Ein Opa nach meinem Herzen: Mami 2006 – Familienroman
Von Marianne Schwarz
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Anscheinend war das gar keine richtige Straße, eher wohl das, was man hier auf dem Land einen Wirtschaftsweg nennt, Verbindung und Abgrenzung zwischen ausgedehnten Feldern. Asphaltiert zwar, aber sehr schmal. Und kurvig. Die Ecke jedes Feldes, jede Weidefläche mußte sorgsam genommen werden. In der Landwirtschaft, früher wie heute, hielt man wohl nicht viel von Begradigungen. Aber immerhin war dieser Weg oder diese Straße, wie immer es auch heißen mochte, auf der Karte angegeben. Darum war Lilo abgebogen von der Hauptstraße, denn diese, wenn auch dünn eingezeichnete Linie, sah wie eine günstige Abkürzung aus auf ihrer Fahrt in die Kleinstadt, deren Kirchtürme von hier aus in der Ferne schon zu sehen waren. »Guck mal, Mutti, da sind Kühe! Richtige, lebendige Kühe!« Katja in ihrem Kindersitz hinten im Wagen war ganz aufgeregt. Mit ihren fünf Jahren war sie noch nicht sehr oft aus der Großstadt, wo sie bis jetzt gelebt hatten, herausgekommen, und Kühe in freier Natur hatte sie wohl tatsächlich noch nicht gesehen. »Halt mal an, Mutti!« forderte sie energisch. »Ich will eine Kuh streicheln. Die Große da, die mich so anguckt. Die möchte bestimmt gern gestreichelt werden.« »Jetzt nicht, Katja. Dazu ist später noch viel Gelegenheit. Jetzt will ich erst sehen, daß ich diesen Weg hier hinter mich bringe, ehe uns jemand entgegen kommt. Das könnte nämlich problematisch werden, weil die Fahrbahn so schmal ist.
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Buchvorschau
Ein Opa nach meinem Herzen - Marianne Schwarz
Mami
– 2006 –
Ein Opa nach meinem Herzen
Katja erlebt eine große Überraschung
Marianne Schwarz
Anscheinend war das gar keine richtige Straße, eher wohl das, was man hier auf dem Land einen Wirtschaftsweg nennt, Verbindung und Abgrenzung zwischen ausgedehnten Feldern. Asphaltiert zwar, aber sehr schmal. Und kurvig. Die Ecke jedes Feldes, jede Weidefläche mußte sorgsam genommen werden. In der Landwirtschaft, früher wie heute, hielt man wohl nicht viel von Begradigungen.
Aber immerhin war dieser Weg oder diese Straße, wie immer es auch heißen mochte, auf der Karte angegeben. Darum war Lilo abgebogen von der Hauptstraße, denn diese, wenn auch dünn eingezeichnete Linie, sah wie eine günstige Abkürzung aus auf ihrer Fahrt in die Kleinstadt, deren Kirchtürme von hier aus in der Ferne schon zu sehen waren.
»Guck mal, Mutti, da sind Kühe! Richtige, lebendige Kühe!« Katja in ihrem Kindersitz hinten im Wagen war ganz aufgeregt. Mit ihren fünf Jahren war sie noch nicht sehr oft aus der Großstadt, wo sie bis jetzt gelebt hatten, herausgekommen, und Kühe in freier Natur hatte sie wohl tatsächlich noch nicht gesehen. »Halt mal an, Mutti!« forderte sie energisch. »Ich will eine Kuh streicheln. Die Große da, die mich so anguckt. Die möchte bestimmt gern gestreichelt werden.«
»Jetzt nicht, Katja. Dazu ist später noch viel Gelegenheit. Jetzt will ich erst sehen, daß ich diesen Weg hier hinter mich bringe, ehe uns jemand entgegen kommt. Das könnte nämlich problematisch werden, weil die Fahrbahn so schmal ist. Na, als wenn ich es beschworen hätte! Da ist schon ein anderes Auto.«
Eine große schwere Limousine näherte sich in zwar langsamer, aber dennoch ungebremster Fahrt und blieb direkt vor Lilos wesentlich kleinerem Wagen stehen, die natürlich inzwischen angehalten hatte. Eines der beiden Fahrzeuge mußte jetzt zurücksetzen, das war ganz klar, es war unmöglich, hier aneinander vorbeizukommen. Lilo zögerte. Sie hatte die schwierige Wegstrecke und sie hielt es eigentlich für selbstverständlich, daß der andere Fahrer das für ihn kleinere Stück zurücksetzte. Er hätte eigentlich gar nicht erst so dicht herankommen und schon vorher am Feldrand anhalten sollen. Aber die Limousine bewegte sich nicht zurück. Im Gegenteil. Die Fahrertür wurde heftig aufgestoßen, und mit allen Anzeichen der Erregung sprang ein älterer Herr heraus. Er war groß und schlank, hatte schneeweißes, ziemlich üppiges Haar, trug sportlich-ländliche Kleidung und hohe Lederstiefel und kam zornig auf den ihm im Weg stehenden Wagen zu.
»Was warten Sie noch, fahren Sie zurück!« forderte er herrisch. »Oder ist das zuviel verlangt von einer unbeholfenen Städterin, die wohl nur da fahren kann, wo es Verkehrsampeln gibt, und die hier mit ihrer Dummheit anderen Leuten den Weg versperrt?«
Noch ehe die völlig verblüffte junge Frau antworten konnte, rief Katja vom Rücksitz her mit vor Empörung fast schrillem Stimmchen: »Meine Mutti ist nicht dumm, wie kannst du denn so etwas sagen? Meine Mutti ist Lehrerin und eine ganz tolle Frau, hat mein Vati gesagt. Und warum bist du überhaupt so böse mit uns? Wir haben doch gar nichts gemacht!«
Der Mann hatte das Kind wohl erst jetzt bemerkt, war aber von der reizenden Fünfjährigen mit den langen rotblonden Locken und den jetzt zornig blitzenden großen blauen Augen kaum beeindruckt. »Frech und vorlaut«, knurrte er muffig. »Früher waren die Kinder anders erzogen. Wollen Sie nun endlich den Wagen zurücksetzen? Ich habe es eilig.«
Lilo Jochimsen atmete tief durch und schüttelte den Kopf. Sie hatte tatsächlich einen Augenblick gebraucht, um reagieren zu können, sie fühlte sich überrumpelt durch das unverschämte Auftreten dieses Fremden. Und dann hatte ihr Töchterchen sie ja erst einmal gar nicht zu Wort kommen lassen, was die junge Mutter insgeheim sogar amüsierte.
Jetzt antwortete sie sehr ruhig, ohne auf die beleidigende Art des Mannes einzugehen: »Wenn ich es richtig sehe, wäre die Strecke zum Zurücksetzen für Sie wesentlich kürzer. Warum also fahren Sie nicht zurück? Wir wären längst aneinander vorbei, wenn Sie es sofort getan oder, noch besser, wenn Sie gleich dort am Feldrand angehalten hätten.«
Der Mann schien beinahe verblüfft zu sein. »Erlauben Sie mal«, sagte er stirnrunzelnd und sah die junge Frau mit dem kurzgeschnittenen Blondhaar jetzt erst richtig an. »Sie wissen wohl nicht, wer ich bin?«
»Natürlich weiß ich das nicht. Und ich wüßte auch nicht, was das jetzt und hier für eine Rolle spielen sollte.«
»So, meinen Sie? Dann merken Sie sich mal den Namen Probeck. Mir gehört das ganze Land hier, und auch dieser Weg, den Sie mir mit Ihrem Wagen versperren.«
»Nun, ich habe kein Verbotsschild gesehen. Und Verkehrsregeln und übrigens auch Regeln der Höflichkeit gelten meines Wissens überall. Aber ich habe wirklich keine Lust, mich mit Ihnen zu streiten. Das ist mir einfach zu dumm. Treten Sie bitte zur Seite. Ich fahre zurück.«
Lilo Jochimsen hatte bereits den Rückwärtsgang eingelegt, sie beachtete den Mann nicht weiter, der tatsächlich einen raschen Schritt zur Seite machen mußte, denn Lilo setzte ihren Wagen ziemlich abrupt in Bewegung und fuhr zügig zurück. Und zwar durchaus gekonnt und keineswegs unsicher, denn sie war eine ausgezeichnete Fahrerin. im Grunde war das für sie selbstverständlich, aber jetzt in dieser Situation wurde es ihr bewußt und bereitete ihr sogar ein gewisses Vergnügen. Denn dieser alte Mann schien wohl noch in einer anderen Welt zu leben, in einer Welt, für die er Besitzrechte in Anspruch nahm und wo er sich wohl besonders Frauen gegenüber sehr überlegen fühlte. Na, zumindest als Autofahrerin wollte sie ihm zeigen, daß sie von der sogenannten männlichen Überlegenheit gar nichts hielt.
Lilo spürte zwar, daß solche Gedanken, die eigentlich gar nicht zu ihr paßten, mehr oder weniger kindisch waren, aber sie waren jetzt nun einmal da –, und irgendwie taten sie ihr auch gut.
So fuhr sie sehr elegant rückwärts bis zur nächsten Wegeinbiegung, dort hielt sie an und wartete, bis die Limousine mit dem weißhaarigen Herrn am Steuer vorbeifuhr.
»Das ist aber ein komischer Mann«, stellte Katja staunend fest.
»So etwas sollte man eigentlich nicht sagen«, mahnte die Mutter. »Vielleicht hat er ja bloß schlechte Laune.«
»Warum denn? Warum hat er schlechte Laune?«
»Das weiß ich natürlich nicht, Liebling. Und das geht uns auch nichts an. Schau mal, Katja, wir haben es gleich geschafft. Siehst du die Kirchtürme da vorn? Dahin wollen wir, dort ist unser neues Zuhause.«
*
Es war ein sehr hübsches Zweifamilienhaus, vor dem Lilo ihren Wagen ausrollen ließ, und sie war wohl schon erwartet worden, denn vom oberen Balkon des weiß gestrichenen Hauses wurde lebhaft gewinkt. Herr und Frau
Keuntje standen dort hinter in blauen Blumenkästen prächtig blühenden Geranien und strahlten um die Wette.
»Herzlich willkommen!« rief Frau Keuntje von oben, noch während Lilo aus dem Wagen kletterte, und Herr Keuntje verschwand eilig vom Balkon, um die Treppe herunterzukommen und die Haustür zu öffnen.
Die Keuntjes waren Lilos neue Wirtsleute, und schon bei ihrer ersten Begegnung war Lilo beeindruckt gewesen von der bestrickenden Herzlichkeit dieser Menschen. Sie waren beide bereits in den Siebzigern und verwalteten und pflegten das schmucke Haus für ihre in der fernen Großstadt arbeitende und lebende Tochter. Sie hatten ihre Wohnung im oberen Stockwerk, während Lilo das ganze Erdgeschoß samt vorgelagerter Terrasse gemietet hatte. Den dazu gehörenden großen Garten sollte sie zwar auch nutzen dürfen, aber die Gartenarbeit machten die Keuntjes. Das war mehr oder weniger der Lebensinhalt der alten Leute, und der Garten war tatsächlich ein vielbewundertes Prachtstück, in dem es grünte und blühte, daß man seine Freude daran haben mußte.
»Wie schön, daß Sie da