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Hitler - prägende Jahre: Kindheit und Jugend 1889-1914
Hitler - prägende Jahre: Kindheit und Jugend 1889-1914
Hitler - prägende Jahre: Kindheit und Jugend 1889-1914
eBook359 Seiten4 Stunden

Hitler - prägende Jahre: Kindheit und Jugend 1889-1914

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Über dieses E-Book

Hitlers Kindheit und Jugend in neuem Licht.

Die Autoren schließen eine Lücke der Geschichtsforschung: Jenseits psychologischer Spekulationen stellen sie Hitlers Familie, Kindheit und Jugend im sozialen und kulturellen Kontext dar. Sie konzentrieren sich auf Hitlers Zeit in Braunau bis zu den Erfahrungen in Wien und lassen dabei charakterliche und weltanschauliche Prägungen erkennbar werden. Sie untersuchen Hitlers Werdegang sowie sein gesellschaftliches Umfeld. Nationaler Fanatismus, Rassenhass und Antisemitismus sind in der Gesellschaft längst verankert, ehe Hitler und die Nationalsozialisten ihren Aufstieg beginnen. Hitlers radikalisierte Rhetorik konnte erst dann wirksam werden, als sein Publikum bereits wusste, wovon er sprach. Leidinger und Rapp zeigen Hitlers Kindheit und Jugend in neuem Licht.
SpracheDeutsch
HerausgeberResidenz Verlag
Erscheinungsdatum18. Feb. 2020
ISBN9783701746347
Hitler - prägende Jahre: Kindheit und Jugend 1889-1914
Autor

Hannes Leidinger

Hannes Leidinger, geboren 1969, studierte Geschichte, Klassische Archäologie und Ur- und Frühgeschichte in Wien. Er lehrt am Institut für Geschichte der Universität Wien. Umfangreiche Studien zur Geschichte des Ersten Weltkrieges, zur Entwicklung Österreichs im 19. und 20. Jahrhundert sowie zur Kommunismus-, Sozialismus- und Kapitalismusforschung. Zahlreiche Auszeichnungen.

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    Buchvorschau

    Hitler - prägende Jahre - Hannes Leidinger

    Hannes Leidinger / Christian Rapp

    Hitler

    Prägende Jahre

    Kindheit und Jugend 1889–1914

    Bildnachweis: 1–3) ÖNB Bildarchiv; 4) apa.picturedesk; 5) Library of Congress; 6) ÖNB Bildarchiv; 7 und 8) Nachlass August Kubizek; 9) Billy Price ›Adolf Hitler als Maler und Zeichner‹; 10) apa.picturedesk; 11) Nachlass August Kubizek; 12) Albertina, Wien; 13–16) Nachlass August Kubizek; 17) Arbeiterkammer, Wien; 18) Albertina, Wien; 19) Carl Otto Czeschka; 20) Theatermuseum, Wien; 21–22) Nachlass August Kubizek; 23) Wien Museum; 24) privat; 25) ›Gli acquerelli di Hitler‹, Verlag Alinari; 26) Nachlass August Kubizek; 27) Kunsthistorisches Museum, Wien; 28) ›Gli acquerelli di Hitler‹, Verlag Alinari; 29) http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=oiz&datum=19100828&seite=16&zoom=33; 30) VGA, Wien; 31) ›Gli acquerelli di Hitler‹, Verlag Alinari; 32) SZ-Photoarchiv

    Wissenschaftliche Mitarbeit:

    Verena Moritz, Andrea Thuile, Benedikt Vogl

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

    www.residenzverlag.at

    © 2020 Residenz Verlag GmbH

    Salzburg – Wien

    Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten.

    Keine unerlaubte Vervielfältigung!

    Umschlaggestaltung: www.boutiquebrutal.com

    Typografische Gestaltung, Satz: Lanz, Wien

    Lektorat: Barbara Köszegi

    ISBN ePub:

    978 3 7017 4634 7

    ISBN Printausgabe:

    978 3 7017 3500 6

    Inhalt

    Vorwort (Christian Rapp / Hannes Leidinger)

    Keine heile Welt (Hannes Leidinger)

    Komplizierte Familienverhältnisse

    Ortswechsel (Hannes Leidinger)

    Der Volksschüler Adolf Hitler

    Üble Streiche

    Spiele, Kriege und Nationen (Hannes Leidinger)

    »Furor teutonicus«

    Die Zäsur (Hannes Leidinger)

    »Indianer kennen keinen Schmerz«

    Karl May, ein widersprüchliches Idol

    Buffalo Bill in Linz

    Die Realschule in Linz

    Nach dem Tod des Vaters (Hannes Leidinger)

    Das Fehlen männlicher Vorbilder

    Aversion gegen die Kirche

    Finanzielle Engpässe

    Die Lehrer (Hannes Leidinger)

    Der »Lieblingsprofessor«

    Nachwehen – ein Exkurs

    Das völkische Milieu (Hannes Leidinger)

    Vereinsleben

    Klerikale und Tschechen

    Der Eklat um Jan Kubelík

    Der schwelende Antisemitismus (Hannes Leidinger)

    Die Parteienlandschaft in Oberösterreich um 1900

    Der schwache Glanz des Neuen (Hannes Leidinger)

    Moderne in der Provinz

    Unrühmliches Schulende (Hannes Leidinger)

    Nichts als die Kunst (Hannes Leidinger)

    Architektonische Luftschlösser

    Der einzige Freund

    Vorhang auf! – Das Landestheater Linz

    Abgott Wagner

    Geniekult

    Bildmacht und Sinnlichkeit

    Der große Verlust (Hannes Leidinger)

    Auf nach Wien

    Adolf Hitler – ein Charakterbild

    Abschied von der Vergangenheit

    Künstlerische Ambitionen (Christian Rapp)

    Ringstraße und Kaiserforum

    »Adolf verfaßt eine Oper«

    Politische Horizonte (Christian Rapp)

    Leitbild Lueger

    Der »Bund der Antisemiten«

    Der Abstieg (Christian Rapp)

    Bilder-Geschäfte mit Alt-Wien

    Die Bilderagenten

    Das Männerheim Meldemannstraße

    Hitzige Debatten (Christian Rapp)

    Hitler und die »Roten«

    Abschied von Wien (Christian Rapp)

    Ausblick und Nachbetrachtung (Hannes Leidinger / Christian Rapp)

    Mythenbildung

    Verbrechen und Verantwortung

    »Der Österreicher«

    »Der ewige Hitler«

    Namenregister

    Anmerkungen und Quellen

    Vorwort

    Am Anfang steht das Ende. Ein biographisches Projekt über Adolf Hitler lässt sich kaum anders einleiten als mit den Verheerungen, die er 1945 hinterließ. Insgesamt 13 Millionen Menschen sind seinem Regime zum Opfer gefallen, 6 Millionen Juden, 3,3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene, Hunderttausende Zwangsarbeiter, Roma und Sinti, Widerstandskämpfer und viele andere. Endgültige Zahlen gibt es nicht und die unvorstellbaren Summen müssen heruntergebrochen werden auf die einzelne gedemütigte, gequälte und schließlich ausgelöschte Existenz: ein Kind, eine Schwester, einen Vater, eine Großmutter oder einen Freund …

    Nicht eingerechnet sind weitere Millionen Tote des von Hitler entfesselten Weltkrieges.

    Adolf Hitler und der Nationalsozialismus haben eine lange Vorgeschichte und eine lange Nachgeschichte. Sie setzen auf Fundamenten auf, die bis heute sichtbar sind. Es sind im Wesentlichen die großen »Ismen«: der Nationalismus, der Imperialismus und der Sozialismus als politische Konzepte und Praktiken, der Rassismus und der Antisemitismus als Gesinnungen und Denkweisen mit politischer Valenz. Fast alle zeichnen sich durch zwei gemeinsame Eigenschaften aus: erstens, dass sie einen Teil der Bevölkerung ein- und einen anderen kategorisch ausschließen. Und zweitens, dass sie jeweils als moderne Bewegungen antreten und eine neue, »höhere« oder bessere gesellschaftliche Ordnung versprechen. Die radikale binäre Logik, die diesem »Ismen« innewohnt, das gnadenlose Sortieren in Freund und Feind, Eingeweihte und Verachtete, Kämpfende und zu Bekämpfende, prägt das Denken über den Zweiten Weltkrieg hinaus.

    An Bedeutung verloren hat nach 1945 zunächst nur der Militarismus, der ebenso zum nationalsozialistischen System gehörte. Diesen – und zunächst nur diesen – vermochte der militärische Sieg der Alliierten in Deutschland und Österreich zu delegitimieren. Am generellen Fortleben der anderen »Ismen«, aus denen der Nationalsozialismus sein Programm bezog, kann man erkennen, wie langsam sich in einer Gesellschaft grundsätzliche Einstellungen und Denkweisen verändern. Sie werden über Generationen weitergegeben, über Sozialisationsinstanzen wie Familie, Schule und Medien vermittelt und bilden äußerst stabile Sedimentschichten, die nur mit beträchtlichem Aufwand umgeformt oder entfernt werden können.

    Und ebenso wie diese Denkweisen nach 1945 nicht einfach verschwinden, tauchen sie nicht erst 1933, 1918 oder 1914 plötzlich auf. Vielmehr verdichten sie sich, aus unterschiedlichen Anfängen kommend, Ende des 19. Jahrhunderts, parallel zu einer sich rasch verändernden Welt. Für Deutschland und Österreich-Ungarn gilt das nicht ausschließlich, aber in besonderem Maße.

    Als Hitler 1889 auf die Welt kommt, nimmt die Politik neue Formen an. Er erlebt nicht den Aufstieg der großen Ideologien, aber die Phase ihrer Verstärkung, ihrer massenmedialen Verbreitung und ihrer Demokratisierung.

    Wenn aber die politischen Prozesse so mächtig sind, warum macht es dann überhaupt Sinn, sich mit der Person Adolf Hitler zu beschäftigen? Ist er tatsächlich einer jener, in denen sich die Geschichte verdichtet, wie Jakob Burckhardt behauptet? Oder ist er der, den Geschichte macht, ehe er sie macht? Die Gefahr eines biographischen Blicks auf die Person Hitlers besteht immer darin, die Gesellschaft oder zumindest große Teile der Gesellschaft zu exkulpieren und die Verantwortung auf einen Einzelnen zu konzentrieren.

    Doch es gibt einen guten Grund, bei Hitler eine Ausnahme zu machen und seine Person in den Vordergrund zu stellen.

    In mancher Hinsicht ist er eine von vielen dunklen politischen Figuren, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat: als Feldherr, als Diktator, als Führer einer Massenpartei, als Demagoge, als vermeintlicher Heilsbringer lässt er sich mit anderen vergleichen. In diesen Aspekten wird er langsam »historisch« und seine Person ein Fall für Spezialisten. Mit dem militärischen Befehlshaber beschäftigen sich Militärhistoriker, mit dem Parteiorganisator die Politologen und so weiter.

    Historische Einzigartigkeit und universale Relevanz hat Hitler bis heute aufgrund des Holocausts, jenes Verbrechens, das sich »gegen die Menschheit« selbst richtet, wie die Philosophin Hannah Arendt sagt.¹ Der Publizist Sebastian Haffner vermutet: »Auch ohne Hitler hätte es nach 1933 wahrscheinlich eine Art Führerstaat gegeben. Auch ohne Hitler wahrscheinlich einen zweiten Krieg. Einen millionenfachen Judenmord nicht.«²

    Der Holocaust ist ein Monolith im Strom der Geschichte. Während andere Untaten Hitlers langsam in diesem Strom absinken, bleibt der vorsätzliche Massenmord an Millionen Menschen unverändert stehen und wird sogar noch deutlicher erkennbar. Versuche, ihn gegen andere Genozide aufzurechnen, scheitern. Er lässt sich nicht relativieren. Und er ist Hitlers Projekt, durchgeführt mithilfe seiner Anhänger und Vollstrecker.

    Deshalb muss man immer wieder zu Hitler zurück, zu seiner Person, zu seinem Umfeld, zu den Ursprüngen seiner politischen Entwicklung, zu jenem Milieu, in dem er aufwächst und in dem er sozialisiert wird. Hitler verbringt 24 Jahre in Österreich, also nicht viel weniger als die Hälfte seines Lebens. In der Zeit bis 1914 formen sich sein Charakter und sein Weltbild. Was immer Erster Weltkrieg und Revolution zur Radikalisierung Hitlers beigetragen haben mögen, die Grundlagen sind bereits vorhanden.

    Genau hier setzen die folgenden Erkundungen an. Im Mittelpunkt stehen die bisher wenig untersuchten frühen Jahre Hitlers in Oberösterreich. Danach folgen wichtige neue Erkenntnisse zu seinem Aufenthalt in Wien. Dabei geht es nie um Hitler allein, sondern immer auch um den gesellschaftlichen und kulturellen Kontext sowie um seine Zeitgenossen, mit denen er trotz seiner Kontaktscheue in einem intensiven Austausch steht.

    Keine heile Welt

    »Trauungen: Am 7. Jänner« 1885 »Alois Hitler, k. k. Zollamts-Offizial, und Klara, geb. Pölzl«.

    »Familien-Nachrichten vom 23. bis 30. September« 1886. »Geburten: Am 23. September Ida Hitler, k. k. Zollbeamtenskind«.

    »Sterbefälle: Am 9.« Dezember 1887 »Gustav Hitler, Zollamtskind, 2 ½ Jahre alt, an Diphtheritis«.

    »Familien-Nachrichten vom 17. bis 25. Juni« 1892. »Geburten: […] am 17.: Otto Hitler, Zollbeamtenskind«.

    »Familien-Nachrichten vom 23. bis 30. Juni« 1892. »Sterbefälle: Am 23.: Otto Hitler, Beamtenskind, 7 Tage alt, an Wasserkopf«.³

    Die dürren Einträge der »Neuen Warte am Inn«, des »Braunauer Wochenblattes« beziehungsweise des lokalen Organs für die »Interessenvertretung des Bauern- und Gewerbestandes« vermitteln nur lückenhaft das private Leid. Die unvollständigen Meldungen registrieren nicht, dass Gustavs »Rachenbräune«, wie der Volksmund die Diphterie nennt, die jüngere Ida mit in den Tod reißt. Am 2. Jänner 1888 stirbt auch sie. Außer dem am 20. April, dem Karsamstag des Jahres 1889, geborenen Adolf wird nur Paula ein höheres Alter erreichen. Sie kommt 1896 zur Welt, zwei Jahre nach dem Bruder Edmund, der 1900 an Masern stirbt.⁴ Von den sechs Kindern überleben nur zwei, ein selbst angesichts der damaligen höheren Kindersterblichkeit außerordentlich hartes Schicksal für die Eltern. Die Mortalitätsrate bei Säuglingen und Kindern bis zum Volksschulalter ist damals im Sinken begriffen.⁵

    Vor allem für die Mutter Klara sind die Erfahrungen jener Jahre prägend. Einem Vertrauten gesteht sie später, dass sie stets in Sorge war, den schwächlichen Sohn Adolf ebenfalls zu verlieren.⁶ Zunächst aber ist die Erleichterung groß, ihn mithilfe der Hebamme Franziska Pointecker gesund zur Welt gebracht zu haben. Eine Zeugin, die auch bei der Entbindung dabei gewesen sein will, weiß zu erzählen, dass Klara sich in besonderer Weise um den Nachwuchs kümmert.⁷

    Jene, die zumindest behaupten, Klara näher gekannt zu haben, erinnern sich an ein zurückgezogenes Wesen, an eine freundliche, aber nicht eben lebensfrohe Erscheinung, die sich kaum für ein längeres Gespräch Zeit nimmt, speziell von sich selbst wenig spricht und deren Gemüt sich mit der Zeit eher noch verdüstert.⁸ Mit traurigem Unterton beschreibt sie selbst ihren Hochzeitstag. Der kurze Eintrag in der »Neuen Warte am Inn« passt zu ihrer Schilderung: »Um 6 Uhr früh haben wir in der Stadtpfarrkirche von Braunau geheiratet, und um 7 Uhr ging mein Mann wieder in den Dienst.«⁹ Üblich oder unüblich: Der Bräutigam hält es für unangebracht, auch nur einen Tag Urlaub zu nehmen. Keine Feier, kein »Umtrunk mit Freunden – nichts«.¹⁰ (Abb. 1)

    Auf Emanuel Lugert, einen Arbeitskollegen von Alois, macht sie den Eindruck einer »enttäuschten Frau«. Still und »sehr bescheiden«, so bleibt sie ihm im Gedächtnis haften.¹¹ Eine ganz auf die häuslichen Pflichten konzentrierte »Gefährtin« eines Patriarchen, für den seine Bekannten wenig wohlwollende Worte finden. Lugert dazu: Schon »als junger Mensch« hab »ich mir gedacht: dieser Mann hat doch rein gar kein Familienleben; wenn ich einmal heirate, möchte ich es nicht so haben«. Alois Hitler ist »kein vorbildlicher Familienvater«. Die Hauptlast hat Klara zu tragen. »Daheim«, ergänzt ein anderer Intimus der Familie, »war er streng, kein Feiner, seine Frau hat bei ihm nichts zu lachen«.¹² Er verlangt unbedingte Gefolgschaft und kann sich in dieser Hinsicht ganz auf eine unterwürfige, letztlich aber anscheinend seelisch verkümmernde Gemahlin verlassen.

    Zur alles andere als untypischen Rollenverteilung kommen keineswegs nur schmeichelhafte Charakterisierungen seines »öffentlichen Wirkens« hinzu. Lugert will ihn zwar als »guten Gesellschafter« mit »stets guter Laune« gekannt haben, versteht aber jene, die ihn an seiner Arbeitsstelle als groben oder verdrießlichen Menschen kennenlernen und eher meiden.¹³ »Alois Hitler war uns allen unsympathisch. Er war streng, genau, ja sogar ein Pedant im Dienst und ein sehr unzugänglicher Mensch«, erklärt ein Arbeitskollege unverblümt.¹⁴

    Als »sehr rechthaberisch« und »leicht aufbrausend« empfinden ihn außerdem Zeugen, die den regelmäßigen Wirtshausbesucher bei Diskussionen erleben.¹⁵ Selbst der Verfasser seines Nachrufes in der Linzer »Tages-Post« kann es sich nicht verkneifen, auf seine »rauhe Hülle« und das gelegentliche »schroffe Wort aus seinem Munde« aufmerksam zu machen.¹⁶

    Der Jähzornige, der in Bekannten- und Freundeskreisen schimpfend und polternd schon einmal kundtut, speziell seine unfolgsamen Sprösslinge am liebsten »derschlagen« zu wollen, belässt es wohl nicht nur bei Worten. Das belegt wenigstens Schwester Paula. Die Mutter, so Paulas Darstellung, habe mit »Liebenswürdigkeit« das zu erreichen versucht, was der Vater mit einer »richtigen Tracht Prügel« erzwingen wollte.¹⁷

    Dass die vielerorts angewendete häusliche Gewalt als zu jener Zeit weithin akzeptierte »Erziehungsmethode« im konkreten Fall eine besonders radikale Form annimmt, bezweifeln hingegen mehrere Kommentatoren. Immerhin verbringt der Vater verhältnismäßig wenig Zeit mit seinen Angehörigen, ein beträchtliches Maß an Unkenntnis über die Geschehnisse zu Hause und die Entwicklung der Kinder darf angenommen werden. Aggression und Schläge könnten die oft anzutreffende Konsequenz einer Mischung aus Autoritätsdenken, Unkenntnis und Unverständnis gewesen sein.¹⁸

    Hauptsächlich bewegt sich Alois Hitler in einer »(halb-)öffentlichen Sphäre« zwischen Dienstort und Gaststätte. Dazwischen liegt noch das fast obsessiv betriebene Hobby: Angeblich zieht er sogar für mehrere Monate in eine Braunauer Altstadtwohnung, von der aus er schneller zu seinen geliebten Bienenstöcken gelangen kann.¹⁹ Sohn Adolf dazu 1942: »Bienenstich war bei uns so selbstverständlich wie nur etwas. Die Mutter hat meinem alten Herrn oft 45, 50 Stacheln herausgezogen, wenn er vom Waben-Ausnehmen kam.«²⁰ In der »Neuen Warte am Inn« ist die Leidenschaft Alois Hitlers für die Imkerei und seine Akribie, die seiner Dienstauffassung entspricht, dokumentiert: »Waben« und »Stöcke« beschreibt er detailliert, als er Anfang 1890 folgende Anzeige aufgibt: »Verkauf von Bienenstöcken. Bestbewährte, wenig stechlustige und sehr fruchtbare Krainer Mischlinge und Edelvölker mit vierjährigen Königinnen.«²¹

    Später, andernorts, will er Verkauftes wiedererlangen. Das Freizeitvergnügen bleibt zentral. Der Eigentümerin einer seiner vormaligen Liegenschaften bietet er über Vermittlung eines Nachbarn an: »Sollte die Dame, wie ich vermute, keine Bienen mehr besitzen, wohl aber die leeren Kästen und davon zwei Dreietagenständer« verkaufen »wollen, könnten Sie mir dieselben« zurückkaufen.²²

    Jenseits persönlicher Interessen oder sogar Marotten geht seine private Tätigkeit aber auch mit gesellschaftlicher Integration einher. Die Imkerei erlebt gerade Ende des 19. Jahrhunderts eine Blütezeit und begeistert weite Teile der Bevölkerung. In der Donaumonarchie etwa entstehen Vereine mit zahlreichen Zweigstellen. Allein die »Tages-Post« und das »Linzer Volksblatt« bringen zwischen 1890 und 1905 mehr als 700 Beiträge über die regen Aktivitäten der Bienenzüchter.²³

    Echte Freunde gibt es hingegen im Leben des Vaters eigentlich nicht. Im Wesentlichen bleibt es bei Bekanntschaften und Berufskontakten.²⁴ Bewusst distanziert verhält er sich überdies zur Kirche und zu dem speziell am Land wichtigen religiösen Leben. Die von ihm ansonsten kaum geachteten Gotteshäuser, die er nachgerade als weibliche Sphäre erachtet und deren Besuch er von seiner Frau sogar erwartet, sucht er laut Bekannten bestenfalls an besonderen Festtagen auf. Am Geburtstag von Kaiser Franz Joseph am 18. August zum Beispiel. Und auch da nur, wie bemerkt wird, um »seine Uniform in die Kirche spazieren zu führen«, um zu zeigen, »dass er wer ist«.²⁵

    Alois ist stolz auf seine Karriere. Nach einer Schuhmacherlehre in Wien schafft er den Sprung zur Finanzwache. Mit Absolvierung entsprechender Ausbildungswege und Examina übernimmt er leitende Positionen auf unterer Ebene und wird schließlich provisorischer Amtsassistent in der Zollwache. 1870 ist er Nebenzolleinnehmer, in Braunau ein Jahr später Kontrollassistent und ab 1875 Zollamtsoffizial.²⁶ Als sein Sohn Adolf als drittes, nicht wie oftmals fälschlich behauptet als viertes Kind von Klara und Alois geboren wird²⁷, verfügt dessen Familie über ein solides Einkommen. Die Hitlers gehören dem gesicherten Mittelstand an. Das väterliche Salär liegt höher als das eines Volksschuldirektors.²⁸

    Komplizierte Familienverhältnisse

    Das innerfamiliäre Machtgefälle wird dadurch noch betont. Im Vorfeld der Hochzeit Anfang 1885 heißt es: »Überdies hat die Braut kein Vermögen und dürfte ihr deshalb nicht so leicht eine andere Gelegenheit zu einer anständigen Verehelichung geboten werden.«²⁹ Mit dieser Erklärung hat es eine besondere Bewandtnis, ebenso wie mit einer Annonce in der »Neuen Warte am Inn«, die sowohl in der Ausgabe vom 11. als auch vom 18. Oktober 1890 erscheint und folgendermaßen lautet: »Ein Bauernhof in sehr fruchtbarer Lage im Waldviertel«, zusammen »45 Joch« auf »9 Feldern verteilt«, ist »nebst Viehbestand und der diesjährigen Ernte um 8200 Gulden, ohne Viehbestand um 7200 Gulden aus freier Hand zu verkaufen. Das Dienstpersonal ist bis Ende 1890 eingedungen und wird vom Verkäufer bezahlt. Anzahlung 4400 Gulden – 3800 Gulden können liegen bleiben, und zwar 2000 Gulden zu 5 Percent und 1800 Gulden zu 4 Percent. Näheres bei Herrn Alois Hitler in Braunau am Inn.«³⁰

    Die Familie jongliert offensichtlich mit beachtlichem Kapital, nicht zuletzt in Form von Immobilien – und zusätzlich zum väterlichen Beamtensalär, das mit »Ortszuschlag« für die jeweiligen Dienststellen monatlich rund 100 Gulden beträgt.³¹ Zum Vergleich: Eine Arbeiterfamilie bringt es Mitte der 1880er-Jahre auf ungefähr 30 Gulden pro Monat.³² Ungeachtet dessen stellt sich die Frage: Woher kommt das Vermögen aus dem Waldviertel? Die Familie weiß zwar, dass der Vater aus der Region stammt. Von seinen dortigen Verwandten ist aber, wie Schwester Paula festhält, so gut wie gar nichts bekannt.³³

    Alois kam 1837 als lediges Kind der Maria Anna Schicklgruber zur Welt, die 1842 den »vazierenden«, »stellungslosen Müllergesellen« Johann Georg Hiedler heiratet.³⁴ Bei dessen Bruder Johann Nepomuk in Spital unweit von Weitra wächst Alois auf. Die bescheidenen Lebensverhältnisse der 1847 verstorbenen Mutter Maria Anna und die illegitime Geburt sind allerdings keine Ausnahme. Die Rate der unehelich Geborenen ist hoch. In Niederösterreich beträgt sie um 1900 fast 25 Prozent.³⁵ Dennoch bleibt ein Makel, den der mittlerweile beruflich reüssierende Alois und sein Ziehvater Johann Nepomuk 1876 beseitigen. Nun wird er nachträglich als leiblicher und erbberechtigter Sohn von Johann Georg und Maria Anna anerkannt, wobei die Abänderung im Taufbuch aus Alois Schicklgruber nicht »Alois Hiedler«, sondern – durch abweichende Schreibweise – Alois Hitler macht.³⁶

    Die Hintergründe der Aktion sind kaum gänzlich aufzuklären. Möchte sich die Waldviertler Familie mit dem »Sohn, der es zu etwas gebracht hat«, brüsten? Sehr wahrscheinlich, dass handfestere Anliegen zumindest im Spiel sind. Zwar ist von Johann Georg und Maria Anna keine nennenswerte Hinterlassenschaft zu erwarten, aber Johann Nepomuk Hiedler ist durchaus nicht mittellos.³⁷ Um sein Erbe könnte es gehen. Wollen jene, die 1876 Namensänderung und Vaterschaft festlegen, einen weiteren Erben ausschließen? Unter den anwesenden Zeugen befindet sich jedenfalls der wichtigste Schwiegersohn von Johann Nepomuk, Josef Romeder.

    Ungeachtet dessen erwirtschaftet Alois Hitler in den folgenden Jahren ein gewisses Vermögen. Immobilientransaktionen in den 1880er-Jahren,³⁸ nicht zuletzt der Erwerb eines Hauses mit Landwirtschaft in der Nähe seines früheren Heimatortes Spital,³⁹ sowie die erwähnte Annonce in der »Neuen Warte am Inn« vom 18. Oktober 1890 können hierfür als Beleg gelten.

    Und noch eine Überlegung drängt sich auf: Gelangt vielleicht ein Teil vom Erbe des Ziehvaters nicht an Alois, sondern an dessen Frau Klara? Schließlich kommt sie aus derselben Gegend und sogar aus derselben Verwandtschaft. Klara ist eine Enkelin von Johann Nepomuk Hiedler und entstammt der Ehe von dessen ältester Tochter Johanna mit dem Bauern Johann Pölzl. Formal sind die Eltern von Adolf Hitler zumindest Vetter beziehungsweise Cousine zweiten Grades, weshalb ihre Verehelichung nur mit einer kirchlichen Sondergenehmigung möglich ist. Bei den zuständigen Stellen wird daher 1884 um »Dispens« ersucht. Das entsprechende Schreiben enthält dann auch den schon zitierten Satz über die »Braut« ohne »Vermögen« und steht damit im Widerspruch zu Spekulationen über eine mögliche Waldviertler Hinterlassenschaft zugunsten von Klara. In Linz leitet man das Ansuchen nach Rom weiter. Von hier langt schließlich die schriftliche Erlaubnis ein.⁴⁰

    Der damals noch lebende Ziehvater von Alois hat in der Zwischenzeit seine familiären Angelegenheiten weitgehend geregelt. Nicht bloß die Mutter von Klara, sondern auch seine beiden anderen Töchter sind schon früh mit Bauern aus der Region verheiratet: Josefa, die allerdings bald stirbt, mit Leopold Sailer, und Walburga, die ein höheres Alter erreicht, mit Josef Romeder aus dem Nachbardorf Ober-Windhag.⁴¹ Der bereits genannte Romeder nimmt mit Blick auf die Ereignisse von 1876 eine Schlüsselstellung ein. Er erhält gemäß Heiratsvereinbarung Hof und Land der Schwiegereltern, denen er im Gegenzug das Wohnrecht zugesteht.⁴²

    Das Privatleben von Alois gestaltet sich indes turbulent. Zunächst führt er die weitaus ältere Anna Glassl zum Traualtar. Man kann sich ein Dienstmädchen leisten, von Romantik fehlt hingegen jede Spur. Die kränkelnde Frau muss die Liebschaften ihres Mannes ertragen. Die junge Franziska Matzelsberger wird seine »Gespielin«. Die hintergangene Ehefrau verlangt die Scheidung. 1880 kommt es, wie es heißt, »zur Trennung von Tisch und Bett«.⁴³ Die neue Favoritin will dann zunächst einmal klare Verhältnisse. Eine potenzielle Rivalin muss verschwinden. Denn Klara, damals noch Pölzl, die spätere dritte Frau und Mutter Adolf Hitlers, ist schon 1876 als 16-Jährige aus Spital gekommen, um die kranke Anna Glassl zu pflegen. Nun wird sie von Franziska alias Fanni aus dem Haus gedrängt.⁴⁴ Sechs Wochen nach dem Tod seiner ersten Frau Anna am 6. April 1883 heiratet Alois Fanni, mit der er in »wilder Ehe« inzwischen einen Sohn, Alois junior, gezeugt hat.⁴⁵ Kurz darauf kommt dann noch Tochter Angela zur Welt.⁴⁶ Dem nun legitimierten Familienglück ist allerdings keine lange Dauer beschieden. Fanni leidet bald an Tuberkulose. Klara Pölzl kehrt zurück, nicht nur als Pflegerin und Haushaltspersonal. Alois und Klara beginnen vor der Todgeweihten eine Intimbeziehung und warten nach deren Ableben im August 1884 nicht lange ab.⁴⁷ Ungeachtet der Trauerzeit – Klara ist schon schwanger – wird die Hochzeit geplant, die allerdings zunächst durch das Warten auf den »kirchlichen Dispens« verzögert wird.⁴⁸

    Die Ehe der Eltern von Adolf Hitler ist dann in mehrerlei Hinsicht von der komplizierten Vorgeschichte mitgeprägt. Klara – ungebildet, aus einfachen Verhältnissen stammend und, wie erwähnt, wenig begütert – ist zunächst als Mädchen für den weitaus älteren Alois – bei der Eheschließung ist sie 24 und er 47 – nicht mehr als eine verwandte Magd. Dieser Hintergrund, und nicht bloß die unangefochtene väterliche Vorrangstellung in der Familie, erklärt, dass sie ihren Gemahl noch lange »Onkel« nennt, wie sie es aus Kindheit und Jugend gewohnt war.⁴⁹ Zugleich leben im Hitler’schen Haushalt zeitweilig die Halbgeschwister von Adolf, Fannis Kinder Alois und Angela, (später) auch seine Schwester Paula sowie eine Schwester Klaras, die geistesschwache Johanna alias »Hanni-Tante«. Sie arbeitet immer wieder für längere Zeit im Haushalt mit, gilt aber

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