Wenn die niemand glauben will …: Der Bergpfarrer 456 – Heimatroman
Von Toni Waidacher
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Über dieses E-Book
Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert.
Der fünfundzwanzigjährige Marcel Hambacher verließ die gut besuchte Weinstube im 1. Wiener Bezirk und atmete tief durch. Sofort wurde ihm schwindelig. Der Wein war ihm anscheinend ein wenig in den Kopf gestiegen, stellte er grinsend fest. Nun, kein Wunder, so gut wie der Weißwein nun einmal schmeckte, war es nicht bei einem Viertel geblieben. Er hatte an der Geburtstagsfeier eines Freundes teilgenommen, die Stimmung war ausgelassen, und Marcel hatte fröhlich mitgefeiert, ohne daran zu denken, dass er sonst nur wenig trank. Nun bereute er seine Sorglosigkeit, denn er merkte den ungewohnten Alkohol bei jedem Schritt. Es ging auf Mitternacht zu. Nur gut, dass seine Wohnung nicht allzu weit entfernt lag. Die frische Luft schien ihn noch taumeliger werden zu lassen. Mit weichen Knien und leicht schwankend marschierte er in die dunkle Gasse hinein. Weit vorne sah er die Lichter der Geschäfte und Restaurants am ›Graben‹, der bekannten Flaniermeile in der Wiener Innenstadt. Vorsichtig setzte Marcel einen Fuß vor den anderen, bemüht, nicht allzu sehr zu taumeln. Es war kühl. Die Tage waren zwar schon warm, in den Nächten aber spürte man es noch, dass der Sommer noch nicht Einzug gehalten hatte. In der Dunkelheit der schmalen Gasse überlief ihn ein Frösteln. Es war schon spät, er musste ins Bett … Manchmal streifte er mit der Schulter die Hauswand zu seiner Linken. ›Reiß dich zusammen! ‹, ermahnte er sich selbst. ›Da vorn sind Passanten.
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Wenn die niemand glauben will … - Toni Waidacher
Der Bergpfarrer
– 456 –
Wenn die niemand glauben will …
Toni Waidacher
Der fünfundzwanzigjährige Marcel Hambacher verließ die gut besuchte Weinstube im 1. Wiener Bezirk und atmete tief durch. Sofort wurde ihm schwindelig. Der Wein war ihm anscheinend ein wenig in den Kopf gestiegen, stellte er grinsend fest. Nun, kein Wunder, so gut wie der Weißwein nun einmal schmeckte, war es nicht bei einem Viertel geblieben.
Er hatte an der Geburtstagsfeier eines Freundes teilgenommen, die Stimmung war ausgelassen, und Marcel hatte fröhlich mitgefeiert, ohne daran zu denken, dass er sonst nur wenig trank. Nun bereute er seine Sorglosigkeit, denn er merkte den ungewohnten Alkohol bei jedem Schritt.
Es ging auf Mitternacht zu. Nur gut, dass seine Wohnung nicht allzu weit entfernt lag. Die frische Luft schien ihn noch taumeliger werden zu lassen. Mit weichen Knien und leicht schwankend marschierte er in die dunkle Gasse hinein. Weit vorne sah er die Lichter der Geschäfte und Restaurants am ›Graben‹, der bekannten Flaniermeile in der Wiener Innenstadt.
Vorsichtig setzte Marcel einen Fuß vor den anderen, bemüht, nicht allzu sehr zu taumeln. Es war kühl. Die Tage waren zwar schon warm, in den Nächten aber spürte man es noch, dass der Sommer noch nicht Einzug gehalten hatte. In der Dunkelheit der schmalen Gasse überlief ihn ein Frösteln. Es war schon spät, er musste ins Bett … Manchmal streifte er mit der Schulter die Hauswand zu seiner Linken. ›Reiß dich zusammen!‹, ermahnte er sich selbst. ›Da vorn sind Passanten. Die müssen nicht merken, dass du einen Rausch hast.‹ Dennoch leicht taumelnd, ging er weiter.
Plötzlich hielt er an. Hatte ihm sein trunkenes Hirn etwas vorgegaukelt, oder hatte er tatsächlich ein Röcheln vernommen? Er hielt an, schwankte leicht, und drehte sich lauschend in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Er schaute auf eine finstere Hofeinfahrt, die zu einem Restaurant gehörte, und deren Tor weit offen stand.
Er hatte sich nicht getäuscht! Jetzt war das Stöhnen erneut zu hören. Er näherte sich vorsichtig dem Tor und schaute angestrengt ins Dunkle. Schließlich konnte er am Boden eine schemenhafte Gestalt erkennen.
Da lag ein Mensch! Der helle Fleck musste sein Gesicht sein. Er atmete rasselnd und manchmal stieg ein röchelnder, erstickter Laut aus seiner Kehle.
Marcel kniete sich bei dem am Boden Liegenden nieder, seine Hände tasteten über ihn hinweg, er fühlte den groben Stoff einer Jacke, Haut, Haare und etwas Feuchtes, Klebriges. »Hallo, Sie, was ist …«
Plötzlich bäumte sich der Mann am Boden auf, ein Keuchen kam aus seinem Mund, dann brüllte er: »Hilfe! Helft mir! Überfall! Hiiilfe!«
Marcel begriff und war mit einem Schlag nüchtern. Der Mann war niedergeschlagen, vielleicht sogar ausgeraubt worden, und jetzt beschuldigte er ihn, der bei ihm kniete.
»Hilfe!«, brüllte der Mann wieder. »Haltet den Kerl fest! Hilfe!«
»Bist du übergeschnappt, Mann?«, zischte er. »Ich hab’ dir doch nichts …«
»Hilft mir denn niemand! Der Kerl bringt mich noch um!«
Jetzt war es mit seiner Beherrschung vorbei. Er sprang auf, ging zurück in die Gasse und wollte in Richtung des ›Grabens‹ fliehen, aber von dort näherte sich eine kleine Gruppe von Männern und Frauen. Deutlich hoben sich ihre Gestalten vor der Kulisse der beleuchteten Einkaufsstraße ab.
»Hilfe! Überfall! Ich verblute …«, gellte die Stimme des Mannes in der Einfahrt.
Marcels Nerven lagen blank. Er machte kehrt, rannte den Weg zurück, den er gekommen war, bog nach etwa hundert Metern in eine kreuzende Gasse ab, folgte ihr, bog ein weiteres Mal ab und gelangte auf diesem Umweg zum ›Graben‹.
Gehetzt und völlig außer Atem hielt er an und schaute über die Schulter nach hinten. Dann warf er einen Blick nach links und nach rechts, und kam zu dem Schluss, dass er nicht verfolgt wurde. Er atmete auf, hob seine rechte Hand und sah, dass sie mit Blut besudelt war. Unwillkürlich schaute er an sich hinunter und bemerkte auch die dunklen Flecken auf seinem hellgrauen Anorak.
Einige Leute, die vorbeizogen, musterten ihn argwöhnisch. Oder kam ihm das nur so vor? Seine Atmung und sein Herzschlag nahmen langsam wieder den normalen Rhythmus auf, und er eilte in Richtung Kohlmarkt weiter.
Nach und nach legte sich seine Anspannung und er bekam den Aufruhr in seinem Innern etwas mehr unter Kontrolle. Er sagte sich immer wieder, dass er sich keine Gedanken machen müsse, da er sich ja nichts vorzuwerfen habe. Er ging weiter.
Nach etwa einem Kilometer erreichte er in einer Nebenstraße seine Wohnung. Sie lag im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses. Als er im Flur das Licht anmachte und sich im Spiegel der Garderobe sah, erschrak er. Die Flecken! Dort, wo er beim Laufen seinen Anorak berührt hatte, war er blutbesudelt. Es war das Blut des Mannes, der in der Einfahrt gelegen hatte! Sofort kamen ihm Begriffe wie Spurensicherung und DNA-Analyse in den Sinn.
Er nahm seine Geldbörse aus dem Anorak, zog ihn aus, trug ihn ins Badezimmer und warf ihn in die Badewanne, deren Abfluss er schloss. Dann ließ er Wasser einlaufen, bis das Kleidungsstück vollkommen bedeckt war. In dem Wasser wusch er sich auch das Blut des Überfallenen von der Hand.
Schlaf fand er in dieser Nacht nicht. Doch als der Morgen anbrach, war er sich sicher, dass ihn die kleine Gruppe von Leuten, die in die Gasse gekommen war, in der Dunkelheit gar nicht richtig gesehen haben konnte. Und er sagte sich, dass es nichts als Einbildung gewesen war, als er glaubte, von den Passanten argwöhnisch angeschaut zu werden, als er am ›Graben‹ anlangte und in der Gassenmündung verschnaufte.
Er fühlte sich wie gerädert. Gott sei dank musste er nicht zur Arbeit, denn es war Samstag und der Betrieb, in dem er tätig war, hatte geschlossen.
*
Am Sonntagabend, es war zwanzig Uhr vorbei, läutete sein Telefon. Es war seine Mutter.
Grußlos und vollkommen aufgelöst stieß sie hervor: »Was hast du dir bloß dabei gedacht, Marcel? Welcher Teufel hat dich geritten, als du den Mann niedergeschlagen und ausgeraubt hast? Reicht dir denn das Geld net, das du mit deiner Arbeit verdienst?«
Siedendheiß durchfuhr Marcel der Schreck, der Magen krampfte sich ihm zusammen, er war wie gelähmt. ›Woher weiß sie davon?‹, durchzuckte es ihn. Er war sprachlos vor Entsetzen.
Da erklang schon wieder die aufgeregte Stimme seiner Mutter: »Im Fernsehen lief ein Fahndungsaufruf, dabei wurden die Bilder einer Überwachungskamera ausgestrahlt. Sie zeigen dich, wie du aus einer Seitenstraße zum Graben kommst, schwer atmend dastehst und erst deine Hand betrachtest und dann an dir hinunterblickst. Einige Leute haben jemand von dort, wo der Überfallene gelegen hat, weglaufen sehen. Sie haben ihn zwar net beschreiben können, aber die Polizei vermutet, dass es sich um den gleichen Mann handelt, der wenig später ein paar Seitenstraßen weiter am Graben aufgetaucht ist – also um dich. Dein Gesicht ist ganz deutlich zu erkennen. Die Polizei hat bestimmt in der Zwischenzeit deinen Namen herausbekommen.«
Marcel hatte das Gefühl, als würde ihm jemand den Boden unter den Füßen wegziehen. Doch dann fand er seine Sprache wieder und stammelte: »Ich – ich hab’ den Mann gefunden, Mama. Er hat geröchelt und so bin ich auf ihn aufmerksam geworden. Er hat in einer dunklen Einfahrt gelegen. Ich hab’ ihn abgetastet, weil ich net gewusst hab’, was mit ihm los ist. Er hätt’ ja auch nur betrunken sein können. Plötzlich hat er losgebrüllt. Hilfe, Überfall, jemand solle ihm helfen, man solle mich festhalten …« Für einen Moment versagte Marcel die Stimme. »Ich war auf der Geburtstagsfeier von Patrick und bin gegen Mitternacht heimgegangen, obwohl ich etwas betrunken war,