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Dr. Morell. Hitlers Leibarzt und sein Pharmaimperium: Biographie
Dr. Morell. Hitlers Leibarzt und sein Pharmaimperium: Biographie
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eBook947 Seiten10 Stunden

Dr. Morell. Hitlers Leibarzt und sein Pharmaimperium: Biographie

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Über dieses E-Book

Professor Dr. Dr. Schenck gelang erstmals die vollständige Auswertung der in Washington aufbewahrten Morell-Papiere (Aufzeichnungen, Tagebücher, Vernehmungsprotokolle). Eine sensationelle Biographie, die nicht nur zeigt, auf welche Weise Morell Macht über Hitler und andere Größen des Dritten Reiches erlangen und nutzen konnte, sondern auch überraschende Einblicke hinter die Kulissen der nationalsozialistischen Herrschaft gewährt.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum14. Jan. 2019
ISBN9783938176696
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    Buchvorschau

    Dr. Morell. Hitlers Leibarzt und sein Pharmaimperium - Ernst Günther Schenck

    Morell-Papers

    Einführung

    Über die Bedeutung, die Dr. med. Theodor Gilbert Morell als Leibarzt Hitlers zukam, wurde anhand seiner Aufzeichnungen und Notizen bereits ausführlich berichtet (E. G. Schenck: Patient Hitler - eine medizinische Biographie, Düsseldorf 1989). Kaum bekannt oder zur Legende verfälscht ist aber, daß dieser von seinem Hauptpatienten „A hoch ausgezeichnete Mann es mit ererbt wacher Bauernschläue verstand, sich innerhalb der „NS-Crème de la crème einen Freiraum zu schaffen und zu bewahren, den er weidlich zu seinem Vorteil ausnutzte. Dies bezeugen seine minutiösen, als „Morell-Papers in den „National Archives of the United States zu Washington aufbewahrten, umfangreichen Geschäftsund Privatpapiere, welche der Verfasser erstmals insgesamt bearbeitete und auswertete.

    Es ergaben sich daraus vielfältige und zum Teil überraschende Einblicke in personelle und politische, medizinische und militärische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Bereiche des Deutschen Reiches während des 2. Weltkrieges, die sich in dieser Dichte andernorts nicht ausfindig machen lassen.

    Dies sollte u.E. eine Darstellung rechtfertigen, die sich durch die Komplexität des Inhaltes von anderen unterscheidet und doch weitgehend auf einen Mann abgestellt ist, welcher es vortrefflich verstand, sich anderer Persönlichkeiten zu bedienen.

    Was wohl veranlaßte einen Menschen in herausgehobener Position, wie Morell einer war, im Alter von 54/55 Jahren mit dem systematischem Aufbau eines Pharma-Imperiums unter schwierigen Kriegsverhältnissen zu beginnen, ohne seine anderweitigen vielfältigen ärztlichen Verpflichtungen zu vernachlässigen, obgleich er nachweislich bedenklicher chronisch krank war als sein wichtigster Patient?

    War es lediglich das bei ihm sicherlich stark entwickelte merkantile Streben oder eine besonders ausgeprägte Hinneigung zu Arzneimitteln und zwar zu selbstgeschaffenen, welche er bevorzugt bei seinen Patienten einsetzen wollte? Augenscheinlich kommt hier mehreres zusammen. Schon vor dem Medizinstudium ist eine ausgeprägte Neigung belegt, mit Arzneimitteln umzugehen und sie auszuprobieren. So bezeugt ein Mitschüler aus der Präparandenanstalt: „Weißt Du noch, wie wir in Kreuznach Deine berühmten Arsentropfen einnahmen, um dicker zu werden? Ich bin es tatsächlich nach dieser Kur geworden." (28.5.1944 - R 41/4027). -

    Auch Hermann Pauli, Volksschullehrer und von 1901-1904 mit Morell in der Präparandenanstalt Lich/Hessen zusammen, erinnert: „Du fühltest Dich schon im Seminar zum Beruf eines Arztes berufen und wolltest auch immer schon die weite Welt kennenlernen" (30.4.1944 -R 39/0405-0406).

    Ähnlich auch der Filzhutfabrikant Willy Schütte aus Berlin: „Das Datum, an dem wir uns kennen lernten, der 18. Oktober 1918, ist mir gut in Erinnerung geblieben. Ich war ja damals Ihr erster Patient. Auch damals äußerten Sie sich mir gegenüber schon in dem Sinne, daß es Ihr Ideal sei, für einen kleinen Kreis zu wirken, dem Sie sich aber dann voll und ganz widmen könnten. Nun ist dieser Wunsch mehr gelungen als man damals ahnen konnte und wie es wohl nur wenigen Sterblichen vergönnt ist." (4.3.1944 - R 36/7320-7321).

    Ein Major Hartkopf aus Stettin gratuliert mit ähnlichen Worten zur Verleihung des Ritterkreuzes: „Ich kenne ja auch Ihre Lust am Experimentieren und weiß, wie Sie immer darauf bedacht waren, neue Wege zu suchen, um Krankheiten zu bannen und die Konstitution der Ihnen anvertrauten Patienten zu festigen." (28.3.1944 - R 39/0457-0458).

    Steht in diesen Äußerungen Ärztliches, Pharmazeutisches, Patientenbezogenes im Vordergrund, so erhalten mit zunehmender Alterung Morells, existenzbezogene Erwägungen den Vorrang. Schon am 3.6.1940 (R 62/o.Z.) schreibt er nämlich aus dem westlichen F.H.Qu. in der Eifel an seine Ehefrau Hanni: „Schwanenwerder (Berliner Wohnsitz von M., Sch.)ist nur haltbar bei einem ständig hohen Einkommen; also muß ich medizinisch viel verdienen (bei Nachlassen meiner Arbeitskraft) oder mir ein chemisch-pharmazeutisches Einkommen verschaffen."

    Wenig später weist er in einer handschriftlichen Erklärung an das zuständige Finanzamt indirekt ebenfalls darauf hin: „Da ich mir im Weltkrieg ein chronisches Leiden zuzog und infolgedessen am Ende des Krieges d.u. (dienstunfähig, Sch.) wurde mit Versorgungsansprüchen, die aber kurz darauf abgelöst wurden, so war es mir unmöglich, in eine Lebensversicherung einzutreten. Im Falle einer längeren Praxisaussetzung muß ich von oder aus dem Besitz leben, da ich Pensionsansprüche irgendwelcher Art nicht habe. Prof. Dr. Th. Morell". (13.12.1940 - R 36/6981-6985). -

    Ideelle und materielle Erwägungen vermischten sich, und Morell, der schon immer zu Pharmafirmen Verbindungen unterhalten und von Apotheken Rabatte auf Rezepte bekommen hatte, hielt mit seinen Absichten und Plänen sicherlich nicht hinter dem Berge.

    So wurden ihm, den man seiner Position wegen gerne als „Lobbyisten gewinnen wollte, schon 1940 von mehreren Stellen aus Geschäfte angetragen. Er griff, wo es ihm aussichtsreich erschien, mit ganzer Hand zu und pokerte unter Ausspielen seines Einflusses auf „höchste Stellen etwaige Konkurrenten rücksichtslos aus.

    Morell betrieb sein Spiel gleichsam von der Königsloge des Reichstheaters aus und lernte, die vor und neben ihm Sitzenden als Komparsen zu verwenden.

    Es ist schwer vorstellbar, war aber zweifellos der Fall, daß Hitler seinem Leibarzt in einer Weise dienlich war, die über das hinausging, was dieser ihm, objektiv gesehen, an ärztlicher Hilfe leistete. Darum gewinnt die Beziehung Hitler-Morell, welche im großen Zusammenhang betrachtet mehr als nachrangig erscheint, doch eine geschichtliche Dimension. Zum bisher ersten Male kann die innere Abhängigkeit Hitlers von einer anderen Person - auch wenn sie sich nicht spektakulär manifestiert - mit guten Gründen nachgewiesen werden.

    Der Lebensablauf des in Oberhessen geborenen und ab Oktober 1918 praktizierenden, kriegsversehrten Arztes Dr. med. Theodor Morell ist bis zu dem Zeitpunkt, zu dem er 1936/37 erstmals Hitler behandelt und von diesem als Arzt angenommen wird, bis zum Jahre 1940, in dem er zum stets präsenten Leibarzt aufsteigt, wenig bemerkenswert, bürgerlich und NS-ferne. Sie kann in Kürze abgehandelt werden. Interessierender hingegen dürfte die medizinische Biographie sein, läßt sie doch erkennen, daß ein chronisch kranker, seinen sich verschlimmernden Zustand durchaus objektiv beobachtender Mann nicht nur seinen Leibarztverpflichtungen, die er als historische Aufgabe ansah, nachkam, sondern auch anderweitigen ärztlichen, die sich im Auftrage Hitlers ergaben. Er war wohl ein Vollbluttherapeut.

    Daß er hierzu imstande war, war Ausdruck einer besonderen Wesensstruktur: Vielen Bekundungen zufolge, hatte er eine außerordentlich hohe Meinung von sich, ohne daß jedoch darunter seine Einfühlsamkeit in das Wesen seiner Patienten verloren ging. Dazu hielt er Verbindung zu Jugendfreunden und zu Künstlern, hielt aber mißtrauisch und aus einem Minderwertigkeitsgefühl heraus Abstand zu vielen Wissenschaftlern und Ärzten. Dies mit Recht; denn von der medizinischen Öffentlichkeit wurde er nicht für voll genommen und mit einer gewissen herablassenden Verwunderung seiner Position wegen betrachtet.

    Seine Ambitionen hinsichtlich Pharma-Industrie wurden erwähnt; sie wuchsen ins Extreme, und der auf Hitlers Umgebung fixierte, zudem kranke Mann brachte die wahrlich einmalige Leistung zustande, sich vom Führerhauptquartier aus per Telefon ein Pharma-Imperium zusammenzuholen, das freilich nicht einmal zwei Jahre alt wurde und sich 1945 im allgemeinen Chaos verlor.

    Er war Gold- und Schatzgräber. Schatz sollten Medikamente eigener, aber auch angeeigneter Intention sein, von deren Wirksamkeit er überzeugt war und deren Überprüfung er deshalb für überflüssig hielt. Er war ein reiner Überzeugungstherapeut.

    Die Einmaligkeit dieses Morell-Unterfangens spricht für sich und rechtfertigt u.E. eine Darstellung, die zum Staunen, aber auch zum Lächeln einlädt. Jedoch will auch hier der Arzt nichts anderes sein als ein Gehilfe des Historikers.

    E. G. Schenck

    Hauptteil I

    Die Person

    1. Kurz-Biographie Prof. Dr. med. Theodor Morell

    Theodor, Karl, Ludwig, Gilbert Morell entstammte väterlicherseits einer Hugenottenfamilie aus Diex bei Grenoble, deren Zweige sich über Deutschland, die Schweiz und Österreich-Ungarn verteilt hatten, und wurde am 22. Juli 1886 im oberhessischen Trais-Münzenberg vor einer Schwester als zweiter Sohn des dortigen Volksschullehrers Karl Morell und seiner aus einer gutsituierten hessischen Bauernfamilie gebürtigen Ehefrau geboren. Schon sein Großvater war am gleichen Orte Lehrer gewesen, und der ältere Bruder sollte es bis zum Tode im November 1944 ebenfalls in dieser Stadt bleiben.

    Zeitlebens war Morell stolz auf seine französisch-oberhessische Herkunft.

    Der Knabe, als Kind kränklich, kam im Alter von 14 Jahren auf die Präparandenanstalt in Lich und besuchte anschließend das Lehrerseminar in Friedberg zwischen Gießen und Marburg. 1905 erhielt er seine erste Stelle als Lehrer in Bretzenheim bei Mainz.

    Der Beruf behagte ihm jedoch nicht, und er machte, um Medizin studieren zu können, das Abiturienten-Examen nach. 1907 ließ er sich an der Universität Gießen immatrikulieren und trat einer studentischen Verbindung bei, in welcher er den Kneipnamen „Mephisto erhielt. Schon nach einem Semester wechselte er nach Heidelberg, ging von dort an die „École de Medizine de Grenoble, um den Herkunftsort seiner Familie, Diex, kennenzulernen, in dem die Hälfte der Einwohner seinen Namen trugen. Wieder in Heidelberg legte er im Juli 1909 die ärztliche Vorprüfung (Physicum) mit der Note „Sehr gut" ab und übersiedelte zu Ende des Jahres nach Paris, wo er an der Clinique d’Accouchement Tornier geburtshilflich arbeitete und am Institut Pasteur bei dem berühmten, ihn für die Dauer seines Lebens maßgeblich beeinflussenden Professor Elias Metschnikoff (1845- 1916) einen Kurs belegte, woraus er später eine Assistentur und enge Zusammenarbeit machte.

    Von Paris zog es ihn in der folgenden Studienzeit über Heidelberg nach München. Dort machte er im Mai 1912 das medizinische Staatsexamen und erhielt ein Jahr später (Ende Mai 1913), nachdem er in Bad Kreuznach das vorgeschriebene Jahr als Medizinalpraktikant abgleistet hatte, seitens der Bayerischen Regierung die Approbation als Arzt. Zu gleicher Zeit promovierte er mit einer Dissertation: „Dreizehn Fälle von verschleppter Querlage und ihre Behandlung in der Universitätsfrauenklinik München" zum Dr. med.

    Anschließend fuhr er etwa neun Monate lang als Schiffsarzt auf Dampfern der Woermann-, der Hamburg-Südamerika Linie und des Norddeutschen Lloyd nach Nord- und Südamerika sowie an die ostafrikanische Küste. Hieraus machte er später Expeditionen in das Innere des Erdteils zum Studium medizinischer Riten und Gebräuche. Schließlich übernahm er Mitte 1914 eine ärztliche Praxis in Dietzenbach bei Offenbach in Hessen.

    Da er nicht gedient hatte, konnte er nach Kriegsbeginn 1914 seiner ärztlichen Praxis bis in das Jahr 1915 nachgehen; erst dann wurde er als Landsturmpflichtiger eingezogen und tat als Bataillonsarzt Dienst an der Westfront. Er erhielt auch das Eiserne Kreuz 2. Klasse. Bald darauf erkrankte Morell an einem sich zur chronischen Krankheit entwickelnden Nierenleiden, dessentwegen er Monate in Lazaretten verbrachte. Jedoch tat er anschließend in Offiziers-Kriegsgefangenenlagern (Ohrdruff) Dienst, bis er Anfang 1918 vom Militär als dienstunfähig entlassen und versorgungsmäßig abgefunden, in das Zivilleben zurückkehrte - zunächst in seinem früheren Praxisort Dietzenbach.

    Dort hielt es ihn jedoch nicht; er beschloß eine Praxisgründung in Berlin. Schon im Oktober 1918 nimmt er dort als Arzt für Erkrankungen der Harnwege und Elektrotherapie in der Bayreuther-Straße 7 die Tätigkeit auf und führt sie an gleicher Stelle bis zum Jahre 1935 durch, als er seine Praxis an den Kurfürstendamm 216 in eine bessere Gegend verlegt. (Unbelegt bleibt, ob er zwischenzeitlich auch in der Fasanenstraße praktizierte und ob er am Kurfürstendamm als „Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten" firmierte.)

    Wenn bezüglich der angeblichen Facharztbezeichnungen später bemängelt wurde, Morell habe sich als Facharzt für Harnwegserkrankungen, dem heutigen Urologen entsprechend, bezeichnet, ohne eine entsprechende Qualifikation nachzuweisen, so ist hierzu zu bemerken, daß es Facharztausbildungsvorschriften wie die heutigen im ersten Drittel dieses Jahrhunderts nicht gab. Morell wurde als Nierenkranker aus dem Militärdienst entlassen; sicherlich war er in dieser Zeit ärztlich tätig und erwarb sich entsprechende Kenntnisse. Die Elektrotherapie mit galvanischem und faradischem Strom war schnell zu erlernen, wenn man über die entsprechenden Geräte verfügte. Sie war auch zu damaliger Zeit als Mittel zur Behandlung zahlloser „Kriegszitterer" lukrativ.

    Als Hitlers Leibarzt nannte Morell sich später auch „Internist"; eine solche Bezeichnung, für die er nicht ausgebildet war, war zweifellos auch zu damaliger Zeit nicht rechtens. - Wiederholt wird nach dem Kriege von Morell-Gegnern behauptet, er sei in Geheimdienst-, Abtreibungs- und Suchtaffären verwickelt worden. Dies ist nicht aktenkundig zu machen und erscheint dem Verfasser aus Kenntnis der Charakterstruktur dieses Mannes unwahrscheinlich.

    Im August 1919 heiratet Morell die 12 Jahre jüngere, anscheinend wohlhabende und geschäftlich versierte Johanna (Hanni) Moeller (1898-1983); die Ehe bleibt kinderlos, aber Frau Morell, später bis zu ihrem Tode wohnhaft in dem 1940 erworbenen Hamburger Hause Bellevue 42, wurde seine Vertraute in allen seinen geschäftlichen Dingen, Beraterin, auch Kritikerin und vor allem Aufpasserin in seinen Pharmabetrieben bis zum Kriegsende in beiderseitigem Interesse. Nachdem er sie 1943 zur Teilhaberin einiger seiner Firmen im Protektorat Böhmen-Mähren gemacht hatte, stattete er sie noch im Februar 1945 mit weitreichenden Vollmachten aus, obgleich die Beziehung während des Krieges nicht problemfrei blieb.

    Doch zurück in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Morells nach den damaligen Möglichkeiten zeitgemäß, ausgestattete Praxis entwickelte sich zufriedenstellend, wenn auch nicht - seinen Einkommensnachweisen zufolge - dergestalt, daß er, wie Kritiker ihm nachsagen, zum reichen Modearzt wurde. Aus seiner Studienzeit in Frankreich und seiner Tätigkeit in Offiziers-Kriegsgefangenenlagern verfügte Morell anscheinend über ausreichende englische und französische Sprachkenntnisse und vielleicht auch über Beziehungen zur Interalliierten Kommission in Berlin, aber es ist nicht nachweisbar, ob ihm wegen seiner ärztlichen Fähigkeiten in den Jahren 1922 und 1925 wirklich das Angebot gemacht wurde, als Leibarzt des Schahs von Persien oder des Königs von Rumänien an deren Höfe zu kommen. Angaben hierüber stammen lediglich von Morell selbst. Man darf dabei nicht übersehen, daß er z.B. später über seine Schiffsreisen Phantastisches erzählte und wohl auch konfabulierte.

    Im Jahre 1933 hielt Morell sich seines Aussehens wegen und auch weil er einen starken Einnahmeabfall bemerkte, für rassisch und politisch gefährdet. Deshalb wandte er sich Ende 1933 der NSDAP zu und wurde offenbar nach den erforderlichen Formalitäten ohne Schwierigkeiten Parteimitglied. Dies und auch die Praxisverlegung nach dem Kurfürstendamm 216 im Jahre 1935 bedeuteten einen Sprung nach oben; die Einnahmen stiegen, er konnte zwischen 1934 und 1937 zwei große Häuser in dem favorisierten Bad Heringsdorf an der Ostsee erwerben und als Pensionate betreiben. Seine Klientel bestand aus Angehörigen des hohen Adels, Künstlern, Schauspielern, Parteiangehörigen, Wirtschaftsführern. Auch privat scheint er in diesen Kreisen lebhaft verkehrt und zahlreiche Freunde gewonnen zu haben.

    Sein Aufstieg zu einer Person von öffentlichem Interesse begann um die Jahreswende 1936/37, als ihn Prof. Heinrich Hoffmann, Hitlers Hoffotograf, von Morell mit Erfolg behandelt und zunächst auf ihn eingeschworen, dem Führer vorstellte. Dieser zog den Arzt ins Gespräch, klagte über Beschwerden und Leiden, ließ sich in einem Nebenraum des Hoffmann-Hauses in München untersuchen, beraten und mit bald sich einstellendem Erfolg behandeln. Die Besserung seines Zustandes machte Morell für Hitler nach und nach immer unentbehrlicher. Schon 1938 hatte er ihn - was Morell zur Einstellung eines Praxisvertreters, zunächst des späterhin berüchtigten Dr. med. Wohlgemuth, veranlaßte - auf seinen Deutschlandfahrten zu begleiten und ab Kriegs-, d.h. Feldzugsbeginn 1940 in Frankreich, ständig in seiner nächsten Umgebung zu verweilen.-

    Dies war mit Schwierigkeiten verbunden; denn die militärisch, staatlich und politisch orientierte Umgebung des obersten Kriegs-, Staats- und Parteiherren wollte einem zivilen Außenseiter par exellence, wie Morell wohl einer war, den unmittelbaren Zutritt zum Lenker des Schicksals aller nach Kräften verwehren. Aber Hitler wollte die Beziehung, und Morell, der sich am durchuniformierten Hofe mit einer selbstentworfenen Privatuniform auswies, gelang der einzigartige Einbruch: Ab Mai 1940 bis zum 21. April 1945 dürfte Morell Hitler ständig persönlich zur Verfügung gestanden und ihn unentwegt beraten, sich mit ihm auseinandergesetzt und ihn behandelt haben. - (Nicht hinreichend, weil lediglich durch einen Brief Morells vom 6.8.1942 an den Gesandten Windecker belegt, ist eine auf Hitlers Wunsch erfolgte vierwöchentliche Abwesenheit zur Behandlung des Gauleiters Wagner in München während des Sommers 1942).

    Für Morell ist die gesundheitliche Betreuung seines „Chefs" eine Aufgabe von historischer Bedeutung, der er sich trotz verschiedener Widerwärtigkeiten, zu deren Überwindung Hitler beiträgt, nicht entzieht. Hitler sieht in seinem Leibarzt nicht nur einen bedeutenden Helfer, sondern auch einen großen, von der etablierten Medizin, die er ablehnt, verkannten Gelehrten. Er ehrte ihn schon 1938 durch Verleihung des Professorentitels und im Februar 1944 durch die des Ritterkreuzes zum Kriegsverdienstkreuz, zu deren Begründung er persönlich den Text entwarf. Diese persönliche Beziehung bestand bis in den März 1945. Aber am 21. April entließ er ihn ebenso plötzlich wie andere seiner engsten Umgebung. Morell kam am 23. April 1945 mit der Führer-Kuriermaschine aus Berlin zusammen mit acht Frauen und sieben Kindern in Neubiberg bei München an, beschaffte sich einen PKW mit Fahrer und fuhr in sein privates physikalisches Forschungsinstitut in Bayrisch-Gmain, nahe Berchtesgaden. Dort regelte er noch Angelegenheiten, die seine Pharma-Unternehmungen im Protektorat Böhmen-Mähren betrafen. Er erkrankte darüber schwer und wurde am 1. Mai 1945 in das Stadtkrankenhaus Reichenhall eingewiesen. Dort wurde er am 17. Juli von der US-Militärpolizei verhaftet und über die Lager Plattling und Ludwigsburg bei Stuttgart in das amerikanische Vernehmungslager Oberursel verlegt. Er war offenbar schwerkrank, geistig kaum noch ansprechbar, in höchstem Maße geängstigt.

    Der geistige Abbau machte Fortschritte; man konnte nichts mehr mit ihm anfangen. Am 30. Juni 1947 entließ ihn die amerikanische Seite als haftunfähig aus dem Zivilinternierungslager 29 (vormals KL Dachau), und er wurde in das Hilfskrankenhaus „Alpenhof" am Tegernsee eingeliefert. Die US-Diagnose lautete: schwere Herzinsuffizienz, aphasische Sprachstörung (schwere Wortbildungsstörung offenbar nach Schlaganfall), Unfähigkeit zu gehen (anscheinend Lähmung nach Schlaganfall); Mißhandlungsfolgen, später mehrfach erwähnt, sind nicht belegt.

    Am 26. Mai 1948 starb Morell in dem genannten Krankenhaus - einer Angabe zufolge an einer Embolie nach einer Bruchoperation. (Dies ist nicht belegt, aber möglich, da der vordem sehr adipöse Mann anscheinend an einem Bauchmuskelbruch litt und deshalb einen breiten Ledergürtel trug.)

    2. Medizinische Biographie

    Über den Gesundheitszustand Morells, der insgesamt nicht gut und erheblich schlechter war als der seines Hauptpatienten „A" liegen nur wenige objektive Angaben vor, sondern vornehmlich solche von ihm selbst oder von Bekannten. Diese ermöglichen jedoch die Rekonstruktion seiner medizinischen Biographie für die Zeit seiner Leibarzttätigkeit von 1940-1945, zumal wir wissen, daß er vom Ersten Weltkrieg her an einem chronischen Nierenleiden litt.

    Hierüber berichtet ein handschriftlicher Brief von Morell an das Finanzamt Berlin-Charlottenburg/Ost, wie bereits in der Einführung zitiert.

    Ausführlicher äußert er sich über diese Krankheit in einem weiteren Brief aus dem Jahre 1944: „… Wir scheinen damals zu gleicher Zeit in Ohrdruf fortgegangen zu sein; denn wir haben die Ära Stern noch erlebt. Mein Nierenleiden brach aber in (unleserlich), wohin ich mit der Sanitäts-Kompagnie aus Darmstadt kam … und Ruhr mit aller Macht wieder aus und führte mich über ein Lazarett in Offenbach nach Wildungen. Vorübergehend hatte ich dann das Garnisonslazarett in Darmstadt und kam dann ohne Nachuntersuchung nach Nordfrankreich. Bei den Anstrengungen des Vormarsches Noyon-Mont-Didier bekam ich wieder Nierenbluten und verbrachte ein paar Monate im Lazarett, wo mindestens 30 Ärzte lagen. Man erklärte mich dann für gänzlich dienstuntauglich. Inzwischen war es Ende 1918 und ich ergriff beim Vormarsch der Feinde in Darmstadt die Flucht und blieb in Berlin. Schnell hatte ich dort eine Riesenpraxis, wohl die größte in Berlin, aber ohne Kassen. Seit 1936 bin ich dauernd beim Führer." (Morell an Heilmann in Mainz 4.4.1944 R 39/0481-0482)

    Zwei Rezepte aus dem Jahre 1935 bezeugen, daß er zur Kur im Herzbad Nauheim weilte.

    Während des Frankreichfeldzuges hält er sich im Führerhauptquartier in der Eifel auf, wo er erbitterte Positionskämpfe zu bestehen hat, um einen Platz am Tische des Führers zu erringen und zu behaupten. Dies bezeugen zahlreiche Briefe an die Ehefrau, in welchen er sich über das Verhalten vor allem des Photographen H. Hoffmann und des Begleitarztes K. Brandt und des Botschafters W. Hewel beschwert. Dies und die veränderte Eßweise wirkt sich auf seinen Zustand aus. Er schreibt in einem Feldpostbrief (Morell an Ehefrau Hanni aus F.H.Qu. West/Eifel 26.5.40): „Ich selbst habe oft Beschwerden. Die Kost ist wohl sehr kräftig und gut. Durch meine Zahndefekte gibt es jedoch oft Leibbeschwerden. Die vermehrte Peristaltik löst vom Bruch aus Bauchfellreize aus. Dann ist das Essen stark gewürzt, wodurch ich sehr oft Nierendruck habe. Mit dem Herzen geht es …."

    Dies ist der überhaupt einzige Hinweis darauf, daß Morell einen großen Bauchmuskelbruch gehabt haben muß, was erklärt, daß der zudem sehr fettleibige Mann stets einen außerordentlich breiten Ledergürtel trug.

    Aus dem Jahre 1941, in dem Morell sich hauptsächlich im F.H.Qu. Wolfsschanze in Ostpreußen aufhielt, liegen keine, die Gesundheit betreffenden Berichte vor.

    Aber 1942 scheint er sich erschöpft zu fühlen und bemerkt zu einem bekannten Kollegen: „Ich bin schon seit ein paar Jahren ständig unterwegs. Hätte auch unbedingt einmal Ausspannung und Erholung nötig. Mit 56 Jahren fängt halt der Körper an, etwas brüchig zu werden. Auch waren die Strapazen in den letzten Kriegsjahren manchmal recht erheblich." (Brief an Dr. Recknagel, Schloß Hornegg vom 1./3.1.1942, Entwurf - R 38/9679-9682).

    Am 21.4. schreibt er an den Konsul Voss in Hamburg, mit dem er offenbar nicht im Frieden über die Firma Hamma verhandelt hatte: „Ich bin nun wieder im Hauptquartier und versuche, mich hier von der Herzattacke zu erholen." (R39/1084-1085)

    Ebenfalls eher Folge der Beschäftigung mit Wirtschaftsdingen als mit dem Patienten A, sind die Beschwerden, über welche er aus dem F.H.Qu. Werwolf bei Winniza seiner Frau berichtet: „Ich bin doch jetzt oft sehr müde durch das viele Fahren nach Shitomir. Lege jeden zweiten Tag - manchmal auch jeden Tag - gegen 300 km zurück und das auf schlechten russischen Pflasterstraßen. Heute tun mir mal wieder die Nieren recht weh. Habe bestimmt wieder Eiweiß…"

    Zu einer erheblichen Zustandsverschlechterung kommt es dann Anfang 1943, als der Führertroß auf den Obersalzberg bei Berchtesgaden umzieht, wo er mehrere Monate bleibt.Aloys Becker, 17.2.1943: „Mit Bedauern hörte ich gestern, daß es mit Ihrem Herzen nicht gut geht…" (R 36/7541-7542).

    Telefonnotizen 25.3.1943: Ich selbst seit nachmittags starke Herzbeschwerden und Beklemmungen durch Föneinwirkung. (R 39/o.Z.).

    Morell-Notiz: …auf Berghof resp. Berchtesgaden Fön: Ich selbst nachmittags starke Herzbeschwerden und Beklemmung durch Föneinwirkung. Führer selbst malade. (25.3.1943 - R 62/o.Z.).

    Telefonnotizen 27.3.1943: Rücksprache (mit F) wegen Ersatzhilfen (Vertretung) (R 39/o.Z.).

    Dr. G. Zachariae 7.4.1943: „Ich bin natürlich jederzeit gerne bereit, Sie in Ihrer Praxis für kürzere oder längere Zeit zu vertreten. … Hoffentlich geht es Ihnen gesundheitlich wieder besser und haben Sie Gelegenheit, sich in der Zeit einer relativen Ruhe, Kraftreserven für die sicherlich bewegte Zukunft zu schaffen." (R 38/9748).

    Oberfeldapotheker Dr. K. Gemeinhardt: „… hörte mit Bedauern, daß Ihre Gesundheit zu wünschen übrig ließ." (R 38/9776 - 14.6.1943).

    Morell-Brief an Kronmüller: „… wegen mäßiger Gesundheit: Interessen an schönen landwirtschaftlichem Anwesen an der südlichen Reichsgrenze." (28.8.1943 - R 41/3005).

    Morell scheint in diesen Monaten mit dem Gedanken gespielt zu haben, sich durch seine Assistenten bei Hitler vertreten und auch sich von diesen behandeln zu lassen, ja vielleicht dachte er überhaupt an ein Ausscheiden, wie sein Schreiben an den befreundeten Staatssekretär Kronmüller vermuten lassen könnte. Jedoch muß man aus seinen Gesamtnotizen schließen, daß er weiterhin Hitler betreute und sich mehr oder weniger selbst behandelte. Jedenfalls scheint sich ab August 1943 sein Befinden wieder für Monate gebessert zu haben. -

    Zu einer neuerlichen erheblichen Verschlechterung kam es im Januar 1944. Morell-Notizen über eigenen Gesundheitszustand 1944:

    4.1.: Gewicht 223 3/4 Pfund - Masseur Weinert - mit Mittagessen ausgesetzt. Rickert (behandelte anscheinend Morell, Sch.) Glucose i.v. + Leber-Vitamultinforte.

    8.1.: morgens 230 Pfund; Massage, Hunger-Dursttag; 2 Eßlöffel Rizinusöl + 4 Boxberger Pillen.

    9.1.: 3 h nachts nach Tee beim F. 224 Pfund, gut durchgehalten.

    9./10.1.1944: sehr mildes Wetter, leichter Wind und Schnee, nachmittags 1 Std. nach Rastenburg zum Luftschnappen gefahren. 222 Pfd. nach Massieren. (R 62/o.Z).

    4.2.1944 Morell in Berlin: College Weber zur Injektion.

    11.2.1944 Katarrh der oberen Luftwege.

    26.2.: nachts in Schüttelfröste. Schmerz im linken Lungenseiten-Unterlappen. Fieberanstieg bis gegen 39°. Quälender, stundenlanger Hustenreiz, Abhusten nicht möglich. Morgens 4 x und 1 x Injektion in den linken Oberschenkel. Anfänglich kein Ultraseptil¹; hier, bei mir, morgens um 11 h erhalten: 4 x tgl. 2 Tabletten - Nachmittags wegen starker Herzbeschwerden durch Dr. Sievers, Oberst, Prostrophanta i.v. plus Ultraseptil i.m. (R 62).

    Um diese Zeit erhielt Morell den Brief eines früheren Lehrers, der in der Zeitung von der Verleihung des Ritterkreuzes zum Kriegsverdienstkreuz erfahren hatte. Er ist kennzeichnend für die Veränderung, die seine Körperlichkeit mit den Jahrzehnten erfahren hatte: „Ich habe nun zwei Bilder von Ihnen gesehen, danach hätte ich Sie nicht mehr erkannt, nur die Augenpartie ist noch ähnlich wie früher. … da zeigt sich der mächtig große und starke Mann, dessen Kopf mir in guter Erinnerung ist. Aber niemals hätte ich damals vermutet, daß der schlanke Theo Morell mit seinem etwas südländischen Typus solch körperliche Mächtigkeit einst haben werde… Schulrat Lorenz (R 42/5513-5515).

    Morell übersteht die Lungenentzündung, fühlt sich aber bleibend krank.

    Morell an Dr. Weber - Berlin 8.4.1944 über sich: „… mit meinem Herzen ist es sehr wechselnd, in 1000 m Höhe bekomme ich jetzt allmorgendlich zwischen 5 und 7 Uhr starke Beklemmungen nach der vor sechs Wochen durchgemachten Lungenentzündung. … bis vor fünf Tagen Schnee. 2,5 m hoch - jetzt endlich Sonne." (R 40/1963).

    „20.4.: Ich nachts sehr schlecht; 2 Stunden Schlaf. Oberst Dr. Siebert (?): Campher-Injektion + gr. (?) Prostrophanta, Vitamultin - Calcium und Strophantin i.m. (? Sch.) - Armbewegung unmöglich."

    Morell über sich 21.4.1944: „um 6 h eingeschlafen, nahm Esdesan." (R 62).

    „21.4.: ich: Esdesan 20 Tropfen, später 11 Tropfen; nachts 1-6- Std. geschlafen."

    Hitler mit Gefolge befanden sich in diesen Wochen auf dem Obersalzberg, und Morells Assistent Dr. Weber muß ihn, von Berlin herbeigeholt, in dieser Zeit dort behandelt haben. Dies geht aus mehreren Notizen hervor:

    Morell an Minister Funk über seinen Gesundheitszustand am 12.5.1944: „…vor ein paar Monaten Lungenentzündung; im Bunker- und Barackenleben Verschlimmerung der Herzbeschwerden - sehr ungünstig dann Einnebelung des Berghofes; kann kaum einige Schritte gehen - Anginoide Zustände, mehr außerhalb als im Bett. EKG schlecht - Behandlung illusorisch; Strophantin allein hilfreich, da Venen schlecht - nur Dr. Weber. Dieser deshalb von Berlin geholt - auch um ggf. für den Führer da zu sein. Jetzt mit Genehmigung von A. H. im Hotel Berchtesgadener Hof. 500 m tiefer; täglich 12-14 Uhr bei A. H. dann unten und Liegekur." (R 40/1912-1913).

    Morell an Frl. Schramm 16.5.1944: „…habe Dr. Weber bis Ende des Monats hier bei mir." (Obersalzberg Sch., R 35/4936)

    Laves an Morell 15.5.1944: „…beste Wünsche für völlige Genesung." (R 36/6373)

    Dr. Siegmund, Vertreter von Dr. Weber in Morells Berliner-Praxis während Morells Krankheit 16.5.1944: „Ich hoffe, daß es Herrn Prof. Morell wieder besser geht und er Sie wieder entbehren kann." (R 36/6678)

    Morell selbst über seine Gesundheit 1944:

    Mein lieber Landsmann! Habe mich sehr über Ihren Brief und Ihre Anteilnahme gefreut. Aber so ein richtiger Oberhesse läßt sich nicht so leicht unterkriegen. Aus der Ecke Hessens sind wir ja von etwas derberen Schrot und Korn, um auch einen etwas stärkeren Puff zu vertragen. Aber es geht wieder bergauf und ich habe in der Zwischenzeit meinen wichtigsten Patienten immer gut betreuen können. Ich hoffe, dies auch weiterhin bis über das Ende des Krieges gut gelingen wird. (R 38/9252)

    Bruder Adolf Morell, Volksschullehrer in Trais-Münzenberg 29.5.1944: „…Leid tut es mir, daß Du gesundheitlich so schwer mitgenommen bist. Ich glaube, wenn Du Deine Korpulenz auf natürliche Weise etwas herunter schaffen könntest, der Herzmuskel auch mehr die Kraft hätte, den Körper durchzupumpen, und mit etwas mehr Muskelbildung der Herzmuskel sich analog stärken würde. … Daß Du so schwer erkrankt warst, habe ich gefühlt. Man gibt zwar auf Träume nichts. Aber vor Wochen wurde mir durch einen Traum, in dem Papa, Mama und Du eine Rolle spielten, so schwer, daß ich am Morgen zu Frieda äußerte: Etwas ist los, entweder mit meiner Schwester oder mit meinem Bruder." (R 43/5689-5692).

    Dr. Weber, Berlin an Morell 5.6.1944 zu dessen Behandlung: „Sie sollten sich in den nächsten Monaten noch schonen, mehr als 6 Stunden dürften Sie bei dem Grade Ihrer Insuffizienz am Tage nicht auf sein; zu überlegen wäre ob nach Abschluß der jetzigen Strophantinbehandlung nicht Versuch mit Digilanid und gleichzeitig gefäßerweiternde Medikamente (Erytro-tetravitrat) gemacht werden sollte. Bei Ihren schlechten Venen muß man damit rechnen, daß eine Zeitlang keine Injektion möglich ist. Gefäßschonung, bis Straphantin, das den Kreislauf verwöhnt, wieder angezeigt, dringend notwendig. Hinweis auf Arbeit über Digitalisbehandlung." (R 36/6804-6806)

    Morell an Dr. Krüger, Prag Juni 1944: „Gesundheitlich geht es mir nach der Herzruhekur und stärkerer Einschränkung meiner Arbeitstätigkeit wesentlich besser. Vertrage 1000 m Höhe nicht, deswegen nach Berchtesgaden gezogen." (R 38/0045)

    Dr. Freude, Berlin, Facharzt für Innere Krankheiten 7.6.1944: „Morell hatte Herzattacken." (R41/3938).

    Dr. Weber an Morell 14.6.1944: „…erfuhr von Frau Morell, daß es ihm bezüglich Herz recht gut geht…" (R 43/5781).

    Äußerungen anderer:

    Dr. Mulli 4.7.1944: „Gesundheitszustand Morells wieder etwas verschlechtert." (R 38/8966-8967).

    Morell an den Gauleiter von Kärnten Rainer 18.7.1944: „Bei der Suche nach Unterkunft des Elektronenmikroskops sollte ursprünglich auch ein bequemer großer Wohnplatz für mich in Berücksichtigung kommen, der sowohl mir gesundheitlich zustatten kam (mein Herz hat infolge der großen Anstrengungen der letzten Jahre etwas notgelitten, da ich keine Zeit hatte, mir Schonung zu gönnen oder Kuren zu machen), als auch in der Nähe des Berghofes liegen sollte, damit ich zu jeder Zeit in kürzester Frist beim Führer auftauchen konnte. … Bei dieser veränderten Situation liegt mir nun sehr viel daran, mir im sonnigen Süden für spätere ruhige Tage einen schönen Wohnsitz zu schaffen, der meinem Gesundheitszustand vollauf Rechnung trägt. Hierfür halte ich den Gau Kärnten für den geeignetsten. Ich denke dabei an ein sich selbst tragendes Gut in der Nähe des Wörther Sees." (R 35/5300-5301).

    Wie seine umfangreichen Notizen gerade von 1944 bezeugen, versah Morell trotz eigener schwerer Erkrankung seinen Dienst bei Hitler und anderen Patienten getreulich und beschäftigte sich auch mit seinen pharma-industriellen Vorhaben sehr gründlich. Er ließ sich offenbar nach außen hin nicht viel von seinen Beschwerden anmerken und dissimulierte, so gut er konnte. Es ging ihm aber auch gerade in den Tagen um den 20.7., an dem das Attentat auf Hitler erfolgte, wieder erheblich besser. Von diesem Ereignis berichtet er merkwürdig wenig. Er, der allen Zeugen zufolge höchst ungern fliegt, meldet am 30.7.1944 dem Min.Direktor Fischer, „bin in den letzten Tagen 3000 km geflogen." (R 44/7698-59) und am 31.8.44 einem Herrn A. von Raedern: „…das Leben in den letzten Monaten ist z.T. in erheblicher Aufregung vorübergegangen" (R41/3520-3522) - wozu er bemerkt: „Die Russen sitzen vor der Tür, aber ich hoffe, daß wir sie in den nächsten Tagen jagen können." -

    Trotz aller Geschehnisse scheint er also durchaus wohlgelaunt.

    Die Herzbehandlung nach seiner Weisung durch seinen Assistenten Dr. Weber in Berchtesgaden scheint ihm gutgetan zu haben; denn am 3.9.44 schreibt er aus dem Führerhauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen: „Was mich anbelangt, so kann ich auch berichten, daß die großen Beschwerden und Atemnotzustände vergangen sind. Da ich nun schon wieder mehrere Wochen an einem feuchten Waldplatz sitze, sehne ich mich wieder nach einer abwechslungsreicheren Gegend" (an Reg.Rat Dr. Krüger, Prag - R 42/5570-5571), und am gleichen Tage: „Gesundheitlich habe ich mich wieder einigermaßen erholt. In unserem Walde hört man weniger von der Kriegslage als irgendwo anders außerhalb der Stelle, von wo die Fäden ausgehen. Im grauen Einerlei gehen hier die Tage um, und man sehnt sich zurück in die Zeit abwechslungsreichen Fröhlichseins."

    An Frl. Schmift-Merz (R 42/ 5574): „An diesen Tagen ist der Leibarzt sehr schreibfreudig und von seinem Patienten „A offenbar nicht beansprucht.

    Morell an Schwester Milly Kurth 3.9.1944: „… kann Dir mit Zufriedenheit mitteilen, daß die Hustendaueranfälle aufgehört haben. Sie kamen halt durch den bei einem Flug eingeatmeten Fremdkörper, der allmählich heraus eitern mußte. Mit dem Herzen ist es mir gut, da ich in den letzten beiden Monaten weder große Flüge noch große Autotouren zu machen hatte. Der Nabelbruch hat sich dadurch beruhigt und ebenfalls auch das Herz. Hoffentlich bringt die Zukunft nicht zu große Aufregung und Anstrengung, da sonst die Beschwerden von Neuem beginnen könnten. … will zeitweise Dr. Weber (den Assistenten in seiner Berliner Praxis, Sch.) zu meiner Entlastung herkommen lassen." (R. 42/5577).

    Morell an Frau Köglmaier, München 3.9.1944: „…Bei uns ist das Leben recht abwechslungsreich und arbeitsreich geworden. Glücklicherweise hat sich mein Gesundheitszustand soweit gebessert, daß ich wieder so ziemlich allen Anstrengungen gewachsen bin, d.h. ein sehr langer Flug ist noch nicht unternommen worden, so daß ich über dessen Einwirkungen noch keine Beurteilung habe. Im Übrigen drückt die Waldstimmung auf die Seele und anderes oft auch. … Wie schade war es, daß mein Krankheitszustand während des vielmonatigen Aufenthaltes in Berchtesgaden es nicht zuließ, einmal eine Fahrt nach München zu machen." (R 42/5572-5573).

    Morell an Fr. Heimannsberg 3.9.1944: „…Kann von mir nur berichten, daß die durch den verschluckten Fremdkörper ausgelösten Hustenanfälle nun aufgehört haben…" (R 42/5576).

    Morell an Pfarrer i.R. Hunzinger - Bensheim, 10.9.1944: „Lieber Verwandter! … Meinem Schutzbefohlenen geht es noch recht gut und ich bin zufrieden, daß ich das auch von mir sagen kann. Bin jetzt immer sehr beschäftigt …" (R 43).

    Die Erholungsperiode dauerte nicht sehr lange; denn Anfang Oktober wurde seitens der Führerbegleitärzte K. Brandt, H. K. von Hasselbach und des umtriebigen E. Giesing gleichsam auf ihren ungeliebten Kollegen Morell ein Attentat verübt, das aber völlig scheiterte und zu ihrer Entlassung aus der Umgebung Hitlers führte (s. E. G. Schenck: Patient Hitler - eine medizinische Biographie, Düsseldorf 1989, S. 238 u.ff.). Morell war aber in hohem Maße gefährdet gewesen und entsprechend alteriert, was verständlicherweise nicht ohne Auswirkungen auf den bereits Geschädigten blieb. Ohne auf den Vorgang selbst einzugehen, äußert er sich selbst sachlich dazu und deutet an, daß Hitler es war, der ihn gerettet hatte:

    Morell über seine Gesundheit, 7.-11.10.1944

    7.10. Samstag: ich - Über Nacht vom 5. auf 6. Oktober Gehirnödem und leichte Blutung hinter dem linken Auge gehabt. Dabei Sehstörungen. Sehachsenänderung und Gesichtsfeldeinschränkung, leichter Brechreiz ohne Erbrechen, Stuhldrang, aber nur 1 x Stuhl nachts, kein Kopfschmerz, beim Gehen Schwindel. - 3 Koagovit-Tabl., Brom-Nervazit, Aderlaß und intravenös Traubenzucker und Jodininjektion, leider wegen dünner Adern anfangs unmöglich, aber 3/4 Tage später. Gleich Thrombovit + Vitamultin - Calcium - Bettruhe. Kalte Aufschläge (Augen).

    7.10.: 13.15 Uhr mittags: Anruf des Führers auf meine Erkundigung, ob ich gleich kommen könne: …ich möchte zu Bett bleiben, damit ich schnell wieder heil würde.

    8.10.: Dr. Weber angekommen - aber mit Angina.

    9.10.: auf Anruf sagt F. gleiches wie am 7.10.

    11.10.: F.: ich soll nicht kommen (selbst ruhen, damit ich rasch wieder gesund würde. (R 62/o.Z.)

    Zwei Wochen darauf hat sich sein Zustand stabilisiert und Hitlers Verhalten zu ihm scheint als Medikament wohltuend gewirkt zu haben.

    Morell an General Warlimont 23.10.1944: „… Eine Reihe von Wochen sind für mich nicht allzu angenehm verstrichen und waren mit viel Ärger verbunden. Aber der Führer war so reizend zu mir, daß dies alles andere reichlich aufgewogen wurde… Ich denke, daß ich nun in größerer Ruhe meinen großen Verpflichtungen und Verantwortungen nachgehen kann…"

    Zugleich äußert er den Wunsch, das hiesige Sumpfgelände mit süddeutschem Klima vertauschen zu können (R 41/3528).

    Morell an Reichsintendanten SS-Gruppenführer Hinkel 26.10.1944: „… Das Leben im Kriege ist doch recht eintönig. Aufrecht hält mich stets nur die Riesenverantwortung, die ich stets zu tragen wußte, obwohl es manchmal sehr viel Nerven gekostet hat und kostet. Ich glaube, daß mein „Chef stets sehr zufrieden mit seinem Doktor ist. Denn immer wieder ernte ich sehr anerkennende Äußerungen. (R 36/6929).

    Immerhin war aber sein Assistent Dr. Weber aus Berlin in das ostpreußische F.H.Qu. Wolfsschanze gerufen worden, wo er ihm mehrere i.v.-Injektionen verabreichte. -

    Wie sehr Hitler am Wohlergehen seines Leibarztes Anteil nahm, erweisen die folgenden Morell’schen Aufzeichnungen:

    Morell bei A. H. - Tod seines Bruders 11.11.1944: Nach Mitteilung des Todes meines Bruders war der F. sehr bekümmert wegen seiner Reise, da der Westen sehr gefährdet sei. Ich machte Vorschläge für Flugzeug (dies gehe nicht, da stets eine Unmenge feindlicher Jäger unterwegs seien), Auto (so lange Fahrten würde ich nicht vertragen trotz meiner gegenteiligen Versicherung), Bahn (könne man nur bedingt benutzen, in Fahrzeiten wegen Angriffe sehr unsicher). Er will alles mit einigen Herren besprechen (R 62).

    Morell - Beerdigung des Bruders: Eisenbahnfahrt nachts 11./12.11.44

    Begleitung: Kriminaldirektor Schmidt auf Geheiß des F., Unteroffizier Stelzer - Dienststelle Morell, Dr. Makkus - Dienststelle Morell.

    Nach Rückkehr in das F.H.Qu. Wolfsschanze, dessen endgültige Räumung in diesen Tagen vorbereitet wurde, wirkte Morell recht angeschlagen, was auch Hitler auffiel:

    18.11.: 17 Uhr anläßlich der Untersuchung Hitlers durch Prof. v. Eicken, F.: Ich solle nach Hause gehen und ruhen. (Ich war einige Male blaß geworden, große Müdigkeit, Herzdruck). (R 62)

    Die Rückkehr von Ostpreußen nach Berlin scheint aber nicht nur auf Morell wie ein Elixier gewirkt zu haben.

    Morell an Reichshauptstellenleiter Sievert 26.11.1944: „Meinem Patienten geht es glücklicherweise immer noch sehr gut. Er ist immer der Alte an Spannkraft und Leistungsfähigkeit. Doch ist es mir zeitweilig nicht gut gegangen. Die Jahre um den Führer haben auch Nerven gekostet, und so lag ich eine Weile auf der Nase. Jetzt bin ich aber wieder wohlauf und kann mich wieder voll meinen vielfältigen Arbeiten widmen." (R 34/4337)

    Hitler war am 21.11.44 von Prof. von Eicken zum zweiten Male ein Stimmbandpolyp entfernt worden.

    Im Dezember 1944 stellt Morell dem Kardiologen Prof. Weber, der stets Hitlers EKG beurteilt hatte, neuerlich dessen letzten Befunde zu und legt mit einer Darstellung seiner Krankengeschichte auch die eigene bei (Brief vom 2.12.1944)

    „Weiterhin lege ich einige EKGs von mir bei. Wie ich schon früher mitteilte, hatte ich nach einem miserablen Flug vor etwa zwei Jahren den ersten schweren Angina pectoris-Anfall mit länger resistierendem stark negativen „T", das sich später wieder ausregulierte. Die Qu.R.S.-Öffnung wird allmählich immer weiter. Durch die ständig große Verantwortung und manche gehässigen Intrigen sind bei mir leichte Dauerbeklemmungen eingetreten, Nachtschweiße und etwas Kurzatmigkeit. Auch sind die Unterschenkelödeme etwas stärker geworden, weshalb ich mich alle paar Tage massieren lasse. Höhen von 800-1200 m vertrage ich schlecht, ebenso sauerstoffarme Luft. Schon einige Male habe ich mir eine Reihe von Glucadenose-Injektionen machen lassen; aber die ständigen neuen großen Belastungen lassen keine Dauerbesserung zeitigen. Aus bestimmten Gründen kann ich leider nicht aussetzen. Vor ein paar Monaten hatte ich durch einen plötzlichen Ärger eine Blutung hinter dem linken Auge, die aber rasch wieder resorbiert wurde.

    Im Frühjahr 1942 hatte ich durch einen großen Ärger eine ebenfalls rasch wieder in Ordnung kommende Blutung in der Nähe der 3. linken Stirnwindung, seitdem ermüden einige kleine Muskeln schneller. Vor einem Monat war ich eineinhalb Tage zur Bestattung meines Bruders, der einer Apoplexie mit 61 Jahren plötzlich erlegen ist, bei Bad Nauheim, hatte aber keine Zeit, bei Ihnen vorzusprechen, da ich schnellstens wieder zurück mußte. Vielleicht ist es möglich, in Kürze einmal aufzutauchen.

    Sehr verbunden wäre ich Ihnen, wenn Sie mir rückhaltlos auch die Beurteilung meines Falles schreiben würden und mir Ihre Ratschläge geben. - Nehme seit einigen Wochen wieder einmal Cardiazol und Jod-Calcium-Diuretin.

    Mit vielem Dank im Voraus und den herzlichsten Grüßen

    H. H. Ihr ….." (R 62)

    Antwort von Prof. Dr. A. Weber an Morell 4.12.1944:

    „Sehr geehrter Herr Prof. Morell!

    Ihre freundlichen Zeilen beantworte ich im Keller, während unzählige Bomber über uns hinwegbrausen. Was Ihr EKG betrifft (ich teile Ihnen uneingeschränkt meine Auffassung mit), so sind gegenüber 1941 die Zeichen von Koronarinsuffizienz deutlicher geworden. Zwischen dem 28.7.1944 und dem 9.10.1944 wieder eine merkliche Besserung, namentlich in II erkennbar. S-T zeigt wieder etwas ansteigende Tendenz. Ich kann wohl verstehen, daß Ihre derzeitige Lebensweise nicht gerade zweckmäßig für Ihre Koronararterien ist.

    Unser aller Wunsch geht dahin, daß in absehbarer Zeit eine Veränderung zum Besseren eintreten möge, die sich auch auf Ihre Gesundheit günstig auswirken wird. Ich empfehle also eine philosophische Einstellung gegenüber allen Schikanen und Intrigen, die ja nun einmal zwangsläufig mit einer solchen Stellung, wie Sie sie haben, verbunden sind. Können Sie sich nicht in einem Tag in jeder Woche völlig frei machen? Ein solcher Ruhetag bessert oft sehr viel mehr als alle Medikamente. Jod-Calcium-Duratin würde ich weiter nehmen. Alle körperlichen Anstrengungen strikte vermeiden, auch wenn es sich nur um ganz kurze Muskelanstrengungen handelt wie etwa das Heben eines schweren Möbelstückes.

    Mit den besten Grüßen und Wünschen und H. H."

    Morell hat weiterhin erhebliche Beschwerden; sein Gesundheitszustand ist, wie bei dem Grundleiden (chronische Nephritis, allgemeine Arteriosklerose) nicht anders zu erwarten, labil und die zunehmende Verschlechterung vorprogrammiert.

    Morell über sich, 8.12.1944: „Vom 7. auf. 8. Dezember war nachts ein sehr großer Barometersturz, und ich hatte infolgedessen eineinhalb Stunden so große Herzbeschwerden, daß ich ständig im Zimmer herumgehen mußte. Sicherlich z.T. atmosphärische Einwirkungen auf den Führer" (R 62/o.Z.), und an Dipl.Ing. Hamburger, 16.12.1944: „Mir haben die letzten Monate auch viel Aufregungen und Sorgen gebracht, die sich nachteilig auf meinen Gesundheitszustand auswirkten. Ich habe eine Weile ziemlich laborieren müssen, bin aber jetzt wieder vollauf hergestellt." (R 20/2740)

    Jedoch muß er einen kläglichen Eindruck gemacht haben - Notiz vom 18.12.44: „Der Führer sagte noch, ich solle die Treppen sehr langsam gehen, damit ich keine Herzbeschwerden bekomme." (R 62)

    Im Jahre 1945 geht es dann offenbar sehr schnell schlechter, und Morell wird, wenigstens zeitweise, bettlägerig.

    Morell an Dr. Reichel - Wiessee, 2.2.1945: „Dem Führer geht es Gott sei Dank recht gut, aber das Herz seines Arztes will durch die starke Belastung nicht mehr recht mittun" (R 34/4449).

    Morell geht nicht mehr zu Hitler, sondern dieser kommt zu ihm in seinem Raum im Bunker unter der Reichskanzlei. Zum 4.3.1945: „F. mich besucht und darauf hingewiesen, wie gut es gewesen sei, daß er mich gestern nicht habe mitfahren lassen bei der Frontfahrt nach Wrieza (?), was er aber wegen des Besuches angeordnet hatte."

    5.3.1945: „F. mit Schaub bei mir. Ich sollte bei größeren Fahrten, besonders Frontfahrten nicht mitkommen; denn dabei könnte es zu schweren Verletzungen kommen durch Unfall und Tiefflieger. Wenn mir etwas passiere, hätte er keinen Arzt mehr und ich fiele für längere Zeit aus. Viel wichtiger sei ihm, unterwegs zu wissen, daß er mich stets Zuhause bereit für ihn finden würde" (R 62).

    Zusätzlich bekommt er nun noch, da Dr. Stumpfegger, dem anderen Arzt in der Reichskanzlei, eine i.v.-Strophantininjetion mißlang, eine Thrombophletitis am linken Unterschenkel, die ihn fest zum Liegen zwingt. Aber Hitler besucht ihn (R 62).

    Doch auch dieser Zwischenfall wird überstanden, und er schreibt am 11.3.45 an die Schwester Milly: „… bisher immer mindestens 3 x täglich Alarm, ich bin hier z.Z. zu Bett, da eine Injektion wegen meines Herzens, die am linken Unterschenkel gemacht wurde, nicht recht geklappt hat und zum größten Teil neben die Vene ging, eine Venenentzündung hervorgerufen hat, weshalb ich heute schon den sechsten Tag mit hochgelagertem Bein im Bett liege. Seit gestern wesentliche Besserung." (R 54/4470-4471).

    Aber die Herzinsuffizienz macht unablässig große Beschwerden. 10.4.1945: „Ich selbst in den letzten Tagen wieder sehr großen Lufthunger und Atemnot (beim Treppensteigen)" (R 62).

    Es ist fraglich, ob er Hitler in diesem Zustande überhaupt noch behandeln oder sogar eine Injektion vornehmen konnte. So nimmt nicht wunder, daß ihn dieser am 21.4. mit dem Zahnarzt Prof. Blaschke und der Hälfte seiner Sekretärinnen von Berlin auf den Obersalzberg entließ. -

    Über den Eindruck, den Morell in diesen letzten Tagen machte, berichtete später der Flugkapitän H. Baur, der mit ihm seit Jahren fast freundschaftlich verbunden war (H. Baur: Mit Mächtigen zwischen Himmel und Erde. Oldendorf 1971, S. 269) und mit dem er in der Nacht vom 21.-22. April 1945 von Berlin abflog. Morell habe zwei Wochen zuvor einen leichten Schlaganfall erlitten, und Baur habe sich über seinen seltsamen Gesichtsausdruck gewundert; der linke Mundwinkel und das linke Augenlid seien betroffen gewesen. In der Nacht, als er sich von Hitler verabschiedete, weinte Morell wie ein kleines Kind. Er, Baur, habe ihn beruhigt und gesagt, Hitler werde in der verbleibenden kurzen Lebenszeit von Dr. Stumpfegger sicherlich gut betreut werden. Die Lähmung sei übrigens schnell vergangen.

    Morell gelangt von München aus noch in sein privates Forschungs-Institut in Bayrisch-Gmain, von wo aus er mit Hilfe der W.M.-Kommandantur noch den Hertransport von Lebensmitteln aus seinem Werk Hamma besorgt. Aber dann bricht er völlig zusammen und wird etwa am 1. Mai in das Städtische Krankenhaus von Reichenhall eingewiesen. Dort wird er Ende Juni von den Amerikanern verhaftet und erst 1948 zum Sterben wieder entlassen.

    Epikritisch zusammenfassend läßt sich sagen: Morell litt an den Folgen einer akuten Nierenentzündung (akute hämorrhagische Nephritis), die nicht ausheilte, sondern mit allen voraussehbaren Folgen für das Gefäßsystem, aber auffallend langsam in den chronischen Zustand einer Nierenentzündung (chronische Nephritis) überging. Morell war sich über seine Krankheit offenbar völlig im Klaren, lebte aber nicht mit einer entsprechenden Diät, die verhindert hätte, daß er krankheitsfördernd so extrem fettleibig geworden wäre.

    Zu einem Versagen der Nierenfunktion kommt es ganz offenbar nicht. In den Vordergrund treten vielmehr zunächst, zunehmend ab 1942, die Herzbeschwerden aus arteriosklerotischer Ursache und erst ganz zuletzt gehirnbedingt cerebral sklerotische Erscheinungen. Morell nahm auf seine Krankheit wenig Rücksicht. Zwar rauchte er nicht, trank anscheinend wenig Alkohol, aß aber offenbar in jeder Hinsicht unmäßig und damit contratherapeutisch. Behandelt wurden lediglich die Beschwerden seitens des Herzens und intermediäre Erkrankungen.

    Trotz der zeitweise erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigungen meldete sich Morell, obgleich er vergeblich auf „Vollersatz für sich bei Hitler sann, bei diesem niemals krank, ja er blieb oder wurde vielmehr über die ärztliche Beanspruchung hinaus so agil, daß er sich gleichsam ein Pharma-Imperium zusammenramschte, und dies allein vom „Standort F.H.Qu. aus. Er ging dabei oft wie ein Freibeuter vor, der List und Tücke einbringt, aber nicht erkennen läßt, daß er im Grunde krankheitsgezeichnet ist.

    Psychologisch und medizinisch gesehen, war dieser Dr. med. Theodor Morell, Professor ganz allein von Hitlers Gnaden, schon eine recht merkwürdige, nicht durchaus Sympathie erweckende, aber bemerkenswerte Menschenfigur, die ihren Zustand nicht beklagte und bejammerte, sondern ihn lediglich konstatierte.

    2.1 Epikrise

    Die zwei Beurteilungen der Persönlichkeit Morells, wie sie zum einen 1969 durch den Vertreter in der ärztlichen Praxis während seiner Dauerabwesenheit, Dr. med. R. Weber, dem befragenden Arzte Dr. H. Fikentscher und zum anderen 1982 von Dr. jur. R. Makkus, dem ständigen Begleiter des Leibarztes im F.H.Q. von 1943-45 mir gegenüber abgegeben wurde, könnten gegensätzlicher nicht sein.

    Weber sieht in Morell einen in jeder Hinsicht widerwärtigen, habgierigen und skrupellosen Mann, Makkus einen angenehmen, klugen Vorgesetzten, der treu in einem schwierigen Dienstverhältnis zu Adolf Hitler stand, sachverständigem Rate folgte und sich in mannigfaltiger Tätigkeit aufrieb.

    Was mich, den Verfasser, betrifft, so war ich auf Grund einiger persönlicher, jedoch mehr indirekter Einblicke bis in die 70er Jahre hinein geneigt, mich der Auffassung des Dr. Weber anzuschließen und in Morell eine verderbliche, nichtsnutzige, ärztlich-widrige Persönlichkeit zu sehen, worüber ich mich auch äußerte. Jedoch habe ich Morell während des Krieges nie gesehen, geschweige denn gesprochen.

    Diese meine damalige Meinung änderte sich aber allmählich zum Besseren und Verstehenderen in dem Maße, in dem ich während mehrerer Jahre systematisch Morells sämtliche nachgelassenen und irgendwie in das National-Archiv der Vereinigten Staaten gelangten Schriftsachen (Morell-Papers) T 25 R 35-44, 62) eingehend studierte und inhaltlich ordnete.

    Nicht daß ich diesen korpulenten und in ungeahnter Weise geschäftigen Mann nunmehr sympathisch gefunden hätte, aber ich lernte ihn in seinem vielschichtigen Außenseitertum - dank dessen er seinen Chef als einer der ganz Seltenen, denen dies gelang, in eine gewisse Abhängigkeit von sich brachte - doch als Außergewöhnlichen achten, wenn auch nicht so, daß ich ihm in irgend einer Sache gefolgt wäre. Ich näherte mich in manchen Punkten durchaus der Meinung von Dr. Makkus, während ich zu einer Ablehnung Dr. Webers gelangen mußte. Dieser hofierte, solange er in seinen Diensten war bis zum Kriegsende, durchaus seinem Meister, war in jeder Weise behilflich, wie aus seinen Briefen deutlich hervorgeht. Er hatte erhebliche Vorteile von seiner Stellung, da er Große des Reiches in der Vertretertätigkeit zu seinen Patienten zählte, und Morell selbst förderte ihn. Er brachte ihn sogar zu Hitler, und er durfte diesem sogar einige Injektionen machen, als Morell zur Beerdigung seines Bruders einige Tage vom F.H.Q. abwesend war.

    Die nachweisliche spätere Abneigung, ja der Haß, ist so eigentlich nicht verständlich, wenn er nicht opportunistisch einer Zeitstimmung folgte, welche Hitlers Leibarzt durchaus zu seiner Unperson, ja einem Stalin-Agenten machen wollte. - Freilich mag er auch chronisch durch Frau Hanna Morell verärgert worden sein, welche in der selbstgewählten Rolle einer Aufpasserin ihren Mann mit äußerst negativen Äußerungen über fast alle seiner Mitarbeiter und auch über die Zustände in seiner Berliner Praxis versorgte.- Dies wäre das eine, was sich aus den im vorhergehenden mitgeteilten Niederschriften ermitteln ließ.

    Ein anderes wäre eine medizinische Kurzbiographie, die sich praktisch auf die Darstellung eines Leidens beschränken kann. Während des Ersten Weltkrieges erkrankte Morell in Frankreich an einer akuten Nierenentzündung mit Blutungen, die offenbar in einen chronischen Zustand überging. Eine Anerkennung als Kriegsschaden erfolgte. Morell löste aber seine Versorgungsansprüche ab, anscheinend um die Mittel für die Einrichtung einer ärztlichen Praxis in Berlin zu erhalten. Wegen seiner chronischen Nierenkrankheit konnte er jedoch nicht in eine Lebensversicherung eintreten. Die Auswirkungen einer chronischen Nierenerkrankung auf Herz und Gefäße sind bekannt. So hatte wohl Morell um 1935 Herzbeschwerden und stand in Bad Nauheim in Behandlung, wie aus entsprechenden Rezepten hervorgeht. - Aus allen Berichten Morells über sein Leiden geht hervor, daß er ihm durchaus sachlich gegenüberstand und sich über dessen Verlauf im klaren war. Aber er hielt sich keinesfalls an die Verhaltensregeln, die angebracht gewesen wären und die er seinen Patienten sicherlich auch empfahl. Hätte er es getan, er wäre nicht so hochgradig und bis zur Lächerlichkeit fettleibig geworden, so sehr, daß er einen Bauchbruch bekam und ständig einen Ledergurt tragen mußte. Auf eine Diät war er also offenbar keineswegs bedacht, und es verleitet den beobachtenden Arzt zum Lächeln, wenn er erkennt, daß Morell jene stoffwechselregulierende Mutaflor-Kur, welche er automatisch jeden Patienten von Höchst bis Niedrigst durchmachen ließ, offenbar selbst niemals zur Hebung des eigenen Wohlbefindens ausprobierte.

    Trotz der Inkonsequenz in der Lebensführung meinte es seine chronische Krankheit entgegen der ärztlichen Auffassung seiner Zeit recht gut. Er blieb voll leistungsfähig und imstande, eine recht ordentliche ärztliche Praxis in Berlin ordnungsgemäß zu versorgen und Patienten zu gewinnen, zu deren einem dann als „Patient A." schließlich Hitler wurde.

    Erst 1940 klagt er aus dem F.H.Q. in Frankreich erstmals über Nachlassen seiner Arbeitskraft. - Anfang 1942 meint er, daß der Körper in einem Alter von 56 Jahren allmählich etwas brüchig werde und im April d.J. aus dem F.H.Q., daß er versuche, sich von Herzattacken zu erholen. Dort strengen ihn dann die häufigen langen Autofahrten im Führergeleit erheblich an. - 1943 mehren sich dann die Mitteilungen über ständige Herzbeschwerden, ohne daß jedoch eindeutige Befunde oder Fehlleistungen angegeben werden.

    Schließlich wird 1944 zum Krisenjahr. Im Februar entwickelt sich offenbar eine Lungenentzündung, und die Herzbeschwerden verstärken sich. Er bekommt Campher-, Strophantin- und andere Injektionen und auch sein Vertreter in Berlin, Dr. Weber, wird in das F.H.Q. beordert, um seinen Chef zu behandeln. Bis Ende August ist in jedem Brief die Rede von Morells Herzbeschwerden und seinem schlechten Zustand. Erst ab September 44 äußert er sich selbst befriedigter und meint, daß das Schlimmste überstanden sei. Aber dies ist nicht von langer Dauer. Anfang Oktober beobachtet Morell bei sich eine kleine Hirnblutung mit Folgen, wieder wird Dr. Weber in das F.H.Q. zur Behandlung beordert, und auch Hitler nimmt Rücksicht auf den Leibarzt, der gerade in diesen Tagen wegen der Beschuldigungen der Begleitärzte Prof. Brandt, von Hasselbach und Dr. Giesing, er vergifte den Führer mit Dr. Kösters Antigas Pillen, größte Existenzängste auszustehen hatte. Er wäre verloren gewesen, hätte sich Hitler nicht selbst vor ihn gestellt. Daraufhin geht es aufwärts, aber am 20.11. verlassen Hitler und alle seine Stäbe das F.H.Q. Wolfsschanze für immer.

    Am 2.12.44 schickt Morell - zugleich mit einem Bericht über den „Patienten A" - einen eigenen Krankheitsbericht mit Unterlagen an den bekannten Cardiologen Prof. Weber in Bad Nauheim und erfährt zwei Tage darauf, daß es mit ihm wirklich nicht zum besten steht und es zweckmäßig wäre, Ruhe zu halten.

    Im Jahre 1945 verschlechtert sich der Zustand, so daß er in seinem Bunkerraum bleiben muß. Dort besucht Hitler ihn mehrere Male, zudem bekommt er eine Thrombophlebitis am linken Unterschenkel, die ihn zum Liegen zwingt. An einem der ersten Apriltage bekommt er, wie Baur beschreibt, einen Schlaganfall mit linksseitiger Gesichtsmuskellähmung und offenbar auch cerebraler Beeinträchtigung. Er weint wie ein Kind, als Hitler ihn und einen Teil seiner engsten Umgebung am 21.4. nach Süddeutschland entläßt. Dort greift er noch energisch und konsequent wenige Tage in seine merkantilen Geschäfte ein. Aber dann wird er endgültig zum schweren Cerebralsklerotiker.

    Im Mai verhafteten ihn amerikanische Agenten, er wurde noch zwei Jahre lang durch US-Gefängnisse geschleppt und vielfach verhört, bis er 1948 als haftunfähig entlassen wurde und kurze Zeit danach starb. -

    Hitlers Leibarzt Morell war also mindestens seit 1943 ein schwerkranker Mann, der an einer chronischen Nephritis (Nierenentzündung) sowie deren Folgekrankheiten (Bluthochdruck, Coronarsklerose, cerebraler Sklerose) mit wachsenden Beschwerden litt. Über seinem Zustand und dessen Ende war er sich, sorglich bleibend, völlig im klaren, so sehr, daß er sich bereits seit 1941/42 um einen Nachfolger bemühte. Seine eigentliche Größe aber, und ich möchte sein Verhalten seinem „Patienten A" gegenüber durchaus so nennen, war, daß er sich diesem gegenüber stets als wegweisend gesund gab und anscheinend kaum je von seinem Leiden sprach, bis dessen Endzustand nicht mehr verheimlicht werden konnte.

    3. Morells Selbsteinschätzung

    Es gibt Leibärzte von außerordentlichem Rang, die auch ihrer sonstigen Verdienste wegen (etwa um die Gesundheitspflege ihres Landes) aus der Geschichte der Medizin nicht wegzudenken sind. Zu diesen gehörten in Wien der Holländer Gerard van Swieten, an dessen Beisetzung Kaiserin Maria Theresia selbst teilnahm, und sein Nachfolger Karl Störck.

    Es gehören zu ihnen Christoph Wilhelm Hufeland, welcher 1806 die Königin Luise auf der Flucht nach Königsberg begleitete, sie pflegte und mit ihr nach Berlin zurückkehrte, auch Johann Christian Reil, dem zum Gedächtnis Goethe ein Gedicht schrieb. Dieser außerordentliche Arzt, der sich als Inspekteur der Kriegslazarette 1813 nach der Völkerschlacht bei Leipzig an einer der grassierenden Seuchen angesteckt hatte, verblieb, im Bewußtsein sterben zu müssen, dennoch bis zuletzt auf seinem Posten.

    Man hat auch eines anderen, Goethe und dem Weimarer Hof verbundenen Manne, Carl Gustav Carus zu gedenken. Sie alle sind bis zum heutigen Tage unumstrittene ärztliche Leitbilder.

    Andererseits gibt es Ärzte, die von ihren herrschenden und beherrschenden Patienten hoch geschätzt und stark gefördert wurden, obgleich sie von der zeitgenössischen Kollegenschaft wenig geachtet und mit Mißtrauen beobachtet wurden.

    Als solche kennen wir David Koreff, den Leibarzt König Friedrich Wilhelms des III. von Preußen, der 1813 während des Wiener Kongresses zahlreiche andere Potentaten behandelt hatte und den der König der Universität Berlin aufzwang.

    Auch der Leibarzt Otto v. Bismarcks Ernst Schweninger ist hier zu nennen, ein sicherlich großartiger Arzt von eigentümlichem und ungewöhnlichem Format, der dem Kanzler unentbehrlich wurde. Dieser wollte ihn als Ordinarius an der Medizinischen Fakultät Berlin unterbringen, was er nicht erreichte; lediglich im Krankenhaus Berlin-Lichterfelde konnte er schließlich seine besondere ärztliche Kunst ausweisen. Er war um einige Jahrzehnte jünger als sein mächtiger Patient und hatte dennoch auf ihn einen großen Einfluß.

    Alle diese Männer waren in erster Linie Ärzte.- Unter ihnen und manch anderen hier nicht angeführten stellt Morell, meint der Verfasser, eine Ausnahme dar. Beim Rückgriff in die Geschichte gibt es seines Erachtens nur eine Person, die man mit ihm vergleichen könnte, nämlich der selbsternannte Arzt Thurneysser zum Thurn (1530-1595), Leibarzt des nicht eben bedeutenden brandenburgischen Kurfürsten Johann Georg, bei dem er sich ein großes Vermögen machte, das er aber nach manchen Abenteuern und Wechselfällen verlor. (s. C.A. Wunderlich: Geschichte der Medizin, Stuttgart 1859. S. 95)

    In ähnlicher Weise wie wohl jener Thurneyssen zum Thurm war auch Morell von seiner Besonderheit überzeugt. So sagte er am 8.11.1944, falls er nicht schönte, laut Niederschrift: „Mein Führer, wenn ein Normalarzt Sie seither zu behandeln gehabt hätte, dann wären Sie solange Ihrer Arbeit entzogen worden, daß das Reich darüber zugrunde gegangen wäre. Ich mußte stets Kurzbehandlungen mit Hochdosen machen und mußte bis an die Grenze des Zulässigen gehen, obwohl ich von vielen Kollegen deshalb eventuell verurteilt würde, aber ich habe und kann die Verantwortung tragen; denn wenn Sie längere Zeit hätten aussetzen müssen in der jetzigen Zeit, wäre Deutschland in die Brüche gegangen." - Hitler, so Morell fortfahrend, nahm darauf seine Hand, preßte sie innig, schaute ihn mit langem, dankbaren Blick an und sagte: „Mein lieber Doktor, ich bin froh und glücklich, daß ich Sie habe." (8.11.1944 - R 62 und Pat. Hitler S. 259).

    In diesem seinen Selbstgefühl mußte er sich aufs äußerste verletzt fühlen, als ihm aus Kreisen des Sanitätsoffizierskorps Äußerungen zu Ohren kamen, welche - seinen Notizen zufolge - besagten: „Der gute, alte Hausarzt, der noch so aus Gnade mitgeschleppt wird, bis man ihn entläßt. Für seine Betriebe gibt man ihm ab und zu noch etwas. - Becker (Morells geschäftliche Hilfe), der Herr in Schwanenwerder (Morells Besitz ‚ Sch.) - überhaupt keine Ehe. - Wegen Russla-Puder werde die Delitzia (eine sächsische Konkurrenzfirma, Sch.) unter Nachweis, daß sie sich schon jahrelang damit befaßt habe, einen großen Patentstreit nach dem Kriege austragen." -

    Morell, im Gefühl, er werde persönlich, familiär und geschäftlich diskriminiert, richtet ein erbittertes Schreiben an den Herrn Sanitätsinspekteur Berlin, Bendlerstr.: „Ich bitte um Mitteilung des Veranlaßten." (Tagesnotizen, ohne Datum, aber einzuordnen zwischen 15. und 20.1.1944- R 39 - eigene Unterlagen R 39/S.118).

    In jeder Weise war Morell darauf bedacht, über seine Leibarzttätigkeit hinaus als Wissenschaftler und Arzt Anerkennung zu finden. Dabei bediente er sich sehr zielbewußt unter Einholung entsprechender Führeranweisungen der Mithilfe der obersten Reichsbehörden. Markantes Beispiel hierfür ist sein Vorgehen in der Sache „Reichsanstalt für Vitaminprüfung".

    In der Frankfurter Zeitung vom 24.8.1941 findet sich hierzu eine kurze Mitteilung, die Morell elektrisierte und ärgerte. Sie lautete: „Durch einen Erlaß des Führers wird zur Bearbeitung der auf dem Gebiet der Vitaminversorgung entstehenden Fragen sowie zur Beratung der Reichsregierung bei den hierbei zu treffenden Maßnahmen im Geschäftsbereich des Reichsinnenministeriums eine Reichsanstalt für Vitaminprüfung und Vitaminforschung mit dem Sitz in Berlin eröffnet. Die neue Reichsanstalt untersteht der gemeinsamen Aufsicht des Reichsinnenministers und des Reichsernährungsministers. "

    Der gut instruierte Apotheker Wolf von Nordmark bemerkt in Erwiderung eines Morell-Schreibens schon am 6. oder 7.9.1941: „Daß man Sie bei der Reichsgründung für Vitaminprüfung unberücksichtigt gelassen hat, fand ich auch sehr merkwürdig, und ich würde mich daher sehr freuen, wenn Sie noch in den Vorstand aufgenommen würden."

    Um dies zu erreichen, aktiviert Morell anscheinend Hitler selbst, ohne dessen Anweisung folgendes Schreiben des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei Dr. Lammers an den Herrn Minister des Innern vom 15.9.1941 (R40/ 2620) nicht zu erklären wäre:

    „betr. Reichsanstalt für Vitaminprüfung und Vitaminforschung.

    Durch Erlaß des Führers vom 15. August d. Jahres ist die Reichsanstalt für Vitaminprüfung und Vitaminforschung errichtet. Herr Professor Dr. Morell, der, soviel ich weiß, auf dem Gebiet der Vitaminforschung schon seit langer Zeit eine umfangreiche Tätigkeit entfaltet hat, die auch in der Presse anläßlich seines letzten Geburtstages gewürdigt wurde, hat den Wunsch, in der vorgenannten Reichsanstalt in geeigneter Weise mitzuwirken. Für den Fall, daß dies nicht schon ohnehin vorgesehen sein sollte, stelle ich anheim, diesem Wunsch des Professors Rechnung zu tragen. Professor Morell obliegt, wie bekannt sein wird, besonders auch im Führerhauptquartier die dauernde ärztliche Betreuung des Führers. Ich möchte daher annehmen, daß auch der Führer Morells Mitwirken in dem neu gegründeten Reichsinstitut begrüßen würde. Für die Mitteilung Ihrer Entscheidung wäre ich Ihnen dankbar…"

    Minister Lammers unterrichtet Morell am gleichen Tage:

    „Sehr geehrter Herr Professor! Unter Bezugnahme auf die Besprechung vom 6. d. Monats überreiche ich Ihnen anbei Abschrift meines heutigen Schreibens an den Herrn Reichsminister des Inneren wegen Ihrer Mitwirkung im Reichsinstitut für Vitaminprüfung und -forschung. Sobald ich im Besitz der erbetenen Mitteilung des Herrn Reichsminister des Inneren bin, werde ich Ihnen weitere Nachricht zukommen lassen. Heil Hitler Ihr sehr ergebener Dr. Lammers" (15.9.1941 - R 40/2621).

    Die Antwort ist nicht nachweisbar. Dr. Leonardo Conti, Reichsgesundheitsführer und Staatssekretär im Reichsministerium des Inneren war für den ministeriellen Gesundheitssektor verantwortlich. Seine Berater in Vitaminfragen, u.a. Professor Wirz in der Reichsgesundheitsführung und die Professoren Bommer, Kühnau, Scheunert, Schröder, Stepp wollten von Morell nicht viel wissen, und so finden wir im Oktoberheft 1941 der offiziellen Zeitschrift „Die Gesundheitsführung - Ziel und Weg - Monatsschrift des Hauptamtes für Volksgesundheit der NSDAP, des Sachverständigenbeirates und des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes" auf S. 345, in dem erstmalig ausführlich über die neue Anstalt berichtet wird, den Namen des Leibarztes nicht erwähnt.

    Reichsanstalt für Vitaminprüfung und Vitaminforschung

    Die mit der Volksernährung in Zusammenhang stehenden Fragen sind für die zuständigen Dienststellen des Staates und der Partei wegen ihrer engen Verpflechtung mit der Volksgesundheit vor allem unter den Kriegsverhältnissen von besonderem Interesse und erfahren unausgesetzt eine sorgfältige Prüfung. Zur Förderung der Volksernährung ist daher Reichsgesundheitsführer Dr. Conti im Zusammenwirkungen mit dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft bestrebt gewesen, für die wissenschaftliche Forschung über Vitaminfragen und deren Umsetzung in die Ernährungspraxis eine bisher noch fehlende zentrale Arbeitsstätte im Bereich der Staatsverwaltung zu schaffen.

    Durch einen Erlaß des Führers über die Errichtung einer Reichsanstalt für Vitaminprüfung und Vitaminforschung mit dem Sitz in Berlin hat dieses wichtige Aufgabengebiet nunmehr die ihm zukommende ideelle und materielle Anerkennung erfahren. Innerhalb des Geschäftsbereichs des Reichsministers des Innern soll die neue Reichsanstalt nach dem Wortlaut des Führererlasses zur Beratung der Reichsregierung bei den auf dem Gebiete der Vitaminversorgung des deutschen Volkes entstehenden Fragen tätig werden. Die Reichsanstalt für Vitaminprüfung und Vitaminforschung wird bis zur Fertigstellung des für sie vorgesehenen Dienstgebäudes in Berlin ihre Arbeit vorübergehend im räumlichen Anschluß an die Leipziger Universität aufnehmen, wo sie bei dem Institut des bekannten deutschen Vitaminforschers Professor Dr. Scheunert Gastrechte genießen und unter seiner Leitung ihren Aufbau finden wird.

    Doch Morell läßt nicht locker. Auf sein Schreiben vom 29.10. d.J. erwidert Conti kühl, eine Besprechung in Sachen Reichsanstalt für Vitaminprüfung und Vitaminforschung zusammen mit deren Leiter Prof. Dr. A. Scheunert sei nicht sehr eilig, da die Anstalt erst im Aufbau begriffen sei. - Nach Wissen des Verfassers kam die Anstalt niemals zu gedeihlicher Arbeit, sie wurde vielmehr sehr bald durch Bombenangriff an ihrem provisorischen Sitz in Leipzig zerstört und erhielt auch später nicht die ihr zugedachte Bedeutung. Auch Morell kam nicht mehr auf die Angelegenheit zurück.

    Nicht weniger

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