Voll ins Schwarze: Neue mörderische Geschichten
Von Ralf Kramp
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Über dieses E-Book
Ralf Kramp
Ralf Kramp, geb. 1963 in Euskirchen, lebt in einem alten Bauernhaus in der Eifel. Für sein Debüt »Tief unterm Laub« erhielt er 1996 den Förderpreis des Eifel-Literatur-Festivals. Seither erschienen zahlreiche Kriminalromane und Kurzgeschichten. In Hillesheim in der Eifel unterhält er zusammen mit seiner Frau Monika das »Kriminalhaus« mit dem »Deutschen Krimi-Archiv« (30.000 Bände), dem »Café Sherlock«, einem Krimi-Antiquariat und der »Buchhandlung Lesezeichen«. Im Jahr 2023 wurde er mit dem Ehren-Glauser für »herausragendes Engagement für die deutschsprachige Krimiszene« ausgezeichnet.
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Buchvorschau
Voll ins Schwarze - Ralf Kramp
sät
Der Schnüffler
Brav, bei Fuß! Komm her, mein Kleiner,
Lass es fallen, sei ein Feiner.
Gib es her, sieh an, ein Knochen.
Wie nur hast Du den gerochen?
Wie oft muss ich es noch sagen?
Sollst nicht in den Beeten graben!
Hörst Du nicht? Komm sofort her!
Bring mir bitte nicht noch mehr!
Rittersporn und Azaleen
werden das nicht überstehen.
Auch wenn Du Frauchen sehr vermisst,
sie muss bleiben, wo sie ist.
On the road am Hellweg:
Wenn möglich, bitte wenden
Ist so eine Marotte von mir. Ich gucke auf den Boden, wo ich gehe und stehe. Ich finde oft Dinge. Münzen, Zettel, Kondome … Manches hebe ich auf, das meiste lasse ich liegen.
An diesem Abend ist es ein Schlüsselbund. Ein richtig pralles Ding mit vielen unterschiedlichen Schlüsseln an einem metallenen Ring, an dem ein klotziges E baumelt. Es sieht nach Gold aus. Kann natürlich nicht sein, sieht aber danach aus.
Der Besitzer heißt vermutlich Emil. Oder Edgar.
Mitten auf dem vollgestellten Parkplatz am Heinz-Hilpert-Theater, zwischen den geparkten Autos. Fast wäre er mir gar nicht aufgefallen. Es ist ja schon dunkel. 11. Oktober. Nieselregen. Kalt ist mir auch. Trotzdem habe ich mich gebückt.
Vor einer Viertelstunde sind hier noch unzählige Menschen zwischen den Autos hin und her gewimmelt, wie die Ameisen. Zum Theater hin, wo sie heute ganz groß das Fünfzigjährige feiern. Mit der Neuen Philharmonie. Alle in Pelz oder Smoking.
Und mittendrin ich in meiner einzigen Jeans und dem Cordjackett mit dem hochgeschlagenen Revers. Auf dem Parkplatz findet man oft Kleingeld. Den Leuten rutscht es aus der Tasche, wenn sie den Schlüssel rauskramen. Lohnt sich meistens für mich.
E könnte auch Erich sein. Jetzt hat er keinen Schlüssel mehr. Denn den habe ich jetzt.
Und wie ich mir das Ding so angucke und die Schlüssel zähle, drückt mein Daumen ganz beiläufig auf ein Knöpfchen an einem klobigen schwarzen Plastikding und vier Autos weiter fiepst was. Die Parkleuchten glimmen rot auf.
Eberhard, denke ich, Eberhard, ja, so wird er heißen, Eberhard, war ein Fehler, das Ding hier zu verlieren. Eberhard oder Enrico sitzt jetzt bestimmt im Theater und hört klassisches Gedudel.
Ein Mercedes. Klar, was sonst? Bei dem dicken goldenen E.
E – das weiß ich jetzt fast sicher – E steht für Engelbert. Oder Ernst.
Noch mal rasch umgeguckt. Dahinten läuft noch einer, der zu spät kommt. Sonst alles menschenleer.
Ein CLK. Anthrazit. Oder dunkelblau. Oder dunkelrot. Ist schon reichlich spät und finster.
Ich öffne fast geräuschlos die Fahrertür und schwinge mich schnell hinein.
Ledersitze, Nichtraucherkarre, saubere Luft, kein Stäubchen, kein Kaugummipapierchen, keine Zahnstocher, keine Brötchenkrümel.
Ich fingere rasch durch das Handschuhfach. Vielleicht finde ich statt der Brötchenkrümel ja Geld. Aber da sind nur die Betriebsanleitung, ein Atlas und ein aufgerissener, leerer Briefumschlag.
Nicht mal Parkmünzen.
Auf dem Briefumschlag erfahre ich mehr über E: Eike. Wär ich nie drauf gekommen. Dr. Eike Trimbügel. Ist das ein Frauenname? Nein, Eike heißt doch auch der Fußballer, der letztes Jahr im Dschungelcamp war. So, so, Eike.
Natürlich hat Eike ein Navigationssystem in seinem Mercedes. So was hätte ich auch gerne. Aber als Fußgänger hat man selten Verwendung dafür. Es gehört einfach ein Auto drum herum. Allein schon wegen der Optik.
Nun, im Moment habe ich ja ein Auto. Mein Finger drückt wie ferngesteuert auf den Einschaltknopf. Tolles Ding. Ich soll ein Ziel wählen. Hm. Was fällt mir denn da ein? Wo wollte ich denn immer schon mal hin? Mal zu Tante Martha nach Ottensundern. Da war ich schon ewig nicht mehr. Die würde sich freuen. Ich gucke auf die Uhr. Oder in den komischen neuen Zoo in Gelsenkirchen. Ist natürlich zu spät. Da ist schon zu und die Tiere schlafen alle. Und Tante Martha vermutlich auch.
Was ist denn das?
Gespeicherte Orte …
Zuhause …
Möhnesee Südufer.
Teure Gegend. Eike Trimbügels Zuhause. Meine Hand fährt über das teure Leder und ich gucke wieder auf die Uhr und auf den Schlüsselbund.
Etwas kitzelt mich im Magen. Das ist die Aufregung, das ist ja klar. Das Zuhause eines Mercedes-CLK-Fahrers. Wo mag das sein? Als ich das Ziel mit Knopfdruck bestätige, zeigt das Gerät immerhin eine Zeit an: 43 Minuten. Hin und zurück, 43 mal zwei … halbe Stunde Aufenthalt, kleiner Rundgang durch das Haus von Dr. Eike Trimbügel. Keine zwei Stunden. Der Festakt hat gerade erst begonnen.
Das könnte ich riskieren, oder?
Der Motor macht ein sattes, schnurrendes Geräusch, als ich den Schlüssel im Schloss drehe. Der Wagen schwimmt regelrecht aus der Parklücke, er gleitet. Die Bewegungen sind elegant und geschmeidig. Wenn ich je das Geld haben sollte, um mir ein Auto zu kaufen, muss es unbedingt ein Mercedes CLK sein.
Jetzt links abbiegen auf die B 61. Das ist ja mal eine angenehme Frauenstimme. Die mag ich jetzt schon. Und natürlich tue ich, was sie sagt.
Ich gleite die Kamener Straße entlang und summe vor mich hin. Es ist wenig Verkehr heute und ich habe vor, mal so richtig aufs Gas zu treten, wenn ich erst mal aus dem Dunstkreis von Lünen raus bin. An der nächsten großen Kreuzung muss ich an der roten Ampel halten. Vergeblich versuche ich, das Autoradio in Gang zu bringen. Junge, Junge, da sind mehr Knöpfe dran als an meinem Hemd.
Plötzlich wird die Beifahrertür aufgerissen und ich fahre zusammen.
Na Mahlzeit, Dr. Eike Trimbügel ist mir im Frack vom Hilpen-Theater bis hierher nachgelaufen und wird mir jetzt eins auf die Glocke geben!
Aber das kann nicht Eike Trimbügel sein. Er trägt eine Wollmütze, einen schwarzen Rolli und eine Pistole. Seine Koteletten reichen fast bis zum Kinn und sind schwarz und dünn wie ein Pinselstrich.
Die Ampel springt auf Grün.
»Weiterfahren, rechts ran, Kohle raus!«
Wie meint er das? Ich frage ihn. Er fragt, wie er das schon meinen solle und welchen Teil von »Rechts ran, Kohle raus« ich nicht verstanden habe.
Ich entgegne, dass ich keine Kohle mit mir führe, geschweige denn Geld, nur zwei Euro dreiundsiebzig, worauf er mir die Mündung der Waffe in die rechte Schläfe bohrt. Ich bin überzeugt und lenke den Wagen rechts in eine Stichstraße.
Er guckt auf das E am Schlüsselbund. »Nun mal los, Emil … oder Eberhard … Flocken raus.«
»Das ist nicht mein Auto«, erkläre ich zerknirscht. Ich deute auf mein zerschlissenes Cordjackett. »Ich habe den Schlüssel auf dem Parkplatz gefunden.«
Sein Blick wandert ungläubig an mir herab und landet im Dunkel des Fußraums, wo man schemenhaft meine ausgetretenen Schuhe sehen kann. Meine einzigen. Es geht ungewöhnlich schnell, bis er mir Glauben schenkt.
»Und jetzt? Willst du den Wagen verticken?«
Ich erkläre weitschweifig, dass mir dazu die Kenntnisse und die entsprechenden Kontakte fehlen. Da müsse man sich ja erst mal kundig machen und in Erfahrung bringen, was so ein Fahrzeug überhaupt auf dem Markt …
»Was dann? Spritztour? Straßenstrich abklappern?«
Ich betone noch einmal, dass die zwei Euro dreiundsiebzig in meinem Portemonnaie auch dafür kaum ausreichend sein dürften. Nein, ich sei unterwegs zum Haus des Fahrzeugbesitzers, erkläre ich und merke, wie sich Stolz über meinen genialen Einfall in meine Stimme schleicht. Ich lasse mit meinem rechten Zeigefinger den Schlüsselbund klimpern.
Er runzelt die Stirn, blickt ein paar Minuten lang schweigend in das Dunkel des Abends hinaus, ohne die Waffe von meinem Kopf zu entfernen, dann nickt er langsam.
»Okay, weiter, und da vorne links fahren.«
»Aber ich wollte zum Möhnesee …«
»Später. Erst nach Rünthe.«
»Rünthe?« Ich bin nicht einverstanden, tue aber trotzdem, was er sagt.
Das Navigationssystem ist auch nicht einverstanden. Wenn möglich, bitte wenden. Es klingt ein bisschen nölig.
»Wieso Rünthe?«
»Wegen Katsche.«
»Katsche?«
»Katsche aus Rünthe. Der muss mit.«
Wenn möglich, bitte wenden. Die Frau vom Navi will partout nicht nach Rünthe.
Wir rollen durch Oberaden.
Wenn möglich, bitte wenden.
»Mensch, halt die Fresse!« Mein Begleiter beginnt, am Navigationssystem herumzufingern.
Nach ein paar Minuten hören wir ein zufriedenes Die Route ist berechnet.
Mich macht der Gedanke nervös, dass wir wertvolle Zeit verlieren. »Was kann dieser Katsche denn?«
»Katsche ist Schränker.«
So, so, aber was wollen wir mit einem Schränker? Mein Nebenmann sieht meinen verständnislosen Blick und erklärt, dass Katsche der beste Schränker am Hellweg sei und dass mit Sicherheit im Haus eines reichen Heinis wie E …
»Eike«, werfe ich ein.
… dass bestimmt in einem Haus eines reichen Heinis wie … echt? Eike? … dass da ein Tresor sei und den könne man sich doch nicht entgehen lassen.
Vermutlich hat er recht, aber die Zeit …
In fünfhundert Metern rechts auf Westenhellweg abbiegen.
Jetzt rechts auf Westenhellweg abbiegen.
Der erleuchtete Kühlturm vom Kraftwerk Heil erscheint vor uns.
Bitte beachten Sie die Geschwindigkeitsbegrenzung.
»Ja, ja, ja, mach dir nicht ins Hemd, Puppe!«, grunzt der Mann neben mir. Er hat die Pistole jetzt in den Schoß gelegt und entspannt sich. Er schmiedet einen Plan, das merke ich.
Sie haben Ihr Ziel erreicht.
Katsches Bude ist gleich links, wenn man zur Marina in Rünthe abbiegt. Ein Schuppen mit einer Tranfunzel am Eingang, vor dem ein paar rostfleckige Boote liegen. Er passt so gar nicht zu dem schicken Ambiente des Jachthafens.
Ich muss hupen. Eine Frau mit fettigen Haaren kommt in Unterwäsche an die Tür.
Katsche sei draußen auf der Jennifer, sagt sie. Morgen früh müsse er mit dem Boot nach Polen und bis dahin müsse der Motor laufen. Klingt nicht gerade nach einem Geschäft mit Lieferschein und ordentlich ausgewiesener Mehrwertsteuer.
Von allen Booten, die in der Marina vor Anker liegen, ist die Jennifer sicher das schäbigste. Ich muss wieder ein Hupzeichen geben. Der Kotelettenmann trommelt mir den Rhythmus auf dem Handschuhfach vor.
Katsche streckt seinen Kopf durch ein Kajütenfenster nach draußen. Kotelettenmann winkt und Katsches Kopf verschwindet, nur um kurz danach in der Kajütentür wieder aufzutauchen. Der dazugehörige Körper, der folgt, ist atemberaubend fett. Katsches teigiger Bauch leuchtet prall unter dem Saum eines grobmaschigen Pullovers durch die Nacht. Entsetzt sehe ich, dass seine Hände völlig mit Öl verschmiert sind. Ich denke panisch an die teuren Sitze.
Er wirft sich auf den Rücksitz und der Wagen federt hin und her, als er in die Mitte rutscht und sich zwischen den Sitzen nach vorn beugt. Er stinkt unglaublich nach Schweiß und Öl.
Aus seinem schwarzen Sauerkrautbart grinst mich ein zahnloser Mund an. »Bin Katsche«, sagt er und guckt nach dem Schlüsselbund. »Ede?«
Bevor ich etwas erwidern kann, erklärt ihm der Kotelettenmann, worum es geht. Katsche wölbt die Brauen in die Höhe. In seinen trüben Augen erscheinen jetzt Dollarzeichen. Aus dem Mund riecht es fürchterlich, als er haucht: »Fahrt zurück zum Schuppen, wir holen mein Werkzeug.«
Wenige Momente später gucken wir seinem halbierten, weißen Arsch hinterher, der zum Schuppen wackelt. Dann kehrt er mit schwerem Gerät zurück, das er in den Kofferraum knallt. Es scheppert und dengelt. Hoffentlich macht er nichts kaputt.
Ich tippe auf der Tastatur des Navis herum. Wieder Zuhause.
Die Route ist berechnet.
Ich gucke auf die Uhr. O Mann!
Jetzt links abbiegen auf A 1 Richtung Köln.
Und weiter geht es südwärts. Ich mache vorsichtig mein Fenster einen Spalt auf, weil Katsche schwitzt, dass man es tropfen zu hören glaubt.
»Es zieht«, grölt der Dicke vom Rücksitz. Also wieder zu.
Bald sind wir am Kamener Kreuz.
»Da biegen wir auf die Zwei ab!«, quakt der Fettklops.
Wir wenden uns irritiert zu ihm um. Er hat ein Handy in der dreckigen Hand. »Planänderung, hab Pogorny gesimst, dass wir ihn abholen kommen.«
Kotelette rechts neben mir nickt einverständig.
»Wer ist Pogorny?«
Kotelette meint gedehnt: »Hmm, tja … Pogorny. Sagen wir, wir schulden ihm noch was.«
»Hat vier Jahre für uns gesessen«, kommt es von hinten. »Und da war der tote Typ von der Tanke noch nicht mal mit drin.« Er gluckst vor Vergnügen.
Pogorny soll also auch noch mitmachen. Da sind sich die beiden einig. Kotelette steckt die Wumme weg. Pogorny, so erklärt er mit einem wölfischen Grinsen, Pogorny sei viel besser ausgestattet als er.
Pogorny wohnt in Hamm. Ich biege also am Kamener Kreuz ab und folge der Beschreibung des Dicken.
Wenn möglich, bitte wenden.
Wir rollen über die A 2 und ich fahre in Höhe Bönen ab und orientiere mich nordwärts Richtung Hamm. Pelkum, Wiescherhöfen. Das mit der Zeit haut alles vorn und hinten nicht mehr hin. Und der Navitante passt sowieso die ganze Richtung nicht.
Wenn möglich, bitte wenden. Ich habe den Eindruck, dass der Ton schärfer wird.
»Wo treffen wir Pogorny?«, frage ich.
Bei Katsche piept was. Er hat eine SMS gekriegt. »Am Parkplatz hinterm Kaufhof.«
Wenn möglich, bitte wenden.
Kotelette explodiert: »Mann, du blöde Schlampe, halt endlich dein doofes Maul, sonst …«
Er hat wieder seine Wumme herausgeholt und hält den Lauf ganz dicht vor das Gerät.
Katsches ölige Pranke legt sich von hinten auf seine Schulter. Ein Schwall von Mundgeruch trägt die Worte »Ruhig, Brauner. Sie weiß allein, wo wir hinmüssen« nach vorn.
Das Navigationsgerät murmelt nun halbherzig etwas von In fünfhundert Metern rechts abbiegen, dann sagt sie fünfhundert Meter weiter Jetzt rechts abbiegen, und als wir das nicht tun, flüstert sie weitere fünfhundert Meter später Am Kreisverkehr die erste Abfahrt nehmen und dann schweigt sie frustriert.
Am nur spärlich erleuchteten Parkplatz hinterm Kaufhof warten wir. Fast zehn Minuten. Ich will nicht kleinlich sein, aber das können