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Creszentia (11 Schauergeschichten)
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Creszentia (11 Schauergeschichten)
eBook232 Seiten3 Stunden

Creszentia (11 Schauergeschichten)

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Über dieses E-Book

In dieser Kurzgeschichtensammlung geht es um Unheimliches und Übernatürliches aus dem Donaumoos und dem Städtedreieck Ingolstadt-Augsburg-Neuburg. Es handelt sich um spannende Gruselgeschichten, die sich stilistisch an Klassikern wie Poe, Blackwood, King oder M.R. James orientieren, aber größtenteils in der Gegenwart spielen und teilweise auf tatsächlich vorhandenen regionalen Legenden basieren.
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum10. Mai 2020
ISBN9783740740474
Creszentia (11 Schauergeschichten)
Autor

Alexander Lorenz Golling

Alexander Lorenz Golling wurde 1970 in Augsburg geboren. Nach einem berufsbedingten Umzug nach Schwäbisch Gmünd ließ er sich 2011 in Neuburg/Donau nieder und begann dort mit dem Schreiben unheimlicher Kriminalromane und übernatürlicher Kurzgeschichten. Bisher wurden veröffentlicht: "Die letzte Rauhnacht", "Keltenmord", "Und es wurde finster" sowie "Creszentia (11 Schauergeschichten)".

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    Buchvorschau

    Creszentia (11 Schauergeschichten) - Alexander Lorenz Golling

    Inhalt

    Ein Vorwort – oder: Wie die Geister mich fanden

    Adele mit den großen Augen

    Das letzte Fresko

    Klassentreffen

    Lethargie des Nachmittags

    Irrlicht

    Die Wächter von Veruda

    Schneetreiben

    Blick in den Abgrund

    Ab-teilungen

    Creszentia

    Andreasnacht

    Ein Vorwort – oder:

    Wie die Geister mich fanden

    Es ist manchmal schon eine Qual, anderen Menschen zu erklären, warum man das tut, was man tut. In meinem Beispiel also das Schreiben.

    Tatsächlich wäre mir noch bis zu meinem vierzigsten Lebensjahr niemals in den Sinn gekommen, ein Buch zu verfassen, geschweige denn es auch in den Handel zu bringen. Nicht einmal die kürzeste Kurzgeschichte wäre drin gewesen.

    Jetzt, nach der Veröffentlichung dreier meiner Romane, könnte es ein Leichtes sein, meine Geschichte in diesem Punkt schönzufärben und zu behaupten, das alles wäre Teil eines größeren Plans gewesen. Seien Sie sicher: Einen solchen Plan hat es nie gegeben. Und es gibt ihn auch heute noch nicht, obwohl ich eigentlich ein sehr gut organisierter Mensch bin.

    Das kreative Element war anscheinend schon immer in mir vorhanden. Als Augsburger Musiker in den neunziger Jahren schrieb ich bereits die Songtexte für meine Rockgruppe; später spielte ich als Bassist für eine Heavy-Metal-Band in Schwäbisch Gmünd.

    Doch das Schreiben an sich begann ich erst, als ich wegen eines akuten Burnout-Syndroms für drei Wochen in einer Klinik in Neuburg an der Donau behandelt wurde.

    Warum?

    Ehrlich gesagt geschah es aus purer Langeweile. Und weil ich Zeit hatte, mich endlich auf mich selbst zu konzentrieren und alle unwichtigen Dinge außen vor zu lassen. Da kam mir eine Rückbesinnung auf einige Passagen meines Lebens als Kind in den Siebzigern gerade recht.

    Ich verschlang damals geradezu jene Kurzgeschichten, die in Form zweier englischer Anthologien im Wohnzimmerschrank meiner Eltern standen. Sie waren in Schwarz gehalten (typisch, könnte man sagen), und der Inhalt drehte sich in beiden Bänden ausschließlich um das Übernatürliche. Ich hatte keine Ahnung davon, dass es sich hierbei um eine Auswahl der großen englischen und amerikanischen Meister der Gruselgeschichte handelte. Aber M. R. James, Edgar Allen Poe oder E. F. Benson sagten mir damals mit meinen sieben, acht Jahren noch nichts.

    In den späteren Jahren waren King und Lovecraft unumgänglich. Dennoch war ich ein reiner Konsument; meine Interessen lagen in den zwanziger und dreißiger Jahren meines Lebens noch fast ausschließlich bei der Musik.

    Doch nun, allein in jenem Krankenzimmer, begann ich, etwas vollkommen Neues auszuprobieren. Warum nicht das alte Leben endlich hinter mir lassen? Tatsächlich hatte ich ja zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahren keine Musik mehr gemacht, sondern lediglich die schlechten Begleiterscheinungen dieses Jobs (also Rauchen und starker Alkoholkonsum) beibehalten. Also passte ich mein Verhalten endlich der Realität an. Was insgesamt auch gesünder war. Doch was nun? Irgendwohin musste ich ja mit meiner Kreativität. Ich besann mich auf meine alte und immerwährende Faszination in puncto Gruselgeschichten – und begann einfach, eine zu verfassen. Es war eine Vignette, die sich um den Friedhof eines kleinen, nicht mehr existenten Dorfes in der Nähe meines Wohnorts drehte und später die Grundlage meines ersten Romans »Die letzte Rauhnacht« wurde.

    Ich fand die Idee reizvoll, direkt über die Umgebung, in der ich lebte und arbeitete, zu schreiben. Dies ist auch der Grund, warum meine Romane und auch der größte Teil meiner Kurzgeschichten sich geografisch im Dreieck zwischen Augsburg, Neuburg und Ingolstadt bewegen. Man könnte auch sagen: im Donaumoos. Diese Landschaft hat bis heute, trotz Flurbereinigung und einigen anderen unverzeihlichen Kultivierungsmaßnahmen, immer noch etwas Unheimlich-Mystisches an sich, das sich nur schwer einordnen oder beschreiben lässt.

    Nach der Veröffentlichung meines zweiten Romans »Keltenmord« hatte sich in meinem Kopf der Stoff für etliche Geschichten angesammelt. Aber nicht alle Ideen haben automatisch das Potenzial für einen dicken Wälzer. Manche sind nur gut genug für eine knackige kurze Story; zu einem Roman aufgebauscht, würden wahrscheinlich große Strecken nur aus langweiligen Lückenfüllern bestehen. So begann ich, ab Ende 2015 zwischen der Arbeit an meinen Romanen immer wieder auch Kurzgeschichten zu schreiben. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.

    Dies ist nun der erste Sammelband, in dem ich die überzeugendsten Geschichten dieser Art zusammengefasst habe.

    So weit, so gut.

    Dennoch wurde und wird mir immer wieder eine Frage gestellt:

    Warum, Herr Golling, ausgerechnet dieses dunkle Zeug?

    Oftmals antworte ich darauf mit einer Gegenfrage: »Warum denn nicht?« Es gibt meines Erachtens schon genug Liebesromane auf dieser Welt. Und auch schon genug Kriminalromane, die man eher als humoristisch einordnen könnte. So vom Stil her wie die »Rosenheim-Cops«. Beides ist nicht mein Ding.

    Ich finde, dass fiktive Geschichten in erster Linie zur Unterhaltung da sind. Und was unterhält einen am ehesten? Das Unbekannte zum Beispiel. Das Rätselhafte. Das Geheimnisvolle. Das Abgründige und manchmal auch der pure Horror. Die Kralle der Vergangenheit, die unerwartet in die Gegenwart greift. Aber niemals das Offensichtliche. So bin ich also nur konsequent, wenn ich mich darauf konzentriere, Gruselgeschichten und dunkel-mysteriös angehauchte Kriminalromane zu schreiben.

    Eine weitere Frage, die mir manchmal gestellt wird, ist diejenige, ob ich denn an das Übernatürliche auch wirklich glaube.

    Und mir fällt dazu nur die gleiche Antwort von vorhin ein: Warum denn nicht?

    Ich lasse dies hier einfach mal so stehen und will Sie nicht länger vom Lesen abhalten. Dennoch zum Schluss zu jeder Geschichte ein paar kurze Sätze:

    Bei »Adele mit den großen Augen« geht es um eine unheimliche Fantasiefreundin, die den Protagonisten der Geschichte zu einem bestimmten Zweck heimsucht. Sie spielt in Augsburg und an Orten und Plätzen, die ich noch aus meiner Kindheit kenne.

    In »Das letzte Fresko« lüftet ein Hobbyforscher ein Geheimnis, das ihm nicht gut bekommt. Aber war nicht alles schon vorherbestimmt? Die Inspiration zu dieser Geschichte bekam ich durch die alte Ruinenkapelle im Spindeltal (für Nicht-Ortskundige: Es ist ein Seitental des Urdonautals); allerdings habe ich mir die künstlerische Freiheit genommen, aus einer Kapelle gleich eine ganze Abtei zu machen.

    Beim »Klassentreffen« geht es selbstredend genau darum. Nur, dass jenes zu einer grauenhaften und bizarren Reise in die Vergangenheit führt. Auch diese Geschichte ist wieder ein wenig autobiografisch, da als Vorbild für das Schulgebäude meine alte Volksschule in Augsburg-Lechhausen herhalten musste.

    Ich weiß nicht, ob schon jemals eine Horrorgeschichte mit sozialkritischem Anstrich geschrieben wurde. Wenn nicht: Mit »Lethargie des Nachmittags« habe ich wohl etwas Derartiges geliefert. Die Idee dazu kam mir übrigens beim Einkaufen an einem regnerischen Tag in Neuburg.

    Dass die Protagonisten einer Geschichte dem Leser immer sympathisch sein müssen, ist anscheinend zu einer Art ungeschriebenem Gesetz im Literaturbetrieb geworden. Doch was tun, wenn der Hauptfigur eine gehörige Lektion erteilt werden muss? So wie zum Beispiel in »Irrlicht«. Die Story spielt im Donaumoos und ist eine Abrechnung mit der Oberflächlichkeit eines gewissen Charaktertypus, der uns im Alltag immer wieder mal begegnet: dem Narziss.

    Im Falle von »Die Wächter von Veruda« gibt es, zumindest in geografischer Hinsicht, eine Ausnahme, denn die Geschichte spielt auf einer kleinen Insel vor der kroatischen Küste in der Nähe von Pula. Ich kenne sie seit meiner Kindheit und habe sie schon immer ein wenig als geheimnisvoll empfunden. Verwoben mit der Erscheinung einer antiken Sagengestalt, ist mir hier ein interessantes Experiment gelungen.

    Doch nun zurück ins Donaumoos: »Schneetreiben« ist eine fast schon ironische Beschreibung der Arbeit einer selbst ernannten Geisterjägertruppe in der Nähe der kleinen Gemeinde Pöttmes in Schwaben. Die Story basiert auf der dort lokal bekannten Brautlachlegende.

    »Blick in den Abgrund« hat einen psychologischen Ansatz. Wie gut können wir unsere Schwächen verbergen? Und was passiert, wenn jemand (oder etwas) uns diese hart und glasklar vor Augen führt und uns sogar zwingt, Dinge zu tun, die wir im Normalzustand niemals tun würden? Wie – am Beispiel dieser Geschichte – einen wahrlich abgrundtiefen Handel einzugehen, um nicht sterben zu müssen?

    Ähnlich geht es in »Ab-teilungen« zu: Das, was man nicht mehr braucht, wird von einem Bereichsleiter in einem Ingolstädter Betrieb auf Anweisung von oben gnadenlos wegrationalisiert. Alles ganz toll und wirtschaftlich – was aber empfindet er, als es ihn an empfindlicher Stelle plötzlich selbst trifft?

    »Creszentia« ist hingegen vollkommen anders. Zum ersten Mal habe ich hier eine Briefnovelle verfasst. Der Hauptprotagonist schreibt über die eigenartigen Vorgänge auf einem alten Wasserschloss im Donaumoos, wo er eine Stelle als Hilfskoch angenommen hat, an seine Frau in Neuburg. Dies spielt Ende des 19. Jahrhunderts, und dementsprechend habe ich auch die Sprache der Briefe an diese Epoche angepasst. Was nicht immer leicht war und sich für heutige Ohren vielleicht ungewöhnlich anhört – aber so war es damals nun mal.

    In die letzte Geschichte dieser Sammlung, »Andreasnacht«, habe ich gleich mehrere Elemente der klassischen Gruselgeschichte eingebaut: das abgelegene Landhotel, eine einsame, mystisch angehauchte Umgebung und den dämonischen schwarzen Hund, der in so vielen lokalen Legenden und Sagen auftaucht.

    So weit, so gut – ich will Sie jetzt wirklich nicht mehr länger aufhalten. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen und Gruseln!

    A. L. Golling, Neuburg an der Donau, im Winter 2020

    ***

    Adele mit den großen Augen

    Es war im Januar.

    Der Winter 1978 war lang und kalt. Die verschneiten Straßen wirkten trostlos; kein Weihnachtsschmuck machte sie mehr heimelig, keine Sterne hingen mehr in den Fenstern, und kein Tannenbaum war mehr erleuchtet.

    Wir lebten damals in einer kleinen Mansardenwohnung im tristen Augsburger Vorort Lechhausen.

    Die Weihnachtsgeschenke lagen auf dem Boden meines Kinderzimmers und hatten für mich ihren Reiz schon verloren; nur das Piratenschiff fand ich noch ganz toll. Ich spielte gerne damit.

    Freunde hatte ich kaum welche. Ab und zu kamen ein paar Klassenkameraden vorbei, mit denen ich mich dann im Viertel herumtrieb. Ansonsten war da aber niemand, der meine Vorliebe für Bücher hätte teilen können. Und Fußball war nicht mein Ding. Ist es auch heute noch nicht, aber ich schweife gerade ab.

    Wenn ich gesagt habe, dass unsere Wohnung klein war, so ist dies aus meiner heutigen Perspektive betrachtet. Denn damals war sie für mich natürlich riesengroß. Und meine Eltern reich wie Krösus. Was auch etwas übertrieben war.

    Mein Vater arbeitete in der Informatikbranche (würde man heute sagen – ich denke, damals hieß es schlicht und ergreifend Datenverarbeitung), und meine Mutter war Hausfrau.

    Nach der Schule bin ich, sobald die Hausaufgaben erledigt waren, entweder in die Traumwelt meiner Bücher entschwunden, oder ich streifte alleine durch die nahen Lechauen. Dort trieb ich mich am Ufer oder auf den Kiesbänken herum und suchte seltene Pflanzen oder Viehzeugs; manchmal fing ich sogar einen Frosch oder ertappte eine Ringelnatter beim Verspeisen eines solchen.

    Aber dafür war es ja nun zu kalt.

    Also ging ich zum Spielen nur in den Hinterhof oder in die Dachkammer, die nichts anderes als die Fortsetzung unserer Mansardenwohnung war. Dort suchte ich nach den alten Wespennestern des vergangenen Jahres oder hing meinen Gedanken nach.

    An einem besonders dunklen Tag – ich glaube, es war kurz nach Dreikönig – fühlte ich mich nicht wohl. Ich hatte schon die ganze Zeit Kopfweh gehabt und meine Mutter voll gejammert, sodass ich nichts zum Abendessen wollte und schon ziemlich früh zu Bett ging. Aber erst als die drückenden und pulsierenden Schmerzen nachließen, konnte ich einschlafen.

    Ich bin mitten in der Nacht wieder aufgewacht. Aus dem Wohnzimmer konnte ich gedämpft den Fernseher hören. Also waren meine Eltern noch nicht im Bett.

    Durch das Fenster schien der Mond. Er tauchte mein Zimmer in bläuliches Licht. Etwas hatte mich geweckt. Aber was?

    Die Umrisse der Möbel und Gegenstände konnte ich nur schemenhaft erkennen. Es war nichts zu sehen. Warum auch?

    Ich drehte mich auf die andere Seite, um weiterzuschlafen. Dann hörte ich es.

    Ein leises Flüstern nahe an meinem Bett.

    Geschockt war ich sogleich hellwach und riss die Augen auf. Doch ich sah immer noch nichts.

    Es war aber jemand anwesend. Oder etwas. Ich spürte es deutlich.

    Ein Klackern kam vom Ende meines Schreibtischs her, welcher mir gegenüber im rechten Winkel zum Bett stand.

    Lachen. Ganz eindeutig das Lachen eines Mädchens.

    Ich schrie auf.

    Nur wenige Sekunden später, für mich eine halbe Ewigkeit, ging meine Zimmertür auf, das Licht an, und mein Vater trat ein.

    »Was ist los? Hast du schlecht geträumt?«

    »Nein – da waren Stimmen. Ich habe sie gehört, ganz deutlich. Ich habe Angst.«

    »Du hast einen Albtraum gehabt. Es ist nichts passiert, Tommy. Schau, siehst du oder hörst du irgendwas? Ich nicht. Also ist da auch nichts. Geht es wieder?«

    »Ja … schon.« Die Worte meines Vaters hatten mich beruhigt. Er wandte sich wieder zum Gehen.

    »Du, ist da wirklich nichts?«

    »Nein, es ist alles in Ordnung. Kann ich jetzt das Licht wieder ausmachen?«

    »Ja.«

    Nachdem er die Tür geschlossen hatte, rollte ich mich in der hintersten Ecke meines Bettes zusammen und wartete, ob nicht doch noch ein grausiges Scheusal hinter dem Sessel hervorkriechen würde. Doch es kam nichts. Ich schlief wieder ein.

    Am nächsten Morgen hatte ich die unheimlichen Vorkommnisse schon wieder vergessen. Doch als während des Anziehens mein Blick auf den Schreibtisch fiel, sah ich meine normalerweise sorgsam geordneten Buntstifte wild durcheinandergeworfen herumliegen. Ein wenig wie Mikado.

    Also war doch etwas hier gewesen.

    Schnell räumte ich sie wieder auf. Meinen Eltern wollte ich nichts davon erzählen, denn sie würden mir sicherlich nur einen Anschiss verpassen und sagen, ich sollte besser auf meinen Kram aufpassen.

    »Hast du schon wieder keinen Appetit heute, Tommy? Normalerweise schmecken dir doch Spiegeleier gut!«

    »Nein, heute nicht. Ich habe Bauchweh«, antwortete ich auf die Frage meiner Mutter. Natürlich hatte ich keine Bauchschmerzen. Mir gingen lediglich die Geschehnisse der letzten Nacht durch den Kopf. Also stocherte ich gelangweilt in meinem Essen herum.

    »Du hast doch schon gestern Abend nichts gegessen. Das wird der Grund sein, warum dir nicht wohl ist. Ich glaube, ich stelle dir nachher noch ein wenig Zwieback und Kamillentee hin. Das hilft ganz gut bei Übelkeit.«

    Die Spiegeleier waren in Rekordgeschwindigkeit verschwunden …

    Es war ein trüber Samstag. Mein Spieltrieb wollte sich nicht so recht entfalten. Also setzte ich mich an meinen Schreibtisch und begann zu malen, was ich als Kind generell ziemlich oft tat; so ziemlich alles, was mich beschäftigte oder faszinierte, von der Springspinne angefangen bis zum Schlachtschiff, bannte ich auf Papier. Was ich heute zeichnete, war jedoch etwas ganz anderes, als ich bisher aufs Tapet gebracht hatte. Ich malte ein Monster, das sich hinter dem Sessel in meinem Zimmer verbarg. Nur die Klauen und Hörner konnte man hinter der Lehne hervorlugen sehen. Meine Mutter schaute kurz herein. Sie lächelte.

    »Du, ich gehe jetzt mal einkaufen. So in einer halben Stunde bin ich wieder da. Was malst du da eigentlich?«

    Sie blickte mir über die Schulter. Dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck.

    »Tommy, was ist das? Der Teufel?«

    »Nein, das ist ein Monster, das sich hinter meinem Sessel versteckt. Das sieht man doch, oder?«

    Sie lächelte nicht mehr. Stattdessen blickte sie mich besorgt an, etwa so, als hätte ich gerade Mumps und Masern auf einmal bekommen.

    »So was malst du? Wie kommst du denn darauf?«

    »Das – das weiß ich nicht, einfach so halt«, log ich.

    »Hm. Einfach so. Du hast eine blühende Fantasie, weißt du das? Ich gehe jetzt aber. Papa ist unten in der Garage und werkelt am Auto herum. Wenn was sein sollte …« – » …gehe ich hinunter zu ihm«, vollendete ich ihren Satz.

    »Genau! Bis dann.«

    Als die Haustür ins Schloss gefallen war, malte ich nur noch für eine kurze Zeit weiter.

    Unsere Wohnung war, so ganz ohne meine Eltern, ziemlich unheimlich. Und auf einmal so still.

    Mich beschlich das stetig intensiver werdende Gefühl, beobachtet zu werden. Zwar blickte ich mich immer wieder verstohlen um, konnte aber niemanden sehen. Die Luft schien sich auf eine seltsame Art und Weise zu verdichten.

    Ich atmete schwerer.

    Ein Liedchen pfeifend, um nicht vorhandenen Mut vorzutäuschen, packte ich nun meine Stifte zusammen und ging nach unten in den Hof.

    Mein Vater lag unter dem aufgebockten Auto und schraubte am Auspuff (oder so) herum.

    »Ist dir langweilig geworden?«, fragte er mich; seine Stimme klang in der Garage verhallt und irgendwie blechern.

    »Ja, schon. Mama ist beim Einkaufen. Ich wollte nicht alleine sein.«

    »Du wolltest nicht alleine sein? Aber das bist du doch normalerweise gerne, Tommy, stimmt’s? Passt was nicht?«

    »Doch, alles O. K.«

    Ich ging aus der Seitentür der Garage hinaus auf den angrenzenden Hinterhof. Meine Blicke schweiften umher und blieben an einem Fenster des Dachgeschosses hängen.

    Meinem Fenster.

    Denn dort hatten

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