Dr. Daniel 60 – Arztroman: Als ihre Welt noch in Ordnung war
Von Marie Francoise
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Mit einer heftigen Bewegung knallte Melanie Probst den Telefonhörer auf die Gabel. Ihr Gesicht war kalkweiß, in ihren Augen standen Wut und Verzweiflung. Sie hatte das dringende Bedürfnis, irgend etwas zu zerschlagen, um ihrem Frust Luft zu machen.
Die edle Blumenvase aus geschliffenem Kristall erschien ihr geeignet, vor allem weil sie ein Geschenk ihrer Zwillingsschwester war. Mit beiden Händen umfaßte Melanie das kostbare Stück und schleuderte es wütend auf den Steinfußboden. Klirrend zersprang die Vase, unzählige glitzernde Glasscherben waren wie kleine Diamanten über den Boden verstreut. Melanie starrte sie an. Sie hatte gehofft, daß sie Erleichterung empfinden könnte, doch das Zerschlagen der Vase hatte ihr keine Befriedigung verschafft. Noch immer nagten Haß und Verzweiflung an ihr, und die Gewißheit, daß sie die vielen Scherben jetzt wegräumen mußte, machte sie noch wütender.
Sie holte Schaufel und Besen und begann, die winzigen Splitter zusammenzukehren. Tränen tropften plötzlich auf den Fußboden, vermischten sich mit den Scherben und ließen sie noch deutlicher glitzern. Schaufel und Besen entglitten Melanies Händen. Schluchzend sank sie auf dem Fußboden zusammen. Spitze Glassplitter bohrten sich in ihre Knie, doch sie spürte es nicht. Die Tränenflut schien sie weg-spülen zu wollen.
Als Melanie den Schmerz registrierte, war die Hose bereits mit Blutflecken übersät. Mühsam rappelte sich die junge Frau auf und stellte fest, daß auch ihre Hände bluteten. Überhaupt sah der Fußboden aus, als hätte hier eine Schlacht stattgefunden.
»Melanie! Um Himmels willen…«
Karlheinz Probst stand in der geöffneten Haustür und blickte fassungslos auf die Szene, die sich seinen Augen bot. Seine Frau, blutend und
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Dr. Daniel 60 – Arztroman - Marie Francoise
Dr. Daniel
– 60 –
Als ihre Welt noch in Ordnung war
Marie Francoise
Mit einer heftigen Bewegung knallte Melanie Probst den Telefonhörer auf die Gabel. Ihr Gesicht war kalkweiß, in ihren Augen standen Wut und Verzweiflung. Sie hatte das dringende Bedürfnis, irgend etwas zu zerschlagen, um ihrem Frust Luft zu machen.
Die edle Blumenvase aus geschliffenem Kristall erschien ihr geeignet, vor allem weil sie ein Geschenk ihrer Zwillingsschwester war. Mit beiden Händen umfaßte Melanie das kostbare Stück und schleuderte es wütend auf den Steinfußboden. Klirrend zersprang die Vase, unzählige glitzernde Glasscherben waren wie kleine Diamanten über den Boden verstreut. Melanie starrte sie an. Sie hatte gehofft, daß sie Erleichterung empfinden könnte, doch das Zerschlagen der Vase hatte ihr keine Befriedigung verschafft. Noch immer nagten Haß und Verzweiflung an ihr, und die Gewißheit, daß sie die vielen Scherben jetzt wegräumen mußte, machte sie noch wütender.
Sie holte Schaufel und Besen und begann, die winzigen Splitter zusammenzukehren. Tränen tropften plötzlich auf den Fußboden, vermischten sich mit den Scherben und ließen sie noch deutlicher glitzern. Schaufel und Besen entglitten Melanies Händen. Schluchzend sank sie auf dem Fußboden zusammen. Spitze Glassplitter bohrten sich in ihre Knie, doch sie spürte es nicht. Die Tränenflut schien sie weg-spülen zu wollen.
Als Melanie den Schmerz registrierte, war die Hose bereits mit Blutflecken übersät. Mühsam rappelte sich die junge Frau auf und stellte fest, daß auch ihre Hände bluteten. Überhaupt sah der Fußboden aus, als hätte hier eine Schlacht stattgefunden.
»Melanie! Um Himmels willen…«
Karlheinz Probst stand in der geöffneten Haustür und blickte fassungslos auf die Szene, die sich seinen Augen bot. Seine Frau, blutend und verweint, inmitten unzähliger kleiner Glasscherben!
»Die Vase ist mir zerbrochen«, brachte sie mit tränenerstickter Stimme hervor.
Karlheinz stellte seine Aktentasche ab, dann eilte er zu Melanie und nahm sie tröstend in die Arme – ungeachtet der Tatsache, daß auch sein Anzug und sein Hemd Blutflecken abbekommen würden.
»Ich kann mir vorstellen, wie schlimm das für dich ist«, meinte er tröstend. »Die Vase war ein Geschenk von Manuela.«
Melanie schwieg. Wie eine leblose Puppe hing sie in den Armen ihres Mannes und war nicht fähig, seine Umarmung zu erwidern. Sie fand sich plötzlich fuchtbar kindisch. Was war ihr nur eingefallen, die Vase zu zerschlagen? Ihr anfänglicher Haß auf Manuela war wieder dieser unermeßlichen Traurigkeit gewichen, von der sie sich höchstens stundenweise einmal befreien konnte.
»Soll ich dich zum Arzt bringen?« fragte Karlheinz besorgt und riß Melanie aus ihren Gedanken.
Sie schüttelte den Kopf. »So schlimm sind die Wunden nicht. Ich kann sie selbst versorgen.«
Sie löste sich aus der Umarmung ihres Mannes und betrat das Bad. Vorsichtig zupfte sie die Glassplitter aus ihren Wunden. Es tat weh, doch sie empfand den Schmerz auf gewisse Weise sogar als wohltuend. Um ihn noch zu verstärken, nahm sie nicht das Desinfektionsmittel, das Karlheinz besorgt hatte, sondern pinselte Jod auf die Wunden. Es brannte wie Feuer, Melanie mußte die Zähne zusammenbeißen, um nicht vor Schmerz aufzustöhnen. Gewissenhaft legte sie Verbandsmull auf die Wunden und klebte ihn mit breiten Pflasterstreifen fest.
Als sie das Bad verließ, hatte Karlheinz schon den Tisch fürs Abendbrot gedeckt. Melanie setzte sich, doch mit ihren verbundenen Händen fiel ihr das Essen nicht leicht. Karlheinz unternahm ein paar Versuche, ein harmloses Gespräch zu beginnen, doch Melanie ging nicht darauf ein. Ihre Gedanken beschäftigten sich mit etwas anderem, und schließlich stellte Karlheinz seine fruchtlosen Versuche ein.
Unwillkürlich mußte er an die Zeit zurückdenken, als er seine Frau kennengelernt hatte. Wie ausgelassen und fröhlich sie gewesen war! Ein Energiebündel, immer heiter, immer lachend… es war eine Freude gewesen, mit ihr zusammenzusein, und es erschien Karlheinz unfaßbar, daß das alles schon zehn Jahre zurückliegen sollte. Zehn Jahre… nein, eigentlich nur sechs, denn in den ersten Ehejahren war Melanie die unbeschwerte Frau geblieben, doch dann hatte sie plötzlich angefangen sich zu verändern, und Karlheinz kannte auch den Grund dafür. Das Baby, das sie sich beide gewünscht hatten, blieb aus. Alle Versuche schlugen fehl, doch anstatt in ihrem Mann einen Gefährten zu sehen, der mit ihr durch diese schwierige Zeit ging, hatte sich Melanie immer mehr verschlossen, und mittlerweile schien es überhaupt keinen Weg mehr zu ihrem Herzen zu geben.
»Manuele erwartet ein Baby.«
Melanies Worte fielen beinahe drohend in die Stille, die zwischen ihr und Karlheinz herrschte. Der junge Mann schnitt seine Essiggurke in feine Scheiben und verteilte sie auf dem Wurstbrot.
»Das war also der Grund«, meinte er ohne aufzublicken. Die Gurkenscheiben auf dem Brot schienen seine ganze Konzentration zu erfordern.
Melanies Schweigen kam einer Antwort gleich. Im nächsten Moment sprang Karlheinz so ungestüm auf, daß der Stuhl umkippte und polternd zu Boden fiel.
»Ich halte das nicht mehr aus!« begehrte er auf. »Du neidest Manuela das Glück ihrer Familie! Du machst sie dafür verantwortlich, daß du kein Kind bekommen kannst! Manuela ist nicht schuld an unserer Kinderlosigkeit! Niemand ist schuld daran! Man kennt ja nicht einmal die Ursache dafür!«
Erschöpft von diesem Ausbruch stützte sich Karlheinz mit beiden Händen auf der Tischplatte ab. Von Melanie kam keine Reaktion. Sie saß da wie erstarrt, kein Muskel bewegte sich in ihrem Gesicht, ihre Augen wirkten wie erloschen.
Mit einem Ruck stieß sich Karlheinz vom Tisch ab, dann verließ er die Wohnung. Er konnte das Zusammensein mit seiner Frau nicht länger ertragen.
Völlig unbeweglich blieb Melanie sitzen. Sie starrte das appetitliche Wurstbrot an, das Karlheinz hergerichtet und dann unberührt liegengelassen hatte. Schmerzhaft schlug ihr Herz gegen die Rippen, und unwillkürlich legte Melanie eine Hand um ihren Hals. Sie spürte schon wieder das entsetzliche Gefühl der Enge in ihrer Kehle. Keuchend rang sie nach Luft, schloß die Augen und wartete auf die Tränen, die den Kloß in ihrer Kehle wegschwemmen würden, doch diesmal dauerte es lange, bis sie weinen konnte.
Unaufhörlich rannen die Tränen über ihr Gesicht, aber Melanie empfand keine Erleichterung dabei. Sie war nur erschöpft und todunglücklich.
*
Fast eine Stunde lang irrte Karlheinz ziellos im Ort umher, dann fand er sich plötzlich vor dem Haus seines Bruders Udo wieder. Unschlüssig blieb er stehen und überlegte, ob er klingeln sollte oder nicht. Er hatte Udo schon so oft mir seinen Problemen belästigt.
Karlheinz wurde einer Entscheidung enthoben, als sein Bruder heraustrat.
»Komm schon herein, Kalle«, meinte er, und seine Worte bewiesen nicht nur, daß er Karlheinz bereits gesehen hatte, sondern auch, daß er wußte, weshalb er hier war.
Stumm folgte Karlheinz seinem Bruder ins Wohnzimmer, dann ließ er sich mit einem tiefen Seufzer auf das gemütliche Sofa fallen. Alles hier wirkte heimelig und warm, obwohl Udo und seine Frau Hannelore ähnliche Probleme hatten wie Melanie und er. Hannelore hatte von Anfang an gewußt, daß sie nie ein Kind würde haben können. Aufgrund einer Entwicklungsstörung fehlte bei ihr die Gebärmutter. Trotzdem führten sie und Udo eine glückliche Ehe, und Karlheinz fragte sich, warum das bei ihm und
Melanie nicht auch so sein konnte.
»Ich halte das nicht