Mami 1774 – Familienroman: Eine neue Zeit – ein anderes Leben
Von Eva Maria Horn
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Max von Grünbergs kleine Welt war voll Sonnenschein. Es war gar nicht leicht gewesen, seinen Willen durchzusetzen. Bei einem viel beschäftigten Vater, der Gutsbesitzer war, und einer als Tierärztin ständig überforderten Mutter, hatte es ein vierjähriger Junge nicht eben leicht. Aber er durfte seit zwei Tagen allein zum Kindergarten gehen. Er wurde nicht mehr wie ein Baby, das er mit vier Jahren ja wirklich nicht mehr war, mit dem Auto zum Kindergarten gefahren. Eltern waren eben viel zu ängstlich und seine Eltern ganz besonders. Fand Max! Er pfiff vergnügt, schlenkerte seine Kindergartentasche, in der ein Apfel kullerte und vermutlich das Butterbrot platt drückte. Er würde das sowieso nicht essen, er tauschte sein Frühstück gegen Murmeln ein.
Er hüpfte über das alte Kopfsteinpflaster, bemühte sich, nicht auf den Rand zu treten, als ein unterdrücktes Schluchzen an sein Ohr drang.
Er stand stocksteif, sah sich um und entdeckte Florian Pulver, der unter dem alten Kastanienbaum saß, ihn überhaupt nicht beachtete und bitterlich schluchzte.
Mit wenigen Sätzen war Max bei ihm. Ein wenig verlegen sah er auf den verheulten Florian. Florian paßte es bestimmt nicht, daß jemand ihn weinen sah.
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Mami 1774 – Familienroman - Eva Maria Horn
Mami -1774-
Eine neue Zeit - ein anderes Leben
Eva Maria Horn
Max von Grünbergs kleine Welt war voll Sonnenschein. Es war gar nicht leicht gewesen, seinen Willen durchzusetzen. Bei einem viel beschäftigten Vater, der Gutsbesitzer war, und einer als Tierärztin ständig überforderten Mutter, hatte es ein vierjähriger Junge nicht eben leicht. Aber er durfte seit zwei Tagen allein zum Kindergarten gehen. Er wurde nicht mehr wie ein Baby, das er mit vier Jahren ja wirklich nicht mehr war, mit dem Auto zum Kindergarten gefahren.
Eltern waren eben viel zu ängstlich und seine Eltern ganz besonders. Fand Max!
Er pfiff vergnügt, schlenkerte seine Kindergartentasche, in der ein Apfel kullerte und vermutlich das Butterbrot platt drückte. Er würde das sowieso nicht essen, er tauschte sein Frühstück gegen Murmeln ein.
Er hüpfte über das alte Kopfsteinpflaster, bemühte sich, nicht auf den Rand zu treten, als ein unterdrücktes Schluchzen an sein Ohr drang.
Er stand stocksteif, sah sich um und entdeckte Florian Pulver, der unter dem alten Kastanienbaum saß, ihn überhaupt nicht beachtete und bitterlich schluchzte.
Mit wenigen Sätzen war Max bei ihm. Ein wenig verlegen sah er auf den verheulten Florian. Florian paßte es bestimmt nicht, daß jemand ihn weinen sah.
»Haste denn?« Max zog dabei seine Nase ein wenig kraus und wickelte das Lederband seiner Tasche um seine Finger. Florian war größer als Max, und schon am ersten Tag hatte sich Max zu dem Jungen hingezogen gefühlt, aber der hatte leider kaum Notiz von ihm genommen.
»Die wollen Gertrud schlachten«, stieß Florian unter Schluchzen hervor. »Mörder sind sie. Jawohl.«
Entsetzt starrte Max auf den Kameraden und stieß hörbar die Luft aus.
»Und da sitzt du hier und heulst? Da mußt du sofort zur Polizei gehen. Die kommt dann und steckt sie ins Gefängnis. Komm, wir rennen los. Die können doch deine Schwester nicht totmachen.«
Florian blieb der kummervolle Schluchzer im Hals stecken. Er zog hörbar die Nase hoch, starrte Max an und tippte dann gegen seine Stirn.
»Ich hab’ doch keine Schwester. Wie kommste denn da drauf?«
»Ja, aber…«, Max verschluckte sich und holte Luft. »Du hast doch gesagt, die wollen Gertrud…«
»Du verstehst aber auch gar nichts«, ärgerte Florian sich, und der Kummer überrollte ihn wieder. »Gertrud ist doch das Schwein vom Bauern Griese. Aber viel mehr als ein Schwein, das kann ich dir schriftlich geben. Wenn Gertrud mich hört, dann quiekt sie schon, und wenn ich in den Stall komme, dann stellt sie sich auf die Hinterfüße und will von mir gekrault werden. Am liebsten hat sie, wenn ich an ihrem Hals kratze. Wenn der Bauer nicht in der Nähe ist, darf ich Gertrud sogar aus dem Stall holen. Der Knecht ist nämlich mein Freund, der tut einfach, als ob er das gar nicht sieht. Und jetzt…«, er bemühte sich nicht einmal, die Tränen zurückzuhalten, sie flossen über seine Wangen, auf denen die Sommersprossen glühten, »… jetzt haben sie Gertrud in den kleinen Stall gesperrt. Gertrud weiß bestimmt, was das heißt. Da hinein kommen die Schweine, wenn sie geschlachtet werden. Hast du schon mal gehört, wie ein Schwein schreit, wenn es totgemacht wird?«
Max stopfte blitzschnell seine Finger in die Ohren. Die Tasche fiel dabei auf den Boden, aber darauf achtete er nicht.
Er nickte nur.
»Weißt du, Max«, Florian sprach beinahe so tiefsinnig wie Max’ Vater, wenn der seinem Sohn etwas erklärte. Max bewunderte den Freund rückhaltlos.
»Menschen sind gemein. Das kann ich dir sagen. Widerlich sind sie. Gertrud ist mein Freund, gestern abend hab’ ich sie noch mit Äpfeln gefüttert, und morgen ist sie einfach nicht mehr da. Aufgegessen wird sie. Die Menschen sind Kannibalen, oder wie die Leute heißen, die andere aufessen.«
Max kratzte über seine Nase, wie immer, wenn er verlegen war oder scharf nachdenken mußte.
»Aber wenn man keine Tiere schlachtet, dann können wir doch kein Fleisch essen«, gab er zu bedenken.
»Na und, na und?« ereiferte sich Florian und reckte sich zu seiner beneidenswerten Größe auf. »Schmeckt Brot etwa nicht? Und sind Eier nicht lecker? Von mir aus brauchte es kein Fleisch zu geben, ich bin auch mit Klößen zufrieden, und Kuchen esse ich auch gern. Meine Oma kann toll Streuselkuchen backen. Ach Mensch…«, seine Tränen flossen wieder, »… ich kann dir sagen, mir geht es scheußlich.«
Vom nahen Kirchturm schallten mahnende Glockenschläge herunter. Die beiden hörten die Uhr nicht. Sie hatten auch vergessen, daß man im Kindergarten auf sie wartete. War man um viertel nach neun nicht im Kindergarten, wurden die Eltern angerufen.
»Da muß man doch was machen«, stieß Max wütend aus. »Wir könnten Gertrud retten.«
Florians Tränen versiegten sofort. Die beiden Buben sahen sich an; sie schwiegen einen Augenblick.
»Klar, wir müssen sie retten. Aber wie?«
Max’ Lausbubengesicht verzog sich listig. Seine grauen Augen funkelten unternehmungslustig.
»Wir holen sie einfach aus dem Stall, aus ihrer Todeszelle. Ich hab’ einen Apfel in der Tasche, damit locken wir sie.«
»Die braucht man nicht zu locken. Wenn die mich nur sieht, will sie bei mir sein. Die folgt mir wie ein Hund. Aber was machen wir, wenn uns jemand sieht?« gab Florian ängstlich zu bedenken.
Max winkte großspurig ab, aber so mutig, wie er sich gab, fühlte er sich längst nicht. Seinem Vater war einmal ein Kälbchen geklaut worden, da war die Polizei gekommen. Es war wahnsinnig aufregend gewesen.
Vielleicht kamen sie sogar ins Gefängnis, wenn man sie erwischte? Aber ein Schwein war ja längst nicht so groß wie ein Kalb! Und überhaupt!
»Wir retten Gertrud«, erklärte Max energisch. »Los, komm, wir dürfen uns einfach nicht erwischen lassen.«
»Aber wohin gehen wir mit ihr?« überlegte Florian zögernd. Er war zwar nicht viel älter als Max, aber offensichtlich doch besonnener.
»Das sehen wir dann schon«, winkte Max ab, der auf keinen Fall auf das Abenteuer verzichten wollte. Selbst das Gefängnis erschien ihm spannend, wenn ihm nur seine Eltern keinen Strich durch sein Abenteuer machten!
»Hinter Grieses Hof fängt doch gleich der Wald an, Florian. Und hinter dem Wald ist eine Hütte, da kann Gertrud sich verstecken, wenn man sie sucht. Mein Vater hat mal gesagt, wenn Tiere die Freiheit riechen, dann kann man sie nicht wieder fangen.«
Daß sein Vater damit einen Kanarienvogel gemeint hatte, der seinem Sohn davongeflogen war, bedachte Max natürlich nicht.
»Ich sag dir ja«, Florian fuhr mit allen zehn Fingern durch sein blondes Haar, das anschließend noch mehr zu Berge stand. »Gertrud ist schlau. Wir können auf sie aufpassen und ihr immer Futter bringen, weil sie ja nicht gewohnt ist, sich selbst was zu suchen. Die Hauptsache ist, sie kann nicht geschlachtet werden. Griese hat ja noch mehr Schweine, er kann ja ein anderes Schwein schlachten, wenn er unbedingt Fleisch essen muß. Komm.«
Beiden klopfte das Herz bis zum Hals, aber um nichts in der Welt hätten die beiden Lausebengels auf ihre Rettungsaktion verzichten mögen. Wie Indianer schlichen sie zum Hof und versteckten sich hinter einem Holzstoß. Die Vorsicht war gar nicht nötig, der sauber gepflegte Hof lag wie ausgestorben. Nur ein Huhn pickte gelangweilt zwischen den Steinen und stolzierte dann davon; den Jungen, die gebückt zum Stall schlichen, warf es keinen Blick zu.
»Was für ein Glück, daß Hühner so blöde sind«, zischte Max seinem Freund zu. »Sonst müßten wir ihm glatt den Hals umdrehen, damit es uns nicht verrät.«
Sein Freund nickte. Ja, jetzt war Florian sein Freund. Für immer und ewig.
*
»Es ist nur noch eine Patientin im Wartezimmer.« die Sprechstundenhilfe sah mitleidig auf das erschöpfte Gesicht der jungen Tierärztin. »Das war aber auch ein Morgen! Ich glaube, so viel zu tun hatten wir noch nie.«
Manuela von Grünberg nickte. Einen Moment fühlte sie sich zu müde, um aufzustehen. Es war gut, daß Bertram sie nicht so sah. Bertram lebte in ständiger Angst, daß seine Frau sich überanstrengte.
»Es war leider auch eine lange Nacht.« Manuela strich sich dabei das Haar aus der Stirn und versuchte, sich zu einem Lachen aufzuraffen. »Zweimal wurde ich aus dem Bett geholt. Die Stute bei Greiner fohlte schwer. Ich hatte mich beinahe zu einem Kaiserschnitt entschlossen, aber dann bequemte sich das kleine Wesen zum Glück, auf normale Weise auf die Welt zu kommen.