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Das öde Land: und andere Geschichten vom Ende der Welt
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eBook268 Seiten3 Stunden

Das öde Land: und andere Geschichten vom Ende der Welt

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Über dieses E-Book

Fantastische Geschichten aus Vergangenheit und Zukunft, den fernen Winkeln der Welt und vom Ende aller Tage.
Ein Dieb auf der Flucht im Orient Express. Eine Mission ins strahlende Zentrum der Galaxis. Ein Wasserspeier auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Die letzten Tage der Menschheit in den Weiten der Antarktis ...

Vierzehn Reisen hinaus in die Ferne jenseits des Horizonts und hinab in die Tiefen der Seele.
Dieser Band vereint Oliver Plaschkas gesammelte Kurzgeschichten in neuer Überarbeitung mit zahlreichen Erstveröffentlichungen. Außerdem dürfen sich Leser seiner Romane auf ein Wiedersehen mit Figuren aus London, Paris und Fairwater freuen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum4. Jan. 2017
ISBN9783940036599
Das öde Land: und andere Geschichten vom Ende der Welt

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    Buchvorschau

    Das öde Land - Oliver Plaschka

    Lesetipps

    Vorwort

    Kurzgeschichten führen auf unserem Buchmarkt ein Schattendasein: Wenige lesen sie, noch weniger kaufen sie, und kaum ein Verlag bezahlt einen Autor dafür. Dabei weiß ich noch gut, dass der Markt einmal anders aussah.

    Ich erinnere mich an die dicken Science-Fiction-Anthologien meiner Kindheit und Jugend, die einen selbstverständlichen Platz in den Buchhandlungen wie auf den Regalen meiner Freunde besaßen. Ich erinnere mich an das Herzklopfen, als mir während meines Studiums zum ersten Mal eine der schwarzen Arkham-House-Ausgaben mit Geschichten H.P. Lovecrafts in die Hände fiel. An die Ehrfurcht, die Lord Dunsany in mir auslöste, an die poetische Sprache Ray Bradburys und an die schiere Verzweiflung, die aus den Geschichten von James Tiptree Jr. sprach.

    Ich nenne diese Namen nicht, um mich in ihrem Licht zu sonnen – sondern um zu bekennen, wie tief ich fiel, denn natürlich war jeder von ihnen zur einen oder anderen Zeit mein Vorbild.

    Ich begann mit dem Schreiben von Kurzgeschichten erst nach meinen ersten Romanversuchen. Prägend war meine Zeit in der Creative-Writing-Gruppe des Anglistischen Seminars der Universität Heidelberg, wo ich mit meinen späteren Kollegen Matthias Mösch, Alexander Flory oder Erik Hauser über Eliots objective correlative und Hemingways Eisberge diskutierte. Dass wir in dieser Gruppe ausschließlich auf Englisch schrieben, half mir nicht nur, mich auf die wesentlichen Techniken zu konzentrieren, es ebnete mir auch den Weg, mich mit einer internationalen Gemeinschaft im Internet auszutauschen, ehe dort zwischen Fanfiction und ungeschriebenen Trilogien kaum noch Platz für all jene blieb, für die Handwerk oder Atmosphäre einer Geschichte mindestens ebenso interessant wie ihr Inhalt waren. Die meisten Erzählungen in dieser Sammlung waren irgendwann einmal auf Englisch, und alle verdanken sie ihre Existenz dem Austausch mit anderen Autoren.

    Eigener Stil, sagt Barneby in den Magiern von Montparnasse, ist das Ergebnis gescheiterter Imitatio. Diese Wahrheit gilt meines Erachtens für jeden Kunstschaffenden, und ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht. Besagte Kunst, frei nach Hemingway, besteht darin, weit genug danebenzugreifen, dass man als Original durchgeht. So war Fairwater immer ein Schuss in die Richtung, in der ich Twin Peaks vermutete, ohne Twin Peaks je gesehen zu haben; und mein zweiter Roman spielte auch deshalb in Paris, weil Peter S. Beagle – aus dessen Innkeeper’s Song ich die Erzählsituation der Magier übernahm – seinen zweiten Roman nicht in Paris ansiedeln konnte, sondern stattdessen The Last Unicorn schrieb.

    Man kann es sich häufig nicht aussuchen, wann und in welcher Form etwas letztlich erscheint, und ich hatte immer große Probleme mit der erschöpften Feststellung, kein Text werde je fertig, aber jeder Text müsse irgendwann aufgegeben werden. Mir fällt dieses Loslassen sehr schwer, und ich neige dazu, jedes Mal, wenn ich über eine alte Geschichte stolpere, mich über meine Versäumnisse zu ärgern; schließlich markieren diese Texte in all ihren Fehlern auch die bi(bli)ographischen Stationen des eigenen Lebens (um hiermit auch James Branch Cabell die Ehre zu erweisen).

    So gesehen vereinen die Geschichten vom Ende der Welt also all jene meiner Fehlschläge, die bislang in versprengten und teils vergriffenen Anthologien erschienen, in neuer, überarbeiteter und etwas weniger gescheiterter Form als zuvor.

    »Der Heimkehrer« ist eine der fünf Erstveröffentlichungen in diesem Band und vielleicht ein gutes Beispiel für den Versuch, das Wesentliche einer Erzählung unausgesprochen zu lassen. Ihre Grundidee ist meiner eigenen Flugangst geschuldet, gleichwohl ist es eine der positivsten Geschichten der Sammlung, weshalb sie an erster Stelle steht.

    »Drachenschwingen« ist eines der beiden Märchen. Es entstand, wie Geschichten leider viel zu selten entstehen: in wenigen Arbeitsgängen innerhalb einer einzigen Woche, mit nur wenig Bedarf an späteren Korrekturen. Ähnlich wie »Die Insel« oder das Zwischenspiel in Fairwater dreht sich die Geschichte des Wasserspeiers um Frosts alte Frage nach dem nicht gewählten Weg im Wald und um unseren Wunsch, das Ende jedes (oder keines) Weges zu kennen. Ursprünglich schrieb ich »Drachenschwingen« für eine Sammlung von Fabienne Siegmund; die Maus Ferdinand verdankt ihre Existenz der Ratte Wilkinson aus Neil Gaimans Sandman. Es existiert eine wunderbare Hörspielfassung von Narratu (Verlag Peter Krüger).

    »Der Fall des verwunschenen Schädels« war meine erste Geschichte über den berühmten Meisterdetektiv Sherlock Holmes. Sie entstand für Alisha Bionda und wurde zur Titelgeschichte ihres Bandes; ihr Inhalt ist allerdings einem Missverständnis geschuldet, das mich glauben ließ, sie solle Bezüge zum haitianischen Voodoo aufweisen. Eine wichtige Vorbildfunktion bei meinen unsicheren Schritten in Sir Arthurs Welt erfüllte wiederum Peter S. Beagle, der für »Mr. Sigerson« ebenfalls die Perspektive eines Außenseiters einnahm, der Holmes Abenteuer anstelle des üblichen Chronisten Dr. Watson berichtet. Jeder Logik zum Trotz gab Peter einer seiner Figuren meinen Nachnamen; deshalb benutzt Holmes für sein (kanonisches) Alias auch bei mir den (nicht kanonischen) Vornamen Oscar, den er in »Mr. Sigerson« trägt. Ein paar Jahre später kehrte ich noch einmal in Sir Arthurs Kosmos zurück, als ich mit Erik Hauser die Novelle »Die Wahrheit über Sherlock Holmes« verfasste, die im Fabylon-Verlag in der Sammlung Sherlock Holmes und die Tochter des Henkers erschien.

    »Ruthie« mag als eine weitere Stilübung gelten: Fast alles in der Geschichte weist einen Bezug zu Wiedergeburt oder dem Wunsch nach einem Neubeginn auf – viel mehr blieb mir auch nicht übrig, um meinen Aberglauben im Zaum zu halten, als ich an einem Freitag dem 13. unerwartet den »Tod« in meinem Briefkasten fand, den Fabienne mir für ihre Sammlung Das Tarot zugelost hatte. Zu meiner eigenen Überraschung ging mir die Arbeit recht leicht von der Hand, vielleicht auch deshalb, weil ich für das Ende schamlos die rauschhafte Sprache von James Tiptree Jr. im Sinn hatte.

    Die zweite (deutsche) Erstveröffentlichung in dieser Sammlung ist »Die Insel«, die zugleich als bislang einzige meiner Erzählungen keinerlei fantastische Elemente aufweist. Dabei wäre sie fast eine Hobbit- Geschichte geworden, wenn mich der fragliche Verleger nicht in letzter Sekunde wieder ausgeladen hätte. Da ich aber ohnehin nie ein gutes Gefühl bei der Verwendung von Tolkiens Schöpfungen hatte, benutzte ich die Idee für unseren nächsten Creative-Writing-Band: Aus Hobbits wurden Piraten, aus dem Auenland eine Insel, die Geschichte aber blieb die gleiche. Das meine ich damit, wenn ich sage, dass der vordergründige Inhalt einer Erzählung oft zweitrangig für mich ist.

    »Solis’ Stimme« markierte meinen ersten, erfolglosen (und auch einzigen) Versuch, in ein namhaftes englischsprachiges Magazin aufgenommen zu werden. Sie erschien dann schließlich – als meine erste bei einem Verlag veröffentlichte Kurzgeschichte – in der von David Grashoff herausgegebenen Sammlung Disturbania. Ursprünglich für einen Halloween-Abend entstanden, gab es bald eine Horror- und eine Science-Fiction-Version, und eine, in der sich Solis alles nur einbildet, bis schließlich die gegenwärtige, leicht ironische Fassung entstand, die Elemente all dieser Varianten verbindet.

    Eine unverhoffte Nebenrolle in gleich drei Geschichten spielt Céleste aus den Magiern von Montparnasse. Wer den Roman kennt, weiß um das komplizierte Verhältnis, das sie zu Barneby und besonders seiner Katze Serafina pflegt. Am Ende der Magier erleidet Céleste einen Unfall, nach dem ihr weiteres Schicksal ungewiss bleibt. Einen kurzen Blick auf die Zeit danach gibt es in »Drachenschwingen«; einen etwas längeren auf die Zeit vor 1926 und die Vorfälle auf Haiti, die Barneby in den Magiern erwähnt, gewährt »Der Fall des verwunschenen Schädels« (auch wenn das heißt, dass in Célestes Welt sowohl Sir Arthur als auch seine Schöpfung existieren). Antwort auf ihre Ursprünge sowie einige weitere Andeutungen Barnebys gibt »Die Frau, der Magier, seine Katze und deren Geheimnis« – eine Geschichte, der außerdem die Aufgabe zufällt, eine Brücke vom Kristallpalast über die Magier bis zu Fairwater zu schlagen und offene Fragen aus allen drei Büchern zu beantworten, insbesondere die nach der Identität jenes weißgekleideten, oftmals einäugigen Gentlemans, Magiers und Spiegelhändlers, dessen Name verlässlich mit einem »B« beginnt. Vor allem aber gibt es ein Wiedersehen mit Miss Niobe. Wer den Kristallpalast noch nicht kennt, sei gewarnt, dass die Geschichte auch einige klärende Worte zu den Geschehnissen am Ende des Romans findet.

    Die wohl offensichtlichste Science-Fiction-Geschichte in diesem Band ist »Die kreisende Schwärze«, die den geduldigen Wahn ihres ursprünglichen Titels (»The Patient Madness«) aber von einer distanzierten Warte und in einer barocken Sprache schildert, die eher den Schauergeschichten des neunzehnten Jahrhunderts nachhängt.

    Eine weitere Viele-Jahre-später-Geschichte, diesmal zu Fairwater, ist »Solomons Märchen«. Sie entstand ebenfalls für eine Sammlung Alishas, diesmal im Verbund mit Tanya Carpenter. Verlangt wurden humorvolle, kriminalistische Beiträge – was also lag näher als ein Wiedersehen mit Gloria und Jerry aus der »Fairwater-Affäre«?

    »Die Grenze« entstand unter dem Eindruck verschiedener Medienberichte über Waldbrände und Entführungen in einem Sommer vor etwa zehn Jahren, und war – unter dem Titel »The Range« – meine erste Veröffentlichung überhaupt, wenn man die von Matthias und mir herausgegebene Sammlung Gagarin’s Underpants mitzählt. Ich habe sie in den Jahren darauf mehrfach überarbeitet, auch wenn das hieß, eine ohnehin schon schwarze Tür immer schwärzer zu streichen. Der Antagonist der Erzählung, Melchior Ekala (ein wunderbarer Name, den ein alter Freund in einer Rollenspielrunde kreierte) geriet darüber so dämonisch, dass ich, gleich dem tatenlosen Erzähler, bald nicht mehr sicher war, ob er überhaupt existierte. »Die Grenze« erscheint hier erstmals auf Deutsch.

    Die kurze Vignette »Jenseits der Mauer des Morgens« ist ähnlich wie »Die kreisende Schwärze« der Gothic fiction zugetan und zitiert im Titel H.P. Lovecrafts »Beyond the Wall of Sleep«. In extrem gestutzter Form fand sie in letzter Minute Aufnahme in eine Sammlung von Boris Koch und darf sich hier in neuem Gewand – und ungeachtet ihres beklemmenden Inhalts – endlich frei entfalten.

    Meine wohl am häufigsten umgeschriebene Geschichte dürfte »Jimberlyne, Jimberlyne« sein – das zweite Märchen und die älteste Erzählung dieser Sammlung. Ihre Ursprünge führt sie auf das drogenschwangere Instrumental »She Came Through the Chimney« von Amon Düül II zurück, und in jeder Inkarnation überraschte sie mich aufs Neue, obgleich das Herausarbeiten ihrer zentralen Motive und Symbole zunehmend zu einem Akt der Leichenfledderei geriet. Schließlich fand sie Eingang in eine von Iris Grädler zusammengestellte Vampir-Anthologie, auch wenn Jimberlyne wohl ebenso wenig ein klassischer Vampir sein dürfte wie Céleste.

    »Der blinde Passagier« entstand ebenfalls für einen unserer Creative-Writing-Bände: Dark Passages spielte an Bord des Orient-Expresses, in einer Welt des Übernatürlichen, die »The Stowaway« als letzter Beitrag der Sammlung zum Abschluss bringen durfte (oder, wie so oft in der Phantastik, vielleicht auch nicht). Jahr und Rahmenhandlung teilt sich die Geschichte mit dem »Fall des verwunschenen Schädels«, ihre Ursprünge liegen ebenfalls in einer alten Rollenspielrunde begraben (die Krone, um die es geht, gehörte einst einer gewissen Karemonsic). Auch »Der blinde Passagier« erscheint in dieser Sammlung das erste Mal auf Deutsch.

    Die Abschlussposition, die er aufgab, nimmt stattdessen eine weitere Erstveröffentlichung ein: »Das öde Land« ist in seinem Titel (und vielleicht auch seinen Ängsten) eine Verbeugung vor T.S. Eliot. Doch ähnlich wie der Schrecken der »Kreisenden Schwärze« für mich nicht so sehr den okkulten Motiven, sondern der Schönheit der fernen Vereinigung von Milchstraße und Andromeda in vier Milliarden Jahren entspringt, ist es in »Das öde Land« weniger die existentielle Leere, die in meinen Augen die Atmosphäre der Geschichte ausmacht, als der Gedanke an jenen durchaus realen Neutrinodetektor IceCube, einen Würfel von einem Kilometer Kantenlänge, und das South Pole Acoustic Test Setup (SPATS), das unter dem antarktischen Eis auf die letzten großen Fragen der Wissenschaft lauscht – was uns gleich Miss Niobe daran erinnern sollte, dass die Welt des Sichtbaren manchmal nicht weniger wunderbar ist als die des Unsichtbaren, an deren Grenze die meisten der Geschichten vom Ende der Welt spielen.

    Ich danke Torsten Low für sein Vertrauen und sein Engagement auf unserem kleinen, hart umkämpften Markt, ebenso wie den verschiedenen Herausgebern, die mir die letzten Jahre einen Platz in ihren Anthologien einräumten und auf Messen und anderweitig ihre Erfahrungen mit mir austauschten – namentlich Alisha Bionda, Tanya Carpenter, Fabian Dombrowski, Iris Grädler, David Grashoff, Boris Koch, Ingrid Pointecker und Fabienne Siegmund, außerdem Matthias Mösch, Monika Pleyer und allen Mitgliedern unserer Creative-Writing-Gruppe; sowie nicht zuletzt Vanessa Kaiser und Thomas Lohwasser, die auch das Korrektorat dieser Sammlung übernahmen.

    Oliver Plaschka

    Der Heimkehrer

    Um ein Uhr früh bog der Kombi in seine Einfahrt.

    Harold wollte nicht gehen.

    Ein trügerischer Frieden hatte sich über die Palmen und Agaven des nächtlichen Gartens gelegt, und es kam ihm so vor, als ob der Kombi etwas Bedrohliches wäre, das nun schlangengleich über den Rasen auf ihn zuglitt. Auf einmal dachte er wieder an das Dach, das er ausbessern, und den Pool, den er reinigen musste, und an seine angebrochene Flasche Bourbon und das angebrochene Kreuzworträtsel und all die vielen anderen guten Gründe, nicht in diesen Wagen zu steigen, sondern hier auf seinem schützenden Berg in der warmen Brise des Pazifik zu bleiben. Doch er wusste, dass ihm kaum eine Wahl blieb.

    Argwöhnisch verfolgte er, wie die schimmernden Türen sich lautlos öffneten. Susan und ihr Mann stiegen aus und winkten ihm zu.

    »Ihr seid spät dran«, stellte er fest, während sie näherkamen. Die Finger hatte er fest um den Griff des Samsonite geschlossen. »Wollten wir nicht schon vor Mitternacht los?«

    »Hi, Daddy«, sagte Susan und drückte ihn kurz. Er verkrampfte sich. »Es tut mir leid. Es gab einfach noch so viel zu regeln, ehe wir uns für ein paar Tage aus dem Staub machen konnten ...«

    »Wollen wir hoffen, dass euer Wagen der Herausforderung gewachsen ist.« Er kniff skeptisch die Augen zusammen. »Kommt’s mir nur so vor, oder werden sie von Jahr zu Jahr kleiner? Ist das ein japanisches Fabrikat?«

    »Guten Abend, Mr. Tanner.« Steve hielt ihm die Hand hin. »Wie geht es Ihnen?«

    »Gut, gut«, sagte Harold und schüttelte seine Hand, ohne ihn richtig zur Kenntnis zu nehmen. »Ist das nicht eine Menge Gepäck da im Kofferraum?«

    »Wir haben nicht halb so viel gepackt wie du«, scherzte Susan. »Wieso nur musst du immer wie für eine Weltreise packen? Steve, hilf mir doch mal.«

    »Ist nicht meine Schuld«, sagte Harold, während seine Tochter und sein Schwiegersohn ihr Bestes gaben, den schweren Samsonite auf der Rückbank zu verstauen. »Niemand hat Donna darum gebeten, in Vegas zu heiraten. Herr im Himmel! Ich hätte ihnen eine schöne Hochzeit hier in La Jolla ausrichten können, und wir hätten nicht durch die verdammte Wüste dafür fahren müssen.«

    »Daddy, lässt du es bitte gut sein? Wir haben das seit Thanksgiving diskutiert. Deine Älteste hat ihren großen Tag, und da darf sie sich auch aussuchen, wo sie feiert, selbst wenn es dir ein paar Unannehmlichkeiten bereitet. Oder uns, was das angeht. Wenn sie Vegas will, soll sie Vegas kriegen.«

    »Was ist mit Jennifer?«, fragte Harold. »Hast du schon was von Jennifer gehört?«

    Sie zögerte. »Sie wird auch da sein, Daddy. Sie freut sich schon sehr, dich zu sehen.«

    »Wieso? Was verspricht sie sich davon?«

    »Sie verspricht sich einen schönen Tag mit ihrer Familie, Daddy. Nicht mehr und nicht weniger.«

    »Die letzten fünf Jahre waren wir alles, aber keine Familie, Susie, und das weißt du genau.«

    Sie kam näher und griff seine Hand. »Bitte, Daddy. Fang nicht wieder damit an.«

    »Na schön.« Er räusperte sich. »Vegas erwartet uns. Wie lange brauchen wir bis Sin City?«

    Susan warf ihrem Mann einen eindringlichen Blick zu. »Vor Sonnenaufgang sind Sie in Ihrem Bett«, versicherte ihm Steve. »Das ist ein schneller Wagen, Mr. Tanner. Sie werden kaum etwas merken. Er hat diese neue Art von Zellen.«

    »Wollen wir hoffen, dass ihr dran gedacht habt, sie auch zu laden«, murmelte Harold, warf einen letzten Blick auf seinen Garten und nahm dann auf der Rückbank Platz. »Brechen wir besser auf, ehe ich’s mir noch anders überlege. Vor Sonnenaufgang, was? Na schön. Je weniger ich von all dem mitkriege, desto besser.«

    »Also, ich muss schon sagen«, murmelte er, während hinter ihnen die Lichter La Jollas wie der Sternenhimmel hinter Wolken verschwanden. »Das ist wirklich ein nettes, leises Auto. Und geräumiger, als ich dachte.«

    Im Rückspiegel konnte er sehen, wie Steve und Susan abermals argwöhnische Blicke tauschten. »Es ist schon eher ein Van als ein Kombi«, sagte Steve. »Wir dachten, genau das Richtige für Gelegenheiten wie diese.«

    »Gelegenheiten wie welche?«

    »Wenn wir nicht fliegen«, erklärte Susan.

    »Wenn ihr euren umständlichen alten Herrn durch die Gegend kutschieren müsst, meint ihr wohl«, brummte Harold und griff nach seinem Koffer, wie um sich zu vergewissern, dass er noch da war.

    »Ich hab gesehen, dass du noch deinen alten Pick-up hast«, wechselte Susan das Thema.

    »Aber sicher doch. Ich hab immer gesagt, das einzige Gefährt, dem ich mich je wieder anvertraue, muss schon ein Ford sein. Ich mache hier eine Riesenausnahme für dich, Susie.«

    »Manchmal glaube ich, du bist der Letzte, der noch weiß, wie ein Verbrennungsmotor riecht.«

    »Ich und meine verdammten Nachbarn.« Harold gackerte.

    »Ihr habt immer noch Streit?«

    »Die ganze Gegend geht doch den Bach runter.«

    »Wahrscheinlich macht es sie nicht gerade attraktiver, wenn man Reporter mit einer Schrotflinte verjagt.«

    »Hüte deine Zunge, junge Dame.«

    Sie befeuchtete ihre Lippen. »Weißt du, Daddy, du musst nicht ganz allein da oben wohnen. Wir haben jede Menge Platz bei uns, und wir könnten noch anbauen. Ich dachte mir, solange die Regierung zahlt ...«

    Harold lachte. »Bei dir klingt das ja, als ob ich reich wäre. Damit du’s weißt, das bin ich nicht, und mit jedem Jahr, das die Demokraten dran sind, wird es schlimmer.« Er schüttelte den Kopf. »Die Preise explodieren ja geradezu. Und denk ja nicht, ich rede nur von der Alkoholsteuer! Ich rede von Wasser und Strom, Handwerkern, Arztkosten, Benzin ...«

    »Gehst du noch häufig zum Arzt, Daddy?«, fragte Susan.

    »Nein«, sagte er. »Das war nur ein Beispiel.« Darauf schwiegen sie eine Weile.

    Harold schaute aus dem Fenster. Durch das leicht getönte Glas wirkten die Sterne wie von einem Schleier verborgen, als ob das Innere des Kombis, das vielleicht doch nicht so geräumig war, wie er gedacht hatte, realer und in jedem Falle greifbarer wäre als die Unendlichkeit, die ihn von allen Seiten umgab ... Er biss die Zähne zusammen und wandte den Blick ab.

    Susan und ihr Mann hatten die Stimmen gesenkt und redeten über was auch immer er ihrer Meinung nach nicht zu hören brauchte.

    Er durchsuchte seine Taschen. Er fand seinen Füllfederhalter, seine Tabletten, ein paar alte Visitenkarten, die er nicht mehr benötigte, sein Taschentuch und den Geldbeutel mit seinen Kreditkarten, dem Führerschein und etwas Kleingeld. Er steckte alles wieder ein und versuchte, seine Beine in eine bequemere Position zu bringen.

    Eine Weile studierte er die Kontrollleuchten im Cockpit, dann wanderte sein Blick nach oben, wo eine weitere getönte Scheibe in den cremefarbenen Fahrzeughimmel eingelassen war. Das feine Gittermuster darin war kaum zu erkennen. »Solarzellen«, murmelte er.

    »Hast du in letzter Zeit was von Onkel Bobby gehört?«, erkundigte sich Susan.

    »Nein. Warum fragst du?«

    »Nur so. Das letzte Mal, als ich ihn gesprochen habe, meinte er, es würde ihn sehr freuen, mal wieder von dir zu hören.«

    »Er kann mich jederzeit anrufen«, entgegnete Harold. »Aber die letzten fünf Jahre war Major Robert Grant wohl zu beschäftigt

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