Ich kann endlich Mutti sagen: Mami 1862 – Familienroman
Von Anna Sonngarten
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Über dieses E-Book
Ines Bergmann stand im Schlafzimmer vor dem großen Ankleidespiegel und war mit sich zufrieden. Von draußen hörte sie die Stimmen ihrer beiden Kinder, die im Garten Boccia spielten. Die fünfjährige Marie war böse auf ihren Bruder. Sie warf ihm vor, absichtlich die kleine Kugel so weit zu werfen, daß sie immer nur verlieren könne.
»Du wirfst die kleine Kugel viel zu weit. So kommen meine Kugeln niemals an die kleine Kugel heran. Du bist gemein. Immer verliere ich.«
»Stimmt nicht«, behauptete Jens, der zwei Jahre älter war. »Ich spiele extra schlecht, damit du auch mal gewinnen kannst.«
Ines lächelte in sich hinein. So war das immer mit den beiden. Mal vertrugen sie sich ausgezeichnet, waren ein Herz und eine Seele, und manchmal stritten sie den ganzen Tag lang. Dabei war es keineswegs so, daß Marie immer einstecken mußte. Sie wußte ganz genau, wie sie ihren Bruder behandeln mußte, damit er das tat, was sie wollte. Die Sonne schien durch die apricotfarbenen Vorhänge und tauchte das Zimmer in eine warme sonnige Atmosphäre, die der Laune von Ines zusätzlich Auftrieb gab. Vor allen Dingen war es aber die Tatsache, daß ihr die alte Reithose noch immer paßte, und zusammen mit der kurzen sportlichen weißen Bluse ihre schlanke Figur betonte, was Ines sehr gut stand. Die langen dunklen Haare hatte sie etwas nachlässig hochgesteckt, so daß einige Strähnen herunterfielen und ihren schönen Hals umschmeichelten. Kaum zu glauben, daß ich schon zweiunddreißig bin, dachte sie stolz und drehte sich vor dem Spiegel hin und her.
Das Klingeln
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Ich kann endlich Mutti sagen - Anna Sonngarten
Mami –1862–
Ich kann endlich Mutti sagen
Für die kleine Kathy geht eine traurige Zeit zu Ende
Roman von Anna Sonngarten
Ines Bergmann stand im Schlafzimmer vor dem großen Ankleidespiegel und war mit sich zufrieden. Von draußen hörte sie die Stimmen ihrer beiden Kinder, die im Garten Boccia spielten. Die fünfjährige Marie war böse auf ihren Bruder. Sie warf ihm vor, absichtlich die kleine Kugel so weit zu werfen, daß sie immer nur verlieren könne.
»Du wirfst die kleine Kugel viel zu weit. So kommen meine Kugeln niemals an die kleine Kugel heran. Du bist gemein. Immer verliere ich.«
»Stimmt nicht«, behauptete Jens, der zwei Jahre älter war. »Ich spiele extra schlecht, damit du auch mal gewinnen kannst.«
Ines lächelte in sich hinein. So war das immer mit den beiden. Mal vertrugen sie sich ausgezeichnet, waren ein Herz und eine Seele, und manchmal stritten sie den ganzen Tag lang. Dabei war es keineswegs so, daß Marie immer einstecken mußte. Sie wußte ganz genau, wie sie ihren Bruder behandeln mußte, damit er das tat, was sie wollte. Die Sonne schien durch die apricotfarbenen Vorhänge und tauchte das Zimmer in eine warme sonnige Atmosphäre, die der Laune von Ines zusätzlich Auftrieb gab. Vor allen Dingen war es aber die Tatsache, daß ihr die alte Reithose noch immer paßte, und zusammen mit der kurzen sportlichen weißen Bluse ihre schlanke Figur betonte, was Ines sehr gut stand. Die langen dunklen Haare hatte sie etwas nachlässig hochgesteckt, so daß einige Strähnen herunterfielen und ihren schönen Hals umschmeichelten. Kaum zu glauben, daß ich schon zweiunddreißig bin, dachte sie stolz und drehte sich vor dem Spiegel hin und her.
Das Klingeln des Telefons unterbrach sie in ihren Gedanken. »Hallo, ich bin es«, klang die lebhafte Stimme ihrer Freundin Ellen Daniels an ihr Ohr.
»Hallo, Ellen… weißt du, was ich gerade mache?«
»Na, ich hoffe, du packst«, antwortete Ellen.
»Ja, natürlich, aber ich habe vorsichtshalber mal meine alte Reithose anprobiert und festgestellt, daß sie noch paßt.«
»Das hätte ich dir auf der Stelle voraussagen können. Ich mußte mir hingegen eine neue kaufen«, sagte Ellen betont frustriert.
»Ach, mach mir doch nichts vor. Trägst du jetzt statt Größe 34 Größe 36«, stichelte Ines.
Solche Gespräche über Konfektionsgrößen und angebliches Übergewicht waren ein immerwährendes Ritual zwischen den beiden Freundinnen, die sich seit über fünfzehn Jahren kannten. Dabei war Ellen ausnehmend
hübsch mit ihren kurzen blonden lockigen Haaren, den strahlend blauen Augen und der zierlichen Figur, auch wenn sie für ihren Geschmack ein wenig größer hätte sein können. Dies fiel aber nur auf, wenn sie neben Ines stand, die tatsächlich einen halben Kopf größer war.
Es war Ellens Idee gewesen, die selbst nicht verheiratet war und zu ihrem Bedauern auch noch keine Kinder hatte, ihre alte Freundin Ines mal für ein Wochenende zu entführen.
»Nur wir beide, einmal ohne Kinder«, hatte Ellen vorgeschlagen. Da beide Frauen in ihrer Jugend passionierte Reiterinnen gewesen waren, lag der Gedanke nahe, ein Wochenende auf einem Reiterhof zu verbringen. Sie hatten »Hof Landsknecht« ausgesucht, den sie vom Hörensagen her kannten. Ihnen war wichtig, auf professionelle Reitlehrer zu treffen und gut eingerittene Pferde. Außerdem sollte der Reiterhof noch über andere Freizeitangebote verfügen. »Hof Landsknecht« hatte laut Prospekt ihren Vorstellungen entsprochen.
Ellen kam auf den eigentlichen Grund ihres Anrufs zu sprechen.
»Ich habe mir die Route auf der Karte angesehen. Bis zum ›Hof Landsknecht‹ werden wir eine gute Stunde brauchen. Was meinst du, wann ich dich abholen kann?«
»Wenn wir am späten Vormittag ankommen wollen, reicht zehn Uhr. Dann kann ich mit meinen Lieben noch in Ruhe frühstücken«, schlug Ines vor.
»Gut, dann bis morgen um zehn. Ach, was ich noch fragen wollte. Wird Thomas tatsächlich seine Mutter übers Wochenende bestellen, damit sie ihm beim Kochen hilft?«
»Ja, das hat er vor, aber das ist mir auch ganz recht so. Sonst komme ich womöglich in das totale Chaos zurück und kann erst einmal drei Tage lang aufräumen.«
»Na, so schlimm wird es wohl nicht werden«, beruhigte Ellen ihre Freundin, wohl wissend, daß Ines schon einmal übertrieb.
»Du hast gut reden. Du machst einfach deinen Laden hinter dir zu, und am Montag wirst du alles genauso vorfinden, wie du es verlassen hast«, sagte Ines.
Manchmal beneidete Ines Ellen um ihr unabhängiges Leben. Doch sie hatte ihren Preis dafür zahlen müssen. Erst nach einer gescheiterten Beziehung mit einem Mann, der es nicht ernst
gemeint hatte und sie, als sie ein Kind erwartete, im Stich gelassen hatte, war es ihr nach
und nach gelungen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen.
Daß du ein Kind willst, davon war nie die Rede. Ich will auf jeden Fall keins. Meine Freiheit ist mir viel zu kostbar, als daß ich mich mit einem Kind belasten wollte.
Das waren die Worte von Klaus gewesen. Sie hatte sich von ihm getrennt. Er hatte nie erfahren, daß sie bald darauf eine Fehlgeburt erlitten hatte. Die Erinnerung daran war noch heute schmerzhaft. Als gelernte Schneiderin hatte sie seit fast einem Jahr eine kleine Boutique, in der sie auch eigene Entwürfe anbot. Der Laden lief gut, auch wenn man noch nicht voraussehen konnte, ob sie schon über alle Anfangsschwierigkeiten hinaus war. Das Blatt konnte sich auch wieder zu ihren Ungunsten wenden. Die ersten beiden Jahre sind die schwierigsten, wußte Ellen.
»Du hast ja recht, aber dafür ist es bei mir auch niemals so lebhaft wie bei dir«, konterte Ellen.
Ellen nahm es Ines nicht übel, wenn diese auf ihre Kinderlosigkeit zu sprechen kam. Die Freundinnen kannten sich so gut, daß Mißverständnisse zwischen ihnen nahezu ausgeschlossen waren.
»Du sagst es. Ich muß Schluß machen. Marie und Jens scheinen ernsthaften Streit zu haben. Also bis morgen«, sagte Ines.
Sie lief die Treppe hinunter in den Garten, wo eine wütend kreischende Marie ihren Bruder verfolgte. Jens lachte seine kleine Schwester aus, die es natürlich nicht schaffte den großen Bruder einzuholen. Ines sah sich das Spiel einige Sekundenlang an und beschloß dann, ein Ablenkungsmanöver zu starten. Sie hatte zu gute Laune, um sie sich mit endlosen Diskussionen darüber wer angefangen hatte und wer schuld sei verderben zu lassen.
»Kommt rein, meine Süßen. Es gibt Eis mit frischen Erdbeeren und Sahne.«
Jens und Marie kamen angeflitzt. Im Türrahmen versetzte Marie ihrem Bruder einen Knuff, den dieser sich großzügig gefallen ließ in freudiger Erwartung einer Portion Eis.
»Dürfen wir gleich ›Sissi‹ sehen?« fragte Marie ihre Mutter, während sie sich einen großen Löffel Eis in den Mund schob.
»Meinetwegen, aber danach wird der Fernseher wieder ausgemacht.«
Dies war eine Antwort, mit der ihre kleine Tochter zufrieden war. Marie hatte die dunklen Haare ihrer Mutter und deren grüne Augen geerbt, während Jens eher dem Vater glich. Unter dunkelblonden Ponyfransen schauten große braune Augen jetzt ein wenig verächtlich zu seiner hübschen Schwester herüber.
»›Sissi‹, so ein Mädchenkram«, maulte er.
»Oh, wenn du statt dessen lieber im Garten Blumen gießen möchtest, habe ich nichts dagegen«, sagte Ines wohl wissend, daß ihr Sohn dann doch lieber ›Sissi‹ sehen würde.
Jens zog es dann auch vor, lieber gar nichts zu sagen.
Während die beiden Fernsehen guckten, packte Ines ihre Reisetasche. Viel war es nicht, was sie für