Wer bist du, Fremder: Der Bergpfarrer 187 – Heimatroman
Von Toni Waidacher
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Über dieses E-Book
Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert.
Ria Stubler sah den Fremden, der vor ihrer Tür stand, fragend an.
»Wollen S' zu mir?«
Die Wirtin der kleinen Pension in St. Johann hatte den ihr unbekannten Mann eher zufällig gesehen. Sie arbeitete im Garten und hatte einen Sack mit Abfall nach vorne vor das Haus tragen wollen. Der Mann hatte noch die Hand gehoben, um zu klingeln, als Ria um die Ecke kam.
»Grüß Gott!«, sagte er und lächelte sie an. »Ja, ich wollt' fragen, ob bei Ihnen noch ein Zimmer frei ist.«
Die Wirtin musterte ihn. Der Unbekannte machte einen sympathischen Eindruck. Er trug einen Vollbart, wodurch sein wahres Alter nur schwer zu schätzen war, aber seine Augen schauten freundlich, und überhaupt hatte Ria ein untrügerisches Gefühl für Menschen, denen sie vertrauen durfte.
»Sie haben Glück«, antwortete sie. »Grad heut' erst hat ein Gast stornieren müssen, weil es einen Trauerfall in seiner Familie gab. Das Zimmer ist noch frei. Wie lang' wollen S' denn bleiben?«
»Tja, ich weiß noch gar net genau… Vierzehn Tag' vielleicht, wenn das geht?«
»Das lässt sich einrichten«, sagte Ria erfreut. »Genauso lange wollte der Mann nämlich eigentlich hier wohnen. Warten S' einen Moment, ich mach' Ihnen gleich auf.«
Sie verschwand wieder um die Ecke, ging durch den Garten zurück zur Hintertür und kam durch den Flur an die Haustür.
»So, bitt' schön, kommen S' herein, Herr…?«
»Florian Sommer«, stellte er sich vor.
Er hatte einen großen Koffer in der Hand. Ria fiel ein, dass sie nur einen kurzen Blick auf das fremde Auto geworfen hatte, das vor der Tür stand.
»Sie können sich später
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Buchvorschau
Wer bist du, Fremder - Toni Waidacher
Der Bergpfarrer
– 187–
Wer bist du, Fremder
Herzen, die sich wieder begegnen
Toni Waidacher
Ria Stubler sah den Fremden, der vor ihrer Tür stand, fragend an.
»Wollen S’ zu mir?«
Die Wirtin der kleinen Pension in St. Johann hatte den ihr unbekannten Mann eher zufällig gesehen. Sie arbeitete im Garten und hatte einen Sack mit Abfall nach vorne vor das Haus tragen wollen. Der Mann hatte noch die Hand gehoben, um zu klingeln, als Ria um die Ecke kam.
»Grüß Gott!«, sagte er und lächelte sie an. »Ja, ich wollt’ fragen, ob bei Ihnen noch ein Zimmer frei ist.«
Die Wirtin musterte ihn. Der Unbekannte machte einen sympathischen Eindruck. Er trug einen Vollbart, wodurch sein wahres Alter nur schwer zu schätzen war, aber seine Augen schauten freundlich, und überhaupt hatte Ria ein untrügerisches Gefühl für Menschen, denen sie vertrauen durfte.
»Sie haben Glück«, antwortete sie. »Grad heut’ erst hat ein Gast stornieren müssen, weil es einen Trauerfall in seiner Familie gab. Das Zimmer ist noch frei. Wie lang’ wollen S’ denn bleiben?«
»Tja, ich weiß noch gar net genau… Vierzehn Tag’ vielleicht, wenn das geht?«
»Das lässt sich einrichten«, sagte Ria erfreut. »Genauso lange wollte der Mann nämlich eigentlich hier wohnen. Warten S’ einen Moment, ich mach’ Ihnen gleich auf.«
Sie verschwand wieder um die Ecke, ging durch den Garten zurück zur Hintertür und kam durch den Flur an die Haustür.
»So, bitt’ schön, kommen S’ herein, Herr…?«
»Florian Sommer«, stellte er sich vor.
Er hatte einen großen Koffer in der Hand. Ria fiel ein, dass sie nur einen kurzen Blick auf das fremde Auto geworfen hatte, das vor der Tür stand.
»Sie können sich später eintragen«, sagte sie. »Jetzt zeig’ ich Ihnen erst einmal das Zimmer.«
Die Wirtin nahm einen Schlüssel vom Brett und ging voran, die Treppe hinauf. Oben angekommen schloss sie auf und ließ den Gast eintreten.
»Ich hoff’, Sie werden sich bei mir wohl fühlen«, bemerkte sie und erklärte, zu welchen Zeiten gefrühstückt werden konnte.
Florian Sommer nickte dankbar und meinte, er würde sich bestimmt wohl fühlen, das Zimmer gefiele ihm ausgezeichnet. Mit einem Lächeln auf den Lippen verabschiedete sich Ria Stubler und ging hinaus.
Der junge Mann atmete tief durch. Er trat an das Fenster, öffnete dann aber die Balkontür und ging hinaus. Die Arme auf die Brüstung gelegt, stand er da und schaute auf die Berge, die zum Greifen nahe schienen. Die Luft roch nach Blumen und wilden Kräutern; ein Duft, den er längst vergessen zu haben glaubte.
Während sein Blick schweifte, dachte Florian an damals. Da hinten irgendwo stand der Hof, den er bei Nacht und Nebel hatte verlassen müssen, vor der Polizei fliehend.
»Es ist ein Wahnsinn, dass du wieder zurückgekommen bist«, murmelte er vor sich hin.
Aber es musste sein. Tagelang hatte er sich dagegen gewehrt, sich gesagt, dass es falsch sei, was er sich da vorgenommen hatte. Und doch war die Sehnsucht stärker gewesen, als die Furcht, ins Gefängnis zu kommen.
Zwei Dinge hatten Florian Sommer, der eigentlich Hochleitner hieß, angetrieben, zurück in die Heimat zu fahren.
Da war zum einem die Sehnsucht nach zu Hause, der Wunsch, seinen Vater wiederzusehen, und zum anderen das heiße Verlangen, sich von jeder Schuld reinzuwaschen und den wahren Täter, denjenigen, der ihm die Verbrechen in die Schuhe geschoben hatte, zu überführen. Jetzt endlich war Florian sicher, Beweise zu haben, die seine Unschuld belegten, er musste nur geschickt vorgehen, seine Tarnung nicht zu früh lüften und dann plötzlich und unerwartet zuschlagen.
Seine Augen brannten plötzlich. Aber das lag nicht an den Sonnenstrahlen. Florian fuhr sich über das Gesicht und wischte die Tränen fort.
Zum Weinen war immer noch Zeit!
Der Heimgekehrte ging in das Zimmer zurück und packte seinen Koffer aus. Dann sah er auf die Uhr. Es war später Nachmittag. Zu spät, um heute noch etwas zu unternehmen. Außerdem musste er vorsichtig sein. Zwar hatte er sich seit seiner Flucht nicht mehr rasiert, aber sicher sein konnte er nicht, dass ihn nicht doch jemand trotz seines Vollbartes erkannte.
Also erst einmal im Dorf umsehen, schauen, was sich in den letzten Jahren alles so verändert hatte, und vielleicht im Kaffeegarten des Hotels etwas trinken.
Florian Hochleitner zog ein leichtes Jackett über und verließ das Zimmer. Als er die Treppe herunterkam und den Flur durchquerte, begegnete ihm keine Menschenseele. Er öffnete die Haustür und sah die Wirtin im Vorgarten arbeiten. Florian grüßte, und Ria wünschte ihm noch einen guten Tag.
Sie richtete sich auf und schaute ihm hinterher.
Ein netter, junger Bursche. Aber ihn schien irgendeine geheimnisvolle Aura zu umgeben. Sie hatte ein Händchen dafür und wusste immer sofort, wenn jemand vor ihr stand, der ein Problem mit sich herumschleppte.
Und bei Florian Sommer war dieses Gefühl ganz besonders stark.
*
Es hatte sich nichts verändert, stellte er sehr schnell fest. Alles war noch genauso, wie vorher, und in der Mitte des Dorfes stand noch immer die Kirche, gebaut für die Ewigkeit.
Florian hatte einen langen Spaziergang gemacht. Lange von der Zeit her, weil er immer wieder stehen geblieben war und hier und da verweilte, um sich ausgiebig dieses oder jenes Haus anzuschauen. Er kam sich vor, wie jemand, der viele Jahre von zuhause fort gewesen war und jetzt wieder heimkommt und sich neu orientieren muss. Dabei waren es kaum mehr als drei Jahre, die er in der Fremde verbracht hatte. Aber diese Jahre hatten ihn geprägt. Immer in der Furcht lebend, als Verbrecher erkannt zu werden, ständig auf der Hut vor der Polizei sein müssen, das war etwas, das ihn geformt und einen misstrauischen Menschen aus ihm gemacht hatte.
Nach seinem Rundgang durch den Ort kehrte Florian in den Bier- und Kaffeegarten ein. Wie er es von früher her kannte, herrschte hier großer Andrang. Die meisten Gäste um diese Zeit waren Urlauber, die sich hier an Kaffee und Kuchen gütlich taten.
Florian Hochleitner fand einen freien Platz an einem der langen Tische. Er grüßte die anderen Gäste mit einem Kopfnicken und setzte sich. Schnell kam eine Bedienung herbei und erkundigte sich nach seinen Wünschen. Lächelnd bestellte er ein Kännchen Kaffee. Lächelnd deshalb, weil er die junge Frau kannte. Sophie Hierlinger war die Tochter eines Nachbarn, die im Hotelfach lernte. Allerdings schien sie keine Ahnung zu haben, wen sie da bediente. Indes war der Heimkehrer froh darüber, zeigte es doch, dass seine Tarnung wirkte.
Vorhin hatte er fast einen Herzschlag bekommen, als er am Polizeirevier vorüber gegangen war, und Max Trenker plötzlich herauskommen sah. Der Polizist hatte ihn seinerzeit immer wieder verhört, musste ihn aber stets wieder laufen lassen, weil er ihm die Einbrüche und Diebstähle nicht nachweisen konnte.
Würde er ihn jetzt wiedererkennen?
Der Bruder des Bergpfarrers warf dem Vorübergehenden nur einen Blick zu und wandte sich gleich wieder ab.
Pfarrer Trenker wäre vielleicht noch eine Möglichkeit gewesen, sich jemandem anzuvertrauen. Doch das hatte Florian damals schon nicht gemacht, und heute sah er keine Veranlassung dazu. Alles, was er brauchte, um sich wieder reinzuwaschen, war in seinem Besitz.
Daran dachte er auch, als er jetzt unter den vielen anderen Gästen saß und seinen Kaffee trank. Allerdings schweiften seine Gedanken auch immer wieder ab. In der letzten Zeit hatte er vermehrt wieder an seinen Vater denken müssen, vor allem, als feststand, dass er heimfahren würde.
Josef Hochleitner, der Altbauer auf dem Hochleitnerhof, der längst an den Sohn hätte übergeben