Schicksalsmelodie: Karin Bucha Classic 47 – Liebesroman
Von Karin Bucha
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Karin Bucha Classic ist eine spannende, einfühlsame geschilderte Liebesromanserie, die in dieser Art ihresgleichen sucht.
Mühelos fährt der schwere Wagen den Hang hinauf, vorbei an kleinen Bergen von Schnee, die den Weg säumen. Bäume, schneeverhangen, im Mondlicht glitzernd, huschen vorüber, und dann biegt er in die Einfahrt ein und gleitet lautlos vor den Eingang des hellerleuchteten Hauses. Dr. Jürgen Wellhof greift nach dem Paket, das sorgfältig verpackt neben ihm gelegen hat. Ehe er das Haus betritt, gleitet sein Blick über die Front des Hauses mit den breiten, tiefen Fenstern. Man schreibt den achten Dezember. Wie eine Kostbarkeit trägt er das Paket in der Hand. Es ist eine Kostbarkeit für ihn und für die liebste, geliebte Frau, die er damit überraschen will. Schon in der Diele umfängt ihn die warme, anheimelnde Atmosphäre des Hauses und, nachdem er seine Garderobe dem Mädchen übergeben hat, muß er sekundenlang die Augen vor dem Glanz schließen, der ihm aus dem Wohnzimmer entgegenstrahlt. Überall Blumen, Blumen. Dunkelrote Rosen in schier verschwenderischer Fülle füllen die wertvollen Vasen und verbreiten einen süßen, berauschenden Duft. Dazwischen Kerzen in silbernen Leuchtern und inmitten von Tannengrün. Die Schiebetür ist geöffnet, und er sieht im Nebenzimmer die festlich gedeckte Tafel. Auch hier brennen nur Kerzen. In zwanglosen Gruppen stehen die wenigen Gäste. Es ist ein kleiner intimer, aber auserlesener Kreis. Doktor Wellhof kennt sie seit Jahren. Seine hellen Augen suchen nur eine, und da löst sie sich schon aus einer Gruppe. Im schwarzglänzenden Abendkleid von raffinierter Einfachheit, die hohe, schmale Gestalt vorteilhaft zur Geltung bringend, kommt sie auf ihn zu. Ihr rassiges Gesicht scheint heute nur von den dunklen Augen beherrscht zu sein.
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Schicksalsmelodie - Karin Bucha
Karin Bucha Classic
– 47 –
Schicksalsmelodie
Karin Bucha
Mühelos fährt der schwere Wagen den Hang hinauf, vorbei an kleinen Bergen von Schnee, die den Weg säumen. Bäume, schneeverhangen, im Mondlicht glitzernd, huschen vorüber, und dann biegt er in die Einfahrt ein und gleitet lautlos vor den Eingang des hellerleuchteten Hauses.
Dr. Jürgen Wellhof greift nach dem Paket, das sorgfältig verpackt neben ihm gelegen hat. Ehe er das Haus betritt, gleitet sein Blick über die Front des Hauses mit den breiten, tiefen Fenstern. Man schreibt den achten Dezember.
Wie eine Kostbarkeit trägt er das Paket in der Hand. Es ist eine Kostbarkeit für ihn und für die liebste, geliebte Frau, die er damit überraschen will.
Schon in der Diele umfängt ihn die warme, anheimelnde Atmosphäre des Hauses und, nachdem er seine Garderobe dem Mädchen übergeben hat, muß er sekundenlang die Augen vor dem Glanz schließen, der ihm aus dem Wohnzimmer entgegenstrahlt. Überall Blumen, Blumen. Dunkelrote Rosen in schier verschwenderischer Fülle füllen die wertvollen Vasen und verbreiten einen süßen, berauschenden Duft. Dazwischen Kerzen in silbernen Leuchtern und inmitten von Tannengrün.
Die Schiebetür ist geöffnet, und er sieht im Nebenzimmer die festlich gedeckte Tafel. Auch hier brennen nur Kerzen. In zwanglosen Gruppen stehen die wenigen Gäste. Es ist ein kleiner intimer, aber auserlesener Kreis. Doktor Wellhof kennt sie seit Jahren. Seine hellen Augen suchen nur eine, und da löst sie sich schon aus einer Gruppe.
Im schwarzglänzenden Abendkleid von raffinierter Einfachheit, die hohe, schmale Gestalt vorteilhaft zur Geltung bringend, kommt sie auf ihn zu. Ihr rassiges Gesicht scheint heute nur von den dunklen Augen beherrscht zu sein.
Wellhofs Herz schlägt wie irrsinnig in der Brust. Wie sehr er sie liebt, der er seit Jahren in selbstloser Treue ergeben ist, ohne ihr je von Liebe gesprochen zu haben. Aber heute scheint ihn sein Gefühl überwältigen zu wollen. Seit Jahren gibt es nur eine Frau für ihn.
Kathrin Landt!
»Doktor, endlich!« Ihre Stimme, dunkel und wohltuend, erregt ihn wie immer. »Nun können wir zu Tisch gehen.«
Beide Hände reicht sie ihm, und Wellhof drückt sie voll Wärme.
»Liebe Kath, nochmals meinen herzlichsten Glückwunsch zum fünfzigsten Geburtstag und zum fünfundzwanzigjährigen Berufsjubiläum, und weiterhin Kraft und Glück zum Schaffen.«
Kaths Augen schimmern feucht. »Danke«, murmelt sie bewegt. »Sie haben mich schon mit so viel guten Wünschen überschüttet. Ich danke Ihnen.«
Seite an Seite gehen sie zu den Gästen, und Wellhof begrüßt zunächst die Söhne Kaths, die mit ihren Frauen den Ehrentag der Mutter zu feiern gekommen sind.
Wellhof blickt von den hochgewachsenen Gestalten der Söhne auf Kath und lächelt. »Man traut Ihnen diese Männer nicht zu, Kath. Zwei verheiratete Söhne, zwei Schwiegertöchter und zwei Enkelkinder.«
Lieselotte und Ilona Landt drängen sich an den Freund ihrer Mutter. Beide liebreizende, zarte Erscheinungen vom Glanz der Jugend überstrahlt – und dennoch kann Kath Land sich neben ihnen behaupten.
Etwas Bezwingendes geht von ihr aus, ein ganz besonderer Charme, womit sie sich Menschenherzen erobert.
Überall wird Wellhof, Kath Landts Verleger, mit Hallo empfangen. Er ist überaus beliebt. Von ihm gehen Ruhe und Sicherheit aus. In geistvoller Art versteht er zu plaudern und die Menschen irgendwie in Bann zu schlagen.
»Zu Tisch bitte!« fordert Kath Landt auf und nimmt selbst den Ehrenplatz an der Tafel ein.
Ihr gegenüber, am anderen Ende der Tafel, sitzt Doktor Wellhof. Rechts und links ihre Söhne Klaus und Dieter mit ihren Frauen, und dann schließen sich die Gäste an.
Kath Landt gibt den beiden Mädchen einen Wink, und es wird serviert. Beschwingt und gelöst ist die Stimmung. Den ersten Toast bringt Dieter Landt auf seine Mutter aus. Totenstille liegt über dem kleinen Kreis während dieser zu Herzen gehenden Rede.
»… ein halbes Jahrhundert liegt hinter dir, meine geliebte Mutti. Schwere und schöne Zeiten hast du durchlebt. Eins aber zieht sich wie ein roter Faden durch dein ganzes, arbeitsreiches Leben: In guten Zeiten waren immer eine ganze Menge Menschen um dich herum, die alles Gute selbstverständlich für sich in Anspruch nahmen. Schlug aber das Schicksal einmal zu, dann standest du immer allein und mußtest es dennoch schaffen, weil immer jemand da war, der dich brauchte. Auch wir, deine Kinder, waren nicht immer zur Stelle und haben nicht gemerkt, daß du die Tränen nur um uns und um unseren geliebten, leider viel zu früh verstorbenen Vati vergossen hast. Verzeih uns, liebe Mutti, wenn wir dir einmal böse, ungerechte Worte gegeben haben. Du hast sie nie verdient. Du warst uns immer eine gute Mutter und hast uns zu aufrechten Menschen erzogen. Dafür danken wir dir, deine Kinder, geliebte Mutti –«
»Dieter!« flüstert Kath Landt, bis ins Herz ergriffen, und Tränen laufen ihr über die Wangen.
»Auch für die Werke, die du in fünfundzwanzigjähriger Tätigkeit gebracht hast, muß man dir danken. Wieviel Lebenswahrheiten hast du in deinen Romanen verewigt und so viel Menschen gezeichnet, an denen man sich ein Beispiel nehmen sollte. Wir wünschen dir von ganzem Herzen noch recht viele Jahre Schaffenskraft und Gesundheit.«
Jeder ist tief beeindruckt von Kaths Ältesten und seiner Rede. Als er sich erhebt und seine Mutter innig küßt und sein Glas gegen das ihre klingen läßt, erheben sich auch die anderen Gäste.
Kath Landt ist hilflos ihren Gefühlen preisgegeben. Sie kann kein Wort über die zitternden Lippen bringen.
Auch Doktor Wellhof tritt an die heimlich geliebte Frau heran. Er beherrscht sich meisterhaft. Er kennt den Kampf dieser Frau wie kein anderer, und er hat sie herausgeführt aus Not und Sorgen und ihr zu einer freien künstlerischen Entfaltung verholfen, ohne eigene Wünsche oder einen Anspruch auf ihre Persönlichkeit.
»Und nun kommt meine Überraschung, Kath«, sagt er, und seine hellen Augen ruhen innig in ihren weit geöffneten Augen, Augen, die wie der Spiegel ihrer Seele sind und alle Empfindungen in sich tragen.
Die Gäste gehen hinüber in den Salon, wo bereits der Mokka serviert ist, und nehmen in den bequemen Sesseln Platz. Doktor Wellhof läßt sich das sorgsam gehütete Paket bringen und macht sich an der Musiktruhe zu schaffen.
»Schuberts Unvollendete, liebe Kath«, erklärt er über die Schulter hinweg. Ein leises Raunen, ein Räuspern und Stühlerücken und dann feierliches Schweigen. Wellhof hat sich in den Hintergrund zurückgezogen. Sein warmer, gütiger Blick sucht Kath, und im selben Augenblick schaut sie zu ihm hinüber.
Ein süßer Schreck erfüllt sie. Mein Gott! Er liebt mich! Was in seinen Augen liegt, ist Liebe. Ihr Herz beginnt wie rasend zu arbeiten.
Aber da erklingt Schuberts Musik. Eine machtvolle, aufwühlende, leidenschaftliche Musik, eine Musik der Sehnsucht, ein impulsives Aufbegehren, dann ein Abgleiten in die sphärenhaftesten Töne, ein Anflug von Resignation und immer wieder dieses Aufbäumen, wie ein Nichtbegreifenwollen, wie eine verzweifelte Anklage an das Schicksal, das sich zur Tragik auswirken will.
Schuberts h-Moll-Sinfonie rauscht an den Ohren Kaths vorüber. Ihre Schicksalsmelodie – die Sinfonie ihres Lebens.
Und allmählich legt sich ein Schleier über all die Dinge um sie herum. Alles versinkt. Nur noch die Töne sind da, Töne, die sie ergreifen und aufwühlen, die ihr Herz erzittern lassen und die sie dennoch ruhig machen.
Langsam rauscht die Sinfonie ihres Lebens an ihr vorüber…
*
»Mama, bitte, Mama, laß mich Musikunterricht nehmen. Ich muß Klavierspielen lernen«, stößt die zwölfjährige Kathrin leidenschaftlich hervor. Sie ist ein sehr impulsives, leicht aufbegehrendes Kind, das auf der anderen Seite durch die Liebe sehr gut zu leiten ist. Helene Willm erschrickt vor der Heftigkeit, mit der Kathrin ihre Hände umschlingt und bittet und fleht.
»Kath, ich bitte dich!« Helene Willm nimmt den Kopf ihres Kindes zwischen ihre Hände. Leicht drückt sie einen Kuß auf die Kinderstirn, in die wirr das dunkle Haar fällt. Wunderbares Haar, dunkel, mit einem rostbraunen Schimmer.
»Ich habe nur einen einzigen Wunsch, Mama. Ich möchte Klavier spielen. Tag und Nacht denke ich daran, wie wunderbar das sein wird, wenn man all die herrlichen Melodien wiedergeben kann, wenn man Menschen mit Musik zu Tränen rührt.«
»Kind, Kind!« mahnt Helene Willm beschwichtigend. »Du vergißt, daß wir kein Instrument haben. Selbst wenn ich dir Unterricht erteilen ließe. Wo willst du üben?«
Mutlos läßt Kath den Kopf sinken. Das sieht sie ein. Es sind unmögliche Widerstände zu überwinden. Man schreibt das Jahr 1918, man hat einen langen Krieg verloren. Man kämpft immer noch um die notwendigsten Dinge des täglichen Lebens. Und da spricht sie von der Anschaffung eines Klaviers.
Keinen Blick läßt Helene Willm von den sprechenden Kinderaugen. Es tut ihr weh, daß sie ihm diesen sehnlichen Wunsch nicht erfüllen kann.
Sie schiebt etwas von sich. »Ich mache dir einen Vorschlag, Kind. Wir gehen zu Onkel Paul. Er versteht etwas mehr von Musik als wir alle zusammen. Er soll mich beraten. Einverstanden?«
Wie Rauhreif fällt es Kath auf die junge Seele. Ausgerechnet zu Onkel Paul, zu dem sie noch bis vor kurzem »Sie« gesagt hat, so viel Respekt hat er ihr eingeflößt, und er ist doch Mamas Bruder.
Trotzdem sagt sie ergeben: »Wie du willst, Mama.«
Kath sieht die Erfüllung ihres einzigen Wunsches in weite, weite Ferne gerückt. Niemals wird Onkel Paul Mama unterstützen oder ihr irgendwie behilflich sein.
Als sie sich dem Eingang des großen schönen Hauses nähern, das Direktor Paul Möckel mit seiner Familie allein bewohnt und in dessen Erdgeschoß sich seine Büroräume befinden, da wird ihr Schritt immer zögernder. Zuletzt muß die Mutter sie am Arm ins Haus schieben.
»Nun sei nicht so schüchtern, Kath. Onkel Paul frißt dich nicht«, weist sie die Tochter zurecht. Seufzend steigt Kath die Treppe ins erste Stockwerk hinan.
Tante Grete empfängt sie mit herzlicher, vornehmer Zurückhaltung. Sie ist nicht hochmütig. Es ist so ihre Art, denn sie hat ein gutes, warmempfindendes Herz. Die beiden Kusinen Erni und Leni und der Vetter Horst spielen im Kinderzimmer. Im Wohnzimmer drückt Kath sich scheu in die Ofenecke, aus der sie die Mutter fast mit Gewalt herausziehen muß, so sehr fürchtet Kath sich vor den durchdringenden blauen Augen des Onkels.
»Du willst also ein Klavier haben?« sagt er, und um den ausdrucksvollen, schöngeschwungenen Mund steht ein kleines Lächeln. Das macht ihn Kath sehr sympathisch.
Die Kehle ist ihr wie zugeschnürt. Nur heftig zu nicken vermag sie. Aber kein Wort der Unterhaltung zwischen Onkel und Mama entgeht ihr.
»Ja, liebe Helene, das ist gar nicht so einfach, ein Klavier zu beschaffen, in einer Zeit, wo man glücklich ist, einen warmen Mantel zu besitzen. Da könnte auch Hans nichts ändern, wenn er aus der Gefangenschaft zurückgekehrt wäre –«
Er verstummt, denn er sieht, wie sich ein Schatten auf Mamas Züge legt. Tröstend setzt er hinzu: »Er wird bald wieder bei euch sein. Es kommen ja täglich Gefangenentransporte zurück. Als Mitglied des Roten-Kreuz-Komitees erfahre ich zuerst die Ankunft der Züge.«
»Ja – und was machen wir mit Kath?« bringt Mama den Bruder auf den eigentlichen Zweck ihres Besuches zurück.
»Ja, was machen wir da«, überlegt Onkel Paul und betrachtet Kath prüfend.
Eine Weile denkt er nach, und dann glaubt er eine Lösung gefunden zu haben. Er neigt sich etwas vor. »Laß doch Kath Unterricht geben, Helene. Sie kann bei mir üben. Vielleicht kannst du auch mit dem Lehrer ein Abkommen treffen, daß sie bei ihm hin und wieder üben kann. Zuerst wollen wir einmal sehen, ob es nicht nur eine vorübergehende Laune von Kath ist.«
Kaths Herz beginnt hoffnungsvoll zu klopfen. Er rät Mama nicht ab? Vielleicht ist er gar nicht so unzugänglich, wie sie immer geglaubt hat? Wie kann sie auch wissen, daß Paul Möckel als Kunst-Mäzen einen Namen hat, daß er als guter Tenor Vorsitzender von vielen Vereinen ist?
In Kath verwirrt sich alles. Sie soll Unterricht haben? Herrgott, ihr heißester Wunsch soll in Erfüllung gehen?
Zum Abschied streicht Paul Möckel ihr über das rostbraune Haar.
»Mal sehen, Kath, ob du es dir nicht anders überlegst. Wenn du die Musik wirklich so sehr liebst, dann werde ich auch dafür sorgen, daß du ein Instrument bekommst.«
Kath stolpert mit vor Freude bebenden Gliedern hinter Mama die Treppen hinab.