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Ein Abend beim Chinesen: Beste Geschichten
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eBook266 Seiten3 Stunden

Ein Abend beim Chinesen: Beste Geschichten

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Über dieses E-Book

Aber:
"Ich habe nie verstanden, warum noch keiner seine Storys mal gesammelt rausgebracht hat."
Klaus N. Frick
Nun:
"Immer wenn man glaubt, diesen Schriftsteller durchschaut zu haben, zertrümmert er jegliche Erwartungen mit geradezu erschütternder Beiläufigkeit."
Hannes Riffel
Also:
24 beste Geschichten aus knapp 30 Jahren, quer durch Böhmerts Schaffen und über alle Genregrenzen hinweg. Unterhaltsam, eindringlich, romantisch, abgebrüht. 
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum31. Mai 2016
ISBN9783957659774
Ein Abend beim Chinesen: Beste Geschichten

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    Buchvorschau

    Ein Abend beim Chinesen - Frank Böhmert

    Geschichten

    Fußstapfen in der Zeit

    »Mein Ort. Meine Welt. Meine Galaxis.«

    »Berlin ist riesig. Berlin wimmelt von Menschen. Berlin ist unübersichtlich. Ich bin in Berlin geboren, aber es fällt mir nicht schwer, mich hier mit dem Fahrrad zu verfransen und in einer Gegend zu landen, die ich im Leben noch nicht gesehen habe. Berlin ist arm. Das ist von Vorteil, weil die Stadt dadurch nicht genug Geld hat, alles Unkraut, alles Ungeziefer, allen Unrat zu entfernen. Dadurch hat Berlin immer wieder wilde bzw. verwilderte Ecken. Und die liebe ich. In Berlin gibt es tausend Subkulturen, die du aufsuchen kannst. Berlin ist ein hartes Pflaster, manchmal zu hart. Aber in keiner deutschen Stadt gibt es so viele Orte, an denen du relativ frei sein kannst. In keiner deutschen Stadt hast du diese Chance, Leute zu finden, die zu dir passen, und wenn du fünfmal ein Außenseiter bist. Ich sage manchmal, ich bin ein Dörfler, der zufällig in Berlin geboren worden ist. Ich bin nie weiter als vielleicht fünf Kilometer von der Straße weggezogen, in der ich geboren worden bin. Ich steh auf Natur, auf wilde Natur, und Berlin hat so viele ökologische Nischen zu bieten.«

    Frank Böhmert in einem Interview im März 2003

    Braucht eine Storysammlung wie diese ein Vorwort? Oder, grundsätzlicher, braucht die Welt noch ein Buch mehr, in diesem Fall eben die Storysammlung des Berliner Schriftstellers und Übersetzers Frank Böhmert? Zugegeben, seine wenigen Ausflüge in das Perry-Rhodan-Universum haben bewiesen, dass der Mann nicht nur erzählen kann, sondern dass er auch etwas zu sagen hat. Aber ist es deswegen zwingend, das eh schon leidgeplagte Lesepublikum (und, nicht zu vergessen, unsere Umwelt) mit einer Anhäufung seiner Geschichten aus knapp drei Jahrzehnten zu belasten?

    Diese und andere, weder für mich noch für Herrn Böhmert besonders schmeichelhafte Gedanken plagten mich, als ich mir überlegte, ob ich mich darauf einlassen sollte, die zwei Dutzend Kurzgeschichten, die da in Form von Ausdrucken auf Recyclingpapier vor mir lagen, zu lesen und mit einer Einleitung zu versehen.

    Nun, die Tatsache, dass Sie dieses Buch in Händen halten und dieses Vorwort lesen (wobei nun wiederum Sie sich fragen können, was Selbiges eigentlich soll), nimmt das Ergebnis meiner Überlegungen bereits vorweg. Ein Abend beim Chinesen mag ein zusammengewürfelter Haufen von Storys sein, die Frank Böhmert aus subjektiven Gründen der Überlieferung an die Nachwelt für wert erachtet hat. Aber sie verbindet eines: Sie sind alle äußerst lesenswert, und sie rufen uns ins Gedächtnis, wozu gelungene Erzählungen in der Lage sind – sie unterhalten uns, das ja und vor allem, aber sie verfremden auch, was wir für gegeben hinnehmen, und liefern uns damit Stoff zum Nachdenken.

    Nehmen wir beispielsweise die Geschichte, die diesen Band eröffnet. »Der Baum beim Blutbunker« ist bestimmt nicht der anspruchsvollste oder gelungenste Text auf den folgenden Seiten, aber er schildert aufs Eindringlichste Ereignisse, die echt sind – echt nicht unbedingt im Sinne von genau-so-passiert, sondern eher im Sinne von »ja, so etwas Ähnliches habe ich auch erlebt, so war das damals«. Damals, in einem keinesfalls unschuldigeren, sondern mehr von vielfältigen Verwirrungen geprägten Alter, in dem Mann (von Frau kann ich nicht reden, die kamen damals viel zu wenig vor) hauptsächlich – und verzweifelt – versucht, seinen Spaß zu haben, ohne sich dabei allzu auffällig zu blamieren. Was einem, im Nachhinein betrachtet, scheißschlecht gelungen ist, aber das merkte man in jener Zeit glücklicherweise meist nicht. Oder wenn, dann jedenfalls nur in Form dieses sonderbaren Gefühles in der Magengegend, dass hinter den Dingen doch noch mehr sein müsse, das könne doch noch nicht alles gewesen sein.

    Was da mehr hinter den Dingen lauert, bringt der »Blutbunker« aufs Schönste auf den Punkt und erinnert mich noch ganz nebenbei an die Stunden, die ich als 13jähriger (oder so) mit meinem damaligen besten Freund Uwe zugebracht habe, während wir uns den Inhalt des neusten Macabros-Heftchens erzählten. Karo (siehe Seite 11) kann das bestimmt gut nachvollziehen. Und Frank auch.

    Oder die Geschichte mit dem wunderschönen Titel »Love Bug«, ein durch und durch romantischer Text, der trotzdem nicht verlogen ist. Auch hier wieder: Oje, was haben wir damals alles nicht gerafft – zum Glück, denn was wäre uns sonst entgangen!

    Völlig anders »Wie ein Adler«, eine stilistisch ebenso gewagte wie gekonnte Endzeitgeschichte, bei der der Autor nicht nur alle Register zieht, sondern auch, ohne zu blinzeln, die Konsequenzen aus den ganzen nostalgisch verbrämten Zukunftsvisionen, in denen trotz aller Katastrophen dann doch alles irgendwie gut wird. Wäre vielleicht ein wirklich lohnendes Experiment, aus diesem Stoff einen Roman zu machen.

    Völlig anders kristallisiert sich dann auch als einziges übergreifendes Prinzip dieser Storysammlung heraus. Immer wenn man glaubt, diesen Schriftsteller durchschaut zu haben, zertrümmert er jegliche Erwartungen mit geradezu erschütternder Beiläufigkeit. Oder hätte irgendjemand, bei Story Nummero zwölf angekommen, mit einer so gewieften Vignette wie »Als Raucher unter Linken« gerechnet? Mit einer so abgebrühten Konfrontation mit der Einsamkeit wie »Die Welt, von Türmen aus betrachtet«, die eigentlich von einem deutlich älteren Autor stammen müsste? Mit Arbeitsweltpersiflagen wie »Die Hubschrauber« und »Das Lager«, beides längere Texte, die zeigen, dass Frank wohl so manches am eigenen Leib erfahren hat?

    Mich jedenfalls hat dieser Stapel Papier, den ich da anfangs noch recht skeptisch, dann immer begeisterter zerlesen habe, immer aufs Neue kalt erwischt. Und mit jeder Story wuchs meine Überzeugung: Ja, daraus muss tatsächlich ein Buch werden. Denn hier bestätigt ein Schriftsteller, der im Jetzt lebt, in unserer Zeit, was kluge Leser von Science Fiction wissen, was jedoch nur selten überzeugend umgesetzt wird: Über die Zukunft schreiben, schreibend verfremden, sich das Phantastische nutzbar machen, um das Alltägliche auszuleuchten, gehört zu den besten Strategien, um die Gegenwart realistisch abzubilden, um sich über uns selbst klar zu werden.

    Und außerdem kann es, wenn der Schreiber sein Handwerk versteht, verdammt vergnüglich sein. Wie Frank mit jeder einzelnen der in Ein Abend beim Chinesen enthaltenen Geschichten unter Beweis stellt.

    (Braucht eine Storysammlung wie diese ein Vorwort? Unbedingt! Und wenn es nur dazu taugt, meinen Namen in diesem großartigen Buch gedruckt zu sehen …)

    Hannes Riffel

    im Mai 2009

    Der Baum beim Blutbunker

    Es war längst Nachtruhe im Schullandheim. Die anderen Jungen in dem Sechsbettzimmer schliefen schon. Karo lag mit seiner Taschenlampe oben im Etagenbett und verschlang sein neuestes Mystery-Heft, Purgator der Folterer.

    Er war gerade bei der Stelle, als der Katzenmensch Purgator sich endlich gegen seinen bösen Herrn auflehnte, den Grafen Grambor-Zuli, da fiel ihm auf, dass er das Heft fast ausgelesen hatte. Karo blätterte vor. Nur ein paar Kapitel noch! Hollerdipoller!

    Rasch verstaute er Brille, Heft und Taschenlampe am Fußende, kuschelte sich in die dünne Schullandheimdecke und schloss die Augen. So war es immer am gruseligsten – wenn man das Ende nicht kannte und dann einzuschlafen versuchte! Dann hörten sich die kleinen Nachtgeräusche auf einmal ganz anders an, und wenn man Glück hatte, sah man schlimme Dinge in den Schatten. Und träumte später davon, wie die Geschichte weiterging …

    Er nickte langsam ein. Wie es wohl war, ein Fell zu haben und ausfahrbare Krallen? Und einfach so, zackzackzack, einen Baumstamm hochklettern zu können?

    Er schmatzte und kuschelte sich zurecht, und dann rutschte ihm die Bettdecke weg. Er griff nach ihr, aber sie rutschte noch weiter weg, und als er sich hinterherdrehte, stürzte er über den Bettrand ins Leere. Krachte mit dem Gesicht auf irgendetwas Hartes und landete dann weniger hart auf dem Fußboden, auf seiner verkrumpelten Decke.

    Er setzte sich auf. Seine Nase tat weh wie Hölle. Und sie lief. Es lief aus ihr raus wie Wasser.

    Jemand machte Licht. Karo blinzelte. Es war Ben, der da am Lichtschalter stand. Ben sah ihn entsetzt an.

    Karo schaute an sich hinunter. Er blutete. Sein ganzer Schlafanzugpulli war bekleckert.

    Dann kam Frau Schüppel ins Zimmer gestürzt: »Um Gottes willen! Was ist denn hier passiert?« Sie trug einen leuchtend orangefarbenen Bademantel.

    »Er ist auf einmal einfach rausgefallen«, sagte Ole, der das Bett unter Karo hatte. »Voll auf den Stuhl hier.«

    »Ah ja«, sagte Frau Schüppel. »Einfach so.«

    Es tat zwar weh wie Hölle, aber es war halb so schlimm. Das Bluten hörte schnell wieder auf. Frau Schüppel wusch ihm das Gesicht mit einem Lappen ab und fand keine Platzwunde. Karo musste aufstehen und ein paar Schritte gehen, zum Beweis, dass ihm nicht schwindelig war, dass er keine Gehirnerschütterung davongetragen hatte. »Ist dir schlecht, Oskar?«, fragte sie.

    »Nein«, sagte er.

    »Dann ist ja gut.« Sie sah erleichtert aus. Da war er froh, dass er gelogen hatte. Ihm wurde immer schlecht, wenn er Blut sah.

    Dann wurden alle wieder ins Bett geschickt. Karo zog sich den blutigen Schlafanzugpulli aus und ein Sweatshirt an. Als er den engen Kragen über die Nase zog, zeckte es gewaltig.

    Er sagte nichts, aber beim Einschlafen dachte er, dass Ole ihm die Decke vielleicht weggezogen hatte.

    Am nächsten Tag hatten sie tolles Wetter. Goldener Oktober. Trotz der Sonne war es kühl. Alle hatten Anoraks an oder Kapuzenpullis. Heute hatten die Schüler bestimmen dürfen, und so machten sie keinen Ausflug, sondern spielten einfach bloß draußen.

    Das Schullandheim war toll. Erstens wohnten sie alle in einer Reihe von Blockhäusern, die schon ganz alt aussahen. Das Holz war grau und verwittert. An den Rückseiten wucherte Unkraut bis zu den Fenstern hoch. Es war fast wildwestmäßig, wie in einer Goldgräbersiedlung oder so.

    Zweitens lag das Heim an einem See. Man brauchte bloß um das Steinhaus der Herbergseltern herumzulaufen, dann konnte man ihn schon glitzern sehen zwischen den hohen Birken und Kiefern.

    Drittens, und das war das absolut Beste, in den sandigen, mit Grasflecken besetzten Hängen lagen die Überreste eines gesprengten und zugeschütteten Bunkers aus Beton. Eines richtigen Bunkers.

    Dort hatten Karo, Ole und Ben gerade versucht, sich einen Zugang freizuschaufeln. Wieder einmal erfolglos. Nun sollte Karo eine seiner selbst ausgedachten Gruselgeschichten erzählen.

    »Nur wenn ihr von da oben runterspringt«, sagte er und zeigte auf eine der glatten Bunkermauern, die aus ungefähr drei Metern Höhe steil abfielen. Unten lag weicher Sand. »Die Klippen des Wahnsinns!«

    »Erst du«, sagte Ben.

    »Nee, erst ihr!«

    So ging das eine Weile hin und her. Schließlich sprangen sie alle drei gleichzeitig, und dann saßen sie unten im kühlen Sand in der Sonne, und Karo fing mit seiner Gruselgeschichte an: »Wisst ihr eigentlich, warum sie diesen Bunker gesprengt haben damals? Es war ein Experimentierlabor der Nazis. Die haben da Kampfmonster gezüchtet, aus Katzen … Der Blutbunker, so hat er hier in der Gegend geheißen. Hat mir der Herbergsvater erzählt.«

    Ole schnaubte. »Und das glaubste? Der hat doch’n Rad ab!«

    »Nee, echt! Fast hätten sie den Zweiten Weltkrieg doch noch gewonnen damit …«

    Ole schnaubte noch einmal.

    »Der hat sogar zwei Räder ab«, sagte Ben. Sie lachten. »Aber Blutbunker? Klingt voll gut. Voll horrormäßig. Und dann noch Nazis? Oh, Mann. Die hatten sogar Werwolf-Soldaten damals, hat mein Bruder gesagt. Und manche hatten sich Totenköpfe an der Uniform festgemacht.«

    Karo rieb sich die Nase. Sie fühlte sich zu weich an und tat immer noch weh. Ole und Ben sahen ihn erwartungsvoll an. Er hatte sie am Haken. Sie wollten wissen, wie seine Geschichte weiterging.

    Abendbrot. Weil das Wetter so schön war, aßen sie draußen, auf dem Platz zwischen dem Steinhaus und den Blockhütten. Er wurde auf der einen Seite von einem großen, flachen Schuppen abgeschlossen, der dem Herbergsvater als Garage diente. Sie saßen auf den zerschrammten grünen Bierbänken und löffelten gerade Linsensuppe mit Würstchen in sich hinein, da hörten sie wildes Geknatter in der Auffahrt.

    Der Herbergsvater kam mit seinem Schrottauto angefahren. Er reichte mit den Augen kaum über das Lenkrad, weil er den Fahrersitz ausgebaut hatte und mit dem Hintern zwischen den Halteschienen saß. Die Jungs johlten begeistert. Vorne rechts fehlte der Kotflügel, dort waren nur der rissige Reifen und der verrostete Radkasten zu sehen; und der Kofferraumdeckel war mit Paketschnur runtergebunden.

    »Ho-ho-ho!«, brüllten die Jungs und: »Au warte!«, als der schwarze Klapperkasten zu scharf in die Kurve ging und genau auf die äußerste Bierbank zuhielt. »Stopp! Bremsen!«

    Der Herbergsvater reckte den Hals, dann klappte ihm der Mund auf, und er stieg so hart auf die Bremse, dass er erst mit dem Kopf ans Lenkrad krachte und dann nach hinten kippte.

    Es reichte trotzdem nicht ganz. Der Wagen rollte bis gegen die Bierbank, schob sie ein Stück seitwärts, und alle Kinder darauf purzelten hinunter. Alles kreischte und kicherte und grölte durcheinander, aber zum Glück war niemandem etwas passiert. Jedenfalls niemandem aus der Klasse.

    »Hollerdipoller!«, rief Karo. »Der Herbergsvater aus der Hölle!«

    Ole, Ben und er lachten.

    »Ja, und ihr seid das teuflische Trio!«, sagte Frau Schüppel. Sie ging zu dem Auto. »Ist Ihnen was passiert, Herr Bennigsen?«

    »Nein, danke«, sagte Herr Bennigsen. »Ich hab schon gegessen.« Es waren nur seine Füße zu sehen. Sie steckten in grauen Filzpantoffeln.

    Abwasch. Frau Schüppel hatte das teuflische Trio dazu verdonnert. Ben spülte, Ole übernahm das Klarspülen, Karo trocknete ab. Frau Bennigsen war irgendwo hinten im Haus und kümmerte sich um ihren Mann, der ein ordentliches Horn auf der Stirn gehabt hatte, als er aus dem Auto geklettert war.

    »Örks«, sagte Ben auf einmal. Er war zu faul gewesen, den Dreck von den Tellern zu kratzen, und nun schwammen lauter Linsen und Würstchenscheiben auf dem Spülwasser. »Voll ekelig!« Ben nahm eine Würstchenscheibe und schnippte sie durch die Küche. Sie blieb nass am Geschirrschrank kleben.

    Ole und Ben lachten.

    »Seid ihr bescheuert?« Karo pulte die Scheibe wieder ab und warf sie zurück. Sie landete im Klarspülbecken.

    »Örks!«, rief nun Ole. Er fischte das Teil raus und schnippte es – »Passt auf!« – Richtung Küchendecke.

    Die Scheibe blieb dort oben hängen.

    »Cool!« Ben fischte eine zweite Scheibe aus dem Wasser und schnippte sie hinterher. Auch sie blieb an der Decke kleben.

    »Jetzt du!«

    Aber Karo wollte nicht. Auch dann nicht, als sie ihn als Schisshasen verhöhnten. »Ich bin kein Schisshase«, sagte er. »Ich hab bloß keine Lust, denen die Küche zu versauen.«

    »Ach ja? Dann …« Ben sah sich in der Küche um und fing zu grinsen an. »Dann kannste ja davon was futtern.« Er zeigte auf eine schmale Packung neben dem Herd.

    »Salz?«, fragte Karo. »Kann doch jeder.«

    »Aber nicht ’nen ganzen Löffel voll.« Ben nahm einen Teelöffel aus dem Besteckständer. »Da.«

    Karo schluckte.

    »Na, was nun?«, fragte Ben.

    Karo nahm den Löffel. Sah zum Salz. Dann fing er zu grinsen an und stellte den Teelöffel wieder in den Ständer zurück. »Kann doch jeder. Aber nicht damit.« Er zog einen Esslöffel aus dem Ständer.

    Ben und Ole machten große Augen.

    Karo nahm die Packung, kippte einen ordentlichen Berg Salz auf den Löffel und führte ihn an den Mund. »Nur, wenn ihr’s nachmacht.«

    Ole und Ben starrten ihn an.

    »Na? Was ist?«

    Sie sahen zu Boden.

    »Ich mach’s vor, und ihr macht’s nach.« Karo steckte sich den Löffel in den Mund. Es schmeckte absolut total horrormäßig widerwärtig abscheulich, aber er tat so, als genieße er es. Er ließ sich das Salz auf der Zunge zergehen wie eine Praline.

    »Voll lecker!«, sagte er. »Ich bin cool, und ihr seid schwul!«

    Dann stand Frau Schüppel in der Küche. Typisch Lehrerin. Sie merkte sofort, wenn etwas nicht stimmte. Sie sah zu dem Esslöffel in Karos Hand, dann zu der Salzpackung.

    »Ja, seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen!«, schimpfte sie los. »Wollt ihr euch eine Natriumchloridvergiftung holen oder was!«

    »Natrium-Klo-was?«, fragte Ben.

    »Kochsalz!«, rief Frau Schüppel. »Das ist in großen Mengen hochgiftig! Wieviel hast du gegessen? Einen Esslöffel voll? Herrgott nochmal! Wie bescheuert kann man denn sein? Hier. Du trinkst jetzt sofort Wasser. Mindestens drei Gläser. Und wenn dir schlecht wird, dann wartest du nicht lange. Dann gehst du sofort aufs Klo und steckst dir einen Finger in den Hals.«

    Sie passte auf, dass Karo auch wirklich drei Glas Wasser trank. Dann sah sie alle drei nacheinander an. »So, meine Herren. Dann reden wir mal Klartext. Wenn ihr noch einmal irgend so eine bescheuerte Mutprobe macht oder euren Mitschülern einen eurer ekeligen Streiche spielt, dann nehme ich euch die Gruselhefte weg. Dann hat sich's ausgegruselt, bis wir wieder zu Hause sind. Ist das klar?«

    Sie nickten. Wenigstens hatte sie nicht an die Decke gesehen.

    Bis sie mit dem Abwasch fertig waren, dämmerte es schon. Einige Kinder spielten noch Fußball hinter der Garage, andere waren schon im Aufenthaltsraum und machten Brettspiele. Dort waren auch die Lehrer. Dort wollten Karo, Ben und Ole nicht sein.

    Sie beschlossen, sich lieber mal in die Garage von Herrn Bennigsen zu schleichen, wo gerade keiner zusah.

    Sein Schrottauto stand immer noch neben den Bierbänken herum. Vielleicht hatte es den Herbergsvater ja doch doller erwischt.

    Das Hängetor lehnte immer auf einem roten, zerbröselten Mauerstein; wusste der Geier warum. Sie zogen es ein Stück hoch und schlüpften darunter hindurch.

    Drinnen war es toll gruselig. Zuerst sahen sie nur Schwärze, bis auf die schimmernde Reihe Glassteine oben unter der Decke. Dann gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, und es schälten sich Umrisse hervor.

    Sie waren schon tagsüber hier drin gewesen; deshalb wussten sie, was hier alles herumstand. Ein Puppentheater zum Beispiel und, an die Wand gelehnt, die Reste einer riesigen Ritterburg aus Spanplatten. Im Dunkeln sah die Ritterburg fast echt aus. Die Ecktürme reichten bis unter die Decke. »Als hätten wir uns in einem fiesen Märchenwald verirrt«, flüsterte Karo.

    Ole und Ben sahen sich an.

    »Habt ihr etwa Schiss?«, fragte Karo.

    »Nee, aber du gleich!« Seine beiden Freunde gaben ihm einen Stoß, dass er zwischen die Kulissen des Puppentheaters fiel. Er landete auf etwas wie einem Lumpensack, ertastete Haare und Stoff unter seinen Fingern und ein Puppengesicht und ein riesiges, hartes Maul voller Zähne.

    Dann schlug hinter ihm scheppernd das Tor auf den Mauerstein.

    Er kämpfte sich hoch, sprang auf. Auf einmal kam es ihm stockfinster vor hier drin. Durch die Glassteine unter der Decke kam kaum Licht, sie waren völlig verdreckt. Und überall diese blöden Umrisse.

    »Hey, lasst mich raus!« Er drängte sich gegen das schiefe Tor. Aber Ben und Ole waren zu zweit, sie waren stärker. Er bettelte, er drohte, er flehte. Er hörte sie lachen.

    Dann merkte er, dass ihm der Magen brodelte. War das die Natriumklodingsvergiftung? Er hatte auch ganz

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