Noch einmal daran gedacht: Neue Glossen, Randbemerkungen und Aufreger
Von Nikolaus Klammer
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Über dieses E-Book
Der, der euch neue Gedanken
und Geschichten bringt - das bin ich.
Und alles, was ihr vorher gehört habt, ist nur ein Wind.
Jetzt erzähle ich!
Nikolaus Klammer übt das Handwerk des Geschichtenerzählers aus, seit er sprechen kann - also schon eine lange, lange Zeit.
Er lebt und schreibt im verträumten Diedorf bei Augsburg, ist seit über dreißig Jahren glücklich verheiratet und hat zwei inzwischen erwachsene Söhne, die längst auf eigenen Füßen stehen. Seit 2013 führt der Autor seinen Internetblog "Aber ein Traum", aus dem er für dieses Buch seine besten Texte über Literatur und das Schreiben herausgesucht hat. Wer Vergnügen an kurzweiligen, mit Humor, Geist und Esprit geschriebenen Essays, Kolumnen, Kritiken und Gedankensplittern hat und die Sprache liebt, wird sich mit dieser Sammlung sofort wohlfühlen.
Aus dem Inhalt:
"Unser Weihnachten, damals ..." - "Der Westernheld" - "Das Brautpaar der Woche" - "Wie man eine Kritik schreibt, ohne das Buch jemals gelesen zu haben" - Das Leid mit der Lyrik" - "Autoren und ihre Bücher" - "Unwürdige Lektüren" - "Der erste Satz" und vieles mehr.
Nikolaus Klammer
Nikolaus Klammer erblickte am 10. Februar 1963 das Licht dieser besten aller Welten. Er übt den Beruf des Geschichtenerzählers aus, seit er sprechen kann - also schon eine lange, lange Zeit. Er lebt und schreibt im verträumten Diedorf bei Augsburg, ist seit über dreißig Jahren glücklich verheiratet und hat zwei inzwischen erwachsene Söhne, die längst auf eigenen Füßen stehen.
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Buchvorschau
Noch einmal daran gedacht - Nikolaus Klammer
Nikolaus Klammer
Noch einmal daran gedacht
⚜
Die besten Essays aus meinem Blog
»Aber ein Traum«
EBOOK-Ausgabe
img2.pngTexte und Bilder:
© Copyright by Nikolaus Klammer
Umschlaggestaltung:
© Copyright by Nikolaus Klammer
klammer@email.de
Druck:
epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
»Und wer von uns Kritikern hätte nicht seinen Wein verfälscht? Manch giftiger Mischmasch geschah in unsern Kellern, manches Unbeschreibliche ward da getan. Ach, wie bin ich all des Unzulänglichen müde, das durchaus Ereignis sein soll! Ach, wie bin ich der Kritiker müde!«
Friedrich Nietzsche
Ein Schriftsteller ist eine Person,
die sich der Illusion hingibt,
es werde ein weiteres Buch von ihr erwartet.
Reinhard Lettau
INHALT
EINGANG
KAPITEL 1
DAS WAHRLÜGEN
Vorbemerkung
Das Wahr-Lügen und das Wahre Lügen
Unser Weihnachten, damals …
Westernheld für einen Tag
Bei den Großeltern
Die Verachtung
Das Brautpaar der Woche
Wie man Kritik schreibt, ohne das Buch jemals gelesen zu haben ...
Verhülltes und Enthülltes
KAPITEL 2
ÜBER LITERATUR
Das Leid mit der Lyrik
Der Dichter versucht sich als Denker
Minnegesang
Autoren und ihre Bücher:
Arno Schmidt/Thomas Pynchon/Alice Munro
F. M. Klinger/Gabriel Ferry/Cesare Pavese
Unwürdige Lektüren
Der erste Satz
INHALT
KAPITEL 3
AUTORENLEBEN
Form und Farbe
Solche Tage
Was ich noch sagen wollte
AUSGANG
EINGANG
Darf ich eigentlich die Leser meiner Bücher duzen? Mir wurde kürzlich in einer anonymen Nachricht vorgeworfen, dass dies arrogant und eine unverschämte Respektlosigkeit sei, die Überheblichkeit eines »Ultra-Intellektuellen, der den Normalsterblichen das Licht des Geistes predigen möchte«.
Aber hallo! Mein Respekt für diesen Satz, denn solch eine 'ultra-intellektuelle' Kritik an meiner Person hätte ich mir nicht selbst ausdenken können. Denn in Wirklichkeit ist so ziemlich das Gegenteil der Fall; ich bin weder herausragend intelligent, noch besonders talentiert und die mir unterstellte Überheblichkeit nur ein Schutzschild, das mir hilft, solche Angriffe zu abzublocken. Und ich bin auch kein Prediger, denn mir fehlt jedes Sendungsbewusstsein. Und aus diesem Grund duze ich einfach weiterhin, denn ich will mich meinen Lesern so nahe fühlen, als wären sie gute Bekannte von mir - vielleicht sogar Freunde:
Liebe Leserin, lieber Leser. Du nimmst dir die Zeit, dieses Buch in deiner freien Zeit zu öffnen, hier meine Gedanken und Texte zu lesen und sie ab und an mit einem Lächeln, einem »Gefällt mir!« oder auch einem Stirnrunzeln zu kommentieren. Ich stelle mir dich während des Schreibens als einen guten und geduldigen alten Freund vor, dem ich von mir und den Dingen, die mich beschäftigen, erzähle. In meiner Fantasie sitzen wir nahe beieinander in bequemen Sesseln, nippen ab und an von einem Glas Wein (oder auch Limonade, falls du heute noch fahren musst) und im Hintergrund singen leise Buddy Guy und Ian Anderson.
Immer wieder einmal schmunzelst du, lachst vielleicht sogar, manchmal nickst du ernst oder ziehst erstaunt und fragend die Augenbrauen in die Höhe. Ich kann Freude und Zustimmung, manchmal aber auch Betroffenheit, Skepsis oder Trauer in deinem Gesicht erkennen. Mag sein, dass ich dich mit ein paar meiner Zeilen und Meinungen geärgert habe und du mich dann am liebsten wütend unterbrochen hättest, um einen Einwurf zu machen. Aber du hast leider keine Gelegenheit dazu, weil ich dich bei meinen endlosen Monologen nicht zu Wort kommen lasse. Sicher bist du manchmal abgelenkt und hoffst, ich würde endlich zum Schluss kommen. Klar, manchmal zieht es sich, verwende ich zu viele Worte für zu viel Inhalt, wiederhole mich zu häufig. Trotzdem lauscht du meinen Gedanken weiter, tolerierst meine Fehler - auch die häufigen Tippfehler - und machst mir das Geschenk deiner Aufmerksamkeit und deiner Zeit. Das ist etwas so Kostbares, dass ich es nicht leichtfertig verschwenden möchte und mein kurzes Vorwort deshalb beende.
img3.jpgDein Nikolaus.
1. KAPITEL
DAS WAHRLÜGEN
⚜
VORBEMERKUNG:
ACHT FRAGEN, DIE MAN EINEM AUTOR NACH DER LESUNG AUF KEINEN FALL STELLEN SOLLTE
Autoren - hier sind selbstredend immer auch das Autor und die Autorin gleich welcher geschlechtlichen Vorliebe, Ausprägung und körperliche und seelischer Ausgestaltung und Ausstattung mitgemeint - denn ich werde niemals den unsäglichen Gendergap oder einen anderen semiotischen Unfug in meinen Texten einführen{1} -, machen nie freiwillig eine Lesetour quer durch die Buchhandlungen der Provinzstädtchen der Republik, um ihre Bücher anzupreisen und aus ihnen vorzutragen, sondern sie sind in aller Regel von ihrem Verlag dazu gezwungen worden, Werbung für ihr neues Werk oder sich selbst zu machen.
Durchaus jeder Autor - der ja, wie allgemein bekannt -, am liebsten in seinem Dachjuchhe (Das Wort Dachjuche ist wie molestieren{2} oder Idiosynkrasie eines von meiner privaten roten Liste der schönen, aber leider beinahe ausgestorbenen Wörter. Ich mag es und habe es gerade wieder bei dem leider schon verstorbenen Dieter Kühn gefunden. Es ist also auch eine Verneigung vor diesem Schriftsteller, wenn ich es in diesem Büchlein ein-, oder zweimal verwenden werde) einsam in sein Moleskine kritzeln oder auf die Tastatur hämmern möchte und alltäglich nach dem Motto »Ich will nichts erleben, denn ich bin Schriftsteller« lebt, hasst es, auf diese Weise in die Öffentlichkeit gezerrt zu werden und sich dort zu prostituieren und vor Publikum zu »lesen«. Es gibt eine große Anzahl von Autoren wie z. B. Patrick Süskind oder Thomas Pynchon, die sich dieser Zumutung komplett entziehen und sich nicht einmal für ein Werbefoto ihres Verlags ablichten lassen. Schließlich sollte doch, auch wenn es heute aus der Mode ist, der Schriftsteller hinter seinem Werk verschwinden und nicht umgekehrt.
Denn solch ein literarischer Abend mit dem Autor geht selten gut. Vor einer äußerst überschaubaren Gruppe beflissener Zuhörerinnen - in aller Regel sind das liebreizende Buchhändlerinnen, neugierige Lehrerinnen oder gelangweilte Doktoren-Gattinnen kurz vor dem Klimakterium, denn das »Lesen« ist ja heutzutage eine rein weibliche Beschäftigung -, gibt der Autor mehr oder weniger verschämt Ausschnitte aus seinem Werk zum Besten, die nur selten einen Eindruck vom ganzen Buch vermitteln können. Er weiß, dass er der schlechteste Vermittler seiner eigenen Texte ist, dass er zu leise oder zu laut spricht, nuschelt, ohne oder mit viel zu viel melodramatischer Betonung spricht, stottert, blättert, zögert und auch mal ganz den Faden verliert. Aber die meisten hören ihm eh bald nicht mehr zu, denn eine klassische Lesung hat viel Ähnlichkeit mit der Predigt in der Kirche; viele klappen nach ein, zwei Sätzen ihre Ohren zu und lassen ihre Gedanken und Empfindungen wie Luftballons frei im Raum schweben.
Ganz wenige Autoren haben schauspielerische Talente und unterhalten ihre Zuhörer wirklich. Ihnen gilt meine volle Bewunderung. Ich könnte das nicht, denn wie die meisten Schriftsteller bin ich als real-existierende Person anstrengend und überaus langweilig - fade, schüchtern, misanthrop. Würde jemand schreiben und sich hinter seinen Werken verstecken, wenn er ein offener, freundlicher und sympathischer Zeitgenosse wäre? Wohl kaum. Wie gesagt: Der konservative Schriftsteller ist ein eher widerborstiges, menschenscheues Wesen, das seiner Berufung in einem kleinen, abschließbaren Kämmerchen nachgeht, unauffällig im Verborgenen an seinen Sätzen feilt und sie in die Maschine tippt oder gar noch aufs Papier kritzelt. Er ist voller »prometheischer Scham«, um mit Günther Anders zu sprechen. Das Schlimmste ist ihm, direkt mit seinem Publikum konfrontiert zu werden und sich nach der Lesung noch der wie der Donner zum Blitz gehörigen und daher oft unvermeidbaren anschließenden Diskussion aussetzen zu müssen. Das schlimmste für den Autor: Selten will jemand über den Inhalt seiner Texte sprechen oder seine beeindruckende Sprachgewalt und die enorme Kraft bewundern, mit der er sein Thema beherrscht und den Finger in die offenen Wunden der Zeit legt. Nein, die meisten interessieren sich ausschließlich für Privates, Intimes, Peinliches, das er eigentlich nicht preisgeben will. Auch deshalb schreibt er ja.
Wenn du also, mein lieber Leser oder Zuhörer, nett zu mir sein willst, falls Nikolaus M. Klammer demnächst in der Buchhandlung deines Vertrauens auftreten muss und Verwirrendes aus seinen Essays, Anstrengendes aus dem »Jahrmarkt in der Stadt« oder gar den »Erinnerten Memoiren des Dr. Geltsamer« vorträgt, dann meide bei der anschließenden Diskussion die folgenden acht Fragen. Du quälst ihn damit. Und da die Qualität der hastigen Antworten in diesem Fall nicht die Qualität der Fragen übersteigt, tust du nicht nur mir, sondern auch dir selbst einen Gefallen. Denn eigentlich möchte ich den Abend schnell beenden, direkt ins Hotelzimmer gehen und mich unter der Bettdecke verkriechen.
*
Wir beginnen mit dem Klassiker aller Publikumsfragen:
I. Wie kommen Sie eigentlich auf Ihre Ideen? Wie fällt Ihnen so etwas nur ein?
Was soll der Autor dazu sagen? Dass ihm die besten Ideen in der Badewanne oder auf dem Klo kommen, dass er mal wieder viel zu viel gegessen und anschließend schlecht geträumt hat? Dass er das bei Dostojewski oder bei Facebook klaute? Mit Absinth experimentiert hat? Seine Nachbarn mit einem Nachtsichtgerät beobachtete und den Nebentisch im Café belauschte? Oder dass er schlicht ein psychotisches, menschliches Wrack ist, dem so etwas Krankes einfach zwischendurch mal so einfällt?
In die gleiche Richtung zielt die nächste Frage:
II. Wie kann man nur etwas so abartiges, misogynes, sadistisches oder politisch Unkorrektes schreiben?
Tja. Das hat man davon, wenn man sich vor Publikum öffnet und das innere Ungeheuer befreit und versucht, sich selbst durch schreiben zu heilen. Erzählt man etwas Monströses, wird man für ein Monster gehalten. Erfindet man einen üblen Rassisten oder Macho, ist man selbst einer. Und schreiben männliche Autoren gar über Frauen, dann finden sie sich plötzlich in einem Minenfeld wieder, dem sie nicht mehr ausweichen können; egal, wohin sie sich wenden: Sie sprengen sich dabei selbst in die Luft (siehe oben).
III. Wie autobiografisch sind Ihre Texte?
Ich weiß schon, das würdest du gerne wissen, liebe Leserin. Aber den Teufel werde ich tun. Alles was ich mache, ist autobiografisch. Auch wenn ich reife Johannisbeeren vom Busch pflücke und sie mit Gelierzucker einkoche, ist etwas von mir drin; ist dieses Glas Marmelade autobiografisch. Genau wie die Beeren durch ein Sieb gepresst werden, um Schalen, Stängel und Kerne zu entfernen, fließt auch ein Text durch ein Gitter, nämlich durch das Raster meiner Persönlichkeit. Meine Geschichten sind durchtränkt vom Gelierzucker meiner eigenen Meinung. Man sieht: Wenn alles autobiografisch ist, ist nichts, was ich schreibe, autobiografisch. Ich mache mir nicht die Mühe und arbeite jahrelang an einem Schlüsselroman, um anschließend bei einer Lesung den Schlüssel zu verschenken.
IV. Wie stehen Sie eigentlich zur aktuellen Politik?
Es ist seltsam. Autoren wird immer einiges zugetraut. Sie sollen auf dem Stand der Forschung stehen, sich auf allen geisteswissenschaftlichen und sozialen Gebieten auskennen, ihr Wort eine moralische Instanz sein. Autoren stehen bei Demonstrationen in der ersten Reihe, lesen auf Wohltätigkeitsveranstaltungen und schreiben glühende J'accuse …!-Artikel. Man sieht sie als Gutmenschen und belesene Intellektuelle. Doch nicht alle heißen Jean Paul Sartre. Tatsächlich ist das eher selten der Fall. Autoren sind keine Denker. Sie haben keine neuen Ideen, die überlassen sie anderen, besseren. Aber sie machen sie manchmal durch einen Text populär. Auch in Deutschland sollte es sich langsam einmal durchsprechen: Schriftsteller sind Menschen wie du und ich. Die haben vielleicht gar nicht Kant oder Heidegger gelesen, überblättern den Politik- oder Wirtschaftsteil ihrer Zeitung, um schnell zum täglichen Sudoku-Rätsel zu gelangen und wissen nichts Vernünftiges über Klimawandel, transatlantische Handelsabkommen oder die montenegrinische Innenpolitik zu sagen. Aber sie haben eine Meinung und einen Standpunkt und die finden sich in ihren Werken. Wer sie kennenlernen will, sollte die Bücher des Schriftstellers lesen. Ist es sinnvoll für Autoren, ihre Weltsicht wie all die Facebooker, Instagramer und Twitterer wütend oder gar hasserfüllt hinauszuposaunen? Ich denke nicht.
V. Wie stehen Sie zur Rechtschreibung?
Tatsächlich halte ich die Rechtschreibung für ein Gut, das immer mehr verloren geht und es macht mich verrückt, wenn in einem Buch auf ein »wegen« ein Dativ folgt oder gar die Rede von den »Einzigsten« ist. Trotzdem sträubt sich etwas in mir, »Leid tun«, »platzieren« oder »Frisör« zu schreiben. Denn Autoren sind in der Regel Instinktschreiber, nur wenige haben Germanistik studiert und schlagen bei jedem Wort nach, welche Schreibweise Duden und Wahrig empfehlen. Ich behaupte frech, wer Germanistik studiert hat, kann kein guter Schriftsteller sein, da ihn sein Wissen um die deutschen Sprachregelungen daran hindert, frei von der Leber weg zu schreiben. Das gleiche gilt für Kritiker und Lehrer. Heinrich Böll soll der Unterschied zwischen »das« und »dass« nicht bekannt gewesen sein (Da ist er ja in guter Gesellschaft). Ich selbst habe mit Konjunktivsätzen und deren Verbformen erhebliche Schwierigkeiten und kenne zum Beispiel keine Kommaregeln; ich setze an den Stellen Kommas, bei denen ich beim Vorlesen eine kleine Pause mache. Zu 90 % ist das Komma dann doch genau an der richtigen Stelle, auch wenn ich viel zu viele mache. Den Rest sollte ein Lektor erledigen{3}. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass die meisten Leser sehr großzügig über gewisse Rechtschreibunsicherheiten hinweggehen, weil sie selbst nicht so genau wissen, was denn nun eigentlich richtig ist.
VI. Welche Vorbilder haben Sie?
Bitte! Können wir das überspringen? Denk doch noch einmal ernsthaft über diese Frage nach. Da könntest du mich ja gleich fragen: Bei wem haben Sie Ihre Ideen geklaut? Ich habe keine Vorbilder. Nie gehabt. Das sind nur Gerüchte. Doofe Frage eigentlich. Kein Autor hat Vorbilder. Vor mir gab es eh niemanden, der mir das Wasser reichen konnte. Außer Balzac vielleicht, oder ...
VII. Was halten Sie von Frau X oder Herrn Y?
Manche Autoren haben wütende Anhänger. Es sitzt seltsamerweise immer einer dieser Fanboys in meiner Lesung und bringt seinen Liebling aufdringlich ins Gespräch. Meist sind das Schriftsteller, denen ein wenig der Ruch der Trivialität anhängt, die man - warum auch immer - »verteidigen« muss. Stephen King ist dafür ein gutes Beispiel. Ich weiß nicht, wie oft ich schon über mein Verhältnis zu diesem Autor befragt wurde, obwohl ich nie auch nur eine einzige Seite von ihm gelesen oder ihn irgendwie erwähnt oder gar negativ über ihn geredet habe. Leute! In meiner Lesung will ich nur über mich reden und nicht über Daniel Glattauer oder den Herrn Kehlmann. Die können sehr gut für sich selbst einstehen.
Und dann gibt es noch diese letzte, gefürchtete Frage, die ich auf keinen Fall beantworten will:
VIII. Was machen Sie eigentlich beruflich?
Auch wenn es so klingt: Diese naive Frage ist leider kein geschmackloser Witz, sondern sie wird ernstgemeint und wohlwollend immer und immer wieder gestellt. Nicht nur Autoren, sondern jeder Künstler kennt sie, denn sie taucht in geselliger Runde mit der gnadenlosen Unvermeidbarkeit eines Naturgesetzes grundsätzlich nach Lesungen, bei Vernissagen, nach Konzerten, Theateraufführungen auf. Sie rangiert neben der Frage, woher nun eigentlich die Ideen herkämen, unangefochten auf Platz Eins der dämlichsten Fragen, die man einem Kunstschaffenden stellen kann.
Freilich üben die meisten Künstler noch mindestens einen Brotberuf aus, denn in unserer gierigen Möglichst-billig-oder-wenn's-irgendwie-geht-gleich-Gratis-Gesellschaft und der kriminellen Mitnahme-Mentalität, die im Internet herrscht{4}, können nur wenige ausschließlich von ihrer Kunst leben und auch diese werden nicht einmal annähernd adäquat bezahlt. Wenn der Künstler nebenher kellnert oder Stadtführungen macht, in einem Büro Akten sortiert, Kinder oder Erwachsene unterrichtet oder Alte pflegt, Post austrägt, Fliesen legt oder Webseiten gestaltet (alles Dinge übrigens, die ich schon einmal während meiner Karriere gemacht habe), dann fragt ihn dort auch niemand, was er denn neben diesen Jobs sonst noch beruflich mache. Dabei ist doch immer dieser Brotberuf, dem ich nur gezwungenermaßen nachgehe, um mich und meine Familie durch den Winter zu bringen, derjenige Job, der bei mir erst an zweiter oder dritter Stelle kommt. Oder meint hier jemand ernsthaft, Goethe war in erster Linie Weimarer Geheimrat, unterschrieb begeistert Todesurteile und verwaltete den örtlichen Bergbau? Jeder Autor würde wie Arno Schmidt sofort eine monatliche Rente von Herrn Reemtsma akzeptieren, damit er nur noch schreiben kann. Nebenbei: Wenn mich jemand mäzenatisch unterstützen möchte, nur zu ...
Nein. Schriftsteller zu sein, ist kein Hobby - es ist eine Lebensentscheidung, ein Ausdruck der Persönlichkeit. Ein Muss. Entweder man lebt - oder man schreibt. Es gibt nichts Drittes. Die Literatur ist eine eifersüchtige Geliebte. Trotzdem macht in den letzten Jahren die leicht despektierliche Formulierung vom »Hobby-Autoren« die Runde, als ob jeder, der nicht zumindest ein Werk gebunden und gedruckt in einem Verlag veröffentlicht hat und Mitglied im PEN ist, ein Dilettant wäre und nur aus Spaß in seiner Freizeit schreiben