Schmeckt's noch?
Von Jos Wigger
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Über dieses E-Book
Es gibt vielfältige Begegnungen, unter anderem mit dem „Thüringer Roster“, dem „Ouitsmejter“, „Mohnklößen“ oder mit „Sauren Nierchen“ zum Frühstück im fernen Afrika.
Man erfährt, wo in Deutschland der meiste Alkohol getrunken wird und was der Dresdner Striezel mit dem Oktoberfest-Wiesnbier zu tun hat.
Welche Rolle spielen Lebensmittel in Märchen und in den Comics von Wilhelm Busch? Welchen Einfluss haben sie auf den Zeitgeist und wie beeinflussen sie unser Lebensgefühl?
Der Autor, Zeit seines Lebens ein eher unkonventioneller Esser, befasst sich augenzwinkernd mit seinen eigenen Erfahrungen zum Thema Ernährung.
Kleine Abstecher in die Literatur, in die Film- und Fernsehwelt, in die bildende Kunst, sogar in Religion und Weltanschauung ergänzen den Text und führen zu amüsanten Anmerkungen und Deutungen.
240 leckere Seiten zur Anregung des Appetits.
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Buchvorschau
Schmeckt's noch? - Jos Wigger
Jos Wigger
Schmeckt’s noch?
Gustatorische Erfahrungen aus über 65 Jahren
Impressum
Schmeckt's noch?
von Jos Wigger
© 2018 J. Wigger.
Alle Rechte vorbehalten.
Autor: Jos Wigger
joswigger@freenet.de
ISBN: 978-3-96142-710-9
Verlag GD Publishing Ltd. & Co KG, Berlin
E-Book Distribution: XinXii
www.xinxii.com
Dieses E-Book, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne Zustimmung des Autors nicht vervielfältigt, wieder verkauft oder weitergegeben werden.
Quellenangabe:
soweit nicht extra erwähnt: wikipedia.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort als Vorspeise
1. Thüringer Roster
2. Kartoffelvariationen 1 – Nudeln
3. Kartoffelvariationen 2 – Reibekuchen
5. Gyros auf Kreta
6. Austern und Richard Wagner
7. Alles Käse
8. Einmal Cordjacke mit Schaschliksoße
9. Schwein gehabt
10. Extrawurst bei der Roulade
11. Das Geheimnis des Rotkohls
12. Würstchenwunderland
13. Die schärfste Currywurst
14. Samstagskost
15. Steak als „Stiek"
16. Nochmal Kartoffeln – Kartoffelfeuer
17. Tante Erna
18. Erdbeerjoghurt mit Rosinenbrötchen
19. Milch 1 – Mit Haut
20. Milch 2 – Mit Kanne
21. Muttermilch
22. Spekulatius stippen
23. Weihnachtsplätzchen
24. Wurst unter Strom
25. Jugoslawien 1 – Das Restaurant
26. Jugoslawien 2 – Der Urlaub
27. Frühstückchen
28. Der geleerte Teller
29. Hau mich blau!
30. Der Hungerkünstler
31. Frikadellen
32. Holländische Spezialitäten
33. Camping in Westkapelle
34. Nordseekrabben
35. Josephs Brötchenrallye
36. Frühe Verfehlungen
37. Aus dem Reitstall 1 – Die Tete
38. Aus dem Reitstall 2 – Das vermisste Auto
39. Strammer Max
40. Pomodori
41. Matjes und Co
42. Fehlentwicklung
43. Diäten
44. Scotch
45. Weihnachtsbräuche
46. Gans siegt über Karpfen
47. Kindgerechte Alternative
48. Kochshow-Sülze
50. Bodenständig
51. Kochen mit dem Eismann
52. Perfekte Ergänzung
53. Improvisation
54. Simmels Rezepte
55. Sterneküche
56. „Hänsel und Gretel"
57. „Der süße Brei"
58. Überfluss
59. Noch mehr Überfluss
60. Kategorisierung
61. Schon wieder ein Apfel!
62. „Sieben auf einen Streich"
63. „Frau Holle"
64. Märchenhaft
65. „Bernd"
66. Wilhelm Busch 1 – Hühnerschmaus
67. Wilhelm Busch 2 – Likör
68. Wilhelm Busch 3 – Huckebein
69. „Das große Fressen"
70. Karies
71. Suchtverhalten
72. Currywurst
73. Wilmenrod 1 – Die Nummer 1
74. Wilmenrod 2 – Kreation
75. Wilmenrod 3 – Steigende Ansprüche
76. Volksfeste
77. Nusskuchen-Zeugnis
78. Den Rest gegeben
79. Kindliche Kulinarien 1 – Pellkartoffel mit Butter
80. Kindliche Kulinarien 2 – Panhas mit Marmeladenbrot
81. Kindliche Kulinarien 3 – Schinken meiner Kindheit
82. Winnetous Currywurst
83. Großvaters Flachmann
84. „Heute schon geschweppt?"
85. Gute Werbung
86. Messweinprobe
87. Eingeklemmte Buletten
88. Horst Janssens Weinseligkeit
89. Prost
90. Richtig viel Geld
91. Geschmäcker
92. Heißhunger
93. Mittagsgeschichten
94. Gelungene Verteilung
95. Swakopmund-Hotel
96. Tansania
97. Ein Dackel auf Gummibärchen
98. Eiskugelzeit
99. Innere Werte
100. Christophs Kochkunst
101. Zigeunerschnitzel
102. Kochkurs 1 – Zitronengras
103. Kochkurs 2 – Chefkochs Favorit
104. Kaviar
105. Striezel und Bier
106. Auf der Wiesn
107. Sächsischer Wein
108. Tomaten 1 – Eigene Zucht
109. Tomaten 2 - Zuchterfolg
110. Weihnachtsmärkte
111. Max und Moritz 1 – Regenwurmorgien
112. Max und Moritz 2 – Totale Erschöpfung
113. Max und Moritz 3 – Das Ende
114. Vegetarier
115. Pausenbrot
116. Pausengetränk
117. Hasenbrot
118. Stallhasen
119. Obsternte
120. Äpfel klauen
121. Die Tafel
122. Kommunionunterricht mit Ivanhoe
123. Kommunion 1 – Der Gebetskrampf
124. Kommunion 2 – Das strittige Geschenk
125. Kinderarbeit
126. Kamillenblüte
127. Behinderte Entsorgung
128. Der Knüller
129. Kantinenessen
130. Bratenschnitte
131. Knollen-Meyer
132. Beruhigend
133. Brot war mein Gemüse
134. Da ist der Wurm drin
135. Leberkässemmel
136. Bratenwurst
Nachwort - Das Ende alles Fleischlichen
„Liebe geht durch den Magen, aber was geschieht danach mit ihr?"
Eckart von Hirschhausen
Vorwort als Vorspeise
Wir trinken zu viel Alkohol und rauchen immer noch eine Menge. Trotzdem werden wir in Deutschland mittlerweile über 80 Jahre alt. Allerdings sind mit dem Alter viele Gebrechen und Einschränkungen, allein im Bereich unserer Sinne, verbunden. Sehkraft und Gehör lassen nach, der Tastsinn schränkt sich ein, lediglich der Geruchs- und Geschmacksinn bleiben uns weitgehend erhalten. Bei vielen Alten läuft der einzig verbliebene ungestörte Zugang zur Welt über ihre Geschmacksnerven. Mit ihrer Hilfe können sie noch ein wenig in der gewohnten Normalität weiterleben und sich an hoffentlich leckeren Speisen erfreuen.
Deshalb fordere ich – auch in Erwartung meines eigenen Schicksals – einen Paradigmawechsel: das Wichtigste im Alter sind nicht die Medikamente, die ein vielleicht fragwürdiges Leben verlängern, sondern gutes Essen und Trinken, damit uns wenigstens diese Qualität so lange wie möglich erhalten bleibt - und sei es auch durch die inzwischen notwendig gewordene Schnabeltasse.
1. Thüringer Roster
Nicht erst seitdem ich in Dresden wohne, ist mir der „Thüringer Roster" die leckerste Bratwurst, die ich kenne. Und das will im Land der Bratwürste (es gibt über 50 verschiedene Sorten in der Republik) und bei meiner Bratwurst-Erfahrung einiges heißen.
Egal ob Nürnberger, Fränkische, Münchner, Coburger, Hamburger, Würzburger, Kulmbacher, Sächsische, grobe, mittelgrobe oder feine, ja sogar Geflügel-, Rinds- und Kalbsbratwürste, ich habe sie alle schon probiert, und die meisten haben mir gut geschmeckt.
Aber an die Thüringer Rostbratwurst kommt eben keine heran. Wahrscheinlich liegt es an dieser Zauberwürzmischung aus Kümmel, Majoran und Knoblauch, die sie so unvergleichbar schmackhaft macht.
Es grenzt schon fast an ein Suchtverhalten, aber spätestens nach zwei Wochen brauche ich meinen Roster, am besten frisch vom Grill, mit Bautzner Senf in ein Brötchen geschmiegt. Das ist kleiner Vorgeschmack auf den Himmel, ein Stück verwurstete Lebensfreude ein, ohne die das Dasein einfach ärmer wären.
2. Kartoffelvariationen 1 – Nudeln
Auf dem Mittagstisch meiner Kindheit war die einzige akzeptiere Form der Beilage die Kartoffel, und zwar als gekochte Salzkartoffel von einer möglichst mehligen Sorte. Sie ließ sich am besten in die obligatorische, grundsätzlich angedickte Soße quetschen, um dann als gräulich-braun gefärbter Nahrungsmatsch ihren Weg in die Schlünde zu nehmen. Diese Kombination aus Mehlkartoffeln und Mehlsoße trug ganz wesentlich zur Basiszufriedenheit der Erwachsenen in meiner Familie bei.
Mir war sie eher zuwider, und zum Glück durfte ich sie auch oft durch mein geliebtes Brot ersetzen. Ich hielt diese mit Soße zusammengematschten Kartoffeln für höchst suspekt, und alleine ihr Anblick ließ meinen Appetit ganz schnell in den Keller sinken.
Im krassen Gegensatz dazu erlebte ich meinen Vater: Er begeisterte sich jeden Mittag aufs Neue für die Kombination und quetschte Kartoffeln und Soße mit einem beinahe sinnlichen Vergnügen zusammen. Auf seinem Gesicht spielte sich stets eine ungehemmte Vorfreude über dieses Ritual ab, bevor er die Matsche dann genussvoll verschlang.
Selbst wenn es keine weiteren Anteile, wie Fleisch oder Fisch, zum Mittagessen gegeben hätte, wäre er wahrscheinlich trotzdem glücklich gewesen. Er war eben durch und durch ein Kartoffel-Soßen-Mensch und wäre ein glühender Untertan des Großen Fritz gewesen.
Ich konnte damals nicht nur auf die Kartoffelpampe, sondern auch auf die Gemüsebeilage (Salat gab es eher selten bei uns) gut verzichten – und auch das wurde von meinen Erziehungsberechtigten meistens toleriert. Daher bestand mein eigenes Mittagsmahl also meistens aus einem fleischigen, manchmal auch fischigen oder eirigen Anteil, kombiniert mit meinem über alles geliebten Brot.
Obst hatte ebenfalls nur einen geringen Stellenwert auf meinem individuellen Speisenplan, und daher gab es zur Sicherung einer ausreichenden Vitaminzufuhr regelmäßig das überaus schmackhafte und verlockend orangene Sanostol. Es war ein tägliches Highlight in meinem jungen Leben, gegen das Gemüse, Salat und Obst nicht die geringsten Chancen hatten.
Seltenere Kartoffelgerichte auf unserem Mittagstisch waren Bratkartoffeln, die aß ich ab und zu ganz gerne, und es gab sie auch eher abends (aus Überbleibseln vom Mittag), Stampfkartoffeln, auch an ihnen beteiligte ich mich manchmal, und Kartoffelsalat (dann eher die festkochende Sorte) zu Brühwürstchen oder Frikadellen. Hier zog ich häufig schon wieder das Brot vor, weil mir die weiteren Ingredienzien, wie Gürkchen, Zwiebeln usw. auch nie ganz geheuer waren. Aber die eindeutige mittägliche Vorherrschaft über unsere Familie behielten jahrzehntelang die mehligen Salzkartoffeln.
Als Beilage so gut wie ausgeschlossen war Reis, und die allgemein anerkannte Begründung lautete, man wolle ja schließlich „keine Schlitzaugen kriegen". Ich glaube nicht, dass dieser Spruch irgendwelche rassistischen Hintergründe hatte. Reis unterschied sich einfach so grundsätzlich von der geliebten Kartoffel, dass ihm gar keine Chance eingeräumt wurde.
Ganz selten zu Mittag wünschte sich meine Mutter Hühnerfrikassee, ganz klassisch, mit Champignons und Spargel. Dazu passte nach ihrer Vorstellung nur Reis (warum eigentlich?), und so kam auch eine kleine Schüssel Reis, neben der großen mit Kartoffeln, auf den Tisch. Meine Mutter war die einzige, die diese Beilage aß und dann auch auf die Kartoffeln verzichtete. Alle anderen zogen auch beim Frikassee ihre Favoriten vor. Das asiatische Getreide hatte halt einen schweren Stand in unserer Familie.
Allerdings gab es häufiger Milchreis zum Nachtisch, der, wenn er nicht gerade angebrannt war und mit Zimt und Zucker bestreut, köstlich schmeckte. Schön durchgerührt und wunderbar sämig, „schlunzte" diese Mischung so richtig beim Löffeln, und ich forderte immer einen Nachschlag ein.
Mein absolutes Lieblings-Mittagsessen war es, wenn Nudeln auf den Tisch kamen. Sie wurden fast immer in der gedrehten Spirelli-Form serviert (Spagetti waren offenbar zu Italienisch), und dazu gab es Fertiggulasch aus der Dose. Dieses Ereignis ereignete sich vielleicht alle zwei bis drei Wochen und war für mich ein echter kindlich-kulinarischer Höhepunkt.
Nicht, dass meine Familie nicht auch gerne Nudeln gegessen hätte, insbesondere mein jüngerer Bruder teilte von Anfang an diese Leidenschaft mit mir. Aber auch sie galten einfach nicht als vollwertige Beilage. Also wurden die Nudeln immer auch noch von gekochten Kartoffeln ergänzt, damit es ein „richtiges" Mittagsessen wurde.
Während ich der einzige war, der schon wieder auf die Knollen verzichtete, hatte meine Familie keine Probleme damit, sie wie immer reichlich, auch mit den Nudeln zusammen, zu verdrücken. Für mich war diese Kombination eine Beleidigung der edlen Teigwaren, die alleine schon wegen ihrer immer gleichen perfekt geformten spiraligen Symmetrie meine höchste Anerkennung genossen.
Ich konnte schon damals im Stillen nur meinen Kopf schütteln über derartige Geschmacksverirrungen und bin ein wenig stolz darauf, dass die Zeit mir Recht gegeben hat. Heute kommt niemand mehr auf die Idee, Nudeln mit Kartoffeln zu kombinieren. Gnocchi in diesem Zusammenhang sind ein anderes Thema.
3. Kartoffelvariationen 2 – Reibekuchen
Reibekuchen waren bei uns ein ausgesprochen beliebtes Abendessen der 1950er und 60er Jahre. Die rohen Kartoffeln (jetzt eher die festkochenden) wurden von Hand gerieben, mit Zwiebelwürfeln, Eiern und Mehl vermischt und mit Salz und Pfeffer gewürzt. Dieser Teig wurde löffelweise in eine ölgetränkte Pfanne gegeben und schwimmend zu flachen, knusprigen Plätzchen herausgebacken.
Reibekuchen waren eines der wenigen Kartoffelgerichte, das selbst mir wirklich schmeckte. Schon der markante Geruch der brutzelnden Plätzchen, der mangels Dunstabzugshaube durch die ganze Wohnung waberte, lockte mich aus jeder Ecke hervor und zog mich magisch die Küche.
Dort am Herd hantierte dann meine Großmutter, die unangefochtene Chefköchin unserer Familie, und schuf die köstlichen Kartoffelplätzchen. Die Haare gegen die Fettschwaden mit einem Kopftuch geschützt, löffelte sie fließbandmäßig den Teig in die Pfanne, und kam trotzdem dem reißenden Absatz kaum nach. Denn für jeden knusprig braun gebackene Reibekuchen fand sich sofort ein lechzender Abnehmer.
Es gab immer die Planung, zunächst eine Schüssel mit den fertigen Exemplaren zu füllen, aber die war zumindest am Anfang bei einem solchen Andrang nicht zu realisieren. Erst wenn die Spitze unseres kollektiven Heißhungers halbwegs gekappt war, hatte auch die Schüssel eine Chance.
Ein externer Beobachter hätte uns durchaus für eine seit Wochen ausgehungerte Meute von Reibekuchen-Junkies halten können, die eine allerletzte Chance bekamen, ihre Sucht zu befriedigen. Mein Vater verdrückte bei diesen Gelegenheiten übrigens immer mindestens sieben Stück.
Es gab zwei klassische Beilagenvarianten, die süße mit Apfelmus und die herzhafte mit rohen Zwiebelringen. Meine Mutter zog die herzhafte vor, und mein Vater, wenn er besonders verwegen drauf war, kombinierte die beiden Varianten. Das rief, insbesondere bei meiner Großmutter, regelmäßige Proteste hervor, und obwohl sie gewissermaßen die Reibekuchen-Urheberechte besaß, ließ er sich dadurch nicht im Geringsten von seinem waghalsigen Treiben abhalten.
Für mich