Du bist nichts, Dein Volk ist alles!: Erinnerungen eines jugendlichen Zeitzeugen 1937 - 1941
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Buchvorschau
Du bist nichts, Dein Volk ist alles! - Klümper Günther F.
Günther F. Klümper
Du bist nichts,
Dein Volk ist alles!
Erinnerungen eines jugendlichen Zeitzeugen 1937 – 1941
AQUENSIS
Menschen
Impressum
Günther F. Klümper:
Du bist nichts, Dein Volk ist alles! – Erinnerungen eines jugendlichen Zeitzeugen 1937 – 1941
Copyright by AQUENSIS Verlag Pressebüro Baden-Baden GmbH 2012
Alle Rechte vorbehalten. Jede Verbreitung, auch durch Film, Funk, Fernsehen, photomechanische Wiedergabe jeder Art, elektronische Daten, im Internet, auszugsweiser Nachruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsunterlagen aller Art ist verboten.
Alle Fotos: Privat-Archiv Günther F. Klümper
Lektorat: Gereon Wiesehöfer
Satz: Schauplatz Verlag & Werbeagentur, Baden-Baden
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013
ISBN 9783954570096
www.aquensis-verlag.de
www.baden-baden-shop.de
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Über den Autor
Vorwort
Zitat
Der Pimpf wird älter
Auf dem Weg zur Hitlerjugend
„Mein Kampf"
Schulische Ausbildung
Durch die Wälder, durch die Auen
Im Schloss
Die sturmfreie Bude
Adelheid im Blümchenkleid
Selbstversorger
Nur nicht zu spät kommen!
Zur Musterung
Fox’ Tönende Wochenschau
Volksempfänger
Annäherungen
Maritta
Führer und Verführer
Bücher zum Lesen, Bücher zum Verbrennen
Henrich
Von Prozessionen und Wallfahrten
Gewaltenteilung
Obst in Hülle und Fülle
Maria
Der Findling
Pferdelaunen
Was wäre, wenn ... die Literatur nicht wär!
Tag der Arbeit
Lagerromantik
Wunschkonzert
Erika
Versuche
Heimatschuss
Das Partygirl
Trauzeuge in Germania
Diener zweier Herren
Ein Vorbild
Weltmacht Öl
Nach Ostland geht unser Ritt
Pflichtlektüre
Abschlussklassenfahrt
Nürburgring
Ferienparadies
Stromausfall
Der Dorfjude
Letzter Appell
Propagandamaschinerie
Reichskristallnacht
Notabitur und Musterung
Reichsarbeitsdienst
Kanalräumer
Spediteur
Gelobt sei, was hart macht
Wieder daheim
Warten ... Warten ... Warten ...
Nachwort
Weitere Bücher aus dem AQUENSIS Verlag
Günther F. Klümper
Jahrgang 1923, lebt seit 1986 in Baden-Baden. Nach einem Studium in Anglistik, Romanistik und Germanistik lehrte er drei Jahrzehnte lang an Höheren Schulen im In- und Ausland außer in seinen Fächern noch Philosophie und Kunstgeschichte. Seit seiner Pensionierung gehören Lesen und Schreiben zu seinen Lieblingsbeschäftigungen.
Vorwort
Dieses Buch ist die Fortsetzung des ebenfalls im Aquensis Verlag Baden-Baden im April 2009 unter dem Titel „Ein Pimpf erinnert sich – Deutsche Schicksalsjahre ab 1933, Erinnerungen eines Zeitzeugen" erschienenen Veröffentlichung.
Inzwischen sind drei Jahre ins Land gegangen, in ein Land, das sich in seinem politischen Gefüge als gefestigte Demokratie versteht. Trotzdem lassen uns die Gewalttaten, die von einem Häuflein unbelehrbarer Randalierer immer wieder begangen werden, aufhorchen, wenn sie uns nicht gar aufschrecken. Deshalb gilt für den Verfasser dieses kleinen Buches, dessen Entstehung der Verleger Manfred Söhner und als Lektor Gereon Wiesehöfer mit sachkundigen Anregungen kritisch begleitet haben, immer noch die im Vorwort zum „Pimpfen" erhobene Mahnung, dass man auch heute noch den Anfängen wehren sollte.
Die durch die Parteien laufende Diskussion darüber, ob man extremistisch orientierte und am Rande der Gesellschaft stehende Parteien verbieten sollte oder lieber nicht, ist symptomatisch für die Unsicherheit, die darüber in vielen Kreisen herrscht.
In erster Linie aber geht es dem Verfasser darum, die über die Jahre verblassten Erinnerungen zu aktualisieren, um sie einem interessierten Leserkreis mitzuteilen. Es ist ein Versuch, darzustellen, wie die meisten Jugendlichen damals das 1000-jährige Reich wahrgenommen haben, wie sie sich unkritisch von einer fatalen Ideologie haben vereinnahmen lassen. Vor dem Hintergrund der „großen" Geschichte, ist eine Folge von persönlichen kleinen Geschichten entstanden, wie sie Großväter ihren Enkeln zu erzählen pflegen.
Baden-Baden, im Januar 2012
Günther F. Klümper
„Interessant ist Zweigs Versuch, die psychologischen Wurzeln der modernen Diktatur zu analysieren. Nach seiner Meinung gründet sich die Herrschaft der Diktatoren auf die Sehnsucht der Menschen nach einem unproblematischen und unkomplizierten Dasein. Ein Volkserlöser macht sich diese Sehnsucht zunutze, indem er den latenten Idealismus der Massen durch eine neue Ideologie aktiviert, so lange bis die Menschen ihre Freiheit mit Lust aufgeben. Dann aber wird Idealität zur Brutalität und Majorität in Totalität verwandelt."
aus: Stefan Zweig, rororo Monographie von Hartmut Müller, 1988, S.103
Der Pimpf wird älter
Auch Pimpfe wurden älter und hatten in einem tausendjährigen Reich noch eine lange Zukunft vor sich. Im damaligen politischen System wurden sie, nachdem sie vier Jahre lang ihrem über alles geliebten Führer als Pimpfe gedient hatten, der eigentlichen Hitlerjugend eingegliedert. Ein Reichsjugendführer, der sich mit seinen Helfern und Helfershelfern wie ein Übervater um sie sorgte, achtete darauf, dass sie dem Staat nicht verloren gingen und auf dem einmal eingeschlagenen Gleis in die Großdeutsche Zukunft dampften. Als Westernliebhaber stolperte unser Pimpf dann später naturgemäß und naiv durch den Krieg.
Auf dem Weg zur Hitlerjugend
Wieder einmal wurden wir zur Treue verpflichtet, wieder einmal durften wir in einer feierlichen Zeremonie die linke Hand auf die schwarz-weiß-rote Fahne mit dem nicht zu übersehenden Hakenkreuz im weißen Feld und dem brandroten Drumherum legen und mit dem erhobenen Zeige- und Mittelfinger der hoch erhobenen Rechten dem Großen Vorsitzenden ewige Treue schwören: „Ich verspreche, in der Hitlerjugend allzeit meine Pflicht zu tun in Liebe und Treue zum Führer, so wahr mir Gott helfe". Die Bitte um transzendente Unterstützung („so wahr mir Gott helfe") soll später gestrichen worden sein. Man kann nur rätseln, weshalb. Nach der Eidesleistung war des dauernden Herummarschierens kein Ende mehr. Bei Trommelwirbel und Fanfarenklängen durften unsere Herzen höherschlagen. Wir sangen „Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt".
Die Jugendbünde wurden aufgelöst und die „Aufgelösten wurden in die Hitlerjugend eingegliedert. Von einem Trauma ging es in das nächste. Schon bei meiner Geburt hatte mich niemand gefragt, ob ich zur Welt kommen und wenn, in welcher ich leben wolle. Auf das von der Psychoanalyse so genannte „Geburtstrauma
war ein Trauma, das noch keinen Namen hatte und von dem man noch nicht wissen konnte, welche Formen es in meinem Leben annehmen würde, gefolgt.
Im noch zarten Alter von neun Jahren war ich von den Wandervögeln willkommen geheißen worden, wo ich eifrig mitmachte. Bei jeder Wanderung hatte ich meinen „Zupfgeigenhansl", eine Liedersammlung, die im Jahre 1909 zum ersten Mal in einer Gesamtauflage von einer Million Exemplaren erschienen war, bei mir zu tragen.
Es war ein Jahrhundert der industriellen und der durch diese bedingten sozialen Umwälzungen. Viele Städte verloren ihren barocken Glanz der Gründerzeit, um trostlosen Fabrikmauern Platz zu machen. Was blieb der Jugend, die dieser Trostlosigkeit entgehen wollte, anderes übrig, als aufs trostreiche, frisch-fromm- fröhlich grüne Land hinauszuziehen, dort ihre Zelte aufzuschlagen und nach Verzehr einer nahrhaften Erbsensuppe den Zupfgeigenhansl aufzuschlagen und nach dem Klang einer Zupfgeige altes deutsches Liedgut zu neuem Leben zu erwecken. In den Schlachten des 1. Weltkrieges (1914-1918) hatte sich der „Hansl schon als Trostbüchlein im Trommelfeuer vor Verdun bewährt. Obwohl mein über alles geliebter Führer selbst diesen jugendbündlerischen Trost schon genossen hatte, ließ er, weiß der Teufel weshalb, die Jugendbünde mitsamt ihrem Liedgut verbieten, ein Liedgut, das so schlecht ja nicht sein konnte, weil es Anleihen bei bekannten Sammlungen wie „Des Knaben Wunderhorn
gemacht hatte. Beim Wandern war sogar Europa sich wieder einmal einig. Das Lied „Im Frühtau zu Berge" war aus Schweden eingewandert. „Zogen einst fünf wilde Schwäne" kam aus Litauen. „Hab mein Wagen voll geladen" aus den Niederlanden.
Wer kennt heute noch Hans Breuer, den Gymnasiallehrer, der 1909 den ersten Zupfgeigenhansl herausgab, und 1915 als Militärarzt gefallen ist? Er war beflügelt von der Idee, dass auch der neuzeitliche Mensch durch jenes glückliche Volksliedzeitalter hindurchgehen solle: „Jugend. Jugend ist Frühling, und wir Wandervögel sind Jugend." Die Helden der Lieder waren soziale Randgruppen wie Obdachlose, Landstreicher, Zigeuner und, in Erinnerung an längst vergangene Zeiten, Piraten, Wegelagerer und Straßenräuber.
Das 1000-jährige Reich begann seinen zwölfjährigen Siegeszug mit einem neuen, maßgeschneiderten Liedgut, das vergeblich versuchte, seine Anleihen beim Zupfgeigenhansl zu verleugnen. Es ließ die Jugendbewegung, die sich nach dem Ersten Weltkrieg in konfessionelle Gruppierungen wie die sozialistischen „Falken oder die „Edelweißpiraten
aufgespaltet hatte, verbieten, weil sie mit „ekelerregender" Frechheit über die Hintertreppe zur Einflussnahme in die Jugendarbeit kommen wollten. Sie waren dem von der Vorsehung Gesandten in ihrer Gesinnung zu liberal, gefühlsduselig, frech und obrigkeitsfeindlich. Unsere neue, nationalsozialistische Bewegung dagegen wurde vor allem von einer gesitteten Arbeiterschaft und einer noch gesitteteren bürgerlichen Mehrheit getragen.
Einen Treueid zu brechen, so wurden wir belehrt, galt schon bei unseren direkten Vorfahren, den Alten Germanen, die am Ufer des Rheins gelegen und Met getrunken hatten, als das höchste Verbrechen, das nur durch den Tod geahndet werden konnte.
„Als die Römer frech geworden, sim, serim, sim sim sim sim,
zogen sie nach Deutschlands Norden, sim ...
vorne mit Trompetenschall, terä, tät ä tä terä,
ritt der Gen’ralfeldmarschall,
Herr Quintilius Varus, wau wau wau wau wau
Herr Quintilius Varus, schnäderängtäng, täng...
(J.V. v. Scheffel, 1826-1886, Komponist unbekannt, zuerst gedruckt in Dortmund 1876.)
Dass wir Nachfahren dann auch ohne Brechung besagten Eides sterben durften, war ein bedauerlicher Formfehler der Geschichte.
„Mein Kampf"
Auf den Tag genau, am 31. März 1939, als ich in mein 16. Lebensjahr einrückte, wurde die Erste Durchführungsverordnung zum Hitler-Jugend-Gesetz vom 1. Dezember 1936 erlassen. Selbst wenn ich es gewollt hätte, gab es für mich kein Entkommen. Diejenigen, die „Mein Kampf gelesen hatten, wussten Bescheid. Es ging meinem über alles geliebten Führer um die „Heranzüchtung gesunder Körper
, nicht um das „Einpumpen" fragwürdiger Weisheiten. Es