Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Haus der Vergangenheit: Liebeskrimi
Haus der Vergangenheit: Liebeskrimi
Haus der Vergangenheit: Liebeskrimi
eBook449 Seiten12 Stunden

Haus der Vergangenheit: Liebeskrimi

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Elisa Arendt arbeitet als Lektorin in einem renommierten französischen Verlag in Paris. Obwohl sie sehr erfolgreich ist, stellt sie ihr Leben zunehmend in Frage. Während einer Auszeit auf Korsika lernt sie unverhofft Léonard Besson kennen und verliebt sich in ihn.

Wenig später erfährt sie von einer seltsamen Erbschaft: einem Haus in Schleswig-Holstein, das ihr ein unbekannter Mann vermacht hat. Sie reist dorthin, um mehr darüber zu erfahren. Auf den ersten Blick sieht es danach aus, dass der Unbekannte Selbstmord begangen hat, doch die Kripo hat schnell Zweifel daran.

Die Ermittlungen gestalten sich sehr zäh, der Kreis der Verdächtigen wird immer größer. Elisa wird zunehmend selbst in den Fall verwickelt und auf unheimliche Spuren ihrer eigenen Vergangenheit geführt, die sie schließlich in tödliche Gefahr bringen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum8. März 2021
ISBN9783347270343
Haus der Vergangenheit: Liebeskrimi

Ähnlich wie Haus der Vergangenheit

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Haus der Vergangenheit

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Haus der Vergangenheit - Jacky Herrmann

    Sonntag, 17. Februar 1980

    Der Winter war besonders eisig in diesem Jahr und würde sich noch lange in den Frühling hineinziehen. Die Fenster waren stark beschlagen, dass sie nicht hinausblicken konnte. Das Haus war insgesamt in einem sehr schlechten Zustand. Er hatte lange Zeit nichts daran gemacht.

    Dolores Winter kniete nieder, um Holz in dem kleinen Ofen nachzulegen. Auf einer Wolldecke saß Felix und spielte fröhlich mit seinem Teddy. Sie war glücklich, wenn er es war und liebte Momente wie diesen. Das Glück mit ihrem Sohn war das Einzige, das ihr in diesem armseligen Leben geblieben war.

    Sie zündete eine Flamme auf dem Gasherd an und setzte einen Topf mit Milch darauf an. Es war kurz nach sechszehn Uhr. Ihr Mann war in die Dorfkneipe gegangen, um mit seinen Kumpanen Karten zu spielen. Vermutlich ließ er sich wie gewöhnlich volllaufen. Vielleicht kam er später wieder mit einem blauen Auge zurück, weil sie sich betrunken beim Spielen stritten und anschließend gegenseitig die Köpfe einschlugen. Sie fürchtete immer diesen Moment, wenn er nach Hause kam. Jeden einzelnen Tag, denn es ging selten gut für sie aus. Doch sie wollte sich nicht den Nachmittag mit der Angst vor der bevorstehenden Rückkehr ihres betrunkenen Mannes verderben. Meist kam er sonntags nicht vor einundzwanzig Uhr zurück. Die Zeit bis dahin wollte sie genießen.

    Sie goss die warme Milch in eine Tasse, rührte Kakaopulver hinein und setzte sich zu Felix. Er krabbelte auf ihren Schoß und trank mit ihrer Hilfe in kleinen Schlucken aus der großen Tasse.

    Dolores vergaß völlig die Zeit. Sie spielten mit dem Teddy und hörten Musik aus dem kleinen, alten Radio. Gerade als sie Felix vorm Schlafengehen noch etwas zu essen zubereiten wollte, knallte es laut an die Haustür. Es war fast achtzehn Uhr. Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen. Sie sträubte sich, zur Tür zu gehen, nahm Felix auf den Arm und setzte sich auf die Küchenbank.

    „Du brauchst keine Angst zu haben! Ich beschütze dich!", flüsterte sie ihm zu und streichelte dabei zärtlich über seinen Kopf. Sie wartete. Es blieb still. Nur das Knistern des Feuers im Ofen war zu hören. Sie atmete auf. Es musste der Wind gewesen sein. Sie stand auf, setzte den Jungen auf die Bank und ging zum Ofen, um Holz nachzulegen. In dem Moment hörte sie einen weiteren Schlag, der sie erneut zusammenzucken ließ. Sofort nahm sie Felix wieder hoch und hielt inne. Es knallte nochmal, wurde immer heftiger und hörte sich nun eindeutig danach an, dass jemand vehement gegen die Tür schlug. Angst kroch in ihr hoch. Warum war er schon zurück? Warum schloss er nicht selbst die Tür auf? Sie war wie gelähmt und wusste nicht, was sie tun sollte.

    Ein Schlag ans Küchenfenster ließ sie kurz darauf zusammenfahren.

    „Mach endlich die Tür auf, du Miststück!", brüllte eine Männerstimme.

    Er war es tatsächlich. Dolores zitterte. Sie wollte ihn nicht hineinlassen, da sie wusste, was geschehen würde. Aber sie hatte keine Wahl. Rasch brachte sie Felix ins Kinderzimmer, legte ihn ins Bett, schaltete das Licht aus, verschloss die Tür und nahm den Schlüssel an sich, um ihn vor seinem Vater zu schützen. Sie atmete noch einmal tief durch, ging anschließend zur Haustür und öffnete diese zaghaft. Ein eiskalter Wind wehte ihr ins Gesicht. Ein angstvolles Schaudern ergriff sie. Doch er war nicht da. Er war nirgendwo zu sehen. Stand er immer noch am Küchenfenster? Sollte sie hinausgehen und ihn holen? Egal, was sie tat, es war das Falsche, wusste sie. Sie zog ihren Mantel über und lehnte die Tür an. Mit kleinen Schritten suchte sie sich ihren Weg zur Rückseite des Hauses. Als sie um die Ecke bog, sah sie eine dunkle Gestalt in der Ferne.

    „Hier draußen ist es kalt, rief sie. „Komm ins Haus, bat sie ihn. Ihre Stimme zitterte.

    Doch er reagierte nicht, blieb regungslos stehen. Es war zu dunkel, um etwas erkennen zu können. In den letzten Nächten war Vollmond gewesen, der nun wieder deutlich abgenommen hatte. Durch den Nebel, der sich wie ein Schleier über den Abend gelegt hatte, war der Mond kaum noch sichtbar. Sie bereute, nach draußen gegangen zu sein und trat den Rückweg an. Gerade als sie an der Tür ankam, überraschte sie eine kalte Hand von hinten und griff sie fest am Nacken.

    „Wohin willst du?", fragte er sie.

    „Ich dachte, wir gehen zusammen ins Haus", antwortete Dolores zaghaft.

    Er zog sie mit festem Griff zurück, drehte sie zu sich um und drückte ihr Gesicht mit seinen Händen zusammen, die stark nach Zigaretten rochen. Er kam ihr immer näher und schaute sie eindringlich an. „Ihr Frauen seid widerlich! Erst macht ihr uns schöne Augen und dann verarscht ihr uns nur", beschimpfte er sie.

    Sie wusste nicht, wovon er sprach. Wahrscheinlich hatte er wieder die Bedienung in der Kneipe angemacht, die ihn abblitzen lassen hatte.

    „Und von allen Frauen, die es auf dieser verdammten Welt gibt, habe ich die Allerhässlichste abbekommen! Schau dich im Spiegel an! Wie siehst du nur aus?", warf er ihr vor.

    So schmerzhaft die Wahrheit war, er hatte Recht damit. Als er Dolores vor sechs Jahren kennengelernt hatte, war sie eine bildschöne Frau gewesen, die immer darauf bedacht gewesen war, sich zurechtzumachen. Sie hatte ihre langen, blonden Locken immer offen getragen, was ihrem Gesicht sehr geschmeichelt hatte. Dolores hatte damals mit einer Freundin einen Ausflug nach Kiel gemacht, nachdem sie kurz zuvor ihre Schule erfolgreich abgeschlossen hatte und endlich etwas von der Welt sehen wollte. Sie hatte aus dem Dorf weggewollt, in dem sie behütet aufgewachsen war. Ihre Eltern hatten ihr zum Schulabschluss etwas Geld geschenkt, das sie sich lange abgespart hatten. Einen Teil davon hatte sie genommen, um diese kleine Reise mit ihrer Freundin zu unternehmen. Sie hatten diese neue Freiheit genossen, tagsüber die Stadt und Umgebung erkundet und sich abends schick gemacht, um auszugehen. Eines Abends hatten sie an der Bar einer schäbigen Hafenkneipe gesessen und der Barmann hatte ihnen zwei Drinks vor die Nase gestellt.

    „Ihr seid eingeladen", hatte er gesagt.

    „Auf Kosten des Hauses?"

    Der Mann hatte gelacht. „Nein! Der Herr dort drüben am Tisch neben der Tür hat die Getränke bezahlt."

    Sie hatten sich zu dem Unbekannten umgedreht und er hatte ihnen zugelächelt. Das war der Moment gewesen, der alles in Dolores‘ Leben verändert hatte. Es war der Anfang vom Ende gewesen, wie sie heute wusste. Jetzt waren ihre Haare glanzlos und stumpf. Sie band sie jeden Morgen streng zu einem Zopf zurück. Auch in ihrem Gesicht hatte die Angst der letzten Jahre ihre Spuren hinterlassen. Ihre Mundwinkel hingen nach unten, ihre Augen waren leer und glanzlos, ihre Haut fad und blass. Sie wusste selbst, dass sie schrecklich aussah, doch es war ihr über die Jahre gleichgültig geworden. Sie ging selten aus dem Haus und traf nie andere Menschen. Und für ihren Mann wollte sie nicht attraktiv sein. Im Gegenteil: Je hässlicher er sie fand, umso weniger fasste er sie an. Nur manchmal kam es vor, dass er mitten in der Nacht, wenn er besoffen neben sie ins Bett kroch, über sie herfiel und sie zum Sex zwang. Doch die Jahre und der Alkohol hatten auch an ihm gezehrt und ihn ruhiger gemacht. Während er noch vor ein paar Jahren fast täglich Lust auf sie gehabt hatte, kam es jetzt nur noch selten vor. Sie war inzwischen so abgestumpft, dass sie es über sich ergehen ließ, wenn er sie vergewaltigte. Sie wehrte sich nicht, machte mechanisch die Beine auseinander und ließ ihn in sich eindringen. Es dauerte nur wenige Minuten. Sekunden später schlief er ein und schnarchte laut. Sie lag meistens die restliche Nacht wie gelähmt neben ihm und kam nicht zur Ruhe. Sie schlief generell nur wenig und erreichte selten den Tiefschlaf. Sie musste schließlich jederzeit bereit sein, Felix zu beschützen. Ihr Ein und Alles. Der einzige Grund, für den sie weiterleben wollte.

    Er kam nun noch näher auf sie zu. Sie spürte seinen Körper und roch seinen fauligen Atem. Ihr wurde übel, ihr Magen zog sich zusammen. Er beugte sich zu ihrem Hals hinunter und leckte mit seiner Zunge darüber.

    „Ich finde dich sehr unattraktiv, aber ich bin traurig und will, dass du mich heute Nacht tröstest!"

    Erneut lief ihr ein unangenehmer Schauder über den Rücken. Sie empfand Ekel und wusste genau, was gleich passierte.

    „Komm jetzt! Ich will, dass wir hoch ins Schlafzimmer gehen!" Er zog sie am Arm und torkelte zur Tür. Ohne Mantel oder Stiefel abzulegen, schleifte er sie die Treppe hinauf zum Schlafzimmer.

    „Öffne meine Hose und befriedige mich mit dem Mund!, befahl er ihr. „Dann muss ich deine hässliche Fresse wenigstens nicht sehen!

    Sie tat, wie er ihr befohlen hatte und kniete sich nieder.

    Montag, 21. September 2015

    Denis Kowalski stand an einem Bushäuschen in der Nähe der ‚Rue du Faubourg-Saint-Antoine‘ und versuchte, auf der dort angebrachten Straßenkarte die ‚Rue Trousseau‘ zu finden, die ganz in der Nähe sein musste. Er fand sie nur nicht.

    „Mist!", sagte er laut. Er zog sein Smartphone aus der Hosentasche und versuchte erneut, ein Netz zu finden, um endlich ins Internet zu kommen. Doch vergeblich.

    Ich hasse Frankreich, dachte er zum wiederholten Male, seit er in diesem Land war. Warum zum Teufel funktionierte das Internet hier nicht?

    Es war gerade mal sechs Uhr morgens und er war ein schrecklicher Morgenmuffel. Zu seinem Leidwesen hatte er die Nacht zuvor verdammt schlecht geschlafen. Die Absteige, in der er untergekommen war, war mit dem unbequemsten Bett ausgestattet, in dem er je gelegen hatte. Ihm tat noch immer der Nacken weh und seine rechte Rückenseite machte heute auch nicht mit. Er hatte sich hoffentlich nicht schon wieder einen Nerv eingeklemmt. Doch es war nicht der richtige Moment, um länger darüber nachzudenken. Er musste zusehen, diese ‚Rue Troirgendwas‘ zu finden. Er hatte keine Ahnung, wie das ausgesprochen wurde und es interessierte ihn auch nicht. Er schaute noch einmal auf die Karte und entschied, in irgendeine Richtung loszulaufen. Auf einem Zettel hatte er eine Adresse notiert. Er würde den nächstbesten Passanten anhalten und ihm den Zettel vor die Nase halten. Die Franzosen sollten wohl in der Lage sein, ihm wenigstens die Richtung zu zeigen, wenn er ihnen klarmachte, dass er absolut nichts verstand, dachte er.

    Nachdem er wenige Meter nach der Bushaltestelle in eine größere Seitenstraße abgebogen war, hörte er Kinderstimmen. Seine Hoffnung wuchs. In der Nähe war vermutlich ein Kindergarten und sicher auch jemand, den er anhalten konnte. In dem Moment stieg eine Frau aus einem nicht weit von ihm entfernt geparkten Auto aus. Sie öffnete die Hintertür und beugte sich nach unten. Er blieb stehen und beobachtete, wie sie ein kleines Mädchen vom Rücksitz hob.

    Na bitte! Da haben wir doch jemanden gefunden!

    Die Frau war bereits dabei, mit dem kleinen Mädchen an der Hand loszulaufen. Er versuchte, sie einzuholen. Als er sie erreicht hatte, griff er der Frau von hinten an den Arm. Sie zuckte zusammen.

    „Mais qu’est-ce que vous faites?", schrie sie ihn an.

    Er zuckte mit den Schultern und stotterte herum. „Äh, Madame, tut mir…äh…ich spreche nicht…ähm…Französisch…Ach verdammt, was soll ich denn sagen?" Er kam sich blöd vor. Das war wohl eine dumme Idee gewesen!

    Die Frau schaute ihn immer noch fragend an. Schließlich hatte sie keine Geduld mehr, griff nach der Hand ihrer Tochter, die sie vor Schreck losgelassen hatte, drehte ihm den Rücken zu und lief los.

    „Warten Sie doch!", versuchte er, sie aufzuhalten. Da sie jedoch nicht reagierte, beschleunigte er seinen Schritt und stellte sich direkt vor sie. Er zog den Zettel hervor und hielt ihn ihr vors Gesicht.

    „Vous cherchez la Rue Trousseau? Elle est juste là. Sie zeigte nach vorne. „Il faut aller tout droit, environ 500 mètres et puis c’est à gauche.

    „Was? Ich verstehe nur Bahnhof! Er hob seinen Arm und zeigte nach vorne, um sich damit nochmals bestätigen zu lassen, dass er sie halbwegs richtig verstanden hatte. „Da lang?

    Die Frau nickte. „Bah oui! Et puis à gauche", antwortete sie ihm und zeigte gleichzeitig nach links.

    „Ah, verstehe! Danke! Äh, merci heißt das doch, oder?"

    Ohne sich noch einmal umzudrehen, lief er den Weg weiter geradeaus. Er schaute auf jedes Straßenschild. Es war fast sieben Uhr. Wieso war so viel Zeit vergangen? Er hatte Angst, dass er zu spät dran war. Andererseits waren noch nicht viele Leute zu dieser unwürdigen Uhrzeit unterwegs. Vermutlich würde sie auch nicht so früh aus dem Haus gehen. Er beschleunigte dennoch seinen Schritt und plötzlich sah er sie von weitem: die ‚Rue Trousseau‘.

    Endlich! Er bog in die Straße ab und hielt nach der Hausnummer vierundfünfzig Ausschau, die er kurz darauf fand. Was sollte er jetzt machen? Er suchte nach einer Stelle, wo er unauffällig warten konnte, doch es gab weit und breit nichts. Keine Bank und auch sonst nichts. Er nahm schließlich sein Handy und tat, als ob er telefonieren würde. Er redete irgendwelches Zeug zusammen. Die Franzosen, die das mitbekamen, würden es sowieso nicht verstehen, war er sicher. Er lief dabei hin und her, ließ aber nie das Haus mit der Nummer vierundfünfzig aus den Augen. Eigentlich brauchte er dringend einen Kaffee. Leider hatte er es heute Morgen versäumt, das im Preis inkludierte Frühstück in der billigen Pension wahrzunehmen. Jetzt knurrte sein Magen, was ihn jedoch weniger störte als sein Verlangen nach einer heißen Tasse Kaffee. Er zündete sich eine Zigarette an. Vielleicht half das vorübergehend. Wie lange sollte er hier warten? Vielleicht ging sie heute gar nicht zur Arbeit. Vielleicht hatte sie woanders übernachtet. Wer konnte ihm denn garantieren, dass sie heute Morgen überhaupt aus dieser verdammten Tür herauskam? Er hatte keine Lust, seinen Tag hier zu verbringen. Außerdem würde das irgendwann auffallen. Vielleicht sollte er lieber in den Verlag fahren und dort nach ihr fragen. Er wusste schließlich, dass sie da arbeitete.

    Er nahm das Telefon vom Ohr. Mittlerweile ging ihm sein „Telefonieren-Getue" selbst auf die Nerven. Er wollte höchstens noch eine halbe Stunde hier verharren. Wenn er sich wenigstens kurz setzen könnte. Sein Rücken plagte ihn und das Hin- und Herlaufen machte es nicht besser.

    Plötzlich ging die Tür auf und eine junge Frau kam heraus. Das könnte sie sein, dachte er sofort. Er versteckte sich hinter einem Auto, schaltete die Kamera in seinem Handy an und zoomte die Unbekannte heran.

    Das ist sie! Er fotografierte sie mehrmals, während sie den Bürgersteig hinunterlief und die Straße überquerte, um zu einem Auto auf der gegenüberliegenden Seite zu gelangen. Sie durfte ihn auf keinen Fall bemerken. Obwohl es ihm wegen seines angeschlagenen Rückens schwerfiel, musste er sich nach unten beugen. Er drückte fleißig weiter auf den Auslöser. Gut, dass diese neumodernen, integrierten Kameras keine Geräusche machten. Den Blitz hatte er vorsorglich ausgeschaltet, was der Qualität der Bilder nichts abtat.

    Kurz darauf startete sie ihren roten BMW, verließ die Parklücke und fuhr davon.

    Er trat aus seiner gebückten Haltung hervor. „Mission erfüllt!", beglückwünschte er sich selbst.

    Dienstag, 22. September 2015

    „…und dann entdeckte sie das Geheimnis. Der dunkle Schleier, der ihn die ganze Zeit umhüllt hatte, fiel. Sie sah zum ersten Mal die schmerzhafte Wahrheit. Damit hatte sie nie gerechnet. Es war wie ein Messerstich ins Herz."

    Das liest sich gut und wird sich auch gut verkaufen. Noch zwanzig Seiten. Ich bin gespannt, wie er das Ende des Romans gestaltet hat, dachte Elisa Arendt.

    Sie legte das Manuskript beiseite, nahm ihre Lesebrille ab und machte eine Pause. Mit ihrem Daumen drehte sie den Stift, der zwischen Mittel- und Zeigefinger klemmte, hin und her. Sie schaute auf ihr Handy, das sie lautlos gestellt hatte. Sie hatte weder einen Anruf verpasst noch eine Nachricht erhalten. Nachdenklich blickte sie aus dem Fenster. Ihr Büro lag in der siebten Etage. Auf dieser Seite des Gebäudes hatte sie einen großartigen Blick auf die Seine und das bunte Treiben entlang der Flusspromenade. Für Ende September war es die letzten Tage noch sehr warm gewesen. Sie mochte diese Jahreszeit: die bunten Farben, die orangefarbene Herbstsonne, die milden Temperaturen und die letzten lauen Nächte vor dem anstehenden Winter, die sie mit einem Glas Rotwein auf ihrem Balkon genoss.

    Sie sah sich in ihrem Büro um. Seit fünf Jahren hatte sie fast jeden Tag an dem großen Schreibtisch gesessen, unzählige Manuskripte gelesen, die meisten davon abgewiesen, einen Teil aber auch befürwortet und sogar einige Talente entdeckt. Sie legte den Stift weg, stand auf und schenkte sich ein Glas Wasser ein. Während sie etwas davon trank, wanderte ihr Blick weiter durch ihr Büro. Der Raum war großzügig geschnitten und wirkte durch die hohen Fenster und die weißen Wände hell und freundlich. Zwei Wände waren hinter Regalen verschwunden, die wiederum mit Unmengen von Büchern gefüllt waren. Außer ihrem Schreibtisch und ein paar Sitzmöbeln gab es nicht viel mehr. Ihr war wichtig, dass sie sich an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlte. Sie trug schließlich eine große Verantwortung, denn die Existenz und die Zukunft anderer Menschen hingen von ihrem Urteil ab. Sie entschied, was veröffentlicht wurde und was nicht.

    Sie ging zum Fenster, lehnte sich an die Fensterbank und schaute auf die Uhr. Acht Minuten vor halb zwei. Gleich würde sie wie üblich ihre Mittagspause machen, in der sie ins Restaurant gegenüber gehen, einen Salat essen und abschließend noch einen Espresso trinken würde. Nichts Besonderes, aber sie würde Giorgio sehen, dachte sie. Seit fünf Jahren war das hier ihr Arbeitsplatz, ein renommierter Verlag in Paris, weit weg von ihrer Heimat. Sie hatte Karriere gemacht, verdiente sehr gut und war erfolgreich. Als Lektorin spielte sie eine zentrale Rolle im Verlag. Sie musste Kontakt zu Autoren, Agenten, Fachleuten sowie zum Buchhandel halten und darüber hinaus regelmäßig an Messen, Tagungen und Konferenzen teilnehmen, um immer über die aktuelle Lage auf dem Buchmarkt informiert zu sein. Dadurch kam sie sehr viel herum und lernte viele interessante Menschen kennen. Sie betreute ein Buchprojekt vom Lesen des Manuskriptes bis zur Veröffentlichung. Diese Arbeit verlangte einen ausgeprägten Spürsinn für Talente und äußerste Gewissenhaftigkeit. Sie hatte viel Spaß daran, denn seit jeher war es ihre Leidenschaft, unzählige Bücher zu verschlingen. Bücher strahlten für sie eine gewisse Macht aus, durch das Wissen, das sie vermittelten. Lesen war für sie die größte Erfüllung. Sie war fasziniert und gefesselt von den unzähligen Figuren, Charakteren und Geschichten, die auf den Buchseiten zum Leben erwachten und den Leser in ihren Bann zogen. Das Buch, ein – mit nüchternem Blick betrachtet – simpler Gegenstand, war für sie eine der bedeutendsten Erfindungen der Menschheit. Sie konnte sich stundenlang in Bibliotheken aufhalten und durch die Gänge schreiten, um den Anblick sowie den Geruch der Bücher auf sich wirken zu lassen. Manchmal verbrachte sie ganze Nachmittage damit, durch die Buchläden der Stadt zu schlendern und in den unzähligen Bücherstapeln zu stöbern, sich dann auf eine der bequemen Couchen niederzulassen und sich in fremde Welten zu begeben.

    Plötzlich klingelte das Telefon und riss sie aus ihren Gedanken. Sie ging zu ihrem Schreibtisch zurück und sah auf dem Display, dass der Anruf von der Rezeption kam. Sie hatte keine Lust ranzugehen. Sie starrte auf das Telefon, bis es verstummte. Nach kurzer Zeit verfiel sie wieder in ihre Gedanken. Ihre Heimat war Deutschland. Ihre Kindheit hatte sie an verschiedenen Orten verbracht, ihre Jugend dann dauerhaft in München. Jetzt trennten sie gute sieben Stunden Fahrt beziehungsweise über achthundert Kilometer von ihrer Familie. Dauerhaft von zu Hause weg zu sein, war nie ein Problem für sie gewesen. Sie hatte schon seit sie denken konnte Fernweh gehabt, wollte reisen, Abenteuer erleben und immer wieder neue, fremde Orte entdecken. Es war jedes Mal ein schönes Gefühl für sie, fremden Boden unter ihren Füßen zu spüren und etwas Neues kennenzulernen. Es war ein Gefühl, das sie fast süchtig gemacht hatte und von ihr verlangte, es immer wieder erleben zu wollen. Schon einen Großteil ihres Studiums hatte sie deshalb im Ausland verbracht und war viel herumgereist. Letztendlich hatte es sie vor einigen Jahren nach Frankreich gezogen. Ohne lange zu zögern hatte sie damals das Jobangebot vom Verlag angenommen und war von heute auf morgen nach Paris gegangen. Und hier war sie nun tatsächlich sesshaft geworden. Aber war sie wirklich glücklich mit ihrem Leben? In der letzten Zeit hatte sie sich das immer häufiger gefragt. Sie ging morgens sehr früh aus dem Haus, verbrachte unglaublich viel Zeit im Büro, kehrte spät abends müde und kaputt nach Hause zurück. Ab und zu traf sie sich abends noch mit ihrem Freund Sébastien, der meist schon seit Stunden in ihrer Wohnung saß und auf sie wartete. An den Wochenenden unternahm sie etwas mit ihren Freunden, machte Sport oder entspannte zuhause bei einem guten Buch, wenn es ihre begrenzte Freizeit zuließ. So sah momentan ihr Leben aus. Das meiste davon war ganz in Ordnung, dachte sie. Aber trotzdem hatte sie in den letzten Wochen den Spaß an allem verloren, manches war ihr auf einmal zu viel geworden. Außerdem stritt sie immer häufiger mit Sébastien. Das konnte nicht so weitergehen. War sie noch glücklich mit ihm? Sie fragte sich, ob es normal war, ständig alles zu hinterfragen.

    Es klopfte an ihrer Tür. „Ja, bitte!"

    Eine kleine, zierliche Frau schaute schüchtern herein. „Störe ich dich, Elisa?"

    „Anna, komm herein! Du störst nicht!"

    Sie trat ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. „Ich muss dir etwas erzählen. Ich bin so aufgeregt!"

    „Was ist los? Möchtest du ein Glas Wasser?"

    „Ja, gerne."

    Anna Braun war vor drei Jahren nach Paris gekommen. Die beiden hatten sich im Verlag kennengelernt. Anna hatte sich als Office Managerin beworben und Elisa hatte gemeinsam mit der Personalleiterin das damalige Vorstellungsgespräch mit ihr geführt. Elisa hatte anfangs starke Zweifel daran gehabt, dass das der richtige Job für Anna war, denn sie war sehr zurückhaltend und schüchtern aufgetreten. Fachlich konnte sie aber überzeugen, weshalb sie schließlich den Job bekommen hatte. Die zwei hatten schnell eine Verbindung zueinander aufgebaut. Allein die Tatsache, dass sie beide aus Deutschland kamen, verband sie. Es hatte trotzdem lange nichts an Annas Zurückhaltung geändert. Sie war sehr verschlossen gewesen und hatte nur wenig von sich preisgegeben. Elisa war schnell klar gewesen, dass viel mehr dahinterstecken musste.

    Elisa reichte ihr ein Glas Wasser. „So, und nun raus mit der Sprache! Was ist passiert?"

    „Ich… Anna hielt kurz inne. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, antwortete sie. Ein zurückhaltendes Lächeln flog ihr übers Gesicht. „Vor ein paar Wochen hatte ich dir doch von Marc erzählt, den ich auf der Geburtstagsparty von Catherine kennengelernt hatte. Elisa nickte bestätigend und Anna fuhr fort: „Wir hatten uns an dem Abend damals gut unterhalten und er hatte mich nach meiner Telefonnummer gefragt. Und jetzt, du wirst es nicht glauben, hat er mich gerade angerufen und gefragt, ob ich Lust hätte, mit ihm essen zu gehen.

    „Das freut mich! Du hast hoffentlich zugesagt?"

    „Ja, habe ich. Wir sind heute Abend verabredet. Elisa, ich bin ganz nervös!"

    Elisa stellte sich an Annas Seite und legte ihren Arm um sie. „Das musst du nicht! Ihr trefft euch ganz entspannt und lernt euch kennen. Danach siehst du weiter!"

    „Er ist so charmant und zuvorkommend und er sieht verdammt gut aus! Der Abend wird hoffentlich schön. Wir gehen im La Table essen." Sie ließ sich auf einen der Sessel, die vor Elisas Schreibtisch standen, fallen und schloss die Augen.

    Erstaunt verfolgte Elisa sie mit ihrem Blick und schüttelte den Kopf. „So kenne ich dich überhaupt nicht! Was ist mit dir passiert?", fragte sie mit einem Lächeln.

    Anna lächelte zurück. „Na ja, ich muss zugeben, dass ich sehr aufgeregt bin. Dieses Gefühl hatte ich schon lange nicht mehr. Wenn ich an ihn denke, kribbelt es, aber ich habe Angst, Elisa. Sie sprang vom Sessel hoch, ging auf Elisa zu und griff nach ihrer Hand. „Es wäre alles zu schön, um wahr zu sein. Ich weiß aber leider, dass es in der Realität keine Traummänner gibt!

    „Ach, Anna, hör endlich auf, immer alles schwarzzumalen! Lass dich fallen und hör auf dein Herz! Als du so freudestrahlend in mein Büro kamst, habe ich mich für dich gefreut. Seit drei Jahren hast du nicht von Männern gesprochen, geschweige denn sie angeschaut. Es wird Zeit, dass du Thorsten hinter dir lässt! Das ist Vergangenheit, schreckliche Vergangenheit! Marc ist nicht Thorsten und es wird nicht wieder passieren! Ich weiß, dass du Angst hast, aber du musst den Mut haben und dich auf diese neue Erfahrung einlassen! Liebe ist immer ein Risiko, aber es lohnt sich, es einzugehen!"

    Anna zögerte einen Moment, ließ Elisas Worte auf sich wirken, bevor sie ihr darauf antwortete. „Wahrscheinlich hast du Recht. Es ist das erste Mal seit Jahren, dass ich wieder ein Verlangen nach Liebe und Nähe spüre. Das sollte ich nicht unterdrücken!"

    Es hatte sehr lange gedauert, bis Elisa mehr über Annas Vergangenheit erfahren hatte. Anna hatte ihr erst nach einem Jahr erzählt, dass sie nach Paris gekommen war, weil sie von ihrem Freund weggelaufen war, der sie jahrelang terrorisiert hatte. Sie hatte alles in Deutschland hinter sich gelassen. Er musste sie unglaublich eingeschüchtert und ihr gedroht haben, besser niemals mit jemanden darüber zu sprechen. Mit der Zeit und mit Elisas Hilfe hatte sich Anna aber geöffnet. Allerdings hatte Elisa noch immer das Gefühl, dass weit mehr Dinge passiert sein mussten, über die Anna nie sprach.

    „Genau! Schluss mit den finsteren Gedanken! Genieß es! Triff dich heute Abend mit ihm und schau, wie ihr euch versteht. Danach kannst du immer noch abwägen, ob es weitergehen soll oder nicht."

    „Du hast Recht! Danke, Elisa! Danke, dass du immer für mich da bist! Ohne dich wäre mein Leben nicht so schön. Das hätte ich damals nie gedacht, als ich nach Paris kam." Sie drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

    Elisa ging zurück zu ihrem Schreibtisch, räumte das Manuskript weg und stellte ihr leeres Wasserglas an die Seite. Anna beobachtete sie dabei.

    „Wie geht es dir, Elisa? Du siehst angespannt aus."

    „Du kennst mich gut! Sie zögerte kurz. „Ach, Anna, jetzt geht es dir gerade so gut, da will ich dich nicht mit meinen Problemen nerven!

    „Jetzt hör mir mal zu! Du bist immer für mich da und hast ein offenes Ohr für meine Probleme. Und wenn es dir nicht gut geht, möchte ich auch für dich da sein! Deshalb sag mir, was los mit dir ist! Ist etwas passiert?"

    „Genau das ist das Problem! Es ist nichts passiert und ich frage mich die ganze Zeit, ob ich überhaupt ein Recht dazu habe, mich zu beklagen. Mein Leben ist perfekt! Ich müsste unglaublich glücklich sein, aber ich bin es nicht. Stattdessen fühle ich mich schlecht, irgendwie auch schuldig. Ich weiß nicht, was los ist! Aber ich will mich jetzt nicht weiter hineinsteigern. Lass uns lieber endlich essen gehen! Es ist schon spät."

    Die beiden verließen zusammen Elisas Büro. Anna fragte sich, was mit Elisa los war. „Bevor ich es vergesse, dein Bruder hatte vorhin angerufen. Ich wollte dir den Anruf durchstellen, aber du bist nicht rangegangen."

    ***

    „Chiara, bitte bring den Gästen an Tisch fünf die Speisekarten! Und Francesca, hier die Bestellung für Tisch sechzehn! Bitte zusätzlich einmal Antipasti auf Kosten des Hauses! Die Herrschaften mussten heute sehr lange warten, bis ich die Bestellung aufnehmen konnte."

    „Giorgio, so geht das nicht! Du kannst nicht immer alles auf Kosten des Hauses machen! Es ist völlig normal, dass man um die Mittagszeit in Paris etwas warten muss, da alle Menschen aus den Büros essen gehen."

    „Bitte, Francesca, diskutier jetzt nicht mit mir herum! Das ist in Ordnung! Das sind Stammgäste. Und ein bisschen Antipasti wird uns nicht arm machen!"

    Francesca schüttelte den Kopf und zischte: „Ein bisschen Antipasti hier, ein bisschen Pasta da, ein bisschen Tiramisu dort…"

    „Amore mio, warte! Francesca war bereits auf dem Weg zur Küche, drehte sich dann aber nochmal zu ihrem Mann um. Er kam ihr entgegengelaufen und drückte ihr einen dicken Kuss auf den Mund. „Sei mir nicht böse! Ich meine es nur gut mit unseren Gästen.

    Francesca stemmte die Hände in die Hüften. Ihr Gesicht erhellte sich nun aber und sie lächelte sanft. „Ich kann dir einfach nicht böse sein! Wie machst du das nur? Okay, einmal Antipasti auf Kosten des Hauses!"

    Er lächelte ihr nach, als sie in die Küche verschwand.

    Das Restaurant ‚Piccolo Mondo‘ hatte erst vor einem Jahr eröffnet. Normalerweise hatten Elisa und ihre Kollegen die Mittagspause in einem der vielen Cafés an der Seine verbracht. Der Weg dorthin führte an diesem Restaurant vorbei. Sie mussten lediglich die Straße überqueren, es befand sich direkt gegenüber dem Verlagsgebäude. Eines Tages hatten sie spontan entschieden, hineinzugehen. Der Empfang war so herzlich und das Essen so köstlich gewesen, dass sie innerhalb kürzester Zeit Stammgäste wurden. Von außen wirkte es unscheinbar, aber innen wartete ein großer, heller Raum auf, in dem viele kleine Tische standen, mit weißen Tischdecken, rotweiß karierten Tischläufern und weißen Gedecken liebevoll hergerichtet. Seit knapp einem Jahr kamen sie nun fast täglich zum Mittagessen hierher. Der Inhaber des Restaurants, ein Italiener namens Giorgio, begrüßte sie seitdem jeden Tag persönlich mit seiner italienischen Herzlichkeit. Elisa mochte ihn sehr und freute sich deshalb immer auf ihre Mittagspause. Er war um die fünfzig, klein, dunkelhaarig und man konnte ihm ansehen, dass er selbst gerne die eine oder andere kalorienhaltige italienische Köstlichkeit verspeiste. Doch sein leichtes Übergewicht, das sich hauptsächlich auf die Bauchregion konzentrierte, passte zu ihm und seiner warmherzigen Art, fand Elisa. Für jeden hatte er ein Lächeln übrig. Und vor allem strahlte er, wenn Elisa das Restaurant betrat. Manchmal ging sie nach der Arbeit noch einmal bei ihm vorbei und trank ein Glas Wein mit ihm. Vor zwölf Jahren war er mit seiner Frau und seinen Töchtern aus dem kleinen Städtchen Pizzo in Kalabrien nach Frankreich gekommen und sprach, wenn er nicht Italienisch sprach, Französisch mit italienischem Akzent. Nachdem er zunächst jahrelang als Kellner in verschiedenen italienischen Restaurants in Paris gearbeitet hatte, hatte er mit der Eröffnung seines kleinen Ristorantes nach vielen Jahren schließlich seinen Lebenstraum verwirklicht.

    Kurz nach vierzehn Uhr stand Elisa auch an diesem Tag mit Anna in der Tür. Obwohl das Restaurant wie gewohnt rappelvoll war, nahm sich Giorgio genügend Zeit für sie.

    „Ciao bella, come stai?"

    Giorgio begrüßte erst Elisa, danach Anna mit zwei Küssen auf die Wange.

    „Hallo, Giorgio! Danke, mir geht es gut", entgegnete Elisa strahlend.

    „Ich habe wie immer einen Tisch für euch freigehalten. Folgt mir bitte!"

    Elisa ahnte bereits, wohin er sie führte. „Mein Lieblingstisch an der Theke", freute sie sich.

    „Ihr seid spät dran heute! Es war nicht einfach, den Tisch so lange freizuhalten."

    „Das ist sehr lieb von dir, Giorgio! Vielen Dank!"

    Er zog einen Stuhl hervor und bat ihn Elisa zum Sitzen an. „Bitte nimm Platz! Das Gleiche tat er bei Anna. „Was darf ich euch heute bringen, meine Lieben?

    „Ich nehme das Tagesmenü und ein Glas Wasser, bitte", sagte Anna.

    „Und du, Elisa?"

    Sie zögerte. „Ehrlich gesagt habe ich keinen richtigen Hunger mehr. Ich nehme erstmal nur ein Glas Wasser."

    „Das ist nicht dein Ernst! Du kommst in mein Ristorante, um ein Glas Wasser zu trinken? Principessa, nimm wenigstens eine Suppe oder einen Salat oder nein, warte, ich werde dir ein paar leckere Köstlichkeiten zusammenstellen. Lass dich überraschen!"

    „Giorgio, das ist lieb von dir, aber ich möchte dir keine Umstände machen! Das Restaurant ist sehr voll. Ihr habt viel zu tun und ich habe eigentlich keinen Hunger."

    „Nein, keine Diskussion!"

    Francesca kam in diesem Moment mit mehreren kleinen Tellerchen aus der Küche gelaufen. Ihre Blicke verrieten, dass sie ihren Mann suchte. „Giorgio, die Antipasti für Tisch sechzehn sind fertig. Serviere sie lieber rechtzeitig, sonst musst du als Entschädigung noch das Tiramisu ausgeben", sagte sie mit gespielt grimmiger Miene.

    Giorgio nickte ihr zu. „Bitte entschuldigt mich, wandte er sich an Elisa und Anna. „Ich bin gleich wieder da, meine Lieben!

    Anna wagte erneut einen Versuch, mehr aus Elisa herauszukriegen. „Du machst mir Sorgen! Bitte sag mir, was mit dir los ist! Hat es etwas mit Sébastien zu tun?"

    „Eigentlich wollte ich nicht darüber sprechen."

    „Ich bin deine beste Freundin! Du bist quasi verpflichtet, mit mir über deine Probleme zu sprechen!"

    Elisa lächelte. „Sébastien und ich hatten heute Morgen wieder eine heftige Auseinandersetzung. Das macht mir etwas zu schaffen."

    „Worüber habt ihr dieses Mal gestritten?"

    „Eigentlich sind es nur Kleinigkeiten. Wie du weißt, streiten wir ständig. Letztendlich geht es immer um ein und dasselbe: dass ich zu viel arbeite und zu wenig Zeit für ihn habe. Er hat nicht Unrecht damit, aber

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1