Tausend Meilen Angst: Wyatt Earp 162 – Western
Von William Mark und Mark William
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Über dieses E-Book
Es war an einem Januarabend auf dem Bahnhofsplatz von Valdosta, als Greg Rattler jenen unseligen Einfall hatte…
Es war noch hell, und die Sonne sank im Westen über den Dächern der schmucken Georgia-Stadt. Die Luft war mild, fast weich, wie sie in diesen südlichen Gegenden gegen Ende Januar schon zu sein pflegt, und der Himmel war von einem dunklen Violetton überzogen, der vom westlichen Horizont her einen purpurnen Untergrund erhielt.
Rattler lehnte vor der großen Bahnhofshalle an einem der steinernen Pfeiler, hatte den braunen, nicht sehr sauberen Hut tief in die Stirn gezogen und kaute auf einem Streichholz. Das reagierte seine innere Unruhe ab und hatte zugleich auch den Vorteil, daß er Zigaretten sparte. Im Augenblick war sein Rauchzeug völlig ausgegangen.
Sein Haar war schmutzigbraun und kraus, seine Augen verwaschen graublau, und sein Mund wirkte verkniffen. Die Nase war fleischig und das Kinn seltsam klein und zurückweichend; dennoch war es ein brutal wirkendes Antlitz. Und ein aufmerksamer Beobachter konnte leicht feststellen, daß dieses Gesicht auf eine sonderbare Weise nach links verzerrt war. Es schien dort kleiner zu sein. Der linke Mundwinkel und der linke äußere Augenwinkel standen bestimmt einen Drittel-Inch näher beieinander als die gleichen Partien auf der anderen Gesichtsseite. Diese Unregelmäßigkeit war es eigentlich, die den Mann unsympathisch machte. Er trug einen grauen, leicht abgetragenen Anzug, schwarze Schuhe, ein weißes Hemd und eine braune Krawatte. Einen Mantel trug er nicht, da der Georgia-Winter sich schon von der glücklichen Stadt verabschiedet hatte. Man muß bedenken, daß diese Stadt noch südlicher als das heiße
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Tausend Meilen Angst - William Mark
Wyatt Earp
– 162–
Tausend Meilen Angst
William Mark
Es war an einem Januarabend auf dem Bahnhofsplatz von Valdosta, als Greg Rattler jenen unseligen Einfall hatte…
Es war noch hell, und die Sonne sank im Westen über den Dächern der schmucken Georgia-Stadt. Die Luft war mild, fast weich, wie sie in diesen südlichen Gegenden gegen Ende Januar schon zu sein pflegt, und der Himmel war von einem dunklen Violetton überzogen, der vom westlichen Horizont her einen purpurnen Untergrund erhielt.
Rattler lehnte vor der großen Bahnhofshalle an einem der steinernen Pfeiler, hatte den braunen, nicht sehr sauberen Hut tief in die Stirn gezogen und kaute auf einem Streichholz. Das reagierte seine innere Unruhe ab und hatte zugleich auch den Vorteil, daß er Zigaretten sparte. Im Augenblick war sein Rauchzeug völlig ausgegangen.
Sein Haar war schmutzigbraun und kraus, seine Augen verwaschen graublau, und sein Mund wirkte verkniffen. Die Nase war fleischig und das Kinn seltsam klein und zurückweichend; dennoch war es ein brutal wirkendes Antlitz. Und ein aufmerksamer Beobachter konnte leicht feststellen, daß dieses Gesicht auf eine sonderbare Weise nach links verzerrt war. Es schien dort kleiner zu sein. Der linke Mundwinkel und der linke äußere Augenwinkel standen bestimmt einen Drittel-Inch näher beieinander als die gleichen Partien auf der anderen Gesichtsseite. Diese Unregelmäßigkeit war es eigentlich, die den Mann unsympathisch machte. Er trug einen grauen, leicht abgetragenen Anzug, schwarze Schuhe, ein weißes Hemd und eine braune Krawatte. Einen Mantel trug er nicht, da der Georgia-Winter sich schon von der glücklichen Stadt verabschiedet hatte. Man muß bedenken, daß diese Stadt noch südlicher als das heiße texanische Dallas, etwa auf gleicher Höhe mit dem Arizonanest Tombstone lag. Nur – die westliche Ecke der Südstaaten ist bedeutend trockener und noch heißer als die östliche Seite. Der Staat Georgia neigt mehr der feuchten, schwüleren Klimazone des amerikanischen Ostens zu und unterscheidet sich eben darin doch von den gleichen Breiten im texanischen Gebiet oder gar von dem südlichen Arizona.
Rattler hatte beide Hände in die Hosentaschen geschoben, die Füße übereinandergestellt und beobachtete die Leute, die den Bahnhofsplatz passierten. Gerade war ein Zug angekommen. Er hatte nicht viele Menschen mitgebracht. Dafür aber kamen eine ganze Menge in großer Eile, die mit ihm weiterfahren wollten. Er ging hinauf nach Atlanta.
Unter der Hutkrempe hervor beobachtete der Schlossergehilfe Greg Rattler die Menschen. Niemand benutzte eine der drei bereitstehenden Droschken, deren Kutscher die Köpfe genauso hängen ließen wie ihre Pferde.
Plötzlich zuckte Rattlers rechter Ellbogen hoch und fuhr dem neben ihm lehnenden Mann in die Rippen.
Der schrak zusammen. Es war ein mittelgroßer Mensch mit spitzem Gesicht, müden dunklen Augen und struppigem Schnauzbart. Er war schäbiger gekleidet als Rattler und machte überhaupt einen noch ungepflegteren Eindruck.
»He, Chet, sieh dir den Mann da drüben an! Weißt du, wer das ist?«
Chetway Sand rümpfte die Nase und gab sich Mühe, seine schweren Augenlider zu heben.
»Den Gentleman? Natürlich sehe ich ihn«, versetzte er mit einer trägen Stimme, die ganz zu seinem Aussehen paßte.
Rattler hatte die Hände aus den Taschen gezogen und rieb die Daumen an den Innenseiten der Mittelfinger. Seine Unruhe trat jetzt deutlich zutage.
»Ich habe dich gefragt, ob du weißt, wer das ist!«
Sand, der aus dem fernen Ungarn stammte und ähnlich wie sein Freund Rattler ein ehrbares Handwerk, nämlich das der Tischlerzunft, erlernt hatte, zog die schwarzen Brauen hoch, was seinen einfältigen Gesichtsausdruck nicht eben besserte. Er tat, als müsse er sich sehr anstrengen, um nachzudenken.
»Nein, wer ist der Bursche?« sagte er schließlich.
»Bursche?« schnarrte der Schlosser leise. »Hast du eine Ahnung, Boy!«
Der ›Bursche‹ war ein hochgewachsener Mann von etwa 1,88 m Größe, mit drahtiger Figur und sehr gerader Haltung. Er hatte einen Schritt, der weitausgreifend war und etwas von der federnden Elastizität verriet, die Raubtieren eigen ist. Sein sehr regelmäßig geformtes Gesicht hatte eine blaßbraune Haut. Alles beherrschend waren die Augen, die von einer seltsamen, faszinierenden Bläue waren. Wer einmal hineingesehen hatte, der vergaß sie nie. Langbewimpert lagen sie unter gutgezeichneten Brauen neben der geraden Nase unter der hohen Stirn. Der Mund war energisch, und auch das Kinn verriet sehr viel Energie und Nervenkraft. Über der Oberlippe saß ein sauber getrimmter Schnurrbart. Das Gesicht hatte etwas Aristokratisches, Vornehmes und zugleich auch etwas eigenartig Abwesendes an sich.
Es war das Gesicht des Doktors John Henry Holliday, jenes unglücklichen Arztes, der seine vor anderthalb Jahrzehnten oben in Boston so glänzend begonnene Karriere wegen einer unheilbaren Krankheit plötzlich hatte aufgeben müssen, und der dann hinüber in den Westen gegangen war, um zu sterben. Aber der Tod war bisher an ihm vorbeigegangen. Doc Holliday war ein Spieler geworden. Und zwar einer der brillantesten, die dieses Land je gesehen hatte.
Und er war noch etwas anderes geworden: ein Revolverschütze. Auf diesem Gebiet stellte dieser eigenartige Mann absolute Spitzenklasse im Westen dar. Man war sich schon zu seinen Lebzeiten darüber einig, daß es nie vor ihm einen Schützen wie ihn gegeben hat. Auf seinem großen marmornen Grabstein, hoch oben in den Bergen Colorados, hat das junge Amerika in Gold die Worte eingemeißelt:
John Henry Holliday, Doktor, geboren in Valdosta, studierte in Balitmore und Boston, war einer der größten Spieler und der schnellste Mann mit einem sechsschüssigen Revolver im Westen…
Diese Worte waren schon zu seinen Lebzeiten in aller Munde. Es hat nie mehr einen Mann im weiten Westen gegeben, der im Umgang mit dem schweren, unhandlichen fünfundvierziger Colt eine so bravouröse Kunstfertigkeit entwickelte. Die Eiseskälte und scheinbare Nervenlosigkeit des Mannes, der in den Westen gezogen war, um auf den Tod zu warten, mochten ihm zu dieser Sonderstellung unter den Menschen seiner Zeit und seiner Umgebung verholfen haben.
Doc Holliday – unter diesem Namen ist der große Gambler in die Geschichte des Wilden Westens eingegangen – war der wahre ›King of Gunfighters‹, der König der Revolverkämpfer.
Aber es war zugleich auch einer der unglücklichsten Menschen, die je über die Trailwege des alten Westens geritten sind. Eine mörderische Krankheit wühlte in seiner Brust, warf ihn immer wieder nieder, vermochte ihn aber doch nicht am Boden zu halten. Deshalb suchte er den schnellen Tod, den Tod durch eine Kugel aus dem Revolver eines Gegners.
Dieser Gegner aber hätte ein schnellerer Mann sein müssen, als es Doc Holliday war.
Und diesen Mann gab es nie!
So ritt er denn schon seit anderthalb Jahrzehnten durch den Westen und wartete. – Allenthalben gefürchtet und verfemt, gemieden und doch respektiert, so zog er durch die Weiten der Prärie. Er selbst erklärte kurz vor seinem Tod einem New Yorker Jornalisten: »Ich habe nur einen guten Tag gehabt: das war der Tag, an dem ich Wyatt Earp kennenlernte…«
In diesen Worten lag das ganze Leben des Doc Holliday. Er, der verfemte, ängstlich Gemiedene, den jeder Sheriff schon an der Postkutsche, aus der er steigen wollte, unsicher bat, doch lieber in die nächste Stadt zu ziehen – er hatte in dem berühmten Dodger Marshal Earp, in dem großen, gesunden, strahlenden Gesetzesmann die Sonne in seinem verdunkelten Leben gefunden.
Wyatt Earp bat ihn nicht weiterzuziehen. Er, der kerngesunde, herkulische, überlegene, selbstsichere Mann, den alle bewunderten, bewunderte seinerseits insgeheim den hochintelligenten, kaltblütigen und nervenlosen Doktor aus dem Osten.
Sie wurden Freunde – ohne sich dies je eingestanden zu haben.
Und waren es an jenem Januartag des Jahres 1885, der gar nicht mehr so fern vom Todestag des Spielers entfernt war, schon fünfzehn Jahre lang.
Doc Holliday hatte nach langen Jahren seine Vaterstadt Valdosta in Georgia aufgesucht, da sein Vater nach Ansicht der Ärzte im Sterben lag. Aber der alte Holliday war nicht gestorben. Offensichtlich besaß der steinalte Mann die lederne Natur seines Sohnes. Vielleicht auch hatte ihn der Anblick des Sohnes wieder ins Leben zurückgerufen. Denn von dem Augenblick an, in dem John Holliday an das Bett des sterbenskranken Mannes trat, kehrten schon fliehende Kräfte zurück.
Drei Wochen war der Sohn daheim geblieben, dann zog es ihn wieder fort.
Von jenem New Yorker Journalisten wenige Tage vor seinem Tod befragt, weshalb er ein so rastloses Leben geführt hatte, antwortete der Georgier:
»Wenn man einmal ein Jahrzehnt im Sattel gesessen hat, hält es einen nirgends mehr. Die Weite wird flüssig und geht einem ins Blut –«
Dabei hatte er sich doch zeitlebens nach einer Bleibe gesehnt, nach einem Ort, wo er sich ausruhen konnte, wo er daheim war.
Vielleicht aber auch suchte der unglückliche Mann dem Tode entgegenzureiten, da der ja nicht zu ihm kommen wollte.
Jetzt ging er mit dem für ihn so typischen Schritt dem Stationsgebäude entgegen. Er trug wie immer einen schwarzen breitrandigen Hut, einen schwarzen Anzug, der nach der neuesten Mode geschnitten war und hochelegant wirkte, schwarze Stiefeletten – und in der rechten Hand seine krokodillederne Doktortasche, die er immer bei sich hatte. Darin hatte er verschiedene Arzneien und vor allem chirurgische Instrumente, Zahnzangen und dergleichen. Jetzt steckte auch ein breiter Waffengurt aus Büffelleder darin, der in seinen zwei Halftern je einen schweren fünfundvierziger Revolver mit vernickelten Metallteilen und elfenbeinernen Knäufen hielt.
Hier in dieser östlichen Stadt, in der zivilisierten Welt Amerikas, trug man seit dem Sezessionskriege (1865) keine Waffen mehr. Man hatte es auch nicht mehr nötig.
Aber drüben in der Welt, in die der stille Mann nun fuhr, da gehörte der Revolver zum Mann wie das Pferd und die Luft zum Atmen.
Neben Doc Holliday ging eine dunkelhaarige, ebenfalls blauäugige Frau von ungewöhnlicher Schönheit. Irgend etwas in ihrem feingeschnittenen Gesicht erinnerte an das Gesicht des Mannes neben ihr.
Es war Judy Holliday, die Schwester des Spielers.
Sie trug ein dunkelblaues Kostüm und eine Handtasche am langen Band.
Links neben ihr ging ein kleiner Junge. Er hatte blondes