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Hausarrest im Schneckenhaus
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eBook186 Seiten2 Stunden

Hausarrest im Schneckenhaus

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Über dieses E-Book

Es gibt Geschichten, die aus der Nähe wie Katastrophen aussehen
Aus der Ferne wirken sie wie Komödien

Hausarrest im Schneckenhaus
Alles reine Nervensache - Erzählungen

Hieronymus Immergrün hat's erlebt. Seine Stories, seine Kurzgeschichten, sind authentisch.

Es beginnt damit, als sich seine früheren Schulkollegen bei Klassentreffen outen. Die Mehrzahl hatte sich unwiderruflich für die metallurgische Berufslaufbahn hinter Fabriktoren oder für Verwaltungslaufbahnen in endlosen Korridoren voller Beamtenschmierseife entschieden.

Als die dann auf der Suche nach botanischem Beistand für ihre verlausten Gummibäume bei Hieronymus Immergrün auf der Matte standen, war für diese Ficus-Freunde bereits alles zu spät: "Wird er durchhalten, lässt sich noch was machen?" "Schmeiß ihn weg. Bei anderen ja, da könnte noch was draus werden. Bei dir wird das nix mehr. Du weißt in wie vielen Sekunden der Daimler von 0 auf 100 ist, aber du kannst den Löwenzahn nicht vom Gänseblümchen unterscheiden. Deine Hände kommen erstmals mit der Erde in Berührung, wenn zwei Monate nach deiner eigenen Beerdigung dein Sarg unter der Last der Erde über dir zusammenbricht….", waren seine wiederkehrende Worte.

Hieronymus Immergrün lebt im Szenenwechsel seiner Episoden, global und wieder regional. In einer amüsanten Art hält er unserer Gesellschaft den Spiegel vor. Kurzweilig durchleben Leserinnen und Leser menschliche große und kleine Katastrophen. Und er vermittelt dabei historisches Wissen. Seine Aphorismen und Zweideutigkeiten, die Ironie und die Rationalität einer leidenschaftlichen sprachlichen Verknappung sprechen Bände. Selbst seine Allgemeinplätze lösen Lesezwang aus.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum16. Juni 2014
ISBN9783849584856
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    Buchvorschau

    Hausarrest im Schneckenhaus - Hieronymus Immergrün

    Prolog

    Der Rote Boskoop

    W

    o denn noch, in aller Welt, soll irgendein Grund dafür zu finden sein, der es rechtfertigt, all das Gefühlte, das Erlebte und seine innersten Gedanken dazu in Handarbeit zu Papier zu bringen und dort auszubreiten? Zu keinem Zeitpunkt schien es mir ratsam gewesen zu sein, mich zu outen. Nirgends und niemals! Auch dann noch nicht, als mich der benachbarte Psychoguru über den Gartenzaun hinweg aufzuklären versuchte. Er meinte damals, dass doch einmal ein Zeitpunkt kommen könnte, ab dem man sich im Rückblick wünschen würde, die Gedanken über ein Leben, über manch gelungene Momente und Erfolge, die später vielleicht wieder äußerst zweifelhaft erschienen, über Mitmenschen, über Glücksgefühle und Leidenswege zurückverfolgen zu können. Er hatte in seinen Professuren die Menschheit in dutzenden von Büchern in seine Schubladen gezwängt, zu Workaholics, Süchtigen und Phobianern erklärt. Zweifellos musste ich mir eingestehen, dass mich, resultierend aus Kindheitserfahrungen heraus, jeder Zahnarzttermin wochenlang zuvor in Panik versetzte. Mein Verhältnis zum Finanzamt konnte nur als labil bezeichnet werden. Jeder Stopp am Zebrasteifen vor diesem Gebäude zwang mich zum Wegschauen zur anderen Straßenseite. Aber schien der Herr Professor nicht in jedem Lebenden und Verblichenen einen, möglicherweise untherapierbaren, potentiellen Patienten zu erkennen? Welcher Schublade hatte er mich zugeordnet? Nichts überzeugte mich. Hatte vielleicht er nur deshalb der Menschheit seine Klischees aufgesetzt, um sein eigenes Verhältnis zu dieser zu relativieren, aus eigener Ratlosigkeit heraus seine Bücher geschrieben? Ungläubig hörte ich ihm zu. Konnte er Wasser von unten nach oben fließen lassen? Letztendlich mochten es die, in die gleiche Richtung gehenden Worte meines Hinterhofkellerfrisörs gewesen sein, die mir zu diesem Thema vernünftig genug erschienen waren, um Vorsätze über Bord zu werfen. Amadeus, hatte sich aus meinem Zeitmangel heraus breitschlagen lassen, mir in seinem Reich der Barbierkunst mit viel Gefühl und Augenmaß außerplanmäßig mein Haupthaar samt Bart, an einem Winter-Sonntagmorgen zu stylen. Üblicherweise schnitt er seinen „Privatkunden ansonsten das Haar in seinem behäbigen Friseurstuhl der 60er Jahre abends. Denn hatte er zuvor seine erste „Halbe getrunken, so schien er eine ruhigere Hand, für seine, für mich lebensgefährliche Arbeit, mit Schere und Kamm und seinem unheimlichen Ausrasiermesser zu haben. Als Vollprofi wusste er, was Handarbeit wert war. Mit einer akribischen Detailversessenheit legte er stets einen faszinierenden Haarschnitt hin. Und doch hatte er mir jüngst, aufgrund meiner Vorhaltungen gestehen müssen, dass er die, früher bei mir geschaffte 10-Jahres-Verjüngungskur, mittels seines genialen Haarschnittes, auch nicht mehr hinbekomme. Meine Haare waren längst grau geworden. Die Jahre seien auch durch die Arbeit des Frisörs bei mir nicht mehr zu verschleiern, meinte er. Allein mit seinem eigenen Haarschnitt haderte er unablässig. Zeit seines Lebens habe er für sein eigenes Haupt keinen vernünftigen Frisör gefunden. Ihm schwoll der Kamm, so erklärte er mir, wenn er schon sehe, wie die „Kerle" die Schere und den Kamm zueinander ansetzten.

    Nachdem er mir dann im Weggehen erzählt hatte, welch prominente Kundschaft sich bei ihm, in seinem Keller, zum Haarschnitt die Klinke in die Hand gab, reifte langsam in mir der Glaube an ihn und zum Umdenken. Diesen Prozess des langsamen Umdenkens, verglich ich mit der langsamen Reife der selbstfruchtenden, zum Erntezeitpunkt zunächst noch grünen, ledrigen, süßsauren Winteräpfel vom Baume der historischen, aromatischen Sorte „Roter Boskoop". Jährlich konnte ich den Vorgang des langsamen Verfärbens beobachten. Ihren Reifeprozess schlossen sie sehr spät, stets erst im Winterlager, mit dem Erreichen ihrer dunkelroten Färbung zur Genussreife ab. Sie brauchten einfach auch mehr Zeit als andere.

    War nicht jeder, der solche Zeilen bis hier her gelesen hatte schon weiter gekommen, als viele andere? Viele hörten vielleicht bei der Überschrift schon zu lesen auf. Vielleicht lasen sie noch ein paar Sätze, dann war Schluss. Warum stiegen sie so früh aus? Glaubten sie schon zu wissen, was noch kommen würde? Natürlich ist fast jeder von uns im Stande einen Kriminalroman zu lesen. Wenn er einigermaßen gut geschrieben ist, wissen wir am Ende wie die Leiche hieß und wer sie umgebracht hatte. Ein Marcel Reich-Ranicki hatte in einem Anflug von Höflichkeit einst über die Qualität von Büchern geäußert: „Von 100 Büchern, die erscheinen, sind 98% schlecht. Das 99ste ist schwach. Und beim 100sten sind wir unsicher. An Warnungen meiner Freunde hatte es auch nicht gemangelt. Ich hatte mich für ein Thema begeistert. Ich hatte viel Mühe in all diese Worte und Sätze gesteckt. Es war ein dramatischer Kampf mit den Worten am Schreibtisch, bis der Ton eines Textes und die Melodie einer Geschichte gefunden war. Jahr um Jahr hatte ich mit meinen Erzählungen gerungen, ehe sie endlich erscheinen sollten. Diese Begeisterung wollte ich doch an ein paar Leser weitergeben. Vollständig. Wer ein Buch weiterempfahl sollte es doch auch gelesen haben. Ich wusste es: Gott sei Dank lasen meine Leser, einmal im Buch angekommen, mein Geschriebenes noch bis zum Ende. Die Vernunft sollte eine Chance bekommen. Wie konnte ich das, was ich mit dem täglichen Wahnsinn durch litten hatte, mit Worten unsterblich machen, wo lag die Halbwertzeit solcher „Drucksachen?

    Menschen, die ich nur oberflächlich gekannt hatte, von denen ich es nie erwartet hatte, schütteten beim Anblick der grünen Jacke ihres „Gärtners, ihres Botanikers, unbewusst einen Teil ihres Innersten bei mir aus. Immerhin konnte ich ihnen erklären, warum bei ihnen nichts wächst und warum auch in Zukunft niemals etwas bei ihnen wachsen konnte. Ich versuchte sie mit der Aussage darüber hinweg zu trösten, dass es mir in der heimischen Küche ebenso erginge, wie ihnen im Garten: „Mir werden die Kaffeebohnen beim Kaffeekochen niemals weich. Das war das einfachste Gleichnis für sie in ihrer und mich in meiner Situation. Durch herausgekehrte eigene Fehlleistungen entstanden Leutseligkeiten, die zeitweilig in die Nähe von Beichtverhältnissen führten. Moralisten und grüne Demokraten, begnadete Weltflüchtlinge und kultivierte Außenseiterinnen versteckten und verwirklichten sich zwischen Primeln und Phlox, Wiesen und Weiden.

    Nach einer versteckten Danksagung für eine erlebte Episode, glaubte ich einmal im Auge meines Gegenübers eine Betroffenheit zu erkennen. Mit einer verlegenen Bemerkung, dass nur unkenntlich Gutes Erwähnung in meiner Schreiberei finden würde, versuchte ich diese zu zerstreuen. Musste ich nicht einen Akt der Bücherverbrennung in Erwägung ziehen, ja verhindern? Schließlich konnte es eine heikle Angelegenheit werden, lebende Charaktere darzustellen. Sollte an eine Publizie-rung erst nach deren Ableben zu denken sein? Vielleicht wäre sonst alles umsonst gewesen? Wie konnte ich das, was sich in schlaflosen Nächten in mir aufgestaut und da auch seine Niederschrift gefunden hatte, retten? Ich wollte einfach nur literarische Denkmäler setzen.

    Von den Erwartungshaltungen meines Umfeldes geprägt, fühlte ich zunehmend, dass ich, gleich einer Dampflokomotive unter Volldampf, aber immer mit angezogener Handbremse feinfühlig agieren musste. Sollten erzählte Episoden und geistige Ausdünstungen des Empfundenen ein Stuhlgang der Seele werden? Vielleicht wenigstens doch der Gesellschaft etwas unter den Rock schauen? Der Schriftsteller Max Frisch umschrieb seine Sichtweise dieser Art: „Jeder Mensch erfinde sich eine Geschichte, die er irgendwann für sein Leben halte. Ein anderer Philosoph umschrieb den Zustand mit den Worten: „Wir konstruieren eine Geschichte von uns selbst aus den Rohmaterialien Sprache, Erinnerung und Erfahrung. Wenn Selbstfindung Selbsterfindung ist, dann sind wir alle Dichter. Ich schrieb aus der eigenen Ratlosigkeit heraus. Schließlich ging ich damit in der Verlagsbranche klinkenputzen und schlug mich durch.

    Was war von den Erinnerungen aus der Zeit der Kindheit geblieben? Die bescheidenen Verhältnisse einer Flüchtlingsfamilie der Nachkriegszeit blieben Maßstab. Kamen damals die Verwandten zusammen, so wurde stets besonders fett gekocht, um den angewachsenen Wohlstand durch die Zahl der Fettaugen, die in der Suppe schwammen, zu dokumentieren. Als die Zweifel an diesem Speiseplan in mir wuchsen, schien es bereits zu spät gewesen zu sein. Sollten diese Fettaugen dann wirklich am Herzinfarkt des Vaters eine gewisse Mitschuldgetragen haben? Waren die Erzählungen früherer Generationen wirklich glaubhaft, so müssen es die Stresshormone vergangener Zeiten gewesen sein, die unsere Vorfahren abgehärtet hatten und zur Evolution beitrugen. Jeder Getreidebauer verfuhr doch Jahrtausende vor uns zur Saatgutgewinnung aus seiner Ernte nach der gleichen Methode: Er öffnete die Scheunentore um einen starken Durchzug zu erzeugen. Er ließ das geerntete Getreide vom oberen Tennenstock auf den darunterliegenden Boden herab rieseln. Die Spreu wurde vom Luft zug weit zur Seite mitgetragen. Die schweren, hochwertigen Getreidekörner zur weiteren Saatgutverwendung fielen dagegen senkrecht nach unten. Sie waren das, was im heutigen Sprachgebrauch als zertifiziertes Saatgut bezeichnet wird. Die nur leicht abgedrifteten Körner gingen in die Mühle und wurden zu Mehl zermahlen. Die Spreu trennte sich somit vom Weizen. Zu jeder Auswertung der Ernte gehörte jedoch auch die Vision, wie viele Anteile in der Mühle zermahlen und schließlich verzehrt werden konnten und durften. 10% der zu mahlenden Frucht fiel üblicherweise für den Müller für seine Leistung ab, der in seiner Mühle auf einem luftigen Hügel am Ortsrand arbeitete und lebte. Wie viel Saatgut sollte zur Zukunftssicherung, für die Aussaat im nächsten Jahr notwendig sein? Der Durchzug des Windes durch die Tenne bestimmte die Selektion. Der Jahresverlauf bestimmte die Nuancen. Der Bauer schaute zum Himmel und lebte mit der Natur. Die Naturgesetze lebten in seinem Instinkt. Nicht das Getreidekorn allein, durch seine Schwere suchte sich seinen Platz. Es wurde ausgesucht Der Bauer könnte der Herrgott gewesen sein. Der Wind stellte sich in den gesellschaftlichen Strömen dar, in die ich hineingeraten war. Die Unzahl der Getreidekörner Mensch, die in Form von Mitmenschen und Zeitgenossen auch an mir vorbeitröpfelte, floss und strömte ergaben das Mosaik und das Gesamtbild Mensch. So etwa sah ich im Rückblick das Leben als das Getreidekorn Mensch. Aber haben die alten Bauernregeln und Weisheiten noch Gültigkeit?

    Ich liebe Geburtstagsfeiern. Stundenlang könnte ich auf solchen Veranstaltungen herumsitzen. Weil ich sonst nichts Anderes zu tun habe. Anlässlich eines Geburtstagsessens identifizierte mich meine Schwester, die mich ja wirklich kennen muss. Sie erkannte in mir ein Gesinnungschamäleon. Es war erschreckend gewesen. Selbst wenn sie Recht hatte, durfte ich das jemals hier in diesem Kreise zugeben? Mein Blick wanderte durch die Runde. Ein unbestimmtes Feuer musste in ihr gebrannt haben. Verdeutlichte dieser Tag unsere Ansichten übereinander? Ich fühlte mich an eine Historie erinnert, in der Raubtiere in der Bühnenkunst nur eine einzige dramaturgische Funktion hatten: Als Show-Stopper. Blickte ich 2000 Jahre zurück, ins antike römische Kolosseum, so endete eine Aufführung spätestens stets dann, wenn der Löwe den Christen gefressen hatte. Ich saß auf Kohlen. Gab es wahrlich nichts Nützlicheres, als sich das alles anhören zu müssen? Nichts erwartete ich von dieser Inszenierung sehnlicher, als dass irgendjemand endlich die Löwen herein lassen würde! Wie konnte ich dieses Martyrium verkürzen oder an mir vorbeigehen lassen? Wann würden die Erkenntnisse der Schwester zur Bedeutungslosigkeit verblassen? Als sie im jungerwachsenen Alter im zweiten Anlauf in die Fremde gezogen war, hatte sie mich damals resignierend gefragt, wie ich das mit dem Vater bloß aushalten könne. Für mich galt es als abgemachte Sache, dass nicht sie, nicht ich und nicht er, unser Vater, den Zeitpunkt des Generationenwechsels in seinem Unternehmen einleiten würden, sondern ein angeblich „Wohnsitzloser da oben", der über uns schwebte. Sie konnte mit den Apfelbäumen, die der Vater gepflanzt hatte nichts anfangen. Sie sah nicht die roten Äpfel, die jährlich reiften. Ihr Maßstab war das Brennholz, das das Stammholz eines Tages liefern würde.

    Ohne Vorankündigung vollzog „der da oben" den Generationswechsel dramatisch. An einem Montag um dreiviertel 8 Uhr rief mich die Mutter hilfesuchend an. Mit dem Vater sei etwas Entsetzliches passiert. Er wand sich vor Schmerzen und erklärte mir, dass er sein Ende nahen fühlte. Seinen Herzinfarkt überlebte er, aber er läutete diesen Generationenwechsel ein. Vor der schweren Herzoperation, als sein Überleben in Frage stand, führte er mit mir ein bemerkenswertes Gespräch, in dem er mir Ratschläge für den Geschäftsalltag erteilte. Weitgreifende Visionen formulierte er nicht mehr. Er glaubte an sein nahes Ende. Längst wusste ich, was ich zu tun hatte. Seine Wissensübertragung hatte nie in langen Vorträgen stattgefunden. Als sein Tischnachbar und Kofferträger hatte ich alles Brauchbare, Erfolg und Misserfolg aus seinen Gesprächen auf allen Ebenen herausgezogen, aufgesogen und fortentwickelt. Von ihm unentdeckt war ich längst zum Autodidakten mutiert.

    Die knapper gewordenen Stunden der Einsamkeit entwickelten sich zur Triebfeder, immer und überall auf greifbarem Beschreibbarem Notizen zu machen. Auf einer Wanderung über schroffe Felsen und einsame Strände hatte ich mich eines Tages dazu verleitet, wegen einer Magenverstimmung, zur medizinischen Prophylaxe im Rucksack einen kleinen Flachmann „Brandy" als Proviant einzupacken. Später stellte sich heraus, dass der Verschluss der Flasche reiseuntauglich undicht gewesen war. Einige der abgelegten, damals brandygetränkten Handschriften, die irgendwann

    auf meinem unordentlichen Schreibtisch herumlagen, alarmierten eine unautorisierte „Lektorin, die diese geheiligten Blätter einmal in Händen halten durfte. Sie fügte die wirklich völlig überflüssige Randnotiz an, dass auch Hemingway seine besten Werke im Suff geschrieben habe. Von einem befreundeten „Jungautoren wusste ich: Wenn jemand in deine Wohnung kommt und deinen Schreibtisch sieht, sagt er mit großen Augen: Ah, hier entsteht also alles! Im Zweifelsfall musst du als Autor Alltagsroutine vortäuschen, die ins Erwartungsmuster des anderen passt. Und eigentlich willst du antworten: Nein, es entsteht auf dem Bett oder auf dem Klo!"

    Wie sollte und konnte ich damit umgehen? Wie sollte ich mich künftig den Fragen zu meiner Identität stellen?

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