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Der Widerschein
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eBook126 Seiten1 Stunde

Der Widerschein

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Über dieses E-Book

Fünfzigjährig hält Hans Leip, einer der angesagtesten deutschen Schriftsteller der Zeit, in dieser Erzählung Rückschau auf sein Leben. In, wie er es selbst sagt, "dürftigen Verhältnissen" groß geworden, spürt man, wie wichtig Leip von Anbeginn an seine Heimatstadt Hamburg ist. Früh äußert sich aber auch sein Interesse an der Literatur, Gedichten, der Malerei, die allesamt für sein ganzes Leben bezeichnend werden. Und die Veränderungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, darunter in erster Linie die beiden Weltkriege, führen ihn hinaus in die Welt, die er mit seiner Feder porträtiert. Es folgen Paris, New York, London, am Ende aber immer wieder Hamburg.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum1. Jan. 2016
ISBN9788711467220
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    Buchvorschau

    Der Widerschein - Hans Leip

    Buchmann

    Anfänge

    Wo blüht der guten Zukunft Licht,

    wo sind die Lande ohne Leid?

    Auswandrer sind wir dieser Zeit.

    Wohin? Wir wissen es noch nicht.

    Von der herkunft

    Mein Vater, Sohn eines angesehenen Bauern und Schneideramtsmeisters im Hannöverschen, kam mit fünfzehn Jahren nach Hamburg, fuhr zur See, machte als Artillerist den Krieg 70/71 mit und versuchte, nachdem er geheiratet hatte, mancherlei an Land, war unter anderem Kutscher bei einer englischen Porzellanfirma, hatte ein Brotgeschäft und war schließlich bis hoch in die Siebzig Kaiarbeiter und Schauermann im Hamburger Hafen. Er vermochte Dinge und Personen mit phantastischen Namen zu belegen, so vierschrötig und gelassen er äußerlich war, wußte die bekannteren Teile der Bibel auswendig, besaß den Hamburger Bürgerbrief, besprach die »Rose« und pflegte zu den Geburtstagen meiner Mutter ein Gedicht zu schreiben.

    Meine Mutter stammte aus einem armen mecklenburgischen Dorfe und hatte gleich nach der Konfirmation aus dem Hause gemußt, sich in der großen Stadt selber zu ernähren. Sie ging in Stellung bei einer guten Hamburger Familie und lernte dort vorzüglich kochen und rechnen. Mit achtzehn heiratete sie. Sie war klein und zierlich, von stiller rührender Frömmigkeit, geschickt in allem, unermüdlich, und wo andere gingen, huschte sie. Niemals war sie laut, niemals ungütig. Ihr einziger Ehrgeiz war, unbescholten zu bleiben, ihr einziges Streben, daß ihre sechs Kinder etwas Ordentliches würden. Und sie hat es, in dürftigen Verhältnissen, fertig gebracht.

    Mond-Rehe

    Im endlosen Sand

    auf den mageren Wegen

    zwischen dem Föhrenkratt

    kamen meiner Mutter Füße

    mir entgegen.

    Kleine bloße Füße. Und es war

    das kindliche Gesicht gesenkt,

    und verborgen

    weinten die hellen Augen.

    Sie trug ein armes Bündel in der Hand

    und die Schuhe, die bei jedem Schritt

    schwerer wurden und noch lange taugen

    sollten für härtere Sorgen.

    Der Mond stieg silberklar

    am Wald auf, und viele süße

    Rehe wurden mild von ihm gelenkt

    und gingen heimlich mit

    in die große fremde Stadt.

    Aus der kindheit

    Das Geheimnisvolle fand sich in allen Treppenwinkeln und dunkeln Stuben, und manchmal, wenn ich nachts aufwachte, versammelte es sich erstickend um die Dampferrufe, die vom Hafen tönten. Aber auch bei Tag vermochten sich aus Tapeten, Stuhllehnen, Giebeln und Schornsteinen unversehens schattenhafte Gestalten zu lösen, die sich durch den Raum bewegten, ohne mich anzusehen, und voll unerkennbarer drohender Forderung und Lockung waren. Der Atem stockte mir oft mitten in Spiel oder Bastelei und selbst noch bei den Schulaufgaben. Um die Zeit baute ich mir ein Schattenpuppen-Theater, dessen Stücke sich in Schauerlichkeiten ergingen.

    Aber da ich eifrig den Kindergottesdienst in der kleinen Stiftskirche zu St. Georg besuchte, konnte es nicht ausbleiben, daß meine Phantasie auch Engel um sich zu spüren meinte. Sie schwebten in den lauten Straßen eben über den Leitungsdrähten der Bahnen, und ihre Stimmen drangen deutlich, wenn auch – wie ich anmaßend glaubte – nur für mich vernehmbar, durch den Lärm und trösteten mich, der ich schüchtern und empfindlich und ewig bedrängt und nicht gerne Kind war, und ich antwortete flüsternd, daß ich verstanden habe. Leicht und verzückt schwankte ich dahin, ja, ich meinte, selber zu schweben, und wurde gütig vorbeigeleitet an Passanten, Laternenpfählen und dem rasselnden Verkehr.

    Frühe begegnung

    Ich war noch nicht zehn, da sah ich zum erstenmal die See, und es war bei Cuxhaven. Sie war vorerst ruhig und grau und glatt und befremdlich flach und sah keineswegs unendlich aus und roch bitter und fischig. Aber bald sprang der Wind auf, und die Luft wurde scharf und fuhr kühl und heftig in mich, als sollte ich platzen vor Frische, und die See fing an zu toben und zu brüllen, so daß ich ihr alle erste verhaltene Enttäuschung und Verächtlichkeit, die ich gefühlt, abbat und mich beklommen dessen entsann, was in der Schule mitsamt den Geboten an lutherischer Erklärung gelernt wird und wo es auf die Frage: Was ist das? heißt: Wir sollen Gott fürchten und lieben... So erging es mir mit der See und geht es heute noch. Die Hamburger hatten aus privater Stiftung um 1900 schon das, was man später Kinderlandverschickung nannte. Mein Vater kannte einen der Senatoren, die im Gremium saßen; denn er hatte ihm mit Erfolg eine »Gürtelrose« besprochen. Somit kam ich, lang aufgeschossen und bläßlich, zur Kräftigung an die See. Es war dort in der Christian Görnestiftung zu Duhnen, in einem weiträumigen, von tüchtigen Damen geleiteten Gefilde, dicht am Strand gelegen. Doch der harte Wind bekam meinem Halse nicht, ich mußte mit Fieber zu Bett und hatte mich schon darein ergeben, sterben zu müssen. Als es mir wieder besser ging, machte ich dankbar mein erstes Gedicht. Es hieß: Der Jüngling zu Nain.

    Bald danach kamen die Hamburger Senatoren, um von Duhnen aus zu Wagen über das bei Ebbe freie Watt hinüber nach der Insel Neuwerk zu fahren, die mit ihrem dicken Leuchtturm so verlockend am Horizont lag und zu Hamburg gehörte und alljährlich behördlich besichtigt wurde. Die Görne-Kinder nun, wie wir hießen, die ja sozusagen Gäste der Stadt waren, wurden zur Begrüßung der Stadtväter in gleichmäßige Anzüge gesteckt, denen der Waisenkinder ähnlich, und es gehörte ein flacher weißer Umlegekragen dazu nebst einer blauen Schlipsschleife. Da es fraglich war, ob ich, eben genesen, die kleine Parade bei der Senatsabfahrt vor dem Strandhotel mitmachen dürfe, ich aber mich nicht abweisen ließ, ergab es sich, daß die blauen Schleifen alle schon vergeben waren und ich mich mit einer roten begnügen mußte.

    Wir standen Spalier und sangen, und die Herren auf den hochrädrigen Wattwagen ließen eine Weile halten, auch den Geringsten unter ihrer Verwaltung Wohlwollen zu bekunden und unser Lied zu Ende zu hören, das die »Stadt Hamburg an der Elbe Auen« kindlich pries. Und einer der Großmächtigen, die zu meiner Mißbilligung in schlichtem Zivil und keineswegs in ihrem Amtstalar mit Mühlsteinkragen gekommen waren, beugte sich freundlich von seinem Sitz herab mir zu, lächelnd auf die rote Schleife weisend, vermeinend, es solle etwas Besonderes bedeuten. Ich ahnte nichts von Besonderem und daß Hamburg derzeit begann, im Ansehen des Reiches als »rot« und aufrührerisch zu gelten und daß es einer von den »Linken« sei, der sich durch meinen Schlips angestrahlt fühlte, und er lud mich leutselig ein mitzufahren.

    So gelangte ich zum erstenmal auf eine Insel und genoß es sehr, hatte auch teil an dem, was den Herren an Kaffee und Kuchen kredenzt wurde. Wir wanderten danach deichlängs zwischen Schafen und Gänsen hin zum alten Störtebekerturm, der erschreckend in den Tag ragte, dicker und höher als ich je dergleichen gesehen. Und da wir nun aus belehrendem Munde über die Jahrhunderte vernahmen, denen er getrotzt, ging plötzlich ein schmächtiger knebelbärtiger Mann still über den breiten, kopfsteinig gepflasterten Turmhof, und ich hätte wohl lieber einen der gefürchteten Seeräuber erblickt, die hier einst gehaust hatten. Indessen ließ der Vortragende Syndikus eine kleine Pause eintreten, ohne daß der Dahinwandelnde uns zu bemerken schien, und jedermann sah dem in sich versunken Davongehenden nach, als habe er eine gebührende Kenntnisnahme und einen Gruß von ihm erwartet.

    Später sagte dann jener Joviale, der mich eingeladen hatte, wie zur Entschuldigung in den Kreis seiner Kollegen: Es ist ein Dichter, meine Herren, der hat Eigentümlicheres zu bedenken als das, was mit einem behördlichen Aussehen und Ausflug zu verknüpfen wäre... Oder so ähnlich. Und er nannte den Namen. Und es lächelten alle und nahmen es nicht wichtig. Nicht so wichtig jedenfalls wie ich, der sich noch lange darüber wunderte, daß ein Mann nicht nur Rainer, sondern sogar Maria mit Vornamen heißen könne, und noch mehr, daß jemand vermocht habe, an einer so gewichtigen Vertretung der hansischen Regierungsmacht und Weltbedeutung, der ich mich eben stolz eingefügt gefühlt, achtlos vorbeizugehen; und eine bedrängende unbehagliche Ehrfurcht wehte mich erstmals leise an vor dem, was

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