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Der unbekannte Thomas Bernhard
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eBook200 Seiten2 Stunden

Der unbekannte Thomas Bernhard

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Über dieses E-Book

Einer der originellsten Kenner und Interpreten des Werkes von Thomas Bernhard zeigt in seinem Buch die bisher übergangenen Aspekte dieses als >ÜbertreibungskünstlerGlück< eine der grundlegendsten Kategorien ist, kurz: wie Bernhard völlig neu begriffen werden muß.
SpracheDeutsch
HerausgeberAUMAYER
Erscheinungsdatum11. Nov. 2014
ISBN9783902923370
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    Buchvorschau

    Der unbekannte Thomas Bernhard - Hans Höller

    HANS HÖLLER

    DER UNBEKANNTE THOMAS BERNHARD

    Korrektur Verlag

    DER UNBEKANNTE THOMAS BERNHARD

    Hans Höller

    ISBN 978-3-902923-37-0

    Digitale Ausgabe 2014

    Alle Rechte liegen beim Autor.

    Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

    Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    Digitale Ausgabe herausgegeben von:

    Aumayer Druck & Verlag

    Web: www.aumayer.co.at

    Diese Ausgabe basiert auf der Printausgabe von:

    © Korrektur Verlag Mattighofen

    Web: www.korrekturverlag.com

    Gestaltung und eBook Umsetzung: 

    Aumayer Media

    Web: www.aumayermedia.at

    Inhalt

    Vorwort

    I

    1. Das Rätsel der Entstehung von Frost

    2. »Gewalt auch über ganz Große«. Die Überwindung der »Einflussangst«

    3. Bernhards Werk in der österreichischen Literaturgeschichte nach 1945

    II

    1. »Darf ich Sie um ein Geschenk bitten: alles von Ernst Bloch!« Literarische Elemente einer kritischen Theorie der Gesellschaft im Werk Thomas Bernhards

    2. Es sei sein bestes Theaterstück. Vor dem Ruhestand. Eine Komödie von deutscher Seele

    3. Auslöschung als Comédie humaine der österreichischen Geschichte

    III

    1. Die Idee eines geglückten Lebens

    2. Das Höllerhaus

    3. Der unbekannte Bernhard oder: Die Utopie des Wiener Praters in der frühen Erzählung Zwei Freunde

    Er hatte heute einen roten Rock an, einen roten Samtrock, seinen »Künstlerrock«. Zum ersten Mal war er angezogen, wie Maler angezogen sind: verrückt! Er zeigte sich in der Frühe von außen, drückte seinen Kopf an die Fensterscheibe, als ich im Gastzimmer saß. Machte sich durch Klopfen ans Fensterkreuz bemerkbar. Ein großer, immer gelber werdender Fleck. Er sei schon um halb fünf Uhr aus dem Haus gegangen, in der Absicht, »die Totengeister noch zu erwischen

    Thomas Bernhard, Frost

    Den Leitern des Thomas Bernhard Archivs Gmunden, Martin Huberund Bernhard Judex, gewidmet. Dankbar, dass ich in der anregenden Atmosphäre dieses vorbildlich geführten Archivs arbeiten durfte. In einem Moment der Bedrohung der Weiterarbeit dieses so erfolgreichen Archiv- und Forschungsteams.

    10. November 2013

    Vorwort

    »Der unbekannte Bernhard«, das heißt nicht, dass ich etwas wüsste, was sonst niemand weiß, oder dass die vielen Bernhard-Leserinnen und -Leser nur den bekannten oder allzu bekannten Autor kennen würden. Im Grunde ist jede Lektüre die Entdeckung des Werks auf eine bis dahin unbekannte Weise, weil es so noch nie gelesen und verstanden wurde. Darum vergessen wir auch nicht leicht den ersten Leseeindruck. Als ich im Frühjahr 1968 zum ersten Mal eine Erzählung von Thomas Bernhard las, es war Die Mütze aus dem Band Prosa von 1967, glaubte ich, noch nie eine so befremdende und ergreifend komische Geschichte kennen gelernt zu haben. Es war nicht das Komische, das einen bleibenden Eindruck zurück ließ, sondern das, was einem an dieser Komik beim Lesen wehtat. Es lag an der Form der Sprache dieses Erzähler-Ichs, eines jungen Mannes, der auf der Straße zwischen Unterach und Parschallen, die ich selber kannte, von Haus zu Haus lief, weil er den ausfindig machen wollte, dem die Mütze gehörte, die er soeben auf der Straße gefunden hatte. Schon das Finden war wie ein nicht geheures Ereignis dargestellt, dann klopfte er an die Türen der Häuser, und in jeder Tür erschien eine andere Männergestalt, alle diese Gestalten waren mir bis in Details aus meiner Gegend vertraut, aber sie erschienen in der Erzählung fremd wie in einem alten Stummfilm, und obwohl diese Suche so verrückt und lächerlich wirkte, war ich von der Tragik dieses dahin irrenden Erzählers getroffen.

    Seit damals habe ich das Komische und Komödiantische, das Lachen, das Bernhards Texte so treffsicher hervorrufen, nicht als die Erklärung für die tiefe Wirkung seiner Bücher nehmen können. Ich wollte etwas Anderes verstehen, es ging mir um etwas noch Unbekanntes, das ich in meinem damals begonnenen Studium erforschen wollte. Erst nach und nach begann ich in diesem Unbekannten etwas von dem Schrecken der Katastrophen im letzten Jahrhundert zu begreifen, einen Frost und eine Kälte und eine Isolation, deren Ursache ich mit der wissenschaftlichen Begeisterung eines jungen Germanistikstudenten nachging. Ich hatte Thomas Bernhard, genauer: seine bis Ende der sechziger Jahre vorliegenden Bücher, zum Gegenstand meiner Doktorarbeit gewählt. Alles, was ich damals auch noch las, sollte helfen, mir einen unbekannten Bernhard zu erlesen.

    Adorno ist unter der zitierten Sekundärliteratur im Literaturverzeichnis meiner Dissertation (1973) am häufigsten vertreten. Das lag in den 68er Jahren nahe, aber ich las die Bücher der Lehrer meiner Generation, die meist aus dem Exil nach Deutschland zurückgekehrt waren, später auch dann noch, als sie nicht mehr so nahe lagen und vielen schon wie der Schnee von gestern vorkamen, weil ich zu begreifen begann, dass es diesen Philosophen und Schriftstellern gelungen war, die Erfahrungen des Jahrhunderts der Extreme (Eric J. Hobsbawm) in eine kritische Theorie des Ich, der Gesellschaft und der Kultur zu verwandeln.

    Etwas musste diesem irrenden und irren Ich in Die Mütze widerfahren sein, von dem wir im Text kaum etwas mitgeteilt bekommen.

    In den sechziger Jahren, als Bernhards Erzählungen und Romane entstanden, war der Begriff des Absurden ein Allerweltswort, das bei allen möglichen Gelegenheiten für etwas Unverständliches verwendet wurde, aber 1967 gab Wolfgang Hildesheimer dem diffus gebrauchten Wort eine schockierend genaue Bedeutung. Ich lernte seine Definition der »absurden Prosa« erst später kennen und bezog sie sofort auf das Werk Thomas Bernhards: In ihr steckt so viel, was die literarische Form wie den geschichtlichen Raum des Schreibens nach 1945 erhellen kann. Hier war indirekt das vertrackte Verhältnis von Komik und Tragik und Bernhards literarisches Narrentum auf eine einzigartige Weise bestimmt worden. Die »absurde Prosa« zeige »das weite Panorama eines an allen Schrecken und Grauen, an aller Tragik und Komik des Lebens geschulten Bewußtseins«, repräsentiert von einem Erzähler, der sich »in seiner Tragik und, sich verfremdend, in seiner Komik, wenn nicht gar in seiner Lächerlichkeit«, »enthüllt«. Ein solches Erzählen konstituiere sich, und hier liegt das Schockierende von Hildesheimers geschichtlicher Reflexion, aus »Elementen des Bewußtseins, in dem die Dimension Auschwitz enthalten ist, oder vielmehr, enthalten sein sollte […]. Und wenn sie im Bewußtsein nicht enthalten ist, so ist sie ins Unterbewußtsein gesunken, sie gehört zum inneren Mikrokosmos des Dichters.« Die Wirklichkeit sei »ohne diese Dimension nicht mehr denkbar und – wenn sie überhaupt jemals darstellbar war – nicht mehr darstellbar«.¹

    Carl Zuckmayer und Ingeborg Bachmann, die sich in den sechziger Jahren mit der Prosa Bernhards auseinandersetzten, sahen auf ähnliche Weise in jener »Dimension« das verborgene Wissen und das Unbewusste in den Büchern Bernhards als das verstörende »Neue«. »[E]rst eine spätere Zeit werde erkennen, [w]ie sehr diese Bücher die Zeit zeigen«, so »wie eine spätere […] Zeit Kafka begriffen hat«.² Es werde »da etwas zum Anklang gebracht«, schrieb Carl Zuckmayer in seiner Rezension von Frost (Ein Sinnbild der großen Kälte, Die Zeit, 21. Juni 1963), »was wir nicht kennen und wissen, […] auch mit literarischen Vorbildern kaum vergleichen können.«

    »Der unbekannte Bernhard«, das sind seine österreichischen Gedächtnislandschaften und die im Ich seiner literarischen Figuren verborgenen Katastrophen, wie sie auf exemplarische Weise das Italiener-Motiv in seinen verschiedenen literarischen Gestaltungen darstellt, von der Erzählung Der Italiener (1964) über das gleichnamige Filmbuch (1971) bis zum Roman Auslöschung (1986). Das Zentrum dieses Narrativs ist das nicht vergehende Trauma eines Massakers, das ein Kind erlebt hat und in dessen Bann es noch Jahrzehnte später steht, es scheint dieser Bann sogar in der Landschaft fortzuwirken: »›Die Finsternis, die hier herrscht …‹«,³ sagt der Italiener in einem abbrechenden Satz unmittelbar vor dem Schluss der Erzählung. Was er aber bedeute, wird vom Erzähler nicht erläutert, sondern, unbeantwortet, an uns als Frage weitergegeben.

    Man findet in Bernhards Werken seit den sechziger Jahren aber auch den Widerstand gegen diese Finsternis und den lähmenden Zustand der Welt, sei es, dass nach ihren Ursachen gefragt wird und das Erzählen sich überhaupt als »Ursachenforschung« versteht, sei es, dass die Schönheit für Augenblicke aufscheint und jemanden aus seinem Unglück herausreißt. Sie wird auf dem dunklen Fonds seiner erzählten Welt nur umso intensiver zum Leuchten gebracht. Beständig gegenwärtig ist sie in der musikalischen Schönheit der Sprache, der sich kaum ein Leser entziehen kann, einer »Schönheit«, die nicht oberflächlicher Dekor, sondern im Sinne von Walter Benjamin eine Form des Weltwissens ist: Denn »ohne Wissenswürdiges im Innern« gibt es nach seiner Überzeugung »kein Schönes«.

    Zu diesem nicht so bekannten Bernhard gehört in seinen Büchern die Suche nach einem gelingenden Leben, und noch weniger bekannt sind die Utopien einer schönen Gesellschaftlichkeit in seinem Werk. Am unbekanntesten dürfte der »rote« Faden der Erinnerung an die Hoffnungen der sozialistischen Arbeiterbewegung sein, die als Werk-Motiv die »Italiener«-Texte verbindet.

    Ein Beitrag dieses Bandes kann auf jeden Fall dem Titel Der unbekannte Bernhard ohne Wenn und Aber gerecht werden. Es geht darin um die unveröffentlichte Erzählung Zwei Freunde,⁵die im Thomas-Bernhard-Archiv in Gmunden aufbewahrt wird. Sie ist der unbekannteste Bernhard aufgrund der selten einfühlsam erzählten politischen Arbeit und Liebe eines österreichischen Kommunisten, der mit seinem Freund ein alle Grenzen übersteigendes Glück auf dem Wiener Prater erlebt, auf diesem »schönsten und traurigsten Vergnügungsareal der Welt.«

    Zu meinem Schrecken, und dann doch nicht nur enttäuscht, habe ich festgestellt, dass ich in meiner Dissertation vor 40 Jahren keine prinzipiell anderen Gedanken gehabt und mir keine prinzipiell anderen Fragen gestellt habe als heute. Noch immer kann ich mich nicht mit dem Bild vom Komiker und Allerweltsunterhalter anfreunden, und ich denke gerne zurück an das Staunen der ersten Bernhard-Lektüre, das mir selbst mit der größeren Lebenserfahrung und dem mit den Jahren zunehmenden Wissen über Literaturgeschichte und über die Gesetze der künstlerischen Form nicht abhanden gekommen ist. Lese ich in Zwei Freunde, wie sich Ottonikar pötzlich in das Kindsein zurückverwandelt fühlt – »Da war er dann plötzlich ein Knäuel Mensch, von Wind und Wetter auf einer Wiese erfasst, unter Obstbäumen herunterkollernd von der Höhe eines Abhangs, ein kleiner unmündiger Bestandteil der Schwerkraft. Hing an einem Arm, der in eine Richtung zog« (Bl. 9) –, staune ich noch immer über die verwandlungsfähige Sprache, hier über die Darstellung der Leichtigkeit des Seins in Augenblicken der Kindheit und über die den Lesenden berührende Bejahung des Lebendigen, die weiter geführt wird zu der Einsicht, dass uns, dem Tod preisgegeben, letztlich nur das »[S]ein in jeder Beziehung« rettet: »kann ein Mensch sein in jeder Beziehung? Und er bejate. Und er bejate das immer wieder damals«, und er gab sich auch »der düstersten aller Empfindungen preis: dem Tod. Doch zerging das alles immer so rasch und war wieder vergessen« (Bl. 15).

    Es liegt eine Welt zwischen dieser Erzählung vor Frost (1963) und dem Roman Auslöschung (1986), die literarische Welt von Bernhards Werk, in dem alles miteinander in Beziehung steht, sodass in Franz-Josef Murau noch immer Ottokanier aus Zwei Freunde zu erkennen ist, so viel gebrochener und selbstzerrissener uns der Protagonist im letzten erschienenen Roman auch vorkommt und so viel polyphoner sich seine widersprüchliche, sich komödiantisch verwandelnde Rede auch ausnimmt. Einmal erscheint er einem großherzig und weltoffen, dann wieder schäbig und beschränkt, aber so »verstümmelt« und bösartig Murau auch dargestellt wird, einer der sich »am Geist« versündigt und die Seinigen mit seiner Schrift »Auslöschung« abschaffen will, hier steht nicht der Autor als Berserker vor uns, sondern eine fiktionale Figur, die im Erzählen Gerechtigkeit herstellt, die Verurteilung aufhebt und einem anderen, offeneren Geist das Wort redet, »dem Leben«, das »überall« ist, wie es Thomas Bernhard in einem Gespräch mit Siegfried Unseld verteidigt hat:

    »Nun ginge er wieder in seine Klausur, tauche unter, wolle arbeiten«, notiert der Verleger am 21. April 1988 in Frankfurt nach einem der letzten Gespräche mit dem Autor: »Alles sei ja sinnlos, aber in dem Sinnlosen stecke eben auch ein Sinn. Er diskutiert mit mir über meinen Adorno-Satz: es gibt kein falsches Leben im richtigen. Er sagt, wiederum überraschend, ›Leben ist überall‹. Das würde beide Sätze aufheben«⁶ – »beide Sätze«, das meint Adornos Satz »Es gibt kein Richtiges im Falschen« aus den Minima Moralia und Unselds Version, dass es »kein falsches Leben im richtigen« gibt. Die Aufhebung der beiden apodiktischen Sätze in Bernhards Bejahung des vielfältigen, nicht auf einen Begriff zu bringenden Seins, dem Sinn im Sinnlosen, das war für den Autor die Literatur. Er will zurück zu seiner Arbeit, um die es in dem Gespräch indirekt geht. Das Erzählen wäre die Arbeit an dem nicht abschließbaren, die Welt offen haltenden Sinn, an dem »[S]ein in jeder Beziehung«, das sich in seinem Werk zeigt.

    Neun Aufsätze habe ich für diesen Band ausgewählt, nur der erste und der letzte Beitrag sind Erstpublikationen, in denen weitgehend unbekannte Texte Bernhards vorgestellt werden, sodass sie dem Titel dieser Aufsatz-Sammlung am ehesten

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