jahre mich damals trennten von der Adolf-Hitler-Straße, der Adolf-Hitler-Schule und einigen Adolf-Hitler-Lehrern, vom geistigen Malignom jener Zeit.

    Aber eben darum erfasste mich der Sog der Farbe, der Musik – hin zur freien Gestaltung des eigenen Lebens, zur Freiheit der Gedanken, der Gefühle, zur Kunst. Das war mein Ort, dort gehörte ich hin, diese Entscheidung war für mich früh gefallen.

    Leider war ich in der achten Klasse Volksschule immer noch vorhanden. Die Sitten an der Volksschule waren rauer geworden. Die Klassenkameraden prügelten sich, Schulkinder aus einer benachbarten neuen Siedlung waren dazugekommen, Flüchtlingskinder, es gab wilde Gerüchte über deren Schandtaten von Tierquälerei, Ficken (welch ein Wort, hier hörte ich es erstmals) und anderen Abgründen des Bösen.

    Mit meiner eher zarten Statur und Schüchternheit lebte ich in permanenter Angst. Die Angst war ein Vermächtnis meiner Mama, die sie aus der Zeit beim Bund Deutscher Mädchen und aus den Luftschutzkellern mitgebracht hatte, Angst vor Verletzungen beim Sport, Angst vor der Gewalt der Obrigkeit, also auch vor dem Lehrer, Angst vor der Pockenimpfung, vor der sie mich bewahrte, nachdem sie von den möglichen Komplikationen gehört hatte, Angst, sich aufzulehnen, aufzufallen, im Dorf bei den Leuten nicht anerkannt zu werden. Die Alteingesessenen, die laut und mit dem Recht der auf Grund und Boden Aufgewachsenen Umgangston, Gemeinwesen und Kirche beherrschten musste man respektieren,

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1