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Hört mir jemand zu?: So gelingt die perfekte Autorenlesung
Hört mir jemand zu?: So gelingt die perfekte Autorenlesung
Hört mir jemand zu?: So gelingt die perfekte Autorenlesung
eBook393 Seiten3 Stunden

Hört mir jemand zu?: So gelingt die perfekte Autorenlesung

Von Ralf Kramp, Raoul Biltgen, Mischa Bach und

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Über dieses E-Book

Ein Buch schreiben ist eine Sache – vor Publikum daraus vorlesen eine ganz andere. Wer schon einmal auf einer Lesebühne gestanden hat, der weiß, was alles bei einer Autorenlesung schief gehen kann. Doch es ist nicht nötig, alle schlechten Erfahrungen selbst zu machen: Sieben ausgewiesene Profis auf ihrem Gebiet berichten in diesem Buch von ihrem Weg zur perfekten Lesung und verraten ihre ganz persönlichen Tricks, die sowohl für Anfänger als auch für Lesungsprofis hilfreich sind - mit Tipps und Checklisten für Autoren, Buchhändler und Bibliotheken. Das Buch ist Teil der Ratgeber-Reihe "Tatort Schreibtisch" - Profis schreiben für Profis.
SpracheDeutsch
HerausgeberKick-Verlag
Erscheinungsdatum25. Apr. 2017
ISBN9783946312239
Hört mir jemand zu?: So gelingt die perfekte Autorenlesung
Autor

Ralf Kramp

Ralf Kramp, geb. 1963 in Euskirchen, lebt in einem alten Bauernhaus in der Eifel. Für sein Debüt »Tief unterm Laub« erhielt er 1996 den Förderpreis des Eifel-­Literatur-Festivals. Seither erschienen zahlreiche Kriminalromane und Kurzgeschichten. In Hillesheim in der Eifel unterhält er zusammen mit seiner Frau Monika das »Kriminalhaus« mit dem »Deutschen Krimi-­Archiv« (30.000 Bände), dem »Café Sherlock«, einem Krimi-Antiquariat und der »Buchhandlung Lesezeichen«. Im Jahr 2023 wurde er mit dem Ehren-­Glauser für »herausragendes Engagement für die deutschsprachige Krimi­szene« ausgezeichnet.

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    Buchvorschau

    Hört mir jemand zu? - Ralf Kramp

    Adressen

    Ich mag mein Publikum

    Beglückendes und Verstörendes aus zwanzig ­kriminellen Lesejahren

    von Ralf Kramp

    Prolog

    Versuchen Sie es. Trauen Sie sich. Werfen Sie alle Hemmungen über Bord und treten Sie vor das Publikum. Ich mache es seit ziemlich genau zwanzig Jahren und spüre immer noch, dass das Vergnügen daran stetig wächst. Man muss sie nur wagen, die wenigen Schritte über die zierlichen Stufen aus dem Elfenbeinturm hinaus. Im günstigsten Fall wird man vom einsamen Autor im stillen Kämmerlein zum versierten Vortragskünstler, zur herausragenden Vortragskünstlerin. Und auf diesem Weg kann man einiges erleben …

    1. Das erste Mal tut nur ein kleines bisschen weh

    Jeder Autor, der auf eine Laufbahn als vortragender Künstler zurückblickt, kann gar nicht anders, als sich mit einer Mischung aus ungläubigem Grausen und milder Scham an seine erste Lesungsveranstaltung zu erinnern.

    Es war keine große Sache, dieses sprichwörtliche erste Mal. Aus heutiger Sicht jedenfalls nicht. Wenn ich mich recht entsinne, waren zwei Bibliothekarinnen anwesend und zwei oder drei freiwillige Zuhörer. Und meine damalige Ehefrau und meine Mutter waren ebenfalls aufgelaufen, um mir zur Seite zu stehen.

    Mein Debütroman war gerade einen Monat auf dem Markt, und ich tastete mich Schritt für Schritt in mein neues Autorendasein hinein. Die Stadtbücherei meines Wohnorts Mechernich hatte schnell reagiert und mich zu einer Lesung eingeladen. Niemals hätte ich mich damals selbst angepriesen. (Das ist etwas, was ich übrigens noch heute kaum übers Herz bringe.)

    Ich konnte wohl damals schon recht passabel vorlesen, da ich Mitglied einer Laienspielgruppe und somit deutliches Artikulieren gewohnt war. Meine Hoffnung, dieser Umstand prädestiniere mich zu einem unterhaltsamen Vortrag, trog leider.

    Das war die erste Lektion, die ich lernte: Du stehst allein auf weiter Flur, zum Abschuss freigegeben. Du hast dich selbst da raus gewagt, und du musst da alleine durch. Kein Stichwortgeber, keine Souffleuse, keine Atempause während des Texts des Gegenübers und erst recht kein Vorhang, hinter den man sich im schlimmsten Fall der Fälle verziehen könnte.

    Bevor Sie an dieser Stelle das Buch ärgerlich in die Ecke pfeffern und sich für meine Mut machenden Worte ganz herzlich bedanken, schnell die zweite Lektion, die ich am gleichen Abend lernte.

    Die Lesung hat gegenüber dem Theater einen entscheidenden Vorteil: Der Text liegt schwarz auf weiß auf dem wackligen Lesepult. Man hat ihn im günstigsten Fall zusammengestrichen, farbig markiert, mit Hebungshäkchen versehen und all so was (was ich alles noch nie getan habe). Man hat etwas, an dem man sich festhalten kann. Man hat eine Geschichte, an der man lange gearbeitet hat und die man im besten Fall liebt. Und diese große Liebe (erlauben Sie mir kurz, pathetisch zu sein) wollen die Zuhörer kennenlernen. Ein beglückendes Gefühl. Seit jenem Abend in Mechernich möchte ich es nicht mehr missen.

    2. Vom Versuch, einen ganzen Roman ­vorzutragen

    Die Zwischenmoderationen! Die sinnstiftenden Erläuterungen und die eleganten Späße, die erforderlich sind, um von einer Romanpassage zur nächsten zu kommen! Ich hatte mir bei meiner Premierenlesung ein paar spannende Etappen zurechtgelegt, hübsch übers ganze Buch verteilt. Aber ich habe trotzdem einen unverzeihlichen Fehler gemacht: Während des Vortrages merkte ich, dass diese Bruchstücke keinesfalls einen geschliffen durchkomponierten Abend ergaben, und so eröffnete ich den Zuhörern nach dem ersten Auszug: „Ich erzähle Ihnen kurz, was zwischendurch passiert." Und das tat ich. Und zwar nach jeder Textpassage. Mit meinen eigenen, nervös gestammelten Worten. Ich bin sehr dankbar, dass mein Publikum das mit mir ausgehalten hat.

    Ich habe später gesehen, wie beispielsweise meine Kollegin Carola Clasen solche Zwischentexte einflicht. Schriftlich fixiert, unterhaltsam vorformuliert und durchaus dazu geeignet, einen solchen Abend zu einem abwechslungsreichen Vergnügen werden zu lassen. Wer unsicher ist, sollte auf jeden Fall diese Vorgehensweise wählen, also die Zwischentexte in Ruhe zuhause vorbereiten und den Vortrag üben.

    Zum Ende meiner ersten Lesung konnten meine Zuhörer jedenfalls mit Fug und Recht von sich behaupten, über meinen Roman voll und ganz im Bilde zu sein. Lediglich beim letzten Kapitel habe ich mich geheimniskrämerisch gegeben. Wer der Mörder war – so weit ging der Service dann doch nicht. Die letzten zehn Seiten mussten sie selbst lesen.

    3. Hier brauchen Sie kein Mikrofon

    Meine Stimme trägt. Ich bin auf der Bühne kein schüchternes Mäuschen, das in sein Buch wispert, sondern ich versuche, mit meinem Organ laut und deutlich bis in die hinterste Ecke des Raumes zu gelangen. Bei großen Sälen sind in dieser Hinsicht jedoch eines jeden Vorträgers Möglichkeiten begrenzt. Und auch in nicht so weitläufigen Räumlichkeiten möchte man nachdenkliche Passagen oder Heimlichkeiten nicht aus voller Brust deklamieren müssen.

    Für so etwas hat der schottische Taubstummenlehrer Alexander Graham Bell vor etwa hundertfünfzig Jahren das Mikrofon erfunden. Leider gibt es noch immer Veranstalter, denen bei diesem Gerät die übliche Skepsis gegenüber dem Fremden angeraten scheint.

    „Ein Mikrofon?"

    „Ja, so ein Ding, in das man reinspricht, und …"

    „Hier brauchen Sie kein Mikrofon."

    Aha, da scheint es ja mal wieder jemand ganz genau zu wissen.

    Ich will aber ein Mikrofon benutzen. Am liebsten immer. Ich möchte ab und zu flüstern, raunen, säuseln und dabei auch in Reihe zwanzig verstanden werden. Und ich will kein Headset benutzen, denn dann kann ich nicht so gut modulieren, kann ich mich nicht bei Bedarf vom Mikrofon entfernen, kann nicht ungeniert brüllen. Und ich kann vor allem nicht husten, ohne dass es den Leuten in der Nähe des Lautsprechers das Toupet vom Kopf fegt.

    Was aber tut man aber nun, wenn da gar nichts ist? Kein Mikro, kein Headset, nur eine leere Bühne? Verweigert man den Dienst, läuft man unweigerlich Gefahr, als Diva abgestempelt zu werden. Also liest man ohne technische Verstärkung. Es ist nicht unbedingt schön, es strengt enorm an, aber man tut es. Man hat es ja auch schon mal gemacht, als ein Mikrofon völlig ohne die Schuld des Gastgebers seinen Geist aufgegeben hat, oder als die Soundanlage wegen atmosphärischer Störungen, hervorgerufen durch Herzschrittmacher oder Handys, fortwährend ein wahres Silvesterfeuerwerk von lauten Knacksern produzierte.

    Man liest eben laut und strengt sich an und hofft, dass der Veranstalter merkt, dass er einen Fehler gemacht hat, der ihm künftig nicht wieder unterlaufen darf.

    Ein einziges Mal habe ich jemanden bewusst auflaufen lassen. Zweihundert Schüler in einem Rathaussaal in einem ­Städtchen am Rhein, und nichts, das auch nur annähernd aussah wie ein Mikrofon.

    „Hier brauchen sie kein Mikrofon." Der Lehrer, der es gewohnt war, Schülermassen mit lautstarken Kommandos in Schach zu halten, musterte mich mit einem gehörigen Maß an Verachtung.

    Nun gut, wenn ich unbedingt will, kann ich auch den leisen, vergeistigten Vortragskünstler geben, der sein Publikum völlig zu vergessen scheint. Auch wenn es sich dabei um zwei Hundertschaften von Heranwachsenden handelt, die schon nach zehn Minuten anfangen, das Gebäude abzureißen, weil sie kein Wort von dem, was auf der Bühne gesagt wird, verstehen …

    Der Blick des Lehrers hinterher sprach Bände. Ich brauchte nichts zu sagen. Er würde nie wieder jemanden ohne Mikrofon vorlesen lassen.

    4. Wie steht das Spiel?

    Ich wüsste nicht, wie ich ohne mein Handy leben könnte. Gebe ich gerne zu. Es ist mein kleiner Computer, und ich nutze ihn, wo ich gehe und stehe. Meine fast krankhaft zu nennende Neugier, die ich gerne durch andauerndes Googeln befriedige, bemäntele ich notdürftig mit dem Zweck der Autorenrecherche. Aber im Konzert, im Kino oder bei einer Autorenlesung bleibt das Ding aus.

    Eine Selbstverständlichkeit?

    Ich bitte Sie …

    Früher waren es simple metallische Tonfolgen, heute sind es polyphone Beats. Es gibt auch menschliche Stimmen, die Kommandos brüllen: „Geh ans Handy!", oder so ähnlich. Es gibt schrille Pfiffe, Babylaute, Hundegebell, Lokomotiven­geheul. Ich will da nicht urteilen, die Geschmäcker sind verschieden.

    In Krimilesungen kommt es erstaunlich häufig zur Darbietung der Miss-Marple-Melodie oder der Tatort-­Vorspann­musik.

    Warum lässt man sein Handy an, wenn man einer Kulturveranstaltung beiwohnt? Vergessen? Gut, kann jedem passieren. Notfall? Einverstanden. Ich hatte mal in der Siegburger Gegend eine junge Mutter in Reihe eins, deren Mann zum allerersten Mal mit dem Säugling allein zuhause geblieben war und sich zwischendurch immer wieder vermittels gequälter Hilferufe meldete. Das war heiter. Nachdem es raus war, entwickelte sich ein schöner running gag, und alle zehn Minuten erkundigte ich mich nach dem Wohlergehen des Nerven­bündels.

    Bei dem Kulturbeauftragten einer Stadt in Westfalen, der mich mit einer kurzen, belanglosen Einführungsrede begrüßt hatte und sich danach ausschließlich seinem Handy widmete, wusste ich, dass ihn kein Notfall, sondern vielmehr der Verlauf eines Pokalspiels in Atem hielt. Das konnte ich einfach nicht ungestraft geschehen lassen. Meine länger und länger werdende Kunstpause bemerkte er nicht. Das restliche Publikum hingegen schon. Der gesamte Saal hatte plötzlich nur noch ihn im Visier, und die Stille wurde bleiern.

    „Und? Wie steht das Spiel?", fragte ich schließlich auf dem Höhepunkt der Spannung.

    Es war wirklich sehr peinlich. In der Pause ging er, ohne sich von mir zu verabschieden.

    Man könnte sich trefflich über Handybenutzer aufregen. Wir Krimiautoren kanalisieren das gerne in unseren Texten. In der Story „Das Schweigen der Handys" habe ich einmal einen Serienmörder auf diese Telefonierer angesetzt, die Kulturveranstaltungen stören. Großes Vergnügen.

    Von einem Veranstalter habe ich mir den hübschen Einstiegsgag abgeguckt, der lautet: „Benutzen Sie ruhig Ihre Handys. Ich mache dann eine kurze Pause, in der Sie ungestört Ihr Telefonat führen können, und wir hören Ihnen alle aufmerksam zu."

    Solange es Handys gibt, werden sie bei Lesungen klingeln. Contenance! Nur nicht rausbringen lassen. Ein Klingeln ist sogar ab und an für einen Gag gut. „Über dem Friedhof lag nachtschwarze Stille … Düdelüdüdüdüdü! „… als ein Handy klingelte.

    Ich selbst warte immer noch darauf, dass ich irgendwann einmal vergesse, mein Telefon auszuschalten und dann während der Lesung angerufen werde. Ich werde sehr gefasst den Anruf entgegennehmen und erklären: „Ich bin gerade auf der Bühne. Können wir später sprechen?"

    5. Aber man sieht doch genug

    In meinen Lesungsverträgen steht nicht sehr viel drin. Datum, Veranstaltungsort, Honorar und ein paar klitzekleine Kleinigkeiten bezüglich der Anforderungen des Vortragenden. Da finden Sie keine bizarren Wünsche nach Catering gleich welcher Art. Ich brauche keine Künstlergarderobe, in der die Tapete ausschließlich horizontal verlaufende Muster aufzuweisen hat. Ich bin auch kein Obstjunkie – obwohl mich einmal ein Kollege beschworen hat, vor Lesungen nichts anderes als eine Banane zu essen! Die mache gerade mal satt genug, aber auch nicht zu satt, und erzeuge ansonsten keinerlei unerwünschte Nebeneffekte wie Geräusche oder Gerüche, war der Kollege überzeugt. Recht hat er. Trotzdem: Ich esse und trinke vor, während oder nach Lesungen so gut wie alles. Rotwein? Kein Problem. Kekse? Currywurst? Warum nicht? Einmal habe ich mit großem Genuss einen halben Aprikosenkuchen verputzt. Ist doch kein Problem bei einer anderthalbstündigen Lesung. Die Finger lasse ich nur von dem unaufhörlich perlenden Volle-Pulle-Sprudelwasser, das einem nur wirklich bösartige Veranstalter hinstellen, damit der Autor auch ordentlich mit den aufsteigenden Gasen zu kämpfen hat.

    Nein, in meinem Vertrag ist die Rede von einer Lampe.

    Das ist natürlich eine Bezeichnung für Leuchtmittel unterschiedlichster Art.

    Ich habe sie alle gehabt.

    Trübe Funzeln, bei denen mir nur Brailleschrift hätte helfen können, wenn ich sie beherrschte, grelle Scheinwerfer, die Autor und Publikum gleichermaßen blendeten und die Kanten des Papiers anzusengen schienen. Kerzen mit und ohne Duft, gedimmte Deckenlampen, die die Mikrofonanlage zum Surren bringen, Pechfackeln, Kaminfeuer … glauben Sie bloß nicht, ich übertreibe.

    „Aber man sieht doch gut", argumentierte die überraschte Veranstalterin, nachdem ich mich in den Lesungsraum getastet hatte, und ich fragte mich, ob ich das nur träumte oder ob ihr Gesicht tatsächlich ins Fledermaushafte spielte.

    Das Absonderlichste, was mir in Sachen Beleuchtung widerfuhr, erlebte ich einmal mit meinem Kollegen Uwe Voehl nahe der belgischen Grenze. Im ganzen Haus fanden sich nur zwei Stirnlampen. Als wir diese schließlich um­geschnallt hatten, wurde die Lesung zum großen Gaudium. Wir wackelten unablässig mit den Köpfen und ließen die Licht­strahlen ungeniert durch den Zuschauerraum huschen. Wir haben eine wahrlich blendende Vorstellung abgeliefert.

    6. Lesung vor leeren Möbeln

    Es geht wohl auch dem bekanntesten Autor irgendwann mal so: Er liest vor Stühlen, auf die sich ein paar vereinzelte Zuhörer verirrt haben. Natürlich besetzen sie nicht die erste Reihe. Nein, die bleibt frei, denn es herrscht immer noch diese unerklärliche Furcht vor dem Vortragenden. Was ist es, das die Leute diesen Abstand suchen lässt? Mundgeruch? Feuchte Aussprache? Die Horrorvorstellung, in eine Mitmach-­Nummer miteinbezogen zu werden? Oder ist es am Ende gar so etwas wie Ehrfurcht? Ja, so kann man es sich schönreden. Die Leute zollen einem Respekt, sie wahren die Distanz aus einer gewissen Unterwürfigkeit heraus. Das klingt gut. Am liebsten würden sie vermutlich sogar knien.

    Jedenfalls bleibt die erste Reihe frei, auch wenn von den hundert aufgestellten Stühlen gerade mal eine Handvoll besetzt ist. Im Laufe der Jahre lernt man alle gängigen Stuhlmodelle kennen.

    Die Gründe des mangelnden Publikumszustroms versucht der Veranstalter stets wortreich zu ergründen: Zu gutes Wetter oder zu schlechtes Wetter, zu viele Konkurrenzveranstaltungen, Grippeepidemien oder Magen-Darm, WM-Endspiel, egal. Übrigens: einem Zuhörer, der eine prickelnde Krimilesung wegen eines schnöden Fußballspiels sausen lässt, konnte ich noch nie aus tiefstem Herzen hinterherweinen.

    Man sollte sich jedenfalls in solchen Situationen zu keiner Diskussion mit dem Veranstalter hinreißen lassen, das ist vollkommen sinnlos. Da nützt kein Hinweis auf fehlerhafte Veranstaltungsankündigung, auf das völlige Fehlen derselben oder auf die Unauffindbarkeit des Veranstaltungsorts trotz Navigationssystems. Der Veranstalter hat keinen Fehler gemacht! Selbst nachts um halb vier auf der Rückseite des Mondes würde er beteuern: „Es ist alles bestens geplant! Unsere Schuld ist das nicht! Wir haben genug Werbung gemacht! Wie gesagt, bloß nicht lange die möglichen Gründe diskutieren, denn am Ende ist man noch selbst schuld: „Sie treten aber auch sehr oft hier in der Gegend auf.

    7. Irgendwo da in der Deko sitzt der Autor

    Mit dem Thema Krimi kann jeder irgendetwas anfangen. Man hat eine ungefähre Vorstellung davon, was Krimi ausmacht, wie er sich anfühlt. Und bei jeder Lesung gibt es im Vorfeld mindestens einen Dekorationskünstler, der sich wie Bolle freut, dass er mal von der Kette gelassen wird.

    Das fängt bei Totenköpfen und flatternden Betttuch­gespenstern an und endet bei Spinnweben und abgetrennten Gliedmaßen. Den Grenzbereich zwischen Krimi und Horror lässt manch einer ganz rasch hinter sich. Grusel ist Grusel, ob nun durch Mordtaten oder Vampirbisse hervorgerufen. Das mittlerweile ganzjährig verfügbare Halloween-Dekorationssortiment tut das Seine dazu. Überall sind Blutlachen, Tatort-Schildchen und Polizei-Absperrbänder, da liegen brutal erdolchte, aber dennoch entrückt lächelnde Schaufenster­puppen mit stocksteifen Gliedern in unnatürlicher Pose herum. Sei’s drum. Ich honoriere aufrichtig die viele Mühe, die man sich gegeben hat.

    Was sich zur Qual entwickeln kann, sind riesige, menschenfressende Ohrensessel, in denen man sich in Klappmesserhaltung wiederfindet, was normales Atmen kaum zulässt. Vorlesen noch viel weniger. Es ist ja gut gemeint, aber tun es nicht auch ein Stuhl und ein Tisch?

    Wahrscheinlich nicht. Ich mache, wie bei allen Fährnissen, das Beste draus. Dem Publikum soll suggeriert werden, dass dieser Krimiabend ein ganz, ganz, ganz besonderes Event ist. Wer bin ich, dass ich daran herummäkeln dürfte? Martin Walser?

    Ich beuge mich tapfer dem, was mir abverlangt wird, solange ich keine böse Absicht oder grobe Fahrlässigkeit dahinter erkennen kann.

    Und manchmal – ganz selten – überrascht man mich positiv. Da ist etwas anders in all den „ungewöhnlichen Lesungsorten", an die man Krimiautoren und ihr Publikum ganz gerne verfrachtet. Da steht in all den Möbelhäusern, Kantinen, Friseursalons, Gefängniszellen, Kellerverliesen, Metzgereien, Scheunen, Sarglagern und Kinosälen plötzlich ein regelrechter Traum von einem Sessel. Hohe Lehne, stabile Sitzfläche in akzeptabler Höhe, und dazu noch von ausgesuchter Schönheit, sodass ich ihn einpacken und fortan mit ihm von Auftritt zu Auftritt reisen möchte. Aber dieser Sessel ist der ganz und gar private Lieblingssessel der Buchhänd­lerin, des Bürgermeisters oder sogar der Königin, in deren Land ich gerade zu Gast bin. Mindestens.

    Bei den „ungewöhnlichen Orten" muss ich unwillkürlich an die absurdeste Lesung meiner zurückliegenden zwanzig Jahre denken, die im Bewegungsbecken eines Schwimmbads im Westerwald stattfand. Die Autoren saßen während ihres Vortrags jeweils barfuß, mit hochgekrempelten Hosenbeinen, ausgerüstet mit Mikro und Schwimmflügelchen in einem Schlauchboot, das ein pensionierter Studienrat mit Badekappe schnaufend durch die Fluten schob. Nun mal ehrlich, wäre es nicht langweilig, wenn nicht ab und zu ein solches Juwel von einer Lesung vorbeikäme?

    Ich weiß vorher, wo ich auftrete, und wenn der Veranstalter das Risiko einer ungewöhnlichen Performance eingeht, gehe ich mit.

    8. Ein Vorleser ist ein Vorleser ist ein Vorleser ist kein Missionar

    Es gibt Veranstaltungen, auf die sollte man sich nicht einlassen. Bei Geburtstagsfeiern beispielsweise begibt man sich auf vermintes Gelände. „Alle meine Freunde sind Krimifans. Wer Sie engagiert und das sagt, lügt. Ich will gar nicht mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung argumentieren. Auf diesem Gebiet kenne ich mich nicht aus, wie mir meine Kollegin Sandra Lüpkes fortwährend beweist, wenn es sich ums Roulettespiel dreht. Es kann einfach nicht sein, dass eine dreißigköpfige Schar von Geburtstagsgästen ausschließlich aus Krimifans rekrutiert wurde. Zumindest die fünfjährigen Kinder sind keine Krimifans. Die plärren und springen durch die Gegend, während man versucht, sich auf den Text zu konzentrieren und eben wegen ihnen die schlüpfrigen Passagen, die darin lauern, zu umschiffen. Die alten Opas sind auch keine Krimifans. Denen hätten vielleicht einige Abschnitte aus „Steiner – Das eiserne Kreuz zugesagt. Auch ein paar gefährliche Intellektuelle haben sich vielleicht unter die Gäste gemischt, also jene Spezies, die unter Herta Müller oder Houellebecq gar nicht erst anfängt. Krimis haben bei ihnen keine Chance.

    Firmenchefs, die es für eine glänzende Idee halten, zu einer Firmenfeier einen Krimiautor einzuladen, ist ebenso wenig zu trauen wie ihren Bürodamen, die nur ausführende Organe der Ersteren sind. Firmenpersonal setzt sich aus den unterschiedlichsten Temperamenten zusammen. Wer sich einen ganzen Abend lang den leeren Gesichtern der Angestellten eines Abfallentsorgungsunternehmens gegenübergefunden hat, weiß, wovon ich rede. Erst kürzlich durfte ich anlässlich einer Weihnachtsfeier die gesamte Belegschaft eines großen Direktvermarkterhofs beglücken. Direkt vor mir war ein großer Tisch mit zum Sterben gelangweilten osteuropäischen Erntehelfern positioniert, die sich, um nicht einzuschlafen, ganz ihren Mobiltelefonen widmeten. Ich hätte daraus keinen running gag machen können. Sie hätten ihn ebenso wenig verstanden, wie den Rest der Lesung.

    Auch Altentage sind heikel, obwohl man mitunter positiv vom garstigen Witz der Senioren überrascht wird, die an den entsprechenden Stellen bösartiger lachen als andere.

    Um Gewerbeschauen sollte man ebenfalls einen großen Bogen machen. Es ist so gut wie unmöglich, ein Publikum zu begeistern, wenn in der einen Ecke des Zelts ein Häcksler präsentiert wird, in einer anderen die Showtanzgruppe „Magic Stompers" herumstampft und überhaupt ringsum lautstark Messersets, Trockenhauben und Flüssigseife angepriesen werden.

    Natürlich gibt es Ausnahmen. Überall und immer wieder.

    Schon häufig hat mir nach einem weiteren Waterloo der wunderschöne Satz „Ich war noch nie auf einer Lesung, aber das war so toll, das mache ich jetzt öfter!" die Tränen der Rührung in die Augen getrieben.

    Die Katastrophen sind die Ausnahmen. Mit meinen Kollegen Jürgen Alberts, Horst Eckert und Friedrich Emde durfte ich einmal einen Krimiabend in einem riesigen Freizeitpark in der Eifel bestreiten, in dessen Verlauf wir uns schließlich einfach gegenseitig unsere Texte vorlasen. Und nicht mehr den hundertfünfzig holländischen Pauschalurlaubern, die rund um uns herum in ihrer Muttersprache plaudernd ihr Abendessen einnahmen.

    Aber selbst wenn es wieder einmal so furchtbar abläuft, wie man es schon von vornherein hätte ahnen können – Hey, was ist so schlimm daran? Wer bitteschön hat denn schon einen Beruf, der immer und ausnahmslos Spaß macht? Bin ich etwa was Besseres? Ich kann mein Honorar in solchen Fällen immerhin noch unter der Sonderrubrik „Schmerzensgeld" verbuchen.

    9. Denkt dran, jeder nur zwanzig Minuten!

    Schon die zweite Lesung meines Lebens durfte ich an der Seite meines „Entdeckers" und väterlichen Freunds Jacques Berndorf in meiner Heimatstadt Euskirchen bestreiten. Rückblickend kann ich wohl sagen, jedem Anfänger sei anempfohlen, die ersten Schritte erst einmal am Händchen eines alten Hasen zu machen, auch wenn ich damals das Gefühl hatte, nur noch aus einem wirren Bündel unkontrolliert zuckender Nervenstränge zu bestehen. Man fühlt sich ja nicht nur vom Publikum beobachtet, sondern auch von dem versierten Könner an seiner Seite. Jacques Berndorf hat das getan, was erfahrene Kollegen stets machen sollten: Er

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